Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhaltsanspruch. Bedürftigkeit. Vermögensverwertung. Vorteilsausgleich. Elternrente
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen des Anspruchs auf Unterhalt bei der Aszendentenrente (§ 596 RVO).
Leitsatz (redaktionell)
Zur Frage, inwieweit ein Urlaub des Prozeßbevollmächtigten einen erheblichen Grund zur Verlegung des Termins darstellt.
Orientierungssatz
1. Der Anspruch auf Elternrente nach § 596 RVO als Ersatz für den Unterhaltsanspruch nach bürgerlichem Recht setzt eine gesetzliche Unterhaltsberechtigung- und Verpflichtung voraus. Ansprüche aufgrund anderer bürgerlich-rechtlicher Erwerbstatbestände reichen nicht aus (vgl BSG 1981-04-30 8/8a RU 4/80 = HVGBG RdSchr VB 185/81).
2. Der unterhaltsrechtliche Begriff der Bedürftigkeit, der durch § 1610 BGB mitbestimmt wird, ist mit dem sozialhilferechtlichen Merkmal der Hilfsbedürftigkeit (§ 11 BSHG) nicht identisch; die Unterhaltspflicht entfällt also nicht schon deshalb, weil das Einkommen des Berechtigten die Regelsätze des BSHG überschreitet (vgl BSG 1974-05-15 8 RU 67/73 = SozR 2200 § 596 RVO Nr 1). Vielmehr kann der Bedürftige - nach den Maßstäben des BGB - einen "angemessenen" Unterhalt (§ 1610 Abs 1 BGB) verlangen.
3. Die von den Zivilgerichten entwickelten Leitlinien und Tabellenwerte können auch für die Elternrente im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung Anhaltspunkte für den angemessenen Mindestbedarf liefern.
4. Bedürftigkeit besteht nicht, falls und solange der den Unterhalt Fordernde von eigenem Vermögen leben kann. Dieses ist erforderlichenfalls zu verwerten oder flüssig zu machen (vgl BSG 1968-07-30 2 RU 272/65 = BSGE 28, 163).
5. Der Schadensersatzcharakter der gesetzlichen Unfallversicherung ermöglicht, zivilrechtlichen Grundsätzen des Schadensausgleichs insoweit Rechnung zu tragen, als nicht Besonderheiten der gesetzlichen Unfallversicherung dem entgegenstehen (vgl BSG 1983-12-08 2 RU 69/82 = BAGUV RdSchr 11/84). Dies gilt insbesondere bei den Leistungen, die, wie die Elternrente nach ihren Voraussetzungen nicht abstrakt, sondern konkret zu ermitteln sind.
6. Zur Frage der Anrechenbarkeit von Vorteilen, die dem Unterhaltsberechtigten aufgrund des Todes des Unterhaltsverpflichteten erwachsen, hier: Erträgnisse einer Lebensversicherung, vgl BSG 1981-04-30 8/8a RU 4/80 = HVGBG RdSchr VB 185/81).
Normenkette
RVO § 596 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30; BGB §§ 1601-1603, 1606, 1610, 844 Abs. 2, § 1610 Abs. 1; BSHG § 11; SGG § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 227 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 15.06.1982; Aktenzeichen L 3 U 21/82) |
SG Hildesheim (Entscheidung vom 03.12.1981; Aktenzeichen S 6 U 122/81) |
Tatbestand
Die im Jahre 1920 geborene Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von Elternrente (§ 596 der Reichsversicherungsordnung -RVO-).
Sie ist die Mutter des am 3. Oktober 1979 im 39. Lebensjahr durch einen Arbeitsunfall getöteten ledigen K.-H. S. Sie hat noch zwei Töchter. Die Klägerin erhält eine Witwenrente nach ihrem 1967 verstorbenen Ehemann. Die Rente betrug im Jahre 1979 DM 513,10, im Jahre 1980 DM 533,60, im Jahre 1981 DM 554,90 monatlich. Die Klägerin ist Miteigentümerin zu 14/24 des von ihr bewohnten lastenfreien Hauses, das 1777 erbaut worden ist und einen Einheitswert von DM 13.500,-- hat. Miteigentümerin zu je 5/24 sind ihre Töchter.
Zu Lebzeiten ihres Sohnes, mit dem sie in Haushaltsgemeinschaft lebte, erhielt sie von ihm ein monatliches Kostgeld in Höhe von DM 300,-- und eine regelmäßige Unterstützung in Höhe von DM 400,-- monatlich.
Ihr Antrag auf Zahlung einer Elternrente wurde von der Beklagten abgelehnt (Bescheid vom 27. Februar 1981), der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 3. Juli 1981). Die daraufhin erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Hildesheim zurückgewiesen (Urteil vom 3. Dezember 1981). Auch die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg (Urteil vom 15. Juni 1982). Zur Begründung hat das Landessozialgericht (LSG) ua ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Elternrente, weil ihr Sohn gesetzlich (§ 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-) nicht verpflichtet gewesen sei, ihr Unterhalt zu gewähren. Auf die tatsächliche Zahlung von DM 400,-- komme es nicht an. Diese sei aufgrund traditioneller Übung oder aus einer sittlich-moralischen Verpflichtung des Sohnes gegenüber der Mutter erfolgt, ein Anspruch darauf habe nicht bestanden. Die Klägerin habe zwar im Jahre 1981 nur über eine Witwenrente von DM 554,90 monatlich verfügt, diese Rente reiche aber aus, ihre Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Dabei sei zu berücksichtigen, daß die Klägerin in dem ihr zusammen mit ihren Töchtern gehörenden Haus mietfrei wohne. Aufwendungen für das Haus habe sie aus der ihr zugeflossenen Lebensversicherung des Sohnes decken können. Den ihr verbliebenen Rest von DM 15.373,-- müsse sich die Klägerin jedenfalls anrechnen lassen, so daß sie den Unterhaltszuschuß ihres Sohnes noch für ca 35 Monate erhalten habe. Die Klägerin habe weitere außergewöhnliche Bedürfnisse nicht geltend gemacht.
Durch Beschluß vom 19. Oktober 1982 (2 BU 149/82) hat das Bundessozialgericht (BSG) die Revision zugelassen. Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Das LSG habe, obwohl sie einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung widersprochen und wegen Urlaubs ihres Prozeßbevollmächtigten eine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung beantragt habe, am 15. Juni 1982 ohne mündliche Verhandlung nach Lage der Akten entschieden. Hierdurch sei sie in der sachgemäßen Wahrnehmung ihrer Rechte behindert und ihr das rechtliche Gehör nach Art 103 des Grundgesetzes (GG), § 62 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht gewährt worden. Ferner rügt sie die Verletzung des § 596 RVO. Das LSG sei von falschen Kriterien bei der Ermittlung der Grundlagen einer Elternrente ausgegangen. Der angemessene Unterhalt bemesse sich nach ihrer Lebensstellung. Ihr Lebensstandard sei nicht nur durch die Witwenrente, sondern auch durch die regelmäßigen Zahlungen des Sohnes bestimmt gewesen. Zudem habe sie einen Anspruch auf Unterhaltsleistungen "erwirkt". Durch die langfristigen Leistungen des Sohnes habe sie darauf vertrauen können, daß er die Zahlungen fortsetzen würde. Eine Anrechnung der Lebensversicherung dürfe entgegen der Ansicht des LSG nicht erfolgen, da dies den allgemeinen, insbesondere zu § 844 Abs 2 BGB entwickelten, Grundsätzen der Vorteilsausgleichung zuwiderlaufen würde.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des LSG Niedersachsen vom 15. Juni 1982 und das Urteil des SG Hildesheim vom 3. Dezember 1981 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 1981 und den Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 1981 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Elternrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung sind die Ausführungen des LSG nicht zu beanstanden. Es habe nach Prüfung des Einzelfalles zu Recht einen Unterhaltsanspruch der Klägerin verneint.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Auf einen Verfahrensfehler kann sich die Klägerin indes nicht berufen. Das LSG hat zu Recht nach Lage der Akten (§ 126 SGG) entschieden. Ausweislich des Sitzungsprotokolls (Bl 116 der Akten) und der Entscheidungsgründe hat der Vertreter der Beklagten den gem § 126 SGG notwendigen Antrag gestellt. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ist in der Terminsmitteilung auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach Lage der Akten hingewiesen worden (Bl 111 der Akte). Durch diese Entscheidung nach Lage der Akten ist das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör, Art 103 GG, § 62 SGG nicht verletzt worden. Der Vorsitzende des Senats war nicht verpflichtet, den Verhandlungstermin wegen des Kurzurlaubes des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin aufzuheben und zu verlegen. Die Entscheidung über den Antrag auf Verlegung des Termins lag im Ermessen des Vorsitzenden. Zugunsten der Klägerin hätte darüber nur entschieden werden können, wenn erhebliche Gründe vorgelegen hätten (§ 202 SGG iVm § 227 Abs 1 der Zivilprozeßordnung -ZPO-). Diese sind bei einer vorhersehbar urlaubsbedingten Abwesenheit des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin nicht gegeben. Sie hatte weiterhin die Möglichkeit, in der mündlichen Verhandlung ihre Berufungsgründe durch einen geeigneten und dazu bereiten Rechtsanwalt vortragen und erläutern zu lassen. Wenn der von ihr bevollmächtigte Rechtsanwalt dazu nicht in der Lage ist, hat er dafür Sorge zu tragen, daß ein anderer Rechtsanwalt dies übernimmt (vgl BVerfGE 14, 195, 196; BVerwG Buchholz 310, § 108 VwGO Nr 24; s auch BVerwG VerwRspr 24, 380; BSG Urteil vom 6. Dezember 1983 - 11 RA 30/83 -). Art 103 Abs 1 GG verpflichtet ein Gericht nicht, einen anberaumten Termin im Hinblick auf Urlaubswünsche des Prozeßbevollmächtigten eines Beteiligten aufzuheben (BVerfGE aaO). Daran ändert auch die um zwei Tage verkürzte Ladungsfrist nichts. Zwar hat der Vorsitzende nach § 110 Abs 1 SGG Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung den Beteiligten in der Regel zwei Wochen vorher mitzuteilen. Die Verletzung dieser Ordnungsvorschrift stellt für sich allein aber keinen Verfahrensmangel dar (vgl BSG SozR Nr 7 zu § 110 SGG; Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl 1981, § 110 Anm 13). Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, er habe wegen der Kürze der Frist keinen anderen Anwalt beauftragen können. Ihm ist am 8. Juni 1982 mitgeteilt worden, daß der auf den 15. Juni 1982 anberaumte Termin nicht verlegt werden könne. Es verblieb also noch genügend Zeit, einen Unterbevollmächtigten zu instruieren, zumal - worauf auch die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 27. Januar 1983 hinweist - der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin bekundet hatte, eine Assessorin zu haben. Er hat keinerlei Gründe vorgetragen, die eine persönliche Wahrnehmung gerade dieses Termins erforderlich gemacht hätten.
Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen aber für eine Entscheidung, ob der Anspruch der Klägerin auf Elternrente zu verneinen oder zu bejahen ist, nicht aus.
Nach § 596 RVO ist Voraussetzung für einen Elternrentenanspruch, daß der durch einen Arbeitsunfall Verstorbene die Eltern bzw - wie hier - den Elternteil aus seinem Arbeitsverdienst wesentlich unterhalten hat oder ohne den Arbeitsunfall wesentlich unterhalten würde. Der bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommene Sohn der Klägerin hat diese zu Lebzeiten mit monatlich DM 400,-- unterstützt. Das LSG ist indes zu Recht davon ausgegangen, daß es im Rahmen des § 596 RVO nicht nur auf die tatsächlichen Zahlungen ankommt. Voraussetzung für einen Elternrentenanspruch ist vielmehr, daß die Leistungen aufgrund einer gesetzlichen Unterhaltspflicht erbracht worden sind (BSGE 47, 135; BSG SozR 2200 § 596 Nrn 3 und 4; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 589b und c mwN).
Der Ansicht der Revision, schon die ca 5 Jahre andauernde, regelmäßige Unterstützungszahlung führe zu einem zivilrechtlichen Anspruch der Klägerin und damit auch zu einem öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Elternrente, folgt der Senat nicht. Dabei kann hier dahinstehen, ob der Klägerin überhaupt ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch auf Zahlung dieser Geldsumme entstanden ist. Denn selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, käme lediglich eine vertragliche Unterhaltsregelung (vgl OLG Karlsruhe, FamRZ 81, 384; Palandt/Diederichsen, BGB, 43. Aufl 1984, Einführung vor § 1601 Anm 4) oder aber eine auf § 242 BGB gestützte Vertrauenshaftung - "Erwirkung" - (Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S 372ff, 381ff, 396ff; Palandt/Heinrichs, aaO, Einführung vor § 116 Anm 3 Buchst e; s auch BSG Urteil vom 27. Oktober 1982 - 9a RV 14/82 - und Urteil vom 1. Februar 1983 - 3 RK 27/81 - zur Anwendung dieser Grundsätze im öffentlichen Recht), in Betracht. Keinesfalls aber könnte diese fortgesetzte Zahlung eine gesetzliche Unterhaltsberechtigung iS der §§ 1601ff BGB bewirken. Der Anspruch auf Elternrente nach § 596 RVO als Ersatz für den Unterhaltsanspruch nach bürgerlichem Recht setzt aber eine solche gesetzliche Unterhaltsberechtigung- und Verpflichtung voraus. Ansprüche aufgrund anderer bürgerlich-rechtlicher Erwerbstatbestände reichen nicht aus (BSG Urteil vom 30. April 1981 - 8/8a RU 4/80 - Lauterbach-Kartei: § 596 Nr 10978; Brackmann, aaO, S 589c; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl 1983, § 596 Anm 6 Buchst e).
Das LSG hat einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch der Klägerin gem § 1601 BGB gegenüber ihrem Sohn verneint. Es hat die Witwenrente von DM 554,90 im Jahre 1981 unter Berücksichtigung des mietfreien Wohnens als ausreichend angesehen, um die Lebensbedürfnisse der Klägerin zu befriedigen. Die vom LSG angestellten Erwägungen zum Unterhaltsbedarf der Klägerin sind indes zu allgemein gehalten, als daß sie die Ablehnung eines Unterhaltsanspruchs rechtfertigen könnten. Das LSG hat nicht dargelegt, nach welchen Kriterien sich der Unterhaltsbedarf der Klägerin bemißt. Da aber § 596 RVO auf den gesetzlichen Unterhalt abstellt, muß anhand zivilrechtlicher Maßstäbe ermittelt werden, ob ein solcher Unterhaltsanspruch der Klägerin bestanden hat.
Nach § 1602 Abs 1 BGB ist unterhaltsberechtigt nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Damit ist die Bedürftigkeit allgemeine Voraussetzung eines jeden Unterhaltsanspruchs. Dieser unterhaltsrechtliche Begriff der Bedürftigkeit, der durch § 1610 BGB mitbestimmt wird, ist mit dem sozialhilferechtlichen Merkmal der Hilfsbedürftigkeit (§ 11 des Bundessozialhilfegesetzes -BSHG-) nicht identisch; die Unterhaltspflicht entfällt also nicht schon deshalb, weil das Einkommen des Berechtigten die Regelsätze des BSHG überschreitet (vgl BSG SozR 2200 § 596 RVO Nr 1 = SGb 1975, 144 mit zustimmender Anmerkung von Beitzke). Vielmehr kann der Bedürftige - nach den Maßstäben des BGB - einen "angemessenen" Unterhalt (§ 1610 Abs 1 BGB) verlangen. Seine Höhe richtet sich - unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen - auf der Seite des Unterhaltsbedürftigen nach dessen Lebensstellung, die bei nicht berufstätigen Ehegatten von der des berufstätigen abhängt (Soergel/Lange, Kommentar zum BGB, Band 6, 11. Aufl 1981, § 1610 RdZiff 2). Ist die Ehe durch Tod eines Ehegatten aufgelöst, so behält der überlebende Ehegatte die Lebensstellung, die beide Ehegatten gemeinsam innehatten (Göppinger, Unterhaltsrecht, 4. Aufl 1981, S 351, RdZiff 677). Die Klägerin hat aber nicht schon deshalb keinen Unterhaltsanspruch weil ihr Ehemann, insbesondere wohl auch wegen seines frühen Todes, nicht die Möglichkeit hatte, ihr einen höheren Rentenanspruch zu verschaffen. Denn wenn die Einkünfte der Klägerin nicht ausreichen, ihren gesamten Lebensbedarf (§ 1610 Abs 2 BGB), also ua die Kosten für Ernährung, Wohnung, Kleidung, Gesundheitspflege und kulturelle Bedürfnisse (s zu letzterem § 12 Abs 1 Satz 2 BSHG; Soergel/Lange, aaO, § 1610 RdZiff 3) zu befriedigen, ist sie unterhaltsbedürftig.
Der Betrag des angemessenen Unterhalts bestimmt sich zwar nach den Umständen des Einzelfalles (BGH FamRZ 1979, 692, 693). Die Praxis der Zivilgerichte hat aber eine Anzahl von Tabellen und Leitlinien entwickelt, um die unbestimmten Rechtsbegriffe der "Lebensstellung" und des "angemessenen" Unterhalts praktikabel zu machen. Für eine solche Pauschalierung treten die meisten Oberlandesgerichte ein (s die Nachweise bei Soergel/Lange, aaO, § 1610 RdZiff 5; Palandt/Diederichsen, aaO, § 1610 Anm 1; Gesamtüberblick in NJW 1984, 278, Stand: 1. Januar 1984). Auch der Bundesgerichtshof (BGH) geht in seiner Rechtsprechung davon aus, daß bei der Bemessung des angemessenen Unterhalts Richtsätze und Leitlinien zugrundegelegt werden können, die auf die gegebenen Verhältnisse abgestimmt sind und der Lebenserfahrung entsprechen, soweit nicht im Einzelfall besondere Umstände eine Abweichung bedingen (BGH FamRZ 1979, 692, 693; FamRZ 1982, 365, 366).
Solche Tabellenwerte können auch für die Elternrente im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung Anhaltspunkte für den angemessenen Mindestbedarf liefern. Die Tabellen staffeln nach Einkommen. Sollte sich herausstellen, daß der ihr zustehende Teil den monatlich notwendigen Mindestbedarf eines unterhaltsberechtigten Ehegatten nicht erreicht, so ist von diesem Mindestbedarf auszugehen (vgl auch die Unterhaltstabelle bei Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts, 6. Aufl 1983). Das LSG wird aber auch zu prüfen haben, ob eventuelle Besonderheiten des Einzelfalles ein Abweichen von dem ermittelten Bedarf nach oben oder nach unten erfordert.
Bei Anwendung von Unterhaltstabellen muß bedacht werden, daß sie nur das Maß des jeweils angemessenen Unterhalts darstellen. Die Höhe des Unterhaltsanspruchs selbst kann unterhalb dieses Maßes begrenzt werden durch die möglicherweise nicht volle Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten und die nicht vorhandene Leistungsfähigkeit (§ 1603 BGB) des anderen Teils.
Bei der Klägerin ist einmal zu berücksichtigen, daß sie in ihrem eigenen Hause mietfrei wohnt, zum anderen muß sie sich ihre Witwenrente anrechnen lassen. Ferner wird das LSG auch zu prüfen haben, ob eine Verwertung des der Klägerin gehörenden Anteils des Hausgrundstücks in Betracht kommt, denn Bedürftigkeit besteht nicht, falls und solange der den Unterhalt Fordernde von eigenem Vermögen leben kann (vgl Köhler, aaO, S 66f). Dieses ist erforderlichenfalls zu verwerten oder flüssig zu machen (BSGE 28, 163, 166 mwN). Der Senat hat bereits dargelegt, unter welchen Voraussetzungen die Verwertung von Haus- und Grundbesitz zumutbar ist (BSGE 28, 163, 167). Angesichts des Alters des Hauses, der Schwierigkeit, einen Miteigentumsanteil von 14/24 zu veräußern, aber auch des Alters der Klägerin erscheint es zweifelhaft, ob hier ein Verkauf überhaupt in Betracht kommt. Das LSG wird diese Möglichkeit indes zumindest in Erwägung ziehen müssen.
Mit der Revision geht der Senat dagegen davon aus, daß eine Anrechnung der Beträge aus der Lebensversicherung des verstorbenen Sohnes der Klägerin ausgeschlossen ist.
In diesem Zusammenhang kommt dem Schadensausgleichscharakter der gesetzlichen Unfallversicherung besondere Bedeutung zu (BSGE 28, 163, 166; SozR 2200 § 596 Nr 6). Mit dem unfallrechtlichen Entschädigungsanspruch trat zugleich eine Ersetzung der zivilrechtlichen Haftung ein. Es zeigt sich, daß die Unfallentschädigung ihren ursprünglichen Entstehungsgrund nicht im öffentlichen Recht hat, sondern im Arbeitsverhältnis. Sie wurzelt demnach in den privatrechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (vgl Brackmann aaO, S 469, Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, 1969, S 145). Daraus folgt, daß die Bemessung der Leistungen unter dem Gesichtspunkt eines möglichst umfassenden und vollwertigen Ersatzes für die dem Arbeitnehmer entgehenden bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzansprüche erfolgen muß (Gitter, aaO, S 146; Watermann BG 1980, 47, 51). Dieser Schadensersatzcharakter der gesetzlichen Unfallversicherung ermöglicht, zivilrechtlichen Grundsätzen des Schadensausgleichs insoweit Rechnung zu tragen, als nicht Besonderheiten der gesetzlichen Unfallversicherung dem entgegenstehen (vgl BSG Urteil vom 30. April 1981 - 8/8a RU 4/80 - aaO; BSG Urteil vom 8. Dezember 1983 - 2 RU 69/82 -; Gitter, aaO, S 145ff).
Dies gilt insbesondere bei den Leistungen, die, wie die Elternrente, nach ihren Voraussetzungen nicht abstrakt, sondern konkret zu ermitteln sind. Der Umstand der Unterhaltsgewährung spielt hier eine rechtlich bedeutsame Rolle. Die Unterhaltsbedürftigkeit wird nicht, wie bei den Witwen und Waisen, als stets gegeben unterstellt. Es findet eine Individualisierung der Anspruchsvoraussetzungen statt, die der Regelung des § 844 Abs 2 BGB entspricht, nach der insoweit Schadensersatz zu leisten ist, "als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde". Dem Rentenanspruch nach § 596 RVO liegt der Gedanke zugrunde, im Wege des Schadensersatzes einen durch die Tötung des Verpflichteten entfallenen Unterhaltsanspruchs nach bürgerlichem Recht auszugleichen.
Für die Frage der Anrechenbarkeit von Vorteilen, die dem Unterhaltsberechtigten aufgrund des Todes des Unterhaltsverpflichteten erwachsen, bedeutet dies folgendes: Der BGH hat die Anrechnung eines Vorteils entscheidend davon anhängig gemacht, ob sie im Einzelfall nach Sinn und Zweck des Schadensersatzrechts unter Berücksichtigung der gesamten Interessenlage der Beteiligten recht und billig ist (BGHZ 73, 109, 111). In Anwendung dieses Grundsatzes ist der BGH zu dem Ergebnis gelangt, daß auf den Schadensersatzanspruch wegen Entziehung des Rechts auf Unterhalt nur diejenigen Vorteile als anrechenbar in Betracht zu ziehen sind, die mit dem Anspruch wegen Verlust des Rechts auf Unterhalt im Zusammenhang stehen (BGH NJW 1974, 1236; BGH NJW 1979, 760, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 73, 109; vgl auch BSG Urteil vom 8. Dezember 1983 - 2 RU 69/82 -). Es muß sich also um Vermögenswerte handeln, die schon zu Lebzeiten des Unterhaltsverpflichteten dazu bestimmt waren, der Bestreitung des Unterhalts zu dienen, also auch ohne das schädigende Ereignis zu diesem Zweck verbraucht worden wären (BGH NJW 1979, 760, 761; BSG aaO). Das gilt für die Erträgnisse einer Lebensversicherung nicht (BGH aaO, vgl auch BSG Urteil vom 30. April 1981 - 8/8a RU 4/80 - aaO). Eine Anrechnung ist somit ausgeschlossen.
Sollte das LSG zu dem Ergebnis kommen, daß bei der Klägerin ein Unterhaltsbedarf bestand, so wird es weiter zu berücksichtigen haben, daß die Klägerin neben dem verunglückten Sohn noch zwei Töchter hat. Ein Unterhaltsanspruch der Klägerin käme also, entsprechend der Leistungsfähigkeit (§§ 1603 Abs 1, 1606 Abs 3 Satz 1 BGB), gegenüber allen drei Kindern in Betracht. Erst nach Ermittlung der Erwerbs- und Vermögensverhältnisse der Töchter und des sich daraus eventuell ergebenden Unterhaltsanspruchs der Klägerin auch gegen diese kann entschieden werden, ob der auf den Sohn entfallende Anteil an der gesetzlichen Unterhaltsleistung "wesentlich" iS des § 596 RVO war (s zur Unterhaltspflicht mehrerer Kinder BSG SozR 2200 § 596 Nr 4; BSGE 40, 268, 273).
Die tatsächlichen Feststellungen des LSG erlauben dem Senat somit keine abschließende Entscheidung darüber, ob der Klägerin eine Elternrente zusteht oder nicht. Daher war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen