Leitsatz (redaktionell)

Das Erfordernis der Unterhaltsleistung iS des RKG § 65 S 1 Alternative 3 ist auch dann erfüllt, wenn der Versicherte zu dem mit 243 DM errechneten notwendigen Mindestbedarf monatlich einen Betrag von 60 DM = 24,69 % geleistet hat.

 

Normenkette

RKG § 65 S. 1 Alt. 3 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1265 S. 1 Alt. 3 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 1975 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob an die Klägerin als der geschiedenen Ehefrau des am 7. August 1907 geborenen und am 28. Januar 1968 verstorbenen Johann P (Versicherten) eine Hinterbliebenenrente zu zahlen ist. Die am 16. August 1935 geschlossene Ehe der Klägerin ist durch Urteil des Landgerichts Essen vom 11. Juli 1941 aus alleinigem Verschulden des Ehemannes geschieden worden. Am 16. Mai 1949 heiratete der Versicherte die Beigeladene.

Aufgrund eines Urteils des Amtsgerichts Erwitte vom 24. August 1955 hatte der Versicherte der Klägerin einen monatlichen Unterhalt von 40,- DM zu zahlen, der aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses von der Knappschaftsrente des Versicherten einbehalten und bis zu seinem Tode der Klägerin regelmäßig überwiesen wurde. In einem Vergleich vor dem Amtsgericht Gelsenkirchen hatte sich der Versicherte am 11. Juli 1963 verpflichtet, der Klägerin Unterhalt in Höhe von insgesamt 60,- DM monatlich zu zahlen. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) hat der Versicherte der Klägerin auch im letzten Jahr vor seinem Tode monatlich 60,- DM an Unterhalt gezahlt.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 23. Oktober 1968 die Gewährung einer im Februar 1968 beantragten Hinterbliebenenrente ab, weil der Betrag von monatlich 60,- DM für die Lebensführung der Klägerin bei einem eigenen Arbeitsverdienst von 430,- DM unerheblich gewesen und nicht als Unterhalt zu werten sei. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde zurückgewiesen.

Auf die vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhobene Klage hat das SG die Beklagte mit Urteil vom 10. November 1972 verurteilt, der Klägerin ab 1. März 1968 Witwenrente gemäß § 65 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) zu zahlen. Die dagegen eingelegte Berufung hat das LSG für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 13. Februar 1975 zurückgewiesen. Es ist der Ansicht, daß der Betrag von 60,- DM als Unterhalt im Sinne des § 65 RKG gewertet werden müsse, weil dieser Betrag 25 v. H. des für die Klägerin notwendigen Mindestbedarfs erreicht habe. Wäre die Klägerin Sozialhilfeempfängerin gewesen, so hätte sie gemäß den §§ 12, 21, 22 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) Anspruch auf laufende monatliche Leistungen zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhalts in Höhe des Regelsatzes von 137,- DM, der Miete von 90,- DM, der Mietnebenkosten von 6,- DM und der Heizungskosten von 10,- DM, insgesamt also auf 243,- DM monatlich gehabt. Nicht berücksichtigt werden könnten die an Sozialhilfeempfänger gezahlten Beihilfen für die Beschaffung von Bekleidung und Hausrat, die im Wohnort der Klägerin im Jahre 1967 im Durchschnitt aller Hilfeempfänger bei etwa 120,- DM jährlich gelegen hätten und die diesen Personen gewährte Weihnachtsbeihilfe, weil es sich hierbei um einmalige Leistungen je nach dem wechselnden individuellen Bedarf bzw. um eine einmalige freiwillige Zuwendung gehandelt habe. 25 v. H. von 243,- DM ergebe einen Betrag von 60,75 DM, so daß die erfolgte Zahlung von 60,- DM monatlich als etwa 25 v. H. des notwendigen Mindestbedarfs der Klägerin angesehen werden müsse. Damit habe der verstorbene geschiedene Ehemann der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt im Sinne des § 65 Abs. 1 3. Alternative RKG geleistet, so daß der Klägerin eine Hinterbliebenenrente zu zahlen sei. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entschiedenen Rechtssache zugelassen.

Mit der Revision macht die Beklagte geltend, die Zahlung von 60,- DM monatlich im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten begründe noch keinen Anspruch auf Geschiedenen-Witwenrente, weil sie nicht 25 v. H. des Betrages erreiche, den ein Unterhaltsberechtigter unter den gegebenen zeitlichen und örtlichen Verhältnissen zur Deckung seines notwendigen Mindestbedarfs benötigt habe. Außer den vom LSG berücksichtigten Posten zur Errechnung des notwendigen Mindestbedarfs müsse noch eine Bekleidungsbeihilfe von monatlich durchschnittlich 10,- DM berücksichtigt werden, so daß der Mindestbedarf nicht 243,- DM, sondern 253,- DM monatlich betrage. 25 v. H. von 253,- DM ergäbe den Betrag von 63,25 DM, der mit einer Zahlung von 60,- DM monatlich nicht erreicht worden sei. Selbst unter Zugrundelegung eines monatlichen Mindestbedarfs von 243,- DM hätte aber nach Ansicht der Revision das LSG die begehrte Rente nicht zusprechen dürfen, weil der erforderliche Bruchteil von 25 v. H. erst bei einer tatsächlichen Unterhaltsleistung von 60,75 DM gegeben gewesen sei. Dieser Grenzwert sei aber bei einer Zahlung von 60,- DM monatlich nicht erreicht worden. Die Kollisionsmöglichkeit zwischen der Rente an eine frühere Ehefrau und der Rente an die echte Witwe erfordere es, daß der durch die Rechtsprechung festgelegte Grenzwert von etwa 25 v. H. des notwendigen Lebensmindestbedarfs als absolute Mindestnorm angesehen werden müsse.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 1975 und das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 10. November 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten gegen das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 1975 zurückzuweisen.

Nach ihrer Ansicht ist die Auffassung des LSG, die Unterhaltsleistung von monatlich 60,- DM habe etwa 25 v. H. des notwendigen Mindestbedarfs der Klägerin gedeckt, rechts- und verfahrensfehlerfrei. Die Bekleidungsbeihilfe habe das LSG mit Recht außer Ansatz gelassen, weil es sich hierbei um eine einmalige Leistung, je nach dem wechselnden individuellen Bedarf handele. Die Unterhaltsleistung brauche auch nicht exakt 25 v. H. des notwendigen Mindestbedarfs zu erreichen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) müsse die Unterhaltsleistung etwa 25 v. H. des notwendigen Mindestbedarfs der geschiedenen Frau gedeckt haben, um als Unterhalt im Sinne des § 65 RKG anerkannt werden zu können. Die Verwendung des Wortes "etwa" schließe eine Aufrundung auf volle Prozentsätze nicht aus. 60,- DM seien 24,69 % von 243,- DM, das seien aufgerundet auf volle Prozentzahlen 25 %. Vorsorglich macht die Klägerin noch geltend, bei der Festsetzung des Mindestbedarfs dürfe nur von dem Regelmindestsatz der Soforthilfe ausgegangen werden; Mietkosten und pauschalierter Mehrbedarf seien dabei nicht zu berücksichtigen.

Die beigeladene Witwe des Versicherten tritt dem Antrag der Beklagten bei und schließt sich vollinhaltlich den Ausführungen der Beklagten an. Sie ist ebenfalls der Auffassung, daß das angefochtene Urteil rechtswidrig ist.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 RKG ist einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden, für nichtig erklärt oder aufgehoben ist, nach dem Tode des Versicherten Rente zu gewähren, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Der Versicherte hat nach den Feststellungen des LSG im letzten Jahr vor seinem Tode der Klägerin monatlich 60,- DM Unterhalt geleistet. Streitig ist, ob diese Leistung als Unterhalt im Sinne des § 65 Abs. 1 Satz 1 3. Alternative RKG anzusehen ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist nicht jeder Betrag, den ein Versicherter an seinen früheren Ehegatten gezahlt hat, auch Unterhalt im Sinne der genannten Vorschrift. Unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente und ihrer Höhe, die nicht vom konkret gezahlten Unterhalt, sondern von der Gestaltung der Versicherung des Verstorbenen abhängt und daher für die Berechtigte auch häufig günstiger als der frühere Unterhaltsanspruch ist, und unter Berücksichtigung der eventuellen Aufteilung der vom Versicherungsträger geschuldeten Hinterbliebenenrente zwischen der Witwe und der früheren Ehefrau, hat das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß als Unterhalt im Sinne des § 65 RKG nur ein Betrag anzusehen ist, der nominell ins Gewicht fällt; als solchen Betrag hat es einen Unterhaltsanspruch oder eine Zahlung angesehen, die etwa 25 v. H. des Betrages ausmacht, der unter den gegebenen zeitlichen und örtlichen Verhältnissen zur Deckung des notwendigen Mindestbedarfs benötigt wird (SozR Nr. 26 und 49 zu § 1265 RVO; SozR 2200 § 1265 Nr. 5 und Urteil des erkennenden Senats vom 20. Januar 1976 - 5 BJ 91/75 -). In den beiden zuletzt genannten Entscheidungen hat das BSG entschieden, daß der Mindestbedarf, der zur Bestreitung des notwendigen Mindestbedarfs zeitlich und örtlich als erforderlich anzusehen ist, den Sozialhilfegesetzen zu entnehmen ist. Er ist nicht individuell in jedem Einzelfall nach dem Mindestbedarf gerade des anspruchserhebenden jeweiligen Hinterbliebenen zu bestimmen, sondern muß allgemein unter Zugrundelegung der örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten ermittelt werden. Da zum notwendigen Mindestbedarf auch die Kosten für eine Unterkunft gehören, setzt sich der Betrag, der generell zur Bestreitung des notwendigen laufenden Lebensbedarfs für erforderlich erachtet wird, aus den Regelsätzen der Sozialhilfe für den sonstigen Lebensbedarf und dem Bedarf zusammen, der für eine notwendige Unterkunft erforderlich ist. Zum laufenden Lebensbedarf gehören aber nicht die einmaligen Leistungen, die im Bedarfsfalle für Kleidung oder anläßlich des Weihnachtsfestes gewährt werden. Auch eine Berücksichtigung weiterer zusätzlicher individuell geleisteter Zuwendungen, z. B. für ältere und erwerbsunfähige Hilfeempfänger (vgl. §§ 23 und 24 BSHG), ist nicht möglich, weil dann ein objektiver Maßstab für die Feststellung eines Prozentsatzes des Mindestbedarfs, der bei Anwendung des § 65 RKG noch als Unterhalt im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist, nicht mehr gegeben wäre.

Schon aus Gründen der Praktikabilität können für die Ermittlung des notwendigen Mindestbedarfs außer den zeitlichen und örtlichen Verhältnissen und außer den im Einzelfall unterschiedlichen Kosten, die für die notwendige Unterkunft erforderlich sind, weitere individuelle Besonderheiten nicht berücksichtigt werden (vgl. hierzu insbesondere das Urteil des 4. Senats vom 25. Juni 1975 - SozR 2200 § 1265 Nr. 5 -). Da das LSG im vorliegenden Fall den notwendigen Mindestbedarf aus dem Regelsatz von 137,- DM, die Miete, die Mietneben- und den notwendigen Heizungskosten mit 243,- DM errechnet hat, ist die Berechnung nach den o. a. Grundsätzen erfolgt und deshalb nicht zu beanstanden.

Es kann offen bleiben, inwieweit der Beklagten zuzustimmen ist, daß für sie im allgemeinen nur feste Satze und exakte Grenzziehungen praktikabel sind und deshalb der festgelegte Grundwert von 25 v. H. des notwendigen Lebensmindestbedarfs im Regelfall auch der zu berücksichtigende Grenzwert sein muß, denn auch daraus ergibt sich nicht die Notwendigkeit, einen Prozentsatz von 24,69 nicht auf den vollen Prozentsatz von 25 v. H. aufzurunden. Eine solche Aufrundung ist vielmehr angemessen und geboten, so daß jedenfalls im vorliegenden Fall durch den geleisteten Unterhalt von 60,- DM monatlich das von der Rechtsprechung entwickelte Erfordernis, daß durch diesen Unterhalt etwa 25 v. H. des notwendigen Mindestunterhalts gedeckt sein müssen, erfüllt ist.

Da somit das Urteil des LSG nicht zu beanstanden ist, mußte die Revision der Beklagten zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649420

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