Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung einer öffentlich-rechtlichen Zusatzversorgung
Leitsatz (amtlich)
Ein nach Auflösung der zweiten Ehe im Wege des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs erworbener Ausgleichsrentenanspruch gegen die Bremische Ruhelohnkasse ist auf die wiederaufgelebte Witwenrente aus der ersten Ehe (§ 1291 Abs 2 RVO) anzurechnen.
Orientierungssatz
1. Die Herausnahme des auf einem Versorgungsausgleich beruhenden Teils einer Versichertenrente von den nach § 1291 Abs 2 RVO anrechenbaren Ansprüchen durch das HEZG ist lediglich die Folge der insoweit nunmehr über § 1281 RVO erfolgenden Einkommensanrechnung, die aber bei einer auf einer öffentlich-rechtlichen Zusatzversorgung beruhenden Ausgleichsrente gemäß § 18a Abs 1 Nr 2 SGB 4 iVm Abs 4 der Vorschrift ausgeschlossen wäre.
2. Eine - womöglich gegen den Gleichheitssatz verstoßende - Doppelanrechnung nach § 1281 Abs 1 RVO und nach § 1291 Abs 2 S 2 RVO ist demnach hier ausgeschlossen.
Normenkette
RVO § 1291 Abs. 2 S. 2; SGB IV § 18a Abs. 1 Nr. 2; RVO § 1281 Abs. 1; SGB IV § 18a Abs. 4; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Bremen (Entscheidung vom 14.01.1985; Aktenzeichen S 6 J 149/83) |
LSG Bremen (Entscheidung vom 13.02.1986; Aktenzeichen L 1 J 16/85) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten wiederaufgelebte Witwenrente ohne Anrechnung von Ansprüchen, die ihr geschiedener Ehemann ihr abgetreten hat und die gegen die Bremische Ruhelohnkasse gerichtet sind.
Die Klägerin war mit dem Versicherten H-W M verheiratet. Er starb im Oktober 1969. Die Beklagte gewährte ihr Hinterbliebenenrente. Im Dezember 1972 heiratete die Klägerin den bei der Stadtgemeinde B beschäftigt gewesenen Müllwerker H-E G. Seit 1973 bezieht die Klägerin Erwerbsunfähigkeitsrente. Mit am 7. Februar 1980 rechtskräftig gewordenem Urteil wurde die Klägerin geschieden. Ihr wurden Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 67,20 DM übertragen. Die Entscheidung über den Versorgungsausgleich bezüglich der vom Ehemann bei der B Ruhelohnkasse erworbenen Versorgungsanwartschaften blieb dem insoweit abgetrennten Verfahren vorbehalten. Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Wirkung vom 1. April 1980 die wiederaufgelebte Hinterbliebenenrente (Bescheid vom 3. Oktober 1980). Sie rechnete ihr jedoch den Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann an, wie er vom Familiengericht festgesetzt worden war, ebenso die übertragenen Rentenanwartschaften. Der geschiedene Ehemann bezog seit August 1982 Erwerbsunfähigkeitsrente. Mit am 11. November 1982 vor dem Familiengericht B geschlossenen Vergleich trat der geschiedene Ehemann der Klägerin seine Anrechte auf Ruhelohn bei der B Ruhelohnkasse mit Wirkung vom 1. März 1982 in Höhe der Hälfte der auf die Ehezeit entfallenden Zusatzversorgung, damals berechnet mit 207,10 DM monatlich, an die Klägerin ab. Die Beteiligten waren sich darüber einig, daß damit auch der schuldrechtliche Versorgungsausgleich durchgeführt sei.
Mit Bescheid vom 22. März 1983 hob die Beklagte ihren rentengewährenden Bescheid mit Rücksicht auf die Ansprüche auf, die die Klägerin vergleichsweise erworben hatte. Sie rechnete ab 1. Januar 1983 der Klägerin die Beträge an, die die Klägerin von der B Ruhelohnkasse erhielt. Mit Bescheid vom 19. April 1983 nahm sie eine Neuberechnung der Rente vor. Mittels Bescheid vom 2. Mai 1983 forderte sie die Beträge zurück, die deshalb überzahlt waren, weil bisher Leistungen der Ruhelohnkasse noch nicht auf die wiederaufgelebte Rente angerechnet worden waren. Sie verrechnete den rückgeforderten Betrag in Höhe von 50,-- DM monatlich mit der zu zahlenden Rente.
Die Klägerin hat gegen die Bescheide vom 22. März und 2. Mai 1983 Klage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, daß der ihr abgetretene Anspruch gegen die B Ruhelohnkasse keine im Rahmen des § 1291 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzurechnende Leistung sei. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte den Neuberechnungsbescheid vom 20. Mai 1983 erlassen. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. Januar 1985). Mit Urteil vom 13. Februar 1986 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und im wesentlichen ausgeführt: Mit Wirkung vom 1. Januar 1986 sei zwar § 1291 Abs 2 RVO durch das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz (HEZG) vom 11. Juli 1985 (BGBl I, 1450) dahin geändert worden, daß der auf einem Versorgungsausgleich beruhende Teil einer Versichertenrente nicht auf die wiederaufgelebte Rente anzurechnen sei. Das beziehe sich jedoch nicht auf die im Wege des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs zu gewährenden Leistungen.
Hiergegen hat die Klägerin die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt Verletzungen des § 1291 Abs 2 RVO sowie des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) durch das Berufungsgericht.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 14. Januar 1985 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Mai 1983 aufzuheben und die Bescheide vom 22. März 1983, 19. April 1983 und 20. Mai 1983 insoweit aufzuheben als die Beklagte eine Anrechnung des der Klägerin von ihrem geschiedenen Ehemann vergleichsweise abgetretenen Anspruches gegen die B Ruhelohnkasse bzw gegen deren Rechtsnachfolgerin auf die Witwenrente vorgenommen hat.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Das LSG ist mit zutreffenden Gründen davon ausgegangen, daß die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 22. März 1983 und 2. Mai 1983 zulässig und der Bescheid vom 20. Mai 1983 gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist. Das LSG hat auch ohne Rechtsfehler die Zulässigkeit der Berufung bejaht (bezüglich der streitigen Rückforderung vgl hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 11. Juli 1985 in SozR 1500 § 146 Nr 19 mwN).
Zu Recht hat das LSG entschieden, daß die Beklagte gemäß § 24 Abs 2 Nr 5 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB 10) ohne vorherige Anhörung der Klägerin den Witwenrentenbescheid vom 3. Oktober 1980 mit Wirkung vom 1. Januar 1983 insoweit aufheben durfte, als die Klägerin nach Erlaß dieses Verwaltungsaktes durch den am 11. November 1982 vergleichsweise erworbenen Anspruch gegen die B Ruhelohnkasse ein Einkommen im Sinne des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB 10 erzielt hat, das zur Minderung ihres Witwenrentenanspruchs führt. Insoweit ist die Rechtsauffassung des LSG zu bestätigen, daß es sich bei der von der Klägerin im Wege eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs erworbenen Ausgleichsrente in Form eines abgetretenen Ruhelohn- bzw Ruhegeldanspruchs gegen die B Ruhelohnkasse um einen infolge der Auflösung der Ehe mit H-E G erworbenen neuen Anspruch im Sinne des § 1291 Abs 2 RVO in der vor und seit dem 1. Januar 1986 geltenden Fassung handelt, der auf die wiederaufgelebte Witwenrente aus der Versicherung des früheren, 1969 verstorbenen Ehemannes der Klägerin anzurechnen ist.
Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits wiederholt entschieden hat, wollte der Gesetzgeber bei den in der genannten Vorschrift aufgeführten anrechenbaren Ansprüchen allein auf deren wirtschaftliche Funktion abstellen (so BSGE 38, 183, 184 = SozR 2200 § 1291 Nr 2, BSG in SozR 2200 § 1291 Nr 20 jeweils mwN). Für die wirtschaftliche Funktion des Anspruchs der Klägerin auf Ausgleichsrente ist es aber ohne Belang, daß dieser auf einem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich beruht. Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 1291 Abs 2 RVO. Hiernach ist der Anspruch auf wiederaufgelebte Witwenrente gegenüber den aus der zweiten Ehe erworbenen Versorgungs-, Unterhalts- und Rentenansprüchen subsidiär. Er soll lediglich eine nach Auflösung der zweiten Ehe möglicherweise entstandene Versorgungslücke schließen und eine Versorgung der Witwe aus ihrer ersten Ehe nur insoweit wiedereinsetzen lassen, als ihre Versorgung aus der zweiten Ehe geringer ist. Die Witwe soll nach Auflösung der zweiten Ehe also finanziell zwar nicht schlechter, aber auch nicht besser als vor ihrer Wiederverheiratung gestellt werden (vgl zu alledem BSG aaO sowie BSGE 30, 220, 222 = SozR Nr 29 zu § 1291 RVO und BSG in SozR 2200 § 1291 Nr 30). Gerade letzteres würde hier indes eintreten, wenn man der Klägerin neben der "vollen" Witwenrente aus ihrer ersten Ehe noch die aus der Auflösung der zweiten Ehe erworbene Ausgleichsrente belassen würde. Angesichts des aufgezeigten Grundsatzes der Subsidiarität der wiederaufgelebten Witwenrente ist vielmehr eine Anrechnung auch solcher Ansprüche aus der zweiten Ehe gerechtfertigt und geboten, die auf einem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich beruhen.
An dieser Rechtsfolge hat die durch das HEZG in § 1291 Abs 2 Satz 2, 2. Halbsatz RVO mit Wirkung vom 1. Januar 1986 eingeführte Nichtanrechnung des auf einem Versorgungsausgleich beruhenden Teils einer Versichertenrente im vorliegenden Fall nichts geändert. Die aufgrund der Auflösung der Ehe mit H-E G erworbene Ausgleichsrente ist keine Versichertenrente der Klägerin. Eine erweiternde Auslegung der genannten Ausnahmevorschrift gegen deren Wortlaut würde voraussetzen, daß die Nichteinbeziehung einer auf einem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich beruhenden Ausgleichsrente eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes darstellen würde. Bei der Prüfung dieser Frage hat die Rechtsprechung den Wortlaut des Gesetzes zu beachten und davon auszugehen, daß dieser den Willen des Gesetzgebers zutreffend zum Ausdruck bringt, sofern sich aus der Entstehungsgeschichte, dem Zweck oder dem Inhalt der Vorschrift keine konkreten Anhaltspunkte ergeben, die mit hinreichender Sicherheit den Schluß auf ein planwidriges Unterlassen des Gesetzgebers zulassen (ebenso BSGE 43, 128, 129 mwN). Eine derartige Schlußfolgerung läßt sich indes bereits unter Beachtung der Entstehungsgeschichte der genannten Ausnahmevorschrift nicht ziehen.
Der Gesetzentwurf des HEZG der Bundesregierung (BT-Drucksache 10/2677) sah zwar in Art 1 Nr 36 ganz allgemein die Nichtanrechnung eines auf einem Versorgungsausgleich beruhenden Rentenanspruchs vor. In der Begründung zum Entwurf heißt es dazu (BT-Drucksache aaO, Seite 37):
"Zu den neuen Rentenansprüchen, die auf die wiederaufgelebte Witwenrente oder Witwerrente anzurechnen sind, gehört zB nicht der auf einem durchgeführten Versorgungsausgleich beruhende Teil der Versichertenrente, da dies ein eigener und nicht ein abgeleiteter Rentenanspruch ist; er ist im Rahmen des §1281 RVO zu berücksichtigen."
Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat sodann empfohlen, die ausnahmsweise Nichtanrechnung auf den in der zitierten Entwurfbegründung lediglich als Beispiel aufgeführten Fall zu beschränken (BT-Drucksache 10/3518, Seite 17). Er hat dies dahin erläutert, die - schließlich Gesetz gewordene - Änderung in § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO stelle klar, daß "nur der auf einem Versorgungsausgleich beruhende Teil einer Versichertenrente" von der Anrechnung ausgenommen sei (BT-Drucksache 10/3519, Seite 14, 15).
Durch die somit vom Gesetzgeber in § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO in der Fassung des HEZG bewußt auf die - nach einem Vorsorgungsausgleich zu gewährende - Versichertenrente beschränkte Nichtanrechnung wird im vorliegenden Fall der Allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG nicht verletzt. Vielmehr wird durch die Nichteinbeziehung des im Wege des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs erworbenen Ausgleichsrentenanspruchs gegen die B Ruhelohnkasse in die Ausnahmevorschrift des § 1291 Abs 2 Satz 2, 2. Halbsatz RVO ein anderer Sachverhalt anders geregelt. Bei der vom Gesetz allein vorgesehenen Ausnahme von der Anrechnung für den auf einem Versorgungsausgleich beruhenden Teil einer Versichertenrente handelt es sich um ein Erwerbsersatzeinkommen im Sinne des § 18a Abs 3 Nr 2 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB 4), das beim Zusammentreffen mit einer Witwenrente im Rahmen des durch das HEZG ebenfalls eingefügten § 1281 Abs 1 RVO zu einem teilweisen Ruhen der Witwenrente führt. Die Herausnahme des auf einem Versorgungsausgleich beruhenden Teils einer Versichertenrente aus den nach § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO auf die wiederaufgelebte Witwenrente anrechenbaren Ansprüchen ist daher - wie sich aus der zitierten Begründung zum Gesetzentwurf des HEZG ergibt - lediglich die Folge der insoweit nunmehr über § 1281 Abs 1 RVO vorzunehmenden Einkommensanrechnung. Eine solche unterbleibt indes bei der auf einer öffentlich-rechtlichen Zusatzversorgung beruhenden Ausgleichsrente der Klägerin gemäß § 1281 Abs 1 RVO iVm § 18a Abs 1 Nr 2, Abs 4 SGB 4. Eine - womöglich gegen den Gleichheitssatz verstoßende - Doppelanrechnung nach § 1281 Abs 1 RVO und nach § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO ist demnach hier ausgeschlossen.
Bei dieser Rechtslage hat das LSG die Voraussetzungen für die teilweise Aufhebung des Witwenrentenbescheides vom 3. Oktober 1980 gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB 10 rechtsfehlerfrei bejaht, und zwar unter Beachtung der einschlägigen Rechtsprechung des BSG auch, soweit die Aufhebung im angefochtenen Bescheid vom 22. März 1983 rückwirkend ab 1. Januar 1983 erfolgt ist (vgl BSG in SozR 1300 § 48 Nrn 21 und 22). Da gemäß § 50 Abs 1 SGB 10 bereits erbrachte Leistungen zu erstatten sind, soweit - wie hier - ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, ist auch der von der Beklagten außerdem erlassene und mitangefochtene Rückforderungsbescheid vom 2. Mai 1983 nicht zu beanstanden.
Der Revision der Klägerin mußte nach alledem der Erfolg versagt bleiben und war zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen