Leitsatz (redaktionell)
Billigkeitserwägungen nach EheG § 59:
Bei den nach EheG § 59 anzustellenden Billigkeitserwägungen muß der Unterhalt, den der Mann der an sich berechtigten geschiedenen Frau zu leisten hätte, gegenüber dem Unterhalt an vermögenslose minderjährige Kinder, die noch nicht imstande sind, durch eigene Tätigkeit Einkünfte zu erzielen, zurückstehen.
Normenkette
EheG § 59 Fassung: 1946-02-20; RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beigeladenen zu 2.), der Freien und Hansestadt Hamburg, vertreten durch die Arbeits- und Sozialbehörde, gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 25. Februar 1969 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene zu 2.) hat der Beigeladenen zu 1.) deren außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Gründe
I
Es ist zu entscheiden, ob die Klägerin als frühere Ehefrau des Versicherten Hinterbliebenenrente beanspruchen kann (§ 1265 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten wurde im Juni 1963 aus dessen Verschulden rechtskräftig geschieden. Aus der Ehe sind drei Kinder, geboren 1948, 1951 und 1952, hervorgegangen. Der Versicherte heiratete am 9. August 1963 die Beigeladene zu 1), die jetzige Witwe des Versicherten. Aus dieser Ehe sind zwei Kinder, geboren 1964 und 1965, vorhanden. Außerdem brachte die Beigeladene zu 1) zwei weitere Kinder, geboren 1954 und 1958, mit in die Ehe. Im Februar 1966 erkrankte der Versicherte an einem Gehirntumor. Er starb am 30. März 1967.
Der Versicherte hatte am 27. August 1963 vor dem Amtsgericht Hamburg einen Vergleich mit der Klägerin abgeschlossen. Darin hatte er sich zu monatlichen Unterhaltsleistungen für die Zeit von September 1963 an verpflichtet, und zwar in Höhe von 50,- DM an die Klägerin, 30,- DM an das 1948 geborene Kind sowie je 90,- DM an die 1951 und 1952 geborenen Kinder. Der Vergleich wurde nie voll erfüllt. Zuletzt zahlte der Versicherte im Januar 1966 90,- DM.
Der Versicherte war zur Zeit des Vergleichsabschlusses als Taxifahrer beschäftigt, verdiente monatlich 500,- DM netto und bezog Kindergeld. Später war er selbständiger Taxifahrer. Während seiner Krankheit fuhr die Beigeladene zu 1) das Taxi; sie verdiente durchschnittlich monatlich ca. 600,- DM netto. Der Versicherte bezog kein Kranken- oder Hausgeld. Die Klägerin hatte zur Zeit des Abschlusses des Unterhaltsvergleichs kein Einkommen.
Die Beklagte gewährt der Beigeladenen zu 1) Witwenrente. Sie lehnte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenrente mit Bescheid vom 20. September 1967 ab: Der Versicherte sei wegen seiner Krankheit nicht unterhaltsfähig gewesen; er hätte wegen der veränderten Verhältnisse die Zahlungspflicht aus dem Unterhaltsvergleich beseitigen können.
Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Beklagte zur Gewährung von Hinterbliebenenrente an die Klägerin verurteilt (Urteil vom 24. September 1968). Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat mit Urteil vom 25. Februar 1969 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen; die Revision wurde zugelassen.
Das LSG hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt, mit dem Begriff "zur Zeit des Todes" (§ 1265 Satz 1 RVO) sei es nicht vereinbar, wenn eine Krankheit, an der der Versicherte gestorben sei und die länger als ein Jahr bestanden habe, nicht als letzter wirtschaftlicher Dauerzustand in Betracht käme. Daher sei die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten während der 13 Monate vor seinem Tode Ausgangspunkt für die Frage, ob er der Klägerin Unterhalt nach dem Ehegesetz (EheG) oder aus einem sonstigen Grund zu leisten gehabt habe. Er sei nicht unterhaltsfähig gewesen (§§ 58, 59 EheG). Er habe während der maßgebenden Zeit nur das für den Unterhalt der Kinder zweckgebundene Kindergeld erhalten. Der Verdienst der Beigeladenen zu 1) durch Fahren des Taxi sei nicht als Einkommen des Versicherten zu betrachten. Die Einnahmen, die ihr daraus nach Abzug der Betriebskosten, der Kaufpreisraten und der weiterlaufenden festen Kosten des Familienunterhalts verblieben seien, seien der Gegenwert für ihre dabei geleistete Arbeit. Sie dürften deshalb nicht auf alle Unterhaltsberechtigten verteilt werden. Die Klägerin habe somit zur Zeit des Todes des Versicherten keinen Unterhaltsanspruch nach dem EheG gehabt. Deshalb hätte eine Abänderungsklage nach § 323 der Zivilprozeßordnung - ZPO - zur Aufhebung der Verpflichtung nach dem Unterhaltsvergleich geführt.
Die Beigeladene zu 2), die Sozialbehörde Hamburg, hat Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Klägerin und die Beigeladene zu 1) sind nicht vertreten.
II
Die Revision der beigeladenen Sozialbehörde ist nicht begründet.
Nach § 1265 Satz 1 RVO wird einer früheren Ehefrau, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden ist, nach dessen Tode Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Daß der Versicherte der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode keinen Unterhalt geleistet hat, steht unbestritten fest. Das LSG hat auch im Ergebnis zu Recht entschieden, daß der Versicherte der Klägerin zur Zeit seines Todes weder nach dem EheG noch aus sonstigen Gründen Unterhalt zu leisten hatte. Zwar lag ein Unterhaltstitel zugunsten der Klägerin vor, doch hätte der Versicherte ihn beseitigen können.
Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob bei der Bestimmung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode, der nach der Rechtsprechung mit "der Zeit des Todes" gemeint ist (BSG 14, 255; BSG in SozR Nr. 22 und Nr. 32 zu § 1265 RVO), eine Krankheit des Versicherten außer acht gelassen werden kann, wenn sie ununterbrochen länger als ein Jahr vor dem Tode gedauert hat (BSG 14, 132; 29, 94); im vorliegenden Fall kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob der rechtserhebliche letzte wirtschaftliche Dauerzustand - wie das LSG angenommen hat - mit der zum Tode führenden Erkrankung des Versicherten oder schon vorher, d. h. mit der Geburt von Kindern in der Ehe des Versicherten mit der Beigeladenen zu 1), begonnen hat. Jedenfalls ist spätestens mit der Geburt des zweiten Kindes in der neuen Ehe eine wesentliche und dauernde Änderung in den Verhältnissen des Versicherten gegenüber den bei Abschluß des Unterhaltsvergleichs bestehenden Verhältnissen eingetreten. Zu den bei Vergleichsabschluß vorhandenen, gegenüber dem Versicherten unterhaltsberechtigten Personen - die Klägerin, drei Kinder aus erster Ehe, die Beigeladene zu 1) - sind zwei weitere, in der neuen Ehe geborene unterhaltsberechtigte Kinder hinzugekommen. Dies hätte den Versicherten berechtigt, den Unterhaltsvergleich, jedenfalls soweit die Klägerin darin begünstigt war, zu beseitigen (§§ 323, 767 ZPO; BSG 20, 1).
Das LSG konnte zwar das Einkommen des Versicherten aus seinem Taxi-Unternehmen in der Zeit vor seiner Krankheit nicht näher feststellen. Doch zeigt der Umstand, daß es trotz anwaltlicher Beratung und Vertretung der Klägerin nie zur vollen und regelmäßigen Erfüllung des Vergleichs gekommen ist, daß der Versicherte nicht imstande war, gemäß §§ 58, 59 EheG der Klägerin nennenswerte Beträge, die als Unterhalt angesehen werden können, zu leisten (BSG 22, 44; SozR Nr. 49 zu § 1265 RVO). Bei den nach § 59 EheG anzustellenden Billigkeitserwägungen muß der Unterhalt, den der Mann der an sich berechtigten geschiedenen Frau zu leisten hätte, gegenüber dem Unterhalt an vermögenslose minderjährige Kinder, die noch nicht imstande sind, durch eigene Tätigkeit Einkünfte zu erzielen, zurückstehen. Die Sozialbehörde Hamburg begründete ihren Antrag vom Januar 1969 an das LSG auf Beiladung und ihr Interesse an diesem Rechtsstreit damit, daß sie der Klägerin seit Februar 1963 laufend Sozialhilfe gewähre; auch dies zeigt das Unvermögen des Versicherten. Wenn der Versicherte es unter solchen Umständen unterlassen hat, bei Gericht die Beseitigung des Unterhaltsvergleichs in die Wege zu leiten, so ist dies unschädlich. Er hatte dazu keinen Anlaß, weil es trotz Vorhandenseins des Unterhaltsvergleichs bei seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen nie zur vollen und regelmäßigen Erfüllung des Vergleichs kommen konnte. Die für den Versicherten am 11. April 1967 rückwirkend für die Zeit seit Krankheitsbeginn gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit kann bei der Frage seiner Fähigkeit zu Unterhaltsleistungen nicht berücksichtigt werden, weil sie erst nach seinem Tod bewilligt wurde (vgl. BSG 26, 51). Im Hinblick auf die einige Zeit beanspruchenden Verhandlungen der Beklagten mit dem Amtsgericht wegen der Bestellung eines Pflegers für den Versicherten kann in der verhältnismäßig späten Bescheiderteilung keine ungebührliche Verzögerung durch die Beklagte gesehen werden.
Die Klägerin hat somit keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 1 RVO. Die Revision der Beigeladenen zu 2) ist deshalb nicht begründet und zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen