Leitsatz (amtlich)
Hat der Versicherte während bestehender (erster) Ehe eine (zweite) Ehe geschlossen, ist aber die zweite Ehe nicht durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden, so haben nach dem Tod des Versicherten beide Witwen - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - Anspruch auf Witwenrente. Jede Witwe erhält den Teil der Witwenrente, der im Verhältnis zu der anderen Witwe der Dauer ihrer Ehe mit dem Versicherten (gerechnet vom Tag der jeweiligen Eheschließung bis zum Tod des Versicherten) entspricht (Anschluß an und Fortführung von BSG 30.3.1977 5 RKn 27/76 = BSGE 43, 238 = SozR 2200 § 1268 Nr 9).
Normenkette
RVO § 1264 Fassung: 1957-02-23, § 1268 Abs 4 S 2 Fassung: 1957-02-23; EheG § 20 Abs 1, § 23
Verfahrensgang
SG Hamburg (Entscheidung vom 24.11.1983; Aktenzeichen 1 J 472/80) |
Tatbestand
Der im Jahr 1899 in Jugoslawien geborene Arbeiter S A (Versicherter) heiratete im Jahr 1919 in Jugoslawien die Beigeladene S geb R. Im Jahr 1941 kam er als Kriegsgefangener nach Deutschland. Im Jahr 1948 heiratete er im Bundesgebiet die Klägerin E gesch M geb M. Er ist im Jahr 1967 gestorben. Seine zweite Ehe ist nicht durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden. Die von der Staatsanwaltschaft Hamburg im April 1977 erhobene Nichtigkeitsklage ist zurückgenommen worden.
Die Landesversicherungsanstalt (LVA) Freie und Hansestadt Hamburg gewährte mit Bescheid vom 31. Juli 1967 der Klägerin antragsgemäß Witwenrente.
Im September 1976 beantragte die Beigeladene bei der Beklagten - Verbindungsstelle für das deutsch-jugoslawische Abkommen über Soziale Sicherheit - Witwenrente. Diese bewilligte mit Bescheid vom 14. Mai 1980 der Beigeladenen für die Zeit vom 1. Januar 1972 an Witwenrente, die ab 1. Juli 1980 monatlich 190,40 DM betrug. Mit einem weiteren Bescheid vom gleichen Tag setzte sie die Witwenrente für die Klägerin zum 1. Juli 1980 auf monatlich 75,90 DM herab.
Mit der Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Klägerin beantragt, die Bescheide der Beklagten vom 14. Mai 1980 aufzuheben. Die Beklagte und die Beigeladene haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Das SG hat die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen seines Urteils ist ausgeführt: Es seien, da die zweite Ehe nicht durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden sei, zwei Witwen vorhanden. § 1268 Abs 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) finde Anwendung. Für die Ermittlung der Witwenrentenanteile sei bei jeder Witwe die Dauer ihrer Ehe von der Eheschließung bis zum Tod des Versicherten zugrunde zu legen. Die von der Beklagten vorgenommene Aufteilung sei nicht zu beanstanden.
Mit der Revision trägt die Klägerin vor: § 1268 RVO sei nicht anwendbar, weil nicht zeitlich aufeinanderfolgende, sondern sich zeitlich überlagernde Ehen vorlägen. Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. November 1982 abzuändern und die an sie, die Klägerin, sowie die Beigeladene gerichteten Bescheide der Beklagten vom 14. Mai 1980 aufzuheben.
Die Beklagte und die Beigeladene haben keinen Antrag gestellt. Für den Vortrag der Beigeladenen wird auf den Schriftsatz des Rechtsanwalts S vom 2. Dezember 1983 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 14. Mai 1980 sind rechtmäßig.
Mit dem - an die Klägerin gerichteten - Bescheid vom 14. Mai 1980 hat die Beklagte die Bindungswirkung des Bescheides der LVA Hamburg vom 31. Juli 1967 durchbrochen, diesen Bescheid geändert und die Witwenrente der Klägerin herabgesetzt. Diese Maßnahme findet ihre Rechtsgrundlage in § 1268 Abs 4 Satz 2 RVO. Die Vorschrift lautet: "Ist nach Feststellung der Renten ein weiterer Berechtigter zu berücksichtigen, so sind die Renten nach Satz 1 neu festzustellen ... ." Satz 1 sieht bei mehreren Berechtigten die zeitanteilige Aufteilung der Witwenrenten vor. Die Voraussetzungen für eine Kürzung der zunächst bewilligten - vollen - Witwenrente sind gegeben. Die Witwenrente war im Jahr 1967 festgestellt (bewilligt) worden; ein weiterer Berechtigter war später, nämlich nach dem Bekanntwerden der im Jahr 1919 geschlossenen Ehe, zu berücksichtigen.
Der - an die Klägerin gerichtete - Bescheid der Beklagten ist aber auch nicht deshalb zu beanstanden, weil er die Witwenrente der Klägerin zu niedrig festgesetzt hätte. Nach dem Bescheid war der Versicherte mit der Klägerin 6.888 Tage (also mehr als 18 Jahre), "mit allen Berechtigten insgesamt" 24.170 Tage verheiratet. Die Ehezeit des Versicherten mit der Beigeladenen hat sonach 24.170 - 6.888 = 17.282 Tage betragen. Die Beklagte hat die Renten im Verhältnis von 6.888 zu 17.282 = 28,5 % zu 71,5 % = 75,90 DM zu 190,40 DM aufgeteilt. Das bedeutet, daß sowohl bei der Klägerin als auch bei der Beigeladenen die Dauer ihrer Ehe von der Eheschließung bis zum Tod des Versicherten zugrunde gelegt worden ist, für die Zeit von 1948 bis 1967 also zwei Ehezeiten nebeneinander.
Gegen das Ausmaß der Kürzung trägt die Klägerin zum einen vor, die Aufteilung dürfe nicht nach der Ehezeit, sondern müsse nach der Zeit des tatsächlichen Zusammenlebens der Ehegatten berechnet werden, bei der Beigeladenen also allenfalls nach der Zeit von 1919 bis 1941. Diese Ansicht widerspricht dem eindeutigen Text des § 1268 Abs 4 Satz 1 RVO, der jedem Berechtigten den Anteil nach "der Dauer seiner Ehe" zuweist.
Zum anderen und hilfsweise möchte die Klägerin die Beigeladene auf einen Rentenanteil entsprechend dem Zeitraum von der ersten Eheschließung (1919) bis zur zweiten (1948) verweisen. Auch diese Auffassung ist unbegründet.
Zur Aufteilung der Witwenrente auf zwei Witwen hat die Rechtsprechung bisher nur gelegentlich Stellung genommen. Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat im Urteil vom 17. September 1971 (Die Sozialversicherung 1972, 276 = Breithaupt 1972, 407) die Aufteilungsregel des § 1268 Abs 4 RVO beim Bestehen von mehreren Witwenrentenansprüchen entsprechend anwenden wollen, wobei es sich jedoch um Ausführungen handelte, die die Entscheidung nicht trugen. Das LSG Berlin hat im Urteil vom 27. Juni 1975 (FamRZ 1976, 349 mit Anm von Bosch) entschieden, wenn der Versicherte in zwei gültigen Ehen gelebt habe und nach seinem Tode zwei Witwen Hinterbliebenenrente beanspruchten, dann sei diesen je eine anteilige Witwenrente zu gewähren; bei der Ermittlung ihres Anteils sei bei jeder Witwe die Dauer ihrer Ehe von der Eheschließung bis zum Tode des Versicherten zugrunde zu legen. In der Begründung heißt es: Unter den verschiedenen Möglichkeiten, das Verhältnis der Ehedauer im Fall der Doppelehe zu ermitteln, sei diesem Berechnungsmodus der Vorzug zu geben. Nur auf diese Weise werde der Tatsache Rechnung getragen, daß die erste Ehe nicht durch die zweite Eheschließung, sondern durch den Tod aufgelöst worden sei. Schließlich hat der 5. Senat des Bundessozialgerichts -BSG(BSGE 43, 238, 243 = SozR 2200 § 1268 Nr 9) ausgeführt, es sei nicht möglich, zu Lasten der ersten Ehefrau die Dauer der zweiten Ehe nicht zu berücksichtigen, weil das bedeuten würde, daß im Ergebnis für diese Zeit die erste Ehe als nicht wirksam angesehen werde.
Der Senat tritt der geschilderten Rechtsprechung bei. Wenn nach dem Tod eines Versicherten beide Witwen Hinterbliebenenbezüge nach § 1264 RVO erhalten, dann ist der vom LSG Berlin und vom 5. Senat des BSG gewählte Verteilungsmodus derjenige, der dem Willen des Gesetzgebers und dem Gebot der Gerechtigkeit am meisten entspricht. Der ersten Witwe ist die gesamte Zeit von der Eheschließung bis zum Tod des Versicherten als Ehezeit anzurechnen, denn die Ehe bestand während dieses gesamten Zeitraumes uneingeschränkt; die zweite Eheschließung hat daran nichts geändert. Wenn auch die zweite Witwe Witwenrente bezieht, dann stellt jedenfalls der Anteil, der ihrer Ehezeit im Verhältnis zu der von der ersten Eheschließung bis zum Tode des Versicherten reichenden Ehezeit der ersten Frau entspricht, die obere Grenze dar.
An diese Grenze hat sich die Beklagte mit beiden Bescheiden gehalten. Die Revision der Klägerin war als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen