Entscheidungsstichwort (Thema)
Parteifähigkeit von Beschwerdeausschüssen
Leitsatz (redaktionell)
Ein paritätisch zusammengesetzter Beschwerdeausschuß nach RVO § 368n Abs 5 ist im Verfahren vor den SG parteifähig iS des SGG § 70 Nr 4 und allein befugt, die von ihm erlassenen Verwaltungsakte im sozialgerichtlichen Verfahren zu verteidigen.
Normenkette
RVO § 368n Abs. 5 Fassung: 1955-08-17; SGG § 70 Nr. 4 Fassung: 1955-08-17; BMV-Z § 22 Abs. 1, 3
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5. Dezember 1967 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, gegen wen eine Klage zu richten ist, mit der ein Prüfungsbescheid des paritätisch mit Kassenzahnärzten und Vertretern der Krankenkassen besetzten Beschwerdeausschusses (§ 368 n Abs. 5 der Reichsversicherungsordnung - RVO - i.V.m. § 22 Abs. 1 und 3 des Bundesmantelvertrags-Zahnärzte- - BMV-Z -) angefochten wird.
Der bei der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) Bayerns, Dienststelle Nürnberg, errichtete RVO-Prüfungsausschuß entschied über einen Prüfungsantrag der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) M, der Klägerin, betreffend die Abrechnung des beigeladenen Zahnarztes Dr. F für das II. Quartal 1963 in seiner Sitzung vom 29. April 1964, daß die Abrechnung keine Veranlassung zu einer Honorarberichtigung gebe. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch zu dem nach § 368 n Abs. 5 RVO gebildeten Beschwerdeausschuß bei der KZÄV Bayerns. Dieser Ausschuß half in seiner Sitzung vom 24. März 1965 dem Widerspruch nicht ab.
Die Klägerin hat nunmehr beim Sozialgericht (SG) Klage gegen den vorgenannten Beschwerdeausschuß erhoben und beantragt, den Verwaltungsakt vom 24. März 1965 aufzuheben. Nach Beiladung des Zahnarztes Dr. F und der KZÄV Bayerns hat das SG die Klage als unzulässig abgewiesen (Urteil vom 10. März 1967). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 5. Dezember 1967). Zur Begründung hat es ausgeführt: Der paritätisch besetzte Beschwerdeausschuß sei nicht befugt, als Beteiligter am Verfahren vor den Sozialgerichten aufzutreten. In § 70 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sei bestimmt, wer hierzu fähig sei. Hierunter falle aber der Beschwerdeausschuß nicht. Wenn der Bundesgesetzgeber dies gewollt hätte, so wäre ihm spätestens seit Inkrafttreten des § 22 Abs. 3 BMV-Z, am 1. Juli 1962, eine Ergänzung der vorgenannten Gesetzesvorschrift möglich gewesen. Da der Gesetzgeber dies unterlassen habe, so müsse daraus geschlossen werden, daß er eine Beteiligungsfähigkeit des Beschwerdeausschusses nach § 70 Nr. 4 SGG jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gewollt habe. Eine Beteiligungsfähigkeit nach § 70 Nr. 3 SGG scheide aus, weil das Landesrecht keine entsprechende Bestimmung getroffen habe. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt vor: Aus dem Umstand, daß der Gesetzgeber die Parteifähigkeit des beklagten Beschwerdeausschusses nicht geregelt habe, dürfe nicht geschlossen werden, er habe eine Beteiligung dieses Ausschusses - § 70 Nr. 4 SGG - nicht gewollt; denn er sei in den vorangegangenen Jahren bei einer Fülle von Angelegenheiten, die allgemein als regelungsbedürftig anerkannt seien, untätig geblieben.
Wenn eine analoge Anwendung des § 70 Nr. 4 SGG nicht zulässig sei, müsse aber geklärt werden, gegen wen die Klägerin künftig bei Anfechtung von Beschlüssen dieser Ausschüsse die Klage zu richten habe.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Bayerischen LSG vom 5. Dezember 1967 und des SG München vom 10. März 1967 und den Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses vom 24. März 1965 aufzuheben.
Die beigeladene KZÄV Bayerns und die übrigen Beteiligten stellen keinen Antrag.
II
Die Revision ist begründet, weil das LSG zu Unrecht angenommen hat, der beklagte Beschwerdeausschuß könne nicht am Verfahren beteiligt sein.
Wie der Senat in seinem Urteil vom 30. Mai 1969 - 3 RK 4/68 - mit näherer Begründung ausgeführt hat, ist er mit je einem Bundessozialrichter aus den Kreisen der Krankenkassen und der Kassenzahnärzte als ehrenamtlichen Beisitzern vorschriftsmäßig besetzt. Bei einem Streit wegen Prüfungsmaßnahmen gegen einen Kassen(zahn)arzt liegt eine Angelegenheit des Kassen(zahn)arztrechts im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 SGG vor, wenn die von einer Krankenkasse an eine Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung zu entrichtende Gesamtvergütung gemäß § 368 f Abs. 3 RVO nach Einzelleistungen berechnet wird und die Vertragspartner vereinbart haben, daß an einer Entscheidung des Prüfungs-Beschwerdeausschusses die Vertreter der Krankenkassen stimmberechtigt mitwirken (vgl. § 368 n Abs. 5 RVO). Das ist hier der Fall. Nach § 22 Abs. 3 BMV-Z besteht der Beschwerdeausschuß aus je drei von der KZÄV und den Landesverbänden der Krankenkassen benannten Vertretern. Für den Beschwerdeausschuß ist also eine paritätische Besetzung mit Stimmrecht aller Vertreter verbindlich vorgeschrieben. Der Beschwerdeausschuß muß deshalb der gemeinsamen Selbstverwaltung der Kassen(zahn)ärzte und der Krankenkassen zugeordnet werden.
In der Sache selbst ist die Revision begründet. Wie bereits dargelegt, stellt der von einem paritätisch besetzten Beschwerdeausschuß erlassene Verwaltungsakt eine Entscheidung der gemeinsamen Selbstverwaltung der Kassen(zahn)ärzte und der Krankenkassen dar. Die KZÄV ist nur ein Träger dieser gemeinsamen Selbstverwaltung. Mit der im Wesen einer solchen Selbstverwaltung begründeten Parität ihrer Träger wäre die Heraushebung des einzelnen Trägers in der Form, daß er allein im Streitfall über den Prozeßstoff verfügen oder gar die Entscheidung des für die gemeinsame Selbstverwaltung weisungsfrei tätig gewordenen Beschlußorgans aufheben könnte (vgl. BSG 28, 84, 86), unvereinbar. Außerdem würde das Beschlußorgan selbst in dem Verfahren, in dem die Rechtmäßigkeit des von ihm erlassenen Verwaltungsakts geprüft würde, überhaupt nicht zu Gehör kommen. Vielmehr muß der Beschwerdeausschuß in Verfolg eines in § 70 Nr. 4 SGG zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedankens für parteifähig und weiterhin für allein befugt erachtet werden, den von ihm erlassenen Verwaltungsakt im gerichtlichen Verfahren zu verteidigen (vgl. für den ähnlichen Fall einer paritätisch besetzten Berufungskommission BSG 28, 84). Dem Interesse der beteiligten Körperschaften ist dadurch ausreichend Rechnung getragen, daß sie nach § 75 Abs. 1 SGG beigeladen werden.
Das LSG hat daher zu Unrecht die gegen den Beschwerdeausschuß erhobene Klage als unzulässig angesehen. Das angefochtene Urteil muß somit aufgehoben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.
Fundstellen