Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes und des Wertes besonderer Betreuung. Blindengeld. Wohngeld
Leitsatz (amtlich)
Zur wirtschaftlichen Bewertung der Haushaltsführung als Beitrag des nicht erwerbstätigen Ehegatten zum Familienunterhalt, wenn eines der Familienmitglieder besonders behindert (hier: blind) ist.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Erkrankung einer Versicherten in der Zeit unmittelbar vor ihrem Tode ist - vor allem aus Billigkeitsgründen - nur dann nicht für den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand maßgebend, wenn es sich bei der Erkrankung um die zum Tode führende Krankheit gehandelt hat.
2. Zwar kann der Wert der üblichen Haushaltsführung der Versicherten nicht höher als das für den Lebenszuschnitt der Familie maßgebende Arbeitseinkommen des Witwers veranschlagt werden. Das bedeutet aber nicht, daß der Wert der Haushaltsführung stets den Betrag des Arbeitseinkommens des berufstätigen Ehegatten erreicht. Der Auffassung, der Wert der über das übliche Maß der Haushaltsführung hinausgehenden besonderen Betreuung eines erblindeten Ehemannes könne nicht höher sein als das dem Ehemann gewährte Blindengeld, ist nicht zu folgen. Eine solche schematische Bewertung ist unzulässig. Vielmehr ist der wirtschaftliche Wert des zusätzlichen Unterhaltsbeitrages nach den Verhältnissen des Einzelfalles festzustellen.
3. Blindengeld nach den Richtlinien des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen und Blindenhilfe nach BSHG § 67, die vom Blinden der Familie zum Unterhalt zur Verfügung gestellt wurden, sind wie das Pflegegeld nach BSHG §§ 68, 69 (vgl BSG vom 1970-03-17 11/12 RJ 478/67 = BSGE 31, 90, 98; BSG vom 1972-12-01 12 RJ 226/72 = FEVS 22, 69, 70 als Unterhaltsbeiträge des Blinden zu werten.
4. Das Wohngeld nach dem WoGG 2 ist mit Leistungen zum Lebensunterhalt nach BSHG §§ 11 ff vergleichbar; wie die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG ist daher das Wohngeld als Unterhaltsbeitrag eines "Außenstehenden" zum Familienunterhalt zu behandeln.
5. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, den Wert von Dienstleistungen im Haushalt selbst dann an den wirtschaftlichen Lebensverhältnissen der Familie zu orientieren und ggf entsprechend dieser Verhältnisse zu begrenzen, wenn die Ehefrau aufgrund der Behinderung des Ehemannes - hier MdE von 100 % wegen Blindheit - erhöhte Leistungen im Haushalt und für die Familie zu erbringen hat.
Normenkette
AVG § 43 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1266 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; BSHG § 67 Abs. 1; WoGG 2 § 1; BSHG § 11 Fassung: 1969-09-18, § 68 Fassung: 1969-09-18, § 69; GG Art. 3 Abs. 2 Fassung: 1949-05-23, Abs. 3 Fassung: 1949-05-23
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 09.08.1977; Aktenzeichen L 2 An 526/76) |
SG Fulda (Entscheidung vom 23.04.1976; Aktenzeichen S 1a An 91/75) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. August 1977 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Witwerrente nach § 43 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aus der Versicherung seiner am 24. September 1974 verstorbenen Ehefrau Helga Marianne G.
Der Kläger ist blind und als Schwerbehinderter mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 vH anerkannt. Er war mit der Versicherten seit dem 30. April 1965 verheiratet. Aus der Ehe gingen drei im April 1966, im April 1968 und im Dezember 1972 geborene Kinder hervor. Der Kläger heiratete im Mai 1975 wieder.
Die Versicherte war bis Februar 1966 in ihrem erlernten Beruf als kaufmännische Angestellte tätig. Danach führte sie den Haushalt und betreute die Kinder sowie den Kläger. Zu den Haushaltsarbeiten gehörte ua die Reinigung der ca. 150 qm großen Sechs-Zimmer-Wohnung und die Arbeit in einem 500 qm großen Garten. Wie schon gelegentlich in den Jahren zuvor erledigte sie im Januar 1973 an drei und im Februar 1973 an fünf Abenden aushilfsweise Schreibarbeiten in einem Rechtsanwaltsbüro gegen eine Vergütung von 6,- DM pro Stunde. Wegen seelischer Depressionen befand sie sich von März bis Juni 1973 und vom 1. März 1974 bis zu ihrem Tode in stationärer Krankenhausbehandlung. Auf ihren Antrag vom 19. August 1974 gewährte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 20. Januar 1975 rückwirkend für die Zeit vom 1. August bis 30. September 1974 Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 837,60 DM.
Der Kläger ist als medizinischer Masseur und Bademeister ganztägig beschäftigt. Er verdiente im Januar 1974 netto 1.445,36 DM einschließlich eines Kinderzuschusses für seine drei Kinder. Außerdem erhielt er ein Blindengeld von monatlich 392,- DM im Jahre 1973 und 437,- DM im Jahre 1974. Der Landkreis Sch gewährte ihm für das Jahr 1974 ein monatliches Wohngeld von 144,- DM. Vom 1. Juli 1974 an beschäftigte der Kläger gegen ein monatliches Entgelt von 1.100,- DM eine Hausgehilfin.
Seinen Antrag vom 3. Oktober 1974 auf Gewährung von Witwerrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Februar 1975 ab. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 18.August 1975).
Das Sozialgericht (SG) Fulda hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 24. September 1974 bis 31. Mai 1975 Witwerrente zu gewähren (Urteil vom 23. April 1976). Auf die Berufung der Beklagten hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 9. August 1977). Es hat die Revision zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Witwerrente nicht zu, weil die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie nicht überwiegend bestritten habe. Als letzter wirtschaftlicher Dauerzustand sei der Zeitraum zwischen den beiden Krankenhausaufenthalten der Versicherten vom Juli 1973 bis Februar 1974 anzusehen, weil die Versicherte während dieser Zeit letztmalig den Haushalt geführt und ihre Kinder und ihren Ehemann betreut habe. Es sei unbillig, die stationäre Behandlung, während derer die Versicherte aus gesundheitlichen Gründen keine Unterhaltsleistungen für die Familie habe erbringen können, als letzten wirtschaftlichen Dauerzustand zugrunde zu legen. Während dieser Zeit seien der Familie als Unterhaltsleistungen des Klägers durch sein Arbeitseinkommen und das Blindengeld im Januar 1974 1.882,- DM zugeflossen. Neben dem Arbeitseinkommen müsse auch das Blindengeld, das der Kläger zum Unterhalt zur Verfügung gestellt habe, als Unterhaltsleistung berücksichtigt werden, weil der Kläger der Leistungsberechtigte sei und es seinen Mehrbedarf aufgrund seiner Behinderung ausgleichen solle. Hinzu komme das Wohngeld in Höhe von 144,- DM. Der wirtschaftliche Wert der Unterhaltsleistung der Versicherten, die in der Haushaltsführung, der Kinderbetreuung und in der Pflege des ihrer Hilfe bedürftigen Klägers bestanden habe, könne nicht höher als die Unterhaltsleistung des Klägers zuzüglich des Wohngeldes bewertet werden. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (SozR RVO § 1266 Nr 7). Die Versicherte könne ihre Unterhaltsleistung nur im wirtschaftlichen Rahmen des Lebenszuschnittes der Familie erbringen, der durch das Einkommen des Mannes bestimmt sei. Die besondere Hilfe, die die Versicherte dem Kläger erbracht habe, werde durch das Blindengeld ausgeglichen. Die Ausrichtung der Bewertung der Hausfrauentätigkeit an den Unterhaltsverhältnissen der Familie verstoße nicht gegen Art 3 des Grundgesetzes (GG), weil diese Bewertung auch dann gelte, wenn die Ehefrau berufstätig sei.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 43 AVG. Das LSG habe die Unterhaltsleistung der Versicherten nicht zutreffend bewertet. Es habe zum einen die zusätzliche Erwerbstätigkeit der Versicherten in den Jahren 1971 bis 1973 mit einem Wochenverdienst von 40,- bis 50,- DM berücksichtigen müssen. Zum anderen habe bereits die übrige Tätigkeit der Versicherten bei der Führung des Haushalts, der Betreuung und Erziehung der Kinder sowie seiner - des Klägers - Betreuung eine überwiegende Unterhaltsleistung dargestellt. Insbesondere seine Pflege durch die Versicherte, ohne die er nicht hätte erwerbstätig sein können, käme zu der üblichen Hausfrauentätigkeit hinzu. Diese zusätzliche Leistung der Versicherten sei nicht durch das Blindengeld abgegolten worden. Der Betrag, der einer Haushaltshilfe für die gesamten von der Versicherten erbrachten Leistungen zu zahlen wäre, läge höher als sein Arbeitseinkommen, Blinden- und Wohngeld zusammen. Die Auffassung des LSG, die Haushaltstätigkeit der Ehefrau könne nicht höher als das Arbeitseinkommen des Ehemannes bewertet werden, verstoße gegen Art 3 Abs 1, 2 und 3 GG. Sie enthalte eine Diskriminierung der Hausfrauentätigkeit, indem diese nicht nach ihrem wirklichen Wert bemessen werde, sondern sich immer nach dem Einkommen des Mannes richte. Durch diese Bewertung seien vor allem Frauen benachteiligt, weil immer noch sie überwiegend den Haushalt führten.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. August 1977 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 23. April 1976 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und bezieht sich auf dessen Gründe.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits begründet.
Nach § 43 Abs 1 AVG, der derzeit geltendes Recht ist (BVerfGE 39, 169 = BVerfG SozR 2200 § 1266 Nr 2), erhält ein Ehemann nach dem Tode seiner versicherten Ehefrau Witwerrente, wenn diese den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat. Dies muß während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tod der Versicherten der Fall gewesen sein.
Das LSG hat als letzten wirtschaftlichen Dauerzustand den Zeitraum zwischen der Beendigung des ersten und dem Beginn des zweiten Krankenhausaufenthaltes der Versicherten, also die Zeit von Juli 1973 bis Ende Februar 1974, angesehen, weil die Berücksichtigung der Zeit ab 1. März 1974 als letzter wirtschaftlicher Dauerzustand unbillig wäre. Zu Unrecht stützt sich das LSG hierbei auf die Rechtsprechung des BSG. Das BSG hat nicht ausgesprochen, daß generell eine dem Tode der Versicherten vorausgehende Zeit der Erkrankung bei der Bestimmung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes außer Betracht zu bleiben habe. Vielmehr kann eine solche Erkrankung, insbesondere wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstreckt hat und ohne den Tod der Versicherten voraussichtlich fortbestanden hätte, sehr wohl den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand prägen. Lediglich in den Fällen, in denen die Erkrankung in verhältnismäßig kurzer Zeit zum Tode geführt und somit gleichermaßen die "Vorstufe des Todes" dargestellt hat, kann es unbillig sein, die durch sie herbeigeführte Verschlechterung der Unterhaltslage zum Prüfungsmaßstab für die Voraussetzungen der Hinterbliebenenrente zu nehmen (BSGE 35, 243, 245 f.; BSG SozR RVO § 1265 Nr 67; BSG FEVS 24, 125, 128). Für die Entscheidung, ob derartige Billigkeitserwägungen auch im vorliegenden Fall eingreifen und eine Außerachtlassung der Zeit der erneuten stationären Behandlung der Versicherten ab 1. März 1974 bei der Bestimmung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes zulassen, reichen die vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht aus. Das LSG hat insbesondere nicht festgestellt, welches die Ursache des Todes der Versicherten gewesen ist und ob eine etwaige für den Tod ursächliche Erkrankung identisch ist mit derjenigen, wegen derer die Versicherte ab 1. März 1974 stationär behandelt worden ist. Diese Feststellungen wird das LSG nachzuholen haben.
Sollte nach dem Ergebnis der ergänzenden Sachaufklärung die Zeit ab 1. März 1974 als letzter wirtschaftlicher Dauerzustand anzusehen sein, so dürften damit die Voraussetzungen des § 43 Abs 1 AVG für die Gewährung einer Witwerrente nicht erfüllt sein. Denn in dieser Zeit hat die Versicherte einen Beitrag zum Familienunterhalt in Form der Haushaltsführung und der Betreuung des Klägers und der Kinder nicht geleistet. Sofern hingegen auch unter Berücksichtigung der vom LSG nachzuholenden Feststellungen die Zeit von Juli 1973 bis Ende Februar 1974 den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand dargestellt hat, bedarf es zusätzlicher Feststellungen zu der Frage, ob die Versicherte während dieser Zeit den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten, d.h. mehr als die Hälfte zum Familienunterhalt beigetragen hat. Auch dies ist aufgrund der bisherigen Feststellungen noch nicht abschließend zu entscheiden.
Dem LSG ist zunächst darin zu folgen, daß dem Familienunterhalt neben dem Arbeitseinkommen des Klägers auch das ihm gewährte Blindengeld von monatlich DM 392,- (1973) bzw DM 437,- (1974) und das Wohngeld (monatlich DM 144,-) zuzurechnen sind.
Hinsichtlich der als "Blindengeld" bezeichneten Leistung hat das LSG nicht festgestellt, ob es sich hierbei um Blindenhilfe nach § 67 des Bundessozialhilfegesetzes (BSGH) oder um Blindengeld nach den Richtlinien des Landeswohlfahrtsverbandes (LWV) Hessen für die Gewährung von Blindengeld an Blinde und wesentlich Sehbehinderte in der hier maßgebenden Fassung vom 1. Februar 1974 handelt. Dies kann jedoch dahinstehen, denn Blindenhilfe und Blindengeld stimmen in ihrer Zweckrichtung überein. Das Blindengeld knüpft zT an die Voraussetzungen für die Gewährung der Blindenhilfe an (Ziffer 1.1 der Richtlinien des LWV). Beide Leistungen sollen die durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen ausgleichen (vgl § 67 Abs 1 BSGH einerseits, Ziffer 1.1 der Richtlinien andererseits). Im Gegensatz zur Blindenhilfe wird das Blindengeld, das gegenüber der Blindenhilfe subsidiär ist (vgl Ziffer 1.1 der Richtlinien), unabhängig von einer Einkommensgrenze gewährt. Zweck der Blindenhilfe ist es, neben Aufwendungen für die pflegerische Betreuung andere Aufwendungen, die dem Ausgleich der Belastungen infolge der Blindheit dienen, zu ermöglichen (amtl Begründung des Entwurfs zum BSHG, BT-Drucks 3/1799, S 49 - zu § 64). Der Blindenhilfe soll außer den Aufwendungen für die Betreuung (Begleitperson, Vorlesehilfe ua) auch andere Belastungen und Aufwendungen ausgleichen (Merkler/Zink, BSHG, 2. Aufl, § 67, Anm 37). Da die Blindenhilfe somit Pflegeleistungen ausgleicht, ist nach § 67 Abs 5 Satz 1 BSHG der Anspruch des Blinden auf Hilfe zur Pflege wegen Blindheit (§§ 68, 69 BSHG) außerhalb von Anstalten ausgeschlossen. Das dem Kläger zustehende Blindengeld, das dieser nach den Feststellungen des LSG der Familie zum Unterhalt zur Verfügung gestellt hat, ist somit wie das Pflegegeld nach §§ 68, 69 BSHG (dazu BSGE 31, 90, 98; BSG FEVS 22, 69, 70) als weiterer Unterhaltsbeitrag des Klägers zu bewerten. Allerdings ist zu beachten, daß das Blindengeld den wirtschaftlichen Lebenszuschnitt der Familie nicht erhöht, weil es nicht (auch nicht teilweise) der Deckung des gewöhnlichen Lebensunterhaltes dient (BVerfG FEVS 25, 1, 6; Schellhorn/Jirazek/Seipp, BSHG, 9. Aufl, § 67, RdNr 10). Es kann aber als Äquivalent der ggf als gesonderter Unterhaltsbeitrag zu bewertenden Pflegeleistung der Versicherten gegenübergestellt werden.
Zutreffend hat das LSG auch das Wohngeld dem Unterhalt der Familie zugerechnet. Es ist als Unterhaltsbeitrag eines Dritten anzusehen (offengelassen von BSG FEVS 22, 69, 71 f). Das Wohngeld, welches gemäß § 1 des 2. Wohngeldgesetzes (2. WoGG) idF vom 14. Dezember 1973 (BGBl I 1862) zur wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens als Zuschuß zu den Aufwendungen für den Wohnraum gewährt wird, ist zwar keine Leistung der Sozialhilfe nach dem BSHG, mit Sozialhilfeleistungen aber zweckidentisch iS des § 77 BSHG (BVerwG NDV 1974, S 250 f). Es wird ebenfalls nur bei Bedürftigkeit gewährt (vgl die Einkommensgrenzen des § 19 WoGG) und ist hinsichtlich der Höhe dem durch die Anzahl der Familienmitglieder bestimmten Bedarf angepaßt (zB §§ 8, 29 Abs 1 Nr 1 WoGG). Mit dem Tod der Versicherten fällt das Wohngeld jedenfalls nicht in vollem Umfang weg, sondern wird bei Bedürftigkeit in anderer Höhe weiter gewährt. Es ist daher den Leistungen zum Lebensunterhalt nach §§ 11 ff BSHG vergleichbar (LSG Baden-Württemberg Breithaupt 1974, 131). Für die Hilfe zum Lebensunterhalt hat das BSG bereits entschieden, daß sie als Unterhaltsbeitrag eines "Außenstehenden" zum Familienunterhalt zu behandeln ist (BSGE 31, 90, 99; BSG FEVS 22, 69, 70). Entsprechendes gilt für das Wohngeld nach dem 2. WoGG.
Als Leistungen der Versicherten zum Familienunterhalt wären unter der Voraussetzung, daß letzter wirtschaftlicher Dauerzustand die Zeit von Juli 1973 bis Februar 1974 wäre, die Haushaltsführung, die Kinderbetreuung sowie die Betreuung des Klägers zu berücksichtigen.
Hinsichtlich der Ermittlung des wirtschaftlichen Wertes der Haushaltsführung kann dem LSG nur teilweise gefolgt werden. Allerdings ist es zutreffend und im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG (BSGE 31, 90, 97; SozR RVO § 1266 Nr 9) davon ausgegangen, daß der Wert der Haushaltsführung einschließlich der Gartenarbeit sowie der Kinderbetreuung durch die Versicherte nicht höher als das Arbeitseinkommen des Klägers veranschlagt werden könne. Wie in den angeführten Entscheidungen im einzelnen dargelegt, darf die Bewertung der Haushaltsführung und der Kindererziehung durch eine Versicherte den Wert des vom Ehemann erzielten Einkommens nicht übersteigen. Die Ehefrau kann ihre Arbeit als Hausfrau und Mutter nur in dem wirtschaftlichen Rahmen des Lebenszuschnittes der Familie erbringen, der durch den Arbeitsverdienst des Ehemannes bestimmt ist (BSG SozR aaO). Eine andere Auffassung hätte eine vom Gesetz nicht gewollte Ausweitung der Witwerrente zur Folge, die den materiellen Verlust, der dem Ehemann durch den Tod der Ehefrau entsteht, ausgleichen soll (BSGE 31, 90, 97). Bei der Bewertung der Aufwendungen für die Haushaltsführung durch familienfremde Hilfskräfte ist daher uU eine dem Lebenszuschnitt der Familie angemessene Korrektur erforderlich, um den wirtschaftlichen Wert der Haushaltsführung zutreffend wiederzugeben (BSGE aaO). Das gilt auch dann, wenn die Versicherte aufgrund der Behinderung des Klägers erhöhte Leistungen im Haushalt und für die Familie zu erbringen hatte. Denn auch insoweit kann der Wert ihrer einzelnen Unterhaltsbeiträge nur nach den wirtschaftlichen Lebensverhältnissen der Familie bemessen werden, die durch das Arbeitseinkommen des Ehemannes bestimmt werden.
Die von der Revision hiergegen erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken teilt der Senat nicht.
Eine Verletzung des Art 3 Abs 2 und 3 GG, die den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG konkretisiert, scheidet bereits deshalb aus, weil die Rechtsprechung des BSG nicht von einer unterschiedlichen Behandlung von Mann und Frau ausgeht. Anknüpfungspunkt der Rechtsprechung ist nicht die Bewertung der Haushaltstätigkeit der Ehefrau, sondern die Bewertung der Haushaltstätigkeit an sich ungeachtet dessen, daß diese zur Zeit überwiegend noch von Frauen ausgeübt wird. Diese Bewertung folgt aus dem Normzweck des § 43 Abs 1 AVG. Die Vorschrift geht davon aus, daß die Witwerrente die Ausnahme ist (vgl BSGE 31, 90, 97), weil mit ihr der materielle Verlust ausgeglichen werden soll, den der Witwer durch den Tod der Versicherten erleidet. Für die Annahme einer überwiegenden Unterhaltsleistung der Ehefrau ist demnach im Regelfall erforderlich, daß die Versicherte aufgrund eigener Erwerbstätigkeit Einkommen erzielt und mit diesem zum Unterhalt der Familie beiträgt. Die vorgenommene Bewertung der Haushaltstätigkeit im Rahmen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie führt somit nicht, was hier allein in Betracht kommt, zu einer Benachteiligung des Witwers gegenüber der Witwe. Darin liegt der Unterschied zu dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1975 (BVerfGE 39, 169) zugrunde liegt. Dort hat die Ungleichbehandlung des Witwers gegenüber der Witwe für den Fall, daß beide Eheleute berufstätig gewesen sind, Anlaß für die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 43 Abs 1 AVG gegeben. Die Hausfrau hat demgegenüber gerade nicht durch Sozialversicherungsbeiträge aufgrund eigener Erwerbstätigkeit zur Versorgung des Mannes beitragen können. Daß die Haushaltstätigkeit je nach dem Lebenszuschnitt der Familie unterschiedlich bewertet wird, begründet ferner keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG). Eine Differenzierung der Bewertung nach unterschiedlichen Lebensverhältnissen der einzelnen Familien und deren Beurteilung anhand der Höhe des Einkommens des erwerbstätigen Ehegatten ist sachgerecht und nicht willkürlich.
Bildet somit das Einkommen des erwerbstätigen Ehegatten die Obergrenze des wirtschaftlichen Wertes der Haushaltsführung des nicht erwerbstätigen Ehegatten, so ist dies nicht gleichbedeutend damit, daß der Wert der Haushaltsführung stets die Höhe des Einkommens des erwerbstätigen Ehegatten erreicht. Vielmehr kann er auch unter diesem Betrag liegen. Dies schließt es aus, den Wert der Haushaltsführung generell und ohne einzelfallbezogene Feststellungen mit einem der Höhe des Einkommens des erwerbstätigen Ehegatten entsprechenden Betrag anzusetzen. Vielmehr muß festgestellt werden, welchen Zeitaufwand die Haushaltsführung erfordert und wie dieser Zeitaufwand wirtschaftlich zu bewerten ist. Insofern wird das LSG unter der Voraussetzung, daß letzter wirtschaftlicher Dauerzustand die Zeit von Juli 1973 bis Ende Februar 1974 gewesen ist, zu beachten haben, daß der Kläger ab Juli 1974 gegen ein monatliches Entgelt von DM 1.100,- eine Hausgehilfin beschäftigt hat. Hieraus läßt sich aufgrund der zusätzlichen Feststellung, welche Arbeitszeit die Hausgehilfin geleistet hat, das dieser je Arbeitsstunde gezahlte Entgelt ermitteln; der so ermittelte Betrag wiederum kann in Beziehung zu der von der Versicherten für die Haushaltsführung aufgewendeten Zeit gesetzt und dadurch ein Anhaltspunkt für die wirtschaftliche Bewertung dieser Haushaltsführung gewonnen werden.
Sofern letzter wirtschaftlicher Dauerzustand die Zeit von Juli 1973 bis Ende Februar 1974 gewesen ist, hat zur Haushaltsführung als Teil des Beitrages der Versicherten zum Familienunterhalt auch die Betreuung des behinderten Klägers gehört. Sie ist als gesonderter Unterhaltsbeitrag zu berücksichtigen (vgl BSGE 31, 90, 98; SozR RVO § 1266 Nr 12) sofern die Pflege über das übliche Maß der Haushaltstätigkeit, die an sich die Betreuung eines erkrankten Familienmitgliedes einschließt, hinausgeht. Die Versicherte muß somit durch die Betreuung des behinderten Familienmitgliedes zusätzlich besonders stark belastet worden sein (ebenso LSG Rheinland-Pfalz, RsprDienst 1400 § 1266 RVO, S 9, 11). Dies bedarf grundsätzlich des Nachweises im Einzelfall. Eine besonders starke zusätzliche Belastung kann lediglich in den Fällen unterstellt werden, in denen an oder für das behinderte Familienmitglied ein Pflegegeld nach §§ 68, 69 BSHG oder eine vergleichbare Leistung gezahlt wird. Dem Kläger wird mit dem Blindengeld eine vergleichbare Leistung gewährt. Aufgrund dessen ist davon auszugehen, daß die Versicherte durch seine Betreuung über die gewöhnliche Haushaltsführung hinaus zusätzlich besonders stark belastet worden ist und einen gesondert zu bewertenden Beitrag zum Familienunterhalt geleistet hat. Ob sie damit allerdings den Familienunterhalt überwiegend bestritten hat, kann noch nicht abschließend entschieden werden. Voraussetzung hierfür ist die Feststellung des Wertes des zusätzlichen Unterhaltsbeitrages. Das LSG ist ohne weitere Feststellungen zu dem Ergebnis gelangt, daß der Wert der Pflegeleistung die Höhe des Blindengeldes nicht überstiegen habe. Es ist demnach offenbar der Ansicht, der zusätzliche Unterhaltsbeitrag der Versicherten könne günstigstenfalls bis zur Höhe des dem Kläger gewährten Blindengeldes berücksichtigt werden. Eine solche schematische Bewertung ist jedoch unzulässig (vgl auch BSGE 31, 90, 98). Vielmehr ist der wirtschaftliche Wert des zusätzlichen Unterhaltsbeitrages nach den Verhältnissen des Einzelfalls festzustellen. Dazu bedarf es zunächst der Feststellung von Art und Umfang des durch die Erblindung des Klägers bedingten Pflegeaufwandes. Sodann ist dieser nach den vorstehend für die übliche Haushaltsführung dargelegten Kriterien zu bewerten.
Die Feststellung, welcher Zeitraum vor dem Tode der Versicherten als letzter wirtschaftlicher Dauerzustand anzusehen ist, sowie die gegebenenfalls hiervon abhängigen weiteren tatsächlichen Feststellungen kann der Senat nicht treffen. Sie sind vom LSG nachzuholen. Zu diesem Zweck war der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen