Leitsatz (amtlich)
Die versicherte Ehefrau hat den Unterhalt ihrer Familie iS des AVG § 43 Abs 1 (= RVO § 1266 Abs 1) nicht überwiegend bestritten, wenn der Unterhaltsaufwand der Familie während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode der versicherten Ehefrau nur aus dem Arbeitsverdienst des Ehemannes bestritten worden ist und die Ehefrau zum Familienunterhalt als ihren Unterhaltsbeitrag ihre Arbeit als Hausfrau und Mutter beigesteuert hat; der wirtschaftliche Wert ihres Unterhaltsbeitrags ist in einem solchen Falle jedenfalls nicht höher zu bemessen als der Arbeitsverdienst des Ehemannes.
Normenkette
RVO § 1266 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 43 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. März 1970 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger begehrt Witwerrente aus der Versicherung seiner im Februar 1966 gestorbenen Ehefrau. Streitig ist, ob sie im Sinne des § 43 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat.
Der Kläger ist von Beruf Gewerkschaftssekretär. Er bezog im Jahre 1965 ein monatliches Nettogehalt von 989,44 DM und im Jahre 1966 ein solches von 1056,56 DM. Seine Ehefrau war bis zur Eheschließung im August 1949 als Kontoristin versicherungspflichtig beschäftigt und übte, nach dem die Tochter I am 2. Juli 1952 geboren war, eine solche Tätigkeit wieder in der Zeit vom 1. April 1955 bis zum 17. September 1956 aus. Im Jahre 1965 zeigten sich bei ihr die ersten Anzeichen einer Geisteskrankheit. Sie beantragte deswegen im Dezember 1965 die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU). Am 26. Februar 1966 beging sie Selbstmord. Die Beklagte gewährte für sie durch Bescheid vom 28. Juni 1968 rückwirkend Rente wegen EU für die Zeit vom 1. Dezember 1965 bis zum Tode in Höhe von monatlich 279,- DM.
Bis zum Tode der Versicherten bestand das Einkommen der Familie aus dem Arbeitsverdienst des Klägers. Die Versicherte trug zum Unterhalt ihrer Familie durch ihre Arbeitsleistung im Haushalt und in der Erziehung des Kindes bei.
Der Kläger ist der Auffassung, seine Ehefrau habe den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten, weil der Geldwert ihrer Unterhaltsleistung durch die Führung des Haushalts und die Betreuung des Kindes mit mindestens 1500,- DM monatlich zu bemessen sei. Die Beklagte lehnte den Antrag, Witwerrente zu gewähren, durch Bescheid vom 17. Oktober 1967 ab. Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat durch Urteil vom 9. April 1969 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 13. März 1970 - unter Zulassung der Revision - die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen.
Das LSG hat angenommen, die Verstorbene habe den Unterhalt ihrer Familie nicht überwiegend bestritten. Der Wert ihrer im Haushalt und in der Familie geleisteten Arbeit könne nicht ohne Beziehung zu den Einkünften, die für den Familienunterhalt zur Verfügung gestanden hätten, bemessen werden. Die Arbeit der Hausfrau und Mutter werde nur dadurch möglich, daß der Ehemann durch seine Arbeit die für den Lebensunterhalt erforderlichen Barmittel erziele. Diese Abhängigkeit der Hausfrauenarbeit von der mit Gelderwerb verbundenen Tätigkeit des Ehemannes müsse zu der Schlußfolgerung führen, daß der Wert der Hausfrauenarbeit nicht höher zu bemessen sei als der Verdienst des in abhängiger Arbeit außerhalb des Hauses erwerbstätigen Ehemannes. Wollte man zu einem Wert der Arbeit als Hausfrau und Mutter kommen, der weit über dem Bruttoarbeitsentgelt aller in der Rentenversicherung Versicherten liege, so würde die vom Gesetzgeber mit der Witwerrente beabsichtigte Regelung eines Ausnahmefalles in ihr Gegenteil verkehrt. Ein solches Ergebnis stünde mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 24. Juli 1963 (BVerfG 17, 1 ff) nicht in Einklang.
Gegen das Urteil hat der Kläger Revision eingelegt, mit der er rügt, das LSG habe § 43 AVG nicht zutreffend angewandt. Insbesondere beruft er sich darauf, die Auffassung des LSG sei mit Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbar. Das BVerfG habe in seiner Entscheidung vom 24. Juli 1963 ausgesprochen, daß der tatsächliche Wert der Arbeit ermittelt und in voller Höhe als Unterhaltsleistung der Ehefrau berücksichtigt werden müsse. Mit dem vom LSG entwickelten Grundsatz werde die Unterbewertung der Arbeit der Hausfrau und Mutter fortgesetzt, deren Beseitigung durch das GG geboten sei. Es müsse der Zeitaufwand ermittelt werden, den eine fremde, entsprechend fähige und erfahrene Hilfskraft benötigt hätte, um die Arbeit im gleichen Umfang und in gleicher Qualität zu leisten, wie die gestorbene Ehefrau. Der Wert des von der Ehefrau geleisteten Unterhalts dürfe nicht niedriger angesetzt werden, als der Geldbetrag, der für die Bezahlung der fremden Hilfskraft hätte aufgewandt werden müssen. Gehe man von den Sätzen aus, die in Essen im Jahre 1966 nach der Auskunft des Arbeitsamtes für fremde Hilfskräfte üblicherweise gezahlt worden seien, dann ergebe sich als Wert des Beitrages der verstorbenen Ehefrau zum Familienunterhalt ein Betrag von 1494,84 DM.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, des Urteils des SG Duisburg vom 9. April 1969 sowie des Bescheides der Beklagten vom 17. Oktober 1967 diese zu verurteilen, ihm vom 1. März 1966 an Witwerrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Der Entscheidung des LSG ist beizutreten, daß dem Kläger aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau ein Anspruch auf Witwerrente gemäß § 43 AVG nicht zusteht, weil es an der Voraussetzung fehlt, daß seine Ehefrau den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hat die Ehefrau den Unterhalt ihrer Familie im Sinne des § 43 AVG nur dann überwiegend bestritten, wenn sie zu dem Unterhaltsaufwand der Familie mehr als die Hälfte beigesteuert hat (BSG 31, 90, 92). Bei der Beurteilung, ob die verstorbene Ehefrau den Unterhalt ihrer Familie in diesem Sinne überwiegend bestritten hat, hat das LSG zutreffend nur auf den tatsächlichen Unterhaltsaufwand der Familie und nur auf die dafür tatsächlich erbrachten Unterhaltsbeiträge des Klägers und seiner Ehefrau während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode der Versicherten abgestellt (BSG 31, 90, 92; BSG in Sozialrechtl . Entscheidungssammlung § 1266 RVO Nr. 7). Als tatsächlicher Unterhaltsbeitrag der verstorbenen Ehefrau für den Unterhalt ihrer Familie kann deshalb nur ihre Arbeit als Hausfrau und Mutter, nicht aber ihr Anspruch auf Rente wegen EU in Höhe von 279,00 DM berücksichtigt werden; denn diesen Rentenbetrag hat sie nicht tatsächlich für den Unterhalt ihrer Familie beigesteuert; er ist erst nach ihrem Tode durch Bescheid vom 28. Juni 1966 rückwirkend festgestellt und ausgezahlt worden.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher für das Revisionsgericht gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindenden Feststellungen in dem angefochtenen Urteil ist während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode der Versicherten der tatsächliche Unterhaltsaufwand der Familie, die aus dem Kläger, seiner Ehefrau und der im Jahre 1952 geborenen Tochter bestand, ausschließlich aus dem Nettoarbeitsverdienst des Klägers von etwa 1000,- DM monatlich bestritten worden. In einem solchen Fall kann - wie das LSG zu Recht ausgeführt hat - der wirtschaftliche Wert des Unterhaltsbeitrages der Ehefrau, den sie durch ihre Haushaltsführung und Betreuung des Kindes zum Unterhalt der Familie beigesteuert hat, jedenfalls nicht höher bemessen werden als der Arbeitsverdienst des Ehemannes. Ungeachtet dessen, welche Tätigkeit eine Ehefrau bei der Haushaltsführung und der Kinderbetreuung tatsächlich verrichtet, werden diese Arbeiten - worauf das LSG in Übereinstimmung mit dem BVerfG bereits hingewiesen hat - nur dadurch ermöglicht, daß der Ehemann seinen Arbeitsverdienst zum Unterhalt der Familie beisteuert. Die Ehefrau kann bei einer solchen Sachlage ihre Arbeiten als Hausfrau und Mutter nur in dem wirtschaftlichen Rahmen des Lebenszuschnitts der Familie erbringen, der durch den Arbeitsverdienst des Ehemannes bestimmt ist. Der wirtschaftliche Wert ihres Unterhaltsbeitrags ist deshalb nicht danach zu bemessen, wie ihre einzelnen Tätigkeiten hätten belohnt werden müssen, wenn sie durch fremde Arbeitskräfte ausgeführt worden wären, wie die Revision meint, sondern danach welche Geldbeträge nach dem Arbeitsverdienst des Mannes und dem dadurch begründeten Lebenszuschnitt der Familie für die Haushaltsführung und die Kinderbetreuung durch die Ehefrau, wirtschaftlich gesehen, billigerweise angesetzt werden können; denn wenn von dem Arbeitsverdienst des Ehemannes der gesamte Unterhalt der Familie wirtschaftlich bestritten wird, so ordnet sich die Ehefrau mit ihrem Unterhaltsbeitrag durch die Führung des Haushalts einschließlich der Kinderbetreuung in die gegebenen Lebensverhältnisse der Familie ein, die auch sonst für die wirtschaftliche Bemessung von Unterhaltsansprüchen und -pflichten zwischen Familienangehörigen den rechtserheblichen Maßstab bilden. Von dem wirklich gegebenen Lebenszuschnitt der Familie her gesehen, erscheint es daher nicht gerechtfertigt, die Tätigkeit der versicherten Ehefrau als Hausfrau und Mutter in einer Höhe in Geldbeträgen zu bewerten, die in keinem Verhältnis mehr zu den wirtschaftlichen Mitteln stehen, von denen der Lebensunterhalt der Familie tatsächlich bestritten worden ist.
In diesem Sinne hat sich auch bereits der 11. Senat des BSG in seinem Urteil vom 17. März 1970 (BSG 31, 90 ff. = SozR Nr. 7 zu § 1266 RVO) geäußert, in dem dargelegt ist, daß Haushaltsführung, Kinderbetreuung und Pflegedienste für Familienangehörige nicht schematisch bewertet werden dürfen, daß zwar zunächst Art und Ausmaß der hausfraulichen Tätigkeit und sodann die Aufwendungen zu ermitteln sind, die für eine Verrichtung durch Hilfskräfte erforderlich gewesen wären, daß diese Werte sodann aber noch dem Lebenszuschnitt der Familie anzupassen sind. Der 11. Senat hat in seinem Urteil in Übereinstimmung mit der Ansicht des LSG des weiteren zutreffend hervorgehoben, das Bewertungsverfahren dürfe nicht dazu führen, daß in den meisten Fällen die Haushaltsführung höher bewertet werde als der Verdienst der in abhängiger Arbeit außerhalb des Hauses erwerbstätigen Ehemänner; dies hätte eine ungerechtfertigte Ausweitung der Witwerrente zur Folge, die nicht dem Zweck des Gesetzes entsprechen könne; für den Regelfall gehe das Gesetz gerade nicht davon aus, daß die Ehefrau den Familienunterhalt überwiegend bestritten habe. Dies sei auch der Entscheidung des BVerfG vom 24. Juli 1963 (BVerfG 17, 1, 18) zu entnehmen.
Ist, wie es hier der Fall ist, der Unterhaltsaufwand der Familie während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode der versicherten Ehefrau nur aus dem Arbeitseinkommen des Mannes bestritten worden und hat sie zum Familienunterhalt als ihren Unterhaltsbeitrag allein ihre Arbeit als Mutter und Hausfrau beigesteuert, so erleidet der Ehemann mit dem Wegfall ihres Unterhaltsbeitrages zur Familie durch ihren Tod keine solche materielle, wirtschaftlich ins Gewicht fallende und typische Einbuße in dem Unterhaltsstandard seiner Familie, die nach dem Zweck des § 43 AVG durch die Gewährung einer lebenslänglichen Witwerrente auszugleichen wäre. Trotz der für das bürgerlich-rechtliche Unterhaltsrecht im allgemeinen geltenden Gleichwertigkeit der wechselseitigen Unterhaltsleistungen von Ehegatten, nämlich des den Unterhaltsaufwand verdienenden Ehemannes und der den Haushalt führenden Ehefrau, hat bei den hier gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im Sinne des § 43 AVG nicht die Ehefrau, sondern der Ehemann den Familienunterhalt überwiegend bestritten.
Das LSG ist mithin zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß die versicherte Ehefrau des Klägers i. S. des § 43 AVG den Unterhalt ihrer Familie nicht überwiegend bestritten hat. In dem vorliegenden Fall bedarf es aus diesen Gründen auch keiner Feststellung, welche Tätigkeit die gestorbene Ehefrau des Klägers bei der Haushaltsführung und bei der Betreuung der minderjährigen Tochter tatsächlich verrichtet hat und welche Geldbeträge hätten aufgewandt werden müssen, um diese Tätigkeiten durch fremde Arbeitskräfte ausführen zu lassen.
Die Revision des Klägers muß aus diesen Gründen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen