Leitsatz (amtlich)
Der Dienst eines Angehörigen der Waffen-SS in Fürsorge- und Versorgungsdienststellen der SS im Kriege geschah nicht "für Zwecke der Wehrmacht" iS von § 3 Abs 1 Buchst b BVG; er stellt keinen nach § 28 Abs 1 Nr 1 AVG (= § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO) als Ersatzzeit anzurechnenden militärähnlichen Dienst dar (Anschluß an und Weiterentwicklung von BSG 1979-11-29 4 RJ 95/78 = BSGE 49, 170 = SozR 2200 § 1251 Nr 73).
Normenkette
AVG § 28 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09; BVG § 3 Abs. 1 Buchst. b
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 27.04.1982; Aktenzeichen L 6 An 1911/81) |
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 23.06.1981; Aktenzeichen S 9 An 1813/80) |
Tatbestand
Streitig ist die Vormerkung einer Dienstzeit in der Waffen-SS als Ersatzzeit.
Der am 10. Mai 1922 geborene Kläger ging im November 1939 freiwillig zu der in Dachau stationierten 2. SS-Totenkopfstandarte (ab 1940 allgemein: Waffen-SS). Anfang Juli 1941 wurde er im Rußland-Feldzug schwer verwundet. Als arbeitsverwendungsfähig (av) wurde er ab Juni 1942 zunächst beim "Fürsorge- und Versorgungsamt-SS Posen", ab August 1942 beim "Fürsorge-SS-Führer Weichsel" in Danzig im Innendienst eingesetzt. Ende November 1944 erhielt er seinen Abschied; im Januar 1945 trat er in die Rentenversicherung ein.
Die Vormerkung der Zeit von Juni 1942 bis November 1944 als weitere Ersatzzeit aufgrund von § 28 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) lehnte die Beklagte ab, weil der Kläger damals weder militärischen noch militärähnlichen Dienst geleistet habe (Bescheid vom 6. Dezember 1979, Widerspruchsbescheid vom 30. September 1980); eine auf der Versicherungskarte Nr 7 des Klägers erfolgte Ersatzzeiteintragung wurde von ihr berichtigt.
Die Vorinstanzen haben die Beklagte zur Vormerkung verpflichtet. Nach der Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) im Urteil vom 27. April 1982 durfte die Beklagte zwar die von der Kartenausgabestelle vorgenommene Eintragung ändern. In der Sache müsse sie jedoch die Zeit als Ersatzzeit ansehen, da im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (Hinweis auf BSGE 49, 170; Urteil vom 29. November 1979 - 4 RU 113/78) militärähnlicher Dienst gemäß § 28 Abs 1 Nr 1 AVG iVm § 3 Abs 1 Buchstabe b des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gegeben sei. Dessen Merkmale - Dienst auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht - halte das BSG dann für erfüllt, wenn ein Angehöriger der bewaffneten Verbände der SS während des 2. Weltkrieges einen Dienst geleistet habe, den ohne diese Verbände ein Soldat der Wehrmacht verrichtet hätte. Die im Krieg bestehende Rechtslage mache deutlich, daß die Aufgaben des Fürsorge- und Versorgungsamtes der Waffen-SS mit denen der Wehrmachtsfürsorge und Versorgungsämter identisch gewesen seien. Deren Aufgaben seien aber jedenfalls während des Krieges als militärische angesehen worden; die hier streitigen Aufgaben wären also ohne die Einrichtungen der Waffen-SS von - nicht mehr fronttauglichen - Soldaten wahrgenommen worden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt die Beklagte, die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt sie vor, das LSG-Urteil beruhe auf einer zu weitgehenden Gleichstellung von Wehrmacht und SS; hierdurch sei § 28 Abs 1 Nr 1 AVG verletzt. Militärähnlich sei ein Dienst in der Waffen-SS nur, wenn er im Kriegseinsatz unter einem militärischen Befehlshaber für Zwecke der Wehrmacht geleistet worden sei. Der Kläger habe aber keinem bewaffneten Verband der SS angehört, er habe Innendienst in Fürsorge- und Versorgungsämtern geleistet. Dieser Dienst sei weder für Zwecke der Wehrmacht - vielmehr für die Versorgung, den Familienunterhalt, die Besoldung und die Fürsorge der SS-Angehörigen während und nach der Dienstzeit - noch auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers geleistet worden; die Ämter hätten nämlich dem Reichsführer SS unterstanden.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet; entgegen den Vorinstanzen ist sie nicht verpflichtet, die Zeit von Juni 1942 bis November 1944 als - weitere - Ersatzzeit vorzumerken.
Zunächst folgt eine dahingehende Verpflichtung nicht daraus, daß die Kartenausgabestelle auf der Versicherungskarte Nr 7 des Klägers diese Zeit, mit Ausnahme der Monate Oktober und November 1944, als Ersatzzeit eingetragen hatte. Die Eintragung von Ersatzzeiten in die Versicherungskarte durch die Ausgabestelle gemäß § 134 Abs 3 AVG idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) ist nämlich nur ein der Beweissicherung dienender, beurkundender Akt; sie genießt weder den Bestandsschutz aus § 145 Abs 2 AVG noch kann sie bindend werden iS von § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Einer Berichtigung durch die Beklagte stand daher nichts im Wege (vgl hierzu BSGE 39, 38, 39; 42, 159, 160).
Des weiteren war die Beklagte aus in der Sache liegenden rechtlichen Gründen berechtigt, die begehrte Vormerkung abzulehnen, denn die betreffende Zeit stellt keine Ersatzzeit dar. Von den im Gesetz aufgeführten Ersatzzeittatbeständen kommen allein solche des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG - ebenfalls idF des RVÄndG 1965 - in Betracht, in Sonderheit die der Leistung militärischen oder militärähnlichen Dienstes iS der §§ 2 und 3 BVG während eines Krieges.
Militärischen Dienst, den nach § 2 Abs 1 Buchst a BVG jeder "nach deutschem Wehrrecht geleistete Dienst als Soldat" darstellt, hat der Kläger ab Juni 1942 nicht verrichtet. In dieser Auffassung kann der erkennende Senat sich der Rechtsprechung des BSG auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung zu § 2 BVG anschließen, die hinsichtlich des "deutschen Wehrrechts" auf das Wehrgesetz vom 21. Mai 1935 (RGBl I 609) abhebt und die bewaffneten Verbände der SS als dort nicht aufgeführt ausschließt (SozR Nr 8 zu § 2 BVG unter Hinweis auf Entscheidungen des BVerwG; s auch BSGE 4, 276, 279; SozR Nr 9 zu § 3 BVG). Allerdings ist unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des BVG die Anwendung des § 2 BVG auch für den Kriegseinsatz von Waffen-SS-Verbänden erwogen worden (s hierzu SozR Nr 8 zu § 2 BVG; BSGE 12, 172, 174; SozR 3100 § 2 Nr 6). Die offengebliebene "Gleichstellung" mit dem militärischen Dienst im Falle des Kriegseinsatzes (SozR 3100 aaO) braucht jedoch hier nicht vertieft zu werden. Denn für eine solche "Gleichstellung" käme wohl nur eine Analogie zu § 2 BVG in Betracht. Ihrer bedarf es im Rahmen von § 28 Abs 1 Nr 1 AVG indessen nicht, weil die Gleichstellung im Falle des Kriegseinsatzes schon durch unmittelbare Anwendung des § 3 Abs 1 Buchst b BVG zu erreichen ist, so daß insoweit keine Gesetzeslücke vorliegt.
Für die Frage, ob Dienst in der Waffen-SS im 2. Weltkrieg eine Ersatzzeit iS von § 28 Abs 1 Nr 1 AVG bilden kann, ist darum letztlich allein § 3 Abs 1 Buchst b BVG von Bedeutung; danach gilt als militärähnlicher Dienst der auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht geleistete Dienst. Hierzu hatte der 4. Senat in SozR Nr 56 zu § 1251 RVO schon entschieden, daß die Zeit des Dienstes in der SS-Verfügungstruppe vor Ausbruch des 2. Weltkrieges eine Ersatzzeit nach § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO sein könne, soweit die Angehörigen der entsprechenden Verbände für die unmittelbare Vorbereitung der Kriegsführung militärisch eingesetzt wurden und dabei einem Wehrmachtsbefehlshaber unterstanden. Insbesondere mit Rücksicht auf die enge Befehlsverbindung von Wehrmachts- und Waffen-SS-Einheiten im Kriege hat derselbe Senat dann in einem weiteren Urteil (BSGE 49, 170, 172, 173 = SozR 2200 § 1251 Nr 73) den Dienst von Angehörigen der bewaffneten SS während des Kriegseinsatzes ohne weitere Einschränkung als auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht geleistet angesehen (s auch Urteil vom 29. November 1979 - 4 RJ 113/78 -, nicht veröffentlicht). Dem hat der 1. Senat des BSG sich angeschlossen (Urteil vom 1. Juni 1982 - 1 RJ 2/80 -, Urteil vom 26. Januar 1982 - 1 RA 31/81 -, beide zur Veröffentlichung vorgesehen). Für Zwecke der Wehrmacht gilt dabei eine Dienstleistung für erbracht, wenn mit ihr etwas getan wurde, was die Wehrmacht als Aufgabe hätte übernehmen müssen (SozR Nr 11 zu § 3 BVG; Mitt.RuhrKn 1960, 198; s auch SozR 2200 § 1251 Nr 93). Diesen Gedanken hat der 4. Senat in BSGE 49, 170 ff auf die Formel gebracht, wer als Angehöriger der Waffen-SS während des 2. Weltkrieges einen Dienst geleistet habe, der sonst, wenn es diese Verbände nicht gegeben hätte, von einem Soldaten der Wehrmacht geleistet worden wäre, habe jedenfalls in der Regel militärähnlichen Dienst geleistet (Leitsatz zu BSGE 49, 170). Dem tritt der erkennende Senat, wie vor ihm schon der 1. Senat des BSG (s oa Urteile vom 1. Juni 1982 und 26. Januar 1983), im Grundsatz bei. Die genannte Formel erscheint auch ihm bei Angehörigen der Waffen-SS eine brauchbare Hilfe für die Anwendung des § 3 Abs 1 Buchst b BVG, sofern dabei bedacht wird, daß immer das Gesetz selbst (§ 3 Abs 1 Buchst b BVG) und nicht die von der Rechtsprechung entwickelte Formel auszulegen ist.
Wie aus den Ausführungen des 4. Senats in BSGE aaO zu entnehmen ist, versteht sich die Dienstleistung als Waffen-SS-Angehöriger für Zwecke der Wehrmacht in erster Linie als Fronteinsatz. Damit ist der Dienstbereich des Soldaten indes nicht ausgeschöpft. So führt die Entscheidung auf S 174 denn auch die Ausbildung, die Grenzsicherung, den Lazarettaufenthalt und die Zugehörigkeit zu einer Genesendenkompanie auf, die in dem betreffenden Fall eine Rolle spielten; sie geht ferner auf eine Tätigkeit im Rüstungsbetrieb ein. Hierzu meint der 4. Senat aaO, auch die Ausbildung habe, wie Lazarett, Genesungszeit und Grenzsicherung dem Dienst als Soldaten entsprochen; bei der Rüstungsarbeit komme es allerdings auf die Einzelumstände an. Der 1. Senat des BSG hat, nachdem der 4. Senat zuvor klargestellt hatte, daß er Gegenteiliges - in 4 RJ 113/78 - keineswegs habe sagen wollen, im Urteil vom 1. Juni 1982 aaO die Zeit in einer Ausbildungseinheit der Waffen-SS nicht für einen militärähnlichen Dienst gehalten; da ihn dieses Ergebnis in dem ihm vorliegenden Falle nicht befriedigte, hat er jedoch wegen des dort nach der Ausbildung durchgängig verrichteten Kriegsdienstes im Wege der analogen Anwendung von § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO (§ 28 Abs 1 Nr 1 AVG) ausnahmsweise auch die Ausbildung als militärähnlichen Dienst behandelt.
Diese zu Dienstleistungen von Angehörigen der Waffen-SS für Zwecke der Wehrmacht iS von § 3 Abs 1 Buchst b BVG iVm § 28 Abs 1 Nr 1 AVG von der Rechtsprechung entwickelten Gedanken können im Falle des Klägers zu keinem für ihn positiven Ergebnis führen. Der von ihm ab Juni 1942 geleistete Dienst diente nicht "Zwecken der Wehrmacht", sondern Zwecken der Waffen-SS; er wäre, wenn es die Verbände der Waffen-SS nicht gegeben hätte, nicht von Soldaten der Wehrmacht geleistet worden. Zwar ist dem LSG darin zuzustimmen, daß die Aufgaben der Fürsorge- und Versorgungsämter SS denen der Wehrmachtsfürsorge- und -versorgungsämter entsprachen. Aus einer solchen Vergleichbarkeit der Dienstleistung läßt sich jedoch die Anwendung des § 3 Abs 1 Buchst b BVG nicht rechtfertigen. Das Wehrmachtsfürsorge- und -versorgungsgesetz (WFVG) vom 26. August 1938 (RGBl I 1077) wies den Wehrmachtsfürsorge- und -versorgungsämtern in Abschnitt II die Dienstzeitfürsorge und -versorgung und in Abschnitt III die Beschädigtenfürsorge und -versorgung für die Soldaten der Wehrmacht zu. Die gleichen Aufgaben hatten gem § 201 Abs 1 WFVG und den am 10. November 1938 (RGBl I 1607) hierzu erlassenen Durchführungsbestimmungen die Fürsorge- und Versorgungsdienststellen der SS für die Angehörigen der Waffen-SS. Ihre Aufgaben umschlossen zunächst den in Abschnitt II des WFVG geregelten gesamten Bereich der Dienstzeitfürsorge und -versorgung für diese; das war ein Bereich, der niemals Aufgabe der Wehrmacht sein konnte, und darum ohne die SS-Dienststellen nicht von Angehörigen der Wehrmacht wahrzunehmen gewesen wäre. Im weiteren konnte es auch ohne die SS-Dienststellen nicht der Wehrmacht obgelegen haben, die in Abschnitt III geregelte Beschädigtenfürsorge und -versorgung für alle Angehörigen der Waffen-SS zu übernehmen, gleichwohl bei welchem Dienst die Beschädigung entstand; ein Fall der Versorgung dieses Personenkreises durch Angehörige der Wehrmacht wäre nur im Rahmen von § 68 WFVG denkbar gewesen, der Zivilpersonen ua bei Dienstleistungen auf Ersuchen eines Befehlshabers der Wehrmacht im Falle einer Dienstbeschädigung dieselbe Fürsorge und Versorgung wie den Soldaten gewährt. Angesichts der übrigen Aufgaben könnte es sich dabei indes nur um einen, die Gesamtaufgaben jedenfalls nicht prägenden Teilbereich gehandelt haben. Die Tätigkeit des Klägers im Innendienst von SS-Fürsorge- und Versorgungsämtern kann somit im Gegensatz zu dem vorangegangenen Fronteinsatz nicht als ein für Zwecke der Wehrmacht geleisteter Dienst angesehen werden.
Kommt hiernach eine Vormerkung der in den SS-Fürsorge- und Versorgungsdienststellen verbrachten Zeit als Ersatzzeit in unmittelbarer Anwendung von § 28 Abs 1 Nr 1 AVG nicht in Betracht, so entfällt schließlich eine analoge Anwendung iS der Entscheidung des 1. Senats aaO deshalb, weil es sich hier nicht um eine Dienstleistung handelte, die nur für einen im übrigen geleisteten Fronteinsatz Bedeutung hatte, wie die im Falle des 1. Senats zu beurteilende Ausbildung.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen