Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Zumutbarkeit einer Vermögensverwertung (Haus und Grundbesitz) bei Beurteilung der Bedürftigkeit als einer Voraussetzung des Anspruchs auf Elternrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Normenkette
RVO § 593 Fassung: 1924-12-15; BSHG § 88 Abs. 2 Nr. 7 Fassung: 1961-06-30, Abs. 3 S. 1 Fassung: 1961-06-30
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 28. September 1965 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der im Jahre 1941 geborene Sohn der Klägerin war vor seinem Tod als Zimmermann mit einem monatlichen Durchschnittsverdienst von 400,- DM beschäftigt. Er verunglückte am 27. März 1962 auf der Heimfahrt von der Arbeit mit dem Motorrad tödlich. Nach dem Willen der Eltern sollte er einmal das väterliche Zimmereigeschäft übernehmen.
Der Vater war am 4. April 1960 gestorben. Das zu seinen Lebzeiten errichtete, im Jahre 1954 fertiggestellte Haus, in dem sich zwei Wohnungen befinden, hat einen Einheitswert von 8.300,- DM. Nach der Auskunft des Amtsvorstehers der Gemeinde W vom 18. September 1962 hatte es damals einen Bau- und Verkehrswert von 60.000,- bis 70.000,- DM. Auf dem Haus lasten Hypothekenschulden, die am 30. Juni 1962 16.267,13 DM und 2.025,82 DM betrugen. Die Darlehen wurden dem Ehemann der Klägerin als Pflichtversicherten in der Handwerkerversorgung von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gewährt. Die vierteljährlichen Zins- und Tilgungsbeträge belaufen sich auf 323,48 DM und 76,52 DM. An Grundsteuern waren in den ersten 10 Jahren nach Errichtung des Hauses jährlich 10,56 DM, an Feuerversicherung jährlich 55,10 DM zu zahlen. Das Haus sowie ein Gartengrundstück von 400 qm standen im Miteigentum der Eheleute. Der Ehemann der Klägerin wurde von dieser, dem später verunglückten Sohn sowie einer Tochter in gesetzlicher Erbfolge beerbt. Nach dem Tode ihres Ehemannes wickelte die Klägerin die auf dem Geschäft ruhenden Lasten ab. Ende März 1962 war ein Geschäftskredit der Kreissparkasse O in Höhe von 3.582,70 DM noch nicht abgedeckt. Vom Gläubiger wurde nachgelassen, diese Schuld nach bestem Können zu tilgen. Die Klägerin zahlt sie in monatlichen Raten von 30,- DM ab.
Die Klägerin führte auch nach dem Tode ihres Ehemannes mit ihren beiden Kindern in der einen Wohnung des Hauses einen gemeinsamen Haushalt. Durch Vermietung der anderen Wohnung nebst Garage nahm sie monatlich 120,- DM ein. Der Sohn steuerte nach dem Vorbringen der Klägerin bis auf ein Taschengeld seinen gesamten Verdienst zum gemeinsamen Haushalt bei. Die als Bürogehilfin tätige Tochter, die nach dem Tod ihres Bruders heiratete und nun die andere Wohnung im Haus bewohnt, gab der Mutter ihren Monatsverdienst von 230,- DM ab. Dieser Betrag wurde nach den Angaben der Klägerin allein für die Tochter verwendet, nämlich für Kost und Kleidung, für das Fahrgeld zur Arbeitsstätte, für ein Taschengeld sowie für die Aussteuer. Die Klägerin bezog seit dem 1. Januar 1962 Witwenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter von monatlich 135,40 DM. Nach der Bescheinigung des prakt. Arztes Dr. Z vom 2. November 1962 ist die im Jahre 1909 geborene Klägerin nur zur Hälfte arbeitsfähig. Einer Erwerbstätigkeit geht sie nicht nach.
Die Beklagte versagte durch Bescheid vom 26. Oktober 1962 die begehrte Elternrente. Zur Begründung führte sie aus, daß die Klägerin im Zeitpunkt des Todes ihres Sohnes nicht bedürftig gewesen sei, weil ihr damals, unter Berücksichtigung der Darlehenszahlungen, außer dem Unterhaltsbeitrag des Verunglückten an Einkünften die Witwenrente, der Mietwert der eigenen Wohnung, die Mieteinnahmen und das Einkommen der Tochter zur gemeinsamen Haushaltsführung zur Verfügung gestanden hätten.
Das Sozialgericht für das Saarland hat durch Urteil vom 10. November 1964 die Klage abgewiesen, weil das Gesamteinkommen der Klägerin und ihrer Tochter, abzüglich der Lasten, im Zeitpunkt des Todes des Sohnes mehr als das 1 1/2fache des Fürsorgerichtsatzes (79,- DM für die Klägerin, 65,- DM für die Tochter) betragen habe.
Das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland hat durch Urteil vom 28. September 1965 die Entscheidung des Erstgerichts sowie den Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, der Klägerin Elternrente zu gewähren.
Zur Begründung hat es ausgeführt: Im Zeitpunkt des Todes ihres Sohnes habe sich das Einkommen der Klägerin aus der Witwenrente und den Mieteinnahmen zusammengesetzt. Dem müsse der Mietwert der Wohnung im eigenen Haus hinzugerechnet werden. Dieser sei, da die gleichgroße vermietete Wohnung mit Garage 120,- DM (90,- und 30,- DM) erbracht habe, mit 90,- DM anzusetzen. Von diesen Einnahmen habe der Klägerin aber nur ihre Rente voll zugestanden. Nach dem Tode ihres Ehemannes habe sie dessen Miteigentumsanteil an Haus und Grundstück zur Hälfte (= 4/16), die andere Hälfte hätten die beiden Kinder anteilig geerbt (je 2/16). Das Erbteil des Sohnes sei nach dessen Tod zu gleichen Hälfteanteilen auf die Klägerin und deren Tochter übergegangen. Jener gehörten sonach 13/16, dieser 3/16 von Haus und Grundstück. Von den Mieteinnahmen aus dem Haus hätten der Klägerin somit 97,50 DM, vom Mietwert der Wohnung im eigenen Haus 73,10 DM zugestanden. Aus dem Gartengrundstück würden, stelle man den daraus gewonnenen Erträgen die Ausgaben für Pflanzen, Düngemittel usw. gegenüber, nach allgemeiner Erfahrung keine Erlöse erzielt. Der Verdienst der Tochter könne, auch wenn ihn die Klägerin vereinnahmt habe, nicht als deren Einkommen betrachtet werden. Die Tochter sei zu einer Unterhaltsleistung an ihre Mutter nicht in der Lage und somit rechtlich dazu nicht verpflichtet gewesen. Von dem Verdienst von 230,- DM hätten die Kosten für die Fahrt zur Arbeitsstätte von monatlich 27,- DM, das Taschengeld von monatlich 20,- DM sowie ihr Lebensunterhalt und die Anschaffungen für die bevorstehende Heirat bestritten werden müssen. Aus dem Verdienst der Tochter seien der Klägerin somit keine wesentlichen Beträge zugeflossen. Das Grundvermögen, das den einzigen erheblichen Vermögenswert der Klägerin darstelle, müsse bei der Prüfung, ob die Klägerin bedürftig sei, außer Betracht bleiben. Die Klägerin würde angesichts ihres Alters und der Höhe der auf dem Grundstück lastenden Schulden bei einem Verkauf des Hauses von dem verbleibenden Erlös nur eine verhältnismäßig kurze Zeit leben können. Auf Grund der Bescheinigung des prakt. Arztes Dr. Z des in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin gewonnenen persönlichen Eindrucks sowie des Umstandes, daß sie in einer ländlichen Gegend wohne, sei die Klägerin nicht in der Lage, aus eigener Erwerbstätigkeit ins Gewicht fallende Einkünfte zu erzielen. Den Einnahmen hätten im Zeitpunkt des Todes ihres Sohnes monatliche Belastungen von insgesamt 162,72 DM gegenübergestanden (Darlehensschulden an die BfA 108,- und 19,13 DM sowie an die Kreissparkasse O. 30,- DM, Feuerversicherung 4,70 DM, Grundsteuer 0,89 DM). Für das Wohnhaus habe die Klägerin nach ihren Angaben seitdem keine wesentlichen Ausgaben mehr aufgewendet; die Kosten für ein Geländer und sonstige Verbesserungen habe sie aus dem Verkaufserlös von Maschinen bestritten, die zum Geschäft ihres Mannes gehört hätten. Ihre Aufwendungen für eine Hausratsversicherung und sonstige Grundstücksnebenabgaben seien auf die Bedürftigkeit ohne Einfluß, weil es sich insoweit um Ausgaben des täglichen Lebens handele. Die Ausgaben der Klägerin in Höhe von 162,72 DM seien, wenn man auf die Eigentumsverhältnisse abstelle, in Höhe von 132,21 DM zu berücksichtigen; diesem Betrag seien Einnahmen in Höhe von 306,- DM gegenüberzustellen. Gehe man dagegen davon aus, daß der Klägerin tatsächlich die Einnahmen voll zukämen und sie die Ausgaben allein trage, stünden einem Einkommen von 345,40 DM Ausgaben von 162,72 DM gegenüber. In diesen Unterschiedsbeträgen von 173,79 DM (Berücksichtigung der Eigentumsverhältnisse) und 182,68 DM (tatsächliches Verhältnis) sei aber auch der Mietwert der Wohnung im eigenen Haus enthalten. Da dieser der Klägerin in Geld nicht zur Verfügung stehe, seien in Wirklichkeit für ihren Lebensunterhalt nur 92,68 DM vorhanden. Die Klägerin befinde sich damit zwar nicht in einer unmittelbaren Notlage; ihre tatsächlichen Einkünfte ermöglichten ihr jedoch nur eine Lebensführung in der Nähe des Existenzminimums. Wegen der abseitigen Lage des Wohnorts der Klägerin und den gegebenen ländlichen Verhältnissen würde die Vermietung eines Zimmers ihrer Wohnung, falls dies überhaupt möglich sei, keinen nennenswerten Erlös erbringen. Angesichts dieser Einkommensverhältnisse der Klägerin sei als erwiesen anzusehen, daß ihr Sohn sie wesentlich aus seinem Arbeitsverdienst unterhalten habe, wenngleich wesentliche Teile dieses Verdienstes für den Lebensunterhalt des Sohnes und dessen sonstige Bedürfnisse verwendet worden seien. Durch den Wegfall der Unterstützung des Sohnes werde die auskömmliche Lebenshaltung der Klägerin gefährdet. Deren Bedürftigkeit bestehe nach wie vor. Zwar habe sich inzwischen ihre Witwenrente erhöht; es seien aber auch die Grundsteuer und die Lebenshaltungskosten gestiegen, so daß sich insgesamt keine Änderung ergeben habe.
Das LSG hat die Revision zugelassen wegen der von ihm als grundsätzlich angesehenen Frage, ob bei den festgestellten Einkünften Bedürftigkeit vorliege.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und diese durch ihren Prozeßbevollmächtigten im wesentlichen wie folgt begründet: Das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, welchen Betrag der verstorbene Sohn der Klägerin im Monat als Unterhaltsleistung gegeben habe; insoweit habe das LSG seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verletzt. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte es festgestellt, daß in unserer heutigen, gewiß nicht allzu sparsamen Zeit der verstorbene Sohn, schon um es seinen Arbeitskollegen gleichtun zu können, im Monat mindestens 200,- DM für sich behalten habe, so daß angenommen werden könne, daß er etwa ebensoviel wie seine Schwester zum gemeinschaftlichen Haushalt beigetragen habe. Für diesen ergebe sich unter Berücksichtigung der Rente der Klägerin, der Mieteinnahmen und des Wertes des Wohnens im eigenen Haus eine Summe von monatlich 775,40 DM. Die Vorinstanz habe allerdings verfahrenswidrig unterlassen, die genaue Summe zu ermitteln. Auf jede der im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen entfalle somit ein Verbrauch im Betrag von etwa 260,- DM. Die beiden Kinder hätten also mehr verbraucht, als sie selbst beigesteuert hätten. Gehe man davon aus, daß der Sohn seinen vollen Arbeitsverdienst abgegeben habe, erhöhe sich die in den gemeinsamen Haushalt fallende Summe zwar auf 975,40 DM und steigere sich der Verbrauch des einzelnen Familienmitglieds auf 325,- DM. Der verstorbene Sohn habe in diesem Fall zum gemeinsamen Haushalt 75,- DM mehr beigetragen, als er selbst verbraucht habe. Dieser Betrag stelle aber nicht wenigstens die Hälfte des Unterhalts dar, den die Klägerin aus der gemeinschaftlichen Haushaltsführung bezogen habe. In Wirklichkeit vermindere sich dieser Betrag auf 35,- DM, weil von dem der Klägerin zuzurechnenden Anteil am Verbrauch des gemeinschaftlichen Haushalts ihr Anteil an den von ihrem Ehemann herrührenden Schulden abzuziehen sei. Ein Unterhaltsbetrag in Höhe von 35,- DM sei nicht wesentlich. Bei einem Reineinkommen von 180,- DM im Monat könne man jemanden, der zu 3/4 Eigentümer eines Wohnhauses sei, nicht als bedürftig im Sinne des § 593 der Reichsversicherungsordnung (in der bis zum 30. Juni 1963 geltenden Fassung - RVO aF) ansehen. Nach § 596 RVO, der vom Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) an maßgebend sei, müsse von diesem Zeitpunkt an berücksichtigt werden, daß der verstorbene Sohn vermutlich einmal geheiratet hätte, so daß die Klägerin mit Rücksicht auf die vorrangigen Unterhaltsansprüche der Ehefrau und der Kinder gegen ihren Sohn keinesfalls mehr einen Anspruch auf Unterhalt gehabt hätte.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das Wohngrundstück als solches sei für sie nicht von unmittelbarem wirtschaftlichen Vorteil, es koste sie vielmehr baulichen Erhaltungsaufwand. Neben Unterhaltsleistungen in bar habe sie der handwerklich ausgebildete Sohn noch dadurch unterstützt, daß er notwendige Ausbesserungen im Haus vorgenommen habe und dies auch in Zukunft getan hätte. Nach dem Tod ihres Ehemannes sei der Sohn der Haupternährer der Familie gewesen. Gegenüber dessen Unterhaltsbeitrag von 400,- DM seien die ihr - der Klägerin - monatlich zufließenden Einkünfte an Rente und Mieteinnahmen in Höhe von 255,40 DM wesentlich geringer.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden; die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegen vor.
Die Revision ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Das Berufungsgericht ist - entgegen der Ansicht der Beklagten - zutreffend davon ausgegangen, daß in der vorliegenden Streitsache § 593 RVO aF anzuwenden ist. § 596 RVO - i. V. m. Art. 4 § 2 Abs. 1 UVNG - findet nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG 25, 249) keine Anwendung, weil der Sohn der Klägerin bereits vor dem Inkrafttreten des UVNG gestorben ist.
Wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, setzt § 593 RVO aF voraus, daß die Klägerin an dem Tag, an dem sich der tödliche Unfall ihres Sohnes ereignet hat, bedürftig gewesen ist (RVO-Mitgl.Komm., Anm. 5 zu § 593; Schulte-Holthausen, Unfallversicherung, 4. Aufl., Anm. 6 zu § 593; Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl., Anm. 5 zu § 593 RVO aF; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15.5.1967, Band II, S. 590; Urteil des erkennenden Senats vom 21. Oktober 1958 - 2 RU 75/56).
Das LSG hat unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Klägerin im eigenen Haus wohnt, angenommen, daß sie auf Grund ihres am Unfalltag bestehenden Einkommens bedürftig gewesen ist. Diese Auffassung ist im Ergebnis zutreffend. Das Berufungsgericht ist allerdings davon ausgegangen, daß die von der Klägerin seinerzeit erzielte monatliche Mieteinnahme von 120,- DM nicht ausgereicht habe, um ihre Zahlungsverpflichtungen (Darlehnsschulden an die BfA und an die Kreissparkasse O., Gebäudefeuerversicherung, Grundsteuer) abzudecken, sie vielmehr auch noch einen Teil ihrer monatlichen Rente von 135,40 DM dazu habe, verwenden müssen. Indessen hat das LSG zu den von der Klägerin für das Haus aufzuwendenden Lasten auch die Darlehnstilgungsbeträge gerechnet. Dem Anspruch auf die sogenannte Elternrente liegt außer dem Entschädigungsprinzip jedoch der Gedanke zugrunde, daß es sich um den Ersatz für einen Unterhaltsanspruch nach bürgerlichem Recht handelt (so ausdrücklich die Materialien zu § 596 RVO, wiedergegeben bei Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 1 zu § 596; gleicher Ansicht: RVO-Gesamtkomm., Anm. 8 zu § 596). Es widerspricht aber dem Wesen des Unterhaltsbegriffs, durch Unterhaltsleistungen das Vermögen des Unterstützten zu vermehren. Bei einer Tilgungshypothek führen die - während des Tilgungszeitraumes allmählich höher werdenden - Tilgungsbeträge wirtschaftlich betrachtet zu einer Steigerung des Vermögens des Darlehnsnehmers. Die an die BfA zu zahlenden Tilgungsbeträge (im ersten Vierteljahr des Jahres 1962: 117, 19 und 51,20 DM) müssen daher unberücksichtigt bleiben (ähnliche Fragen stellen sich im Sozialhilferecht - § 3 der Regelsatzverordnung vom 20.7.62, BGBl I S. 515; siehe hierzu Gottschick, Komm. zum Bundessozialhilfegesetz, 3. Aufl., S. 121 sowie ZfF 1963, 190). Ob Zinsverpflichtungen, vor allem wenn sie eine erhebliche Verschuldung zur Folge haben, stets von den Einkünften abzusetzen sind, bedarf in der vorliegenden Streitsache dagegen keiner Entscheidung. Die Zins- und öffentlichen Lasten der Klägerin durch Haus- und Grundbesitz übersteigen den vom LSG als angemessen bezeichneten Wert des Wohnens im eigenen Haus nicht. Läßt man die Darlehnstilgungsbeträge unberücksichtigt, so bedeutet dies, daß der Klägerin am Unfalltag von den Mieteinnahmen noch ein Betrag von etwa 10,- DM verblieben ist und ihre Rente ihr voll für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung gestanden hat. Trotzdem war ihr Einkommen - auch wenn man die gegebenen ländlichen Verhältnisse sowie ferner berücksichtigt, daß sich ihre Lebenshaltung dadurch wirtschaftlicher gestaltet hat, daß sie im gemeinsamen Haushalt mit ihren Kindern gelebt hat - nach der Auffassung des Senats nicht so hoch, daß die Klägerin dadurch in der Lage gewesen wäre, sich einen auskömmlichen Lebensunterhalt zu verschaffen (vgl. die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, BSG 1, 184, 186; Urteile vom 21. Oktober 1958 - 2 RU 75/56 - und vom 30. Juni 1965 - 2 RU 67/62).
Im Hinblick auf die Unterhaltsersatzfunktion der Elternrente ist die Frage der Bedürftigkeit im Sinne von § 593 RVO aF indessen nicht allein nach der Höhe des Einkommens der Klägerin zu beurteilen. Darauf beschränkt sich auch der in anderen Rechtsgebieten verwendete Begriff der Bedürftigkeit nicht.
Nach § 1602 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist für die Unterhaltsberechtigung gegenüber einem in gerader Linie Verwandten ebenfalls Bedürftigkeit erforderlich (Staudinger, Komm. zum BGB, 10./11. Aufl., Rand-Nr. 2 zu § 1602; Palandt, Komm. zum BGB, Anm. 2 I zu § 1602); das Gesetz verwendet diesen Begriff zwar nicht, es umschreibt ihn vielmehr dahin, daß der Unterhaltsberechtigte außerstande sein muß, sich selbst zu unterhalten. Dasselbe gilt für Schadensersatzansprüche nach § 844 Abs. 2 BGB (Palandt, aaO, Anm. 4 zu § 844). § 17 Abs. 1 Nr. 5 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) schreibt hingegen - wie § 593 RVO aF - ausdrücklich vor, daß Verwandten der aufsteigenden Linie für die Dauer der Bedürftigkeit Hinterbliebenenrente zusteht. Nach der Rechtsprechung zu dieser - ebenfalls auf dem Entschädigungsgedanken beruhenden - Vorschrift stimmt der hier verwendete Begriff der Bedürftigkeit mit dem der §§ 844 und 1602 BGB überein (BGH, RzW 1957, 154 = FamRZ 1957, 120; RzW 1963, 113, 114; vgl. ferner Blessin/Giessler, Komm. zum Bundesentschädigungsschlußgesetz, 1967, Anm. III 5 zu § 17). Bedürftigkeit besteht danach nicht, falls und solange der Hinterbliebene von eigenem Vermögen leben kann; dieses ist erforderlichenfalls zu verwerten oder flüssig zu machen (BGH, RzW 1957, 154; 1964, 512 Nr. 22; Staudinger, aaO, Rand-Nr. 5 a, 14). Ebenso hat das RVO Bedürftigkeit im Sinne von § 593 RVO aF in einem Falle verneint, in dem Grundbesitz vorhanden war, dem eine Schuldenlast von einem Drittel seines Wertes gegenüberstand (BG 1917, 13 = ArbVers. 1917, 59). Bedürftig ist somit nicht, wer nach Wegfall der Zuwendungen eines Kindes infolge eines Arbeitsunfalls zwar aus seinen laufenden Einkünften nicht mehr auskömmlich leben kann, aber Vermögen in einem Ausmaß besitzt, daß er bei dessen Verwertung seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte (ebenso Vollmar, SozVers. 1950, 282, 284; Lauterbach aaO, Anm. 5 Abs. 2 § 593 RVO aF; ähnlich SozR Nr. 5 zu § 32 BVG, S. C a 2 Rückseite unten).
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BG 1966, 156), die sich mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (aaO) zu § 17 BEG sowie mit der zum Begriff der Bedürftigkeit nach § 1602 Abs. 1 BGB allgemein vertretenen Auffassung (Staudinger aaO, Rand-Nr. 15; Palandt, aaO, Anm. 2 I a zu § 1602) deckt, ist eine Vermögensverwertung allerdings nicht zumutbar, wenn der Lebensunterhalt aus dem Erlös nur eine verhältnismäßig kurze Zeit bestritten werden könnte. Der Senat hat dies in der von ihm entschiedenen Streitsache angesichts der besonderen Verhältnisse des Falles verneint. Er hat deshalb keine Veranlassung gehabt, darüber zu befinden, ob eine Vermögensverwertung etwa noch aus anderen Gründen rechtlicher Art unzumutbar gewesen ist.
Das Wohngrundstück mit dem im Jahre 1954 fertiggestellten Haus hatte ursprünglich im Miteigentum der Klägerin und ihres Ehemannes gestanden. Nach dessen Tod ist, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, dessen Hälfteanteil auf Grund gesetzlicher Erbfolge zur Hälfte auf die Klägerin und zu je einem Viertel auf die beiden Kinder übergegangen. Die Klägerin ist somit im Zeitpunkt des tödlichen Unfalls ihres Sohnes Miteigentümerin zu 3/4 gewesen.
Das Berufungsgericht meint nun, die Klägerin hätte aus dem durch eine Veräußerung ihres Besitztums erzielten Erlös angesichts ihres Alters und der auf dem Grundstück lastenden Schulden ihren Lebensunterhalt nur eine verhältnismäßig kurze Zeit bestreiten können. Es hat im angefochtenen Urteil nicht dargelegt, auf Grund welchen Denkvorgangs es zu diesem Ergebnis gelangt ist. Da es sich um eine Schlußfolgerung des LSG nach Wertung einzelner von ihm festgestellter Tatsachen handelt, ist der Senat daran nicht gebunden.
Die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen reichen jedoch nicht aus, um dem Senat eine Entscheidung zu ermöglichen, ob der Klägerin die Verwertung des im wesentlichen ihr gehörenden Haus- und Grundbesitzes zugemutet werden kann. Dies hängt u. a. von dessen Verkehrswert, aber auch davon wesentlich ab, ob durch die Verwertung ein angemessener Erlös erzielt werden könnte. Das LSG hat lediglich festgestellt, daß der Einheitswert des Wohngrundstücks auf 8.300,- DM festgesetzt ist. Daraus lassen sich jedoch auf den Bau- und Verkehrswert sowie auf den durch eine Verwertung etwa zu erzielenden Erlös keine sicheren Schlüsse ziehen. Über den Verkehrswert des Grundstücks befindet sich in den Akten der Beklagten zwar eine Auskunft des Gemeindeamtsvorstehers, der ihn auf 60 bis 70.000,- DM geschätzt hat. Hierzu haben sich aber weder die Beteiligten geäußert noch enthält das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts Ausführungen darüber, ob es diese Schätzung für zutreffend hält. Eine tatsächliche Feststellung des Berufungsgerichts liegt also insoweit nicht vor.
Das LSG wird ferner zu erwägen haben, ob einer Verwertung des Vermögens der in § 88 Abs. 2 Nr. 7 und Abs. 3 Satz 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) zum Ausdruck gelangte Rechtsgedanke entgegensteht. Der Senat trägt keine Bedenken gegen eine entsprechende Anwendung des Grundgedankens dieser Vorschriften, obwohl er nicht in einer Norm des Sozialversicherungsgesetzes enthalten ist. Dies schließt jedoch, da sowohl das Sozialversicherungsrecht als auch das Recht der Sozialhilfe zum Sozialrecht im weiteren (umfassenderen) Sinne gehören, nicht aus, Rechtsgedanken sozialpolitischer Art, insbesondere solche, welche in einem neueren Gesetz - wie dem BSHG - zum Ausdruck gekommen sind, im Recht der Sozialversicherung entsprechend anzuwenden, falls dessen Grundsätze nicht entgegenstehen. Dies trifft auf § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG, der die Verwertung eines kleinen Hausgrundstücks, besonders eines Familienheims, ausschließt, wenn der Berechtigte das Hausgrundstück allein oder zusammen mit Angehörigen, denen es nach seinem Tode weiter als Wohnung dienen soll, ganz oder teilweise bewohnt, ebensowenig zu, wie auf § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG, der eine Vermögensverwertung nicht zuläßt, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Die entsprechende Anwendung dieser Grundsätze in der gesetzlichen Unfallversicherung ist um so mehr geboten, als durch die Sozialhilfe grundsätzlich der notwendige Lebensunterhalt des Hilfesuchenden sichergestellt werden soll (§§ 11, 12 BSHG), während nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG 1, 184, 186) - im Unterschied hierzu - durch einen Arbeitsunfall ihres Ernährers beraubten Eltern ihre auskömmliche Lebenshaltung durch Gewährung einer Entschädigung erhalten bleiben soll.
Ob das von der Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls zusammen mit ihren Kindern bewohnte Hausgrundstück nach § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG als "klein" anzusehen ist, ist nach seiner räumlichen Ausdehnung und seinem Wert unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zu beurteilen. Dies gilt auch für den Fall, daß es sich um ein - in dieser Vorschrift besonders genanntes - Familienheim (siehe §§ 7, 9 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes - II. WoBauG -) handelt. Es darf, wie sich aus Wortlaut und Zweck des Gesetzes ergibt, nur ein kleines Familienheim sein. Die Wohnflächengrenzen des § 39 II. WoBauG bieten hierbei keine absoluten Anhaltspunkte, weil die Wohnflächengrenzen des sozialen Wohnungsbaues lediglich Höchstgrenzen sind.
Ob eine Vermögensverwertung eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG darstellt, ist auch zu prüfen, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 Nr. 7 dieser Vorschrift nicht gegeben sind. Dies ergibt sich daraus, daß jene Vorschrift sich auf das Gesamtvermögen bezieht, also das sogenannte schonungsbedürftige Vermögen nach § 88 Abs. 2 BSHG mit erfaßt (siehe auch BVerwG 23, 149, 158 ff; OVG Rheinland-Pfalz, Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte, Band 14, S. 433, 435). Es liegt nahe, daß die Frage, ob eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG vorliegt, nur unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles entschieden werden kann. Im Falle der Klägerin wäre etwa zu bedenken, welche Möglichkeiten eines anderweitigen Unterkommens bei einem Hausverkauf gegeben wären, wieviel sie dafür aufzuwenden hätte und wie sich der Verlust ihres Nutzgärtchens auf ihre Lebenshaltung auswirken würde. Ferner wird zu prüfen sein, ob etwa das gesundheitliche Befinden der Klägerin es erforderlich macht, daß sie bei oder in der Nähe ihrer Tochter wohnt. Neben Gesichtspunkten wirtschaftlicher und persönlicher Art wird gegebenenfalls auch zu erwägen sein, welche rechtlichen Folgerungen sich unter Umständen daraus ergeben könnten, daß das Hausgrundstück sich nicht im Alleineigentum der Klägerin befindet.
Da die Feststellungen des LSG für eine Entscheidung des Senats in der Sache nicht ausreichen, war das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Urteil des Berufungsgerichts vorbehalten.
Fundstellen
BSGE, 163 |
DVBl. 1969, 967 |