Orientierungssatz
Aus eigener Versicherung bezogene Sozialversicherungsrenten werden zu den Erträgnissen aus einer Erwerbsfähigkeit iS des EheG § 58 Abs 1 Halbs 2 (Fassung: 1946-02-20) und des RVO § 1265 S 2 Nr 1 RVO (Fassung: 1965-06-09) gerechnet.
Normenkette
EheG § 58 Abs. 1 Hs. 2 Fassung: 1946-02-20; RVO § 1265 S. 2 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09; RKG § 65 S. 2 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. Mai 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Unter den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin eine Witwenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes (Versicherter) zusteht. Die Ehe der Klägerin wurde am 17. Januar 1940 aus überwiegendem Verschulden des Ehemannes geschieden. Der Versicherte verstarb am 10. April 1969, eine Witwe ist nicht vorhanden. Zur Zeit seines Todes bezog der Versicherte von der Beklagten Knappschaftsruhegeld, das im Jahre 1968 monatlich 689,-- DM und im Jahre 1969 monatlich 736,20 DM betrug. Die Klägerin verdiente bis Ende April 1968 als Verwaltungsangestellte 773,10 DM netto, ab 1. Mai 1968 bezieht sie ein vorgezogenes Altersruhegeld aus der Angestelltenversicherung, das mit Bescheid vom 5. Juli 1968 auf monatlich 416,80 DM festgestellt wurde. Außerdem erhält sie nach ihren Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) am 6. Mai 1971 aus der Zusatzversicherung eine monatliche Rente von etwa 200,-- DM.
Den Antrag auf Geschiedenen-Witwenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. November 1969 ab. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 1970 zurückgewiesen. Hiergegen erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Koblenz, die mit Urteil vom 15. Januar 1971 abgewiesen wurde. Die dagegen eingelegte Berufung wies das LSG Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 6. Mai 1971 zurück. In der Begründung führte das LSG aus, die Klägerin habe vorgetragen, sie habe im März 1939 beim Landgericht in Koblenz einen Unterhaltstitel gegen den Versicherten erwirkt, der den Versicherten zur Zahlung von monatlich 40,-- RM Unterhalt verpflichtet habe. Hierbei habe es sich aber offensichtlich um eine einstweilige Anordnung über eine Unterhaltsregelung für die Dauer des Ehescheidungsverfahrens gehandelt, aus der die Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten nicht mehr habe vollstrecken können. Der Versicherte habe der Klägerin auch im letzten Jahr vor seinem Tod keinen Unterhalt gezahlt. Zwar habe diese behauptet, sie habe von ihm immer dann 40,-- RM monatlich Unterhalt erhalten, wenn er nicht gerade wegen eines Sanatoriumsaufenthalts für sich selbst erhöhte Aufwendungen gehabt habe, wobei die letzte Unterhaltszahlung etwa im Sommer 1968 erfolgt sei, jedoch seien diese Unterhaltszahlungen nicht nachzuweisen. Im übrigen würden aber Unterhaltsleistungen im letzten Jahr vor dem Tod auch nur dann vorliegen, wenn sie während des vollen Jahreszeitraumes geleistet worden wären. Auch nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) vom 20. Februar 1946 sei der Versicherte zur Unterhaltsleistung nicht verpflichtet gewesen, weil die Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten nicht unterhaltsbedürftig gewesen sei. Der mit Wirkung vom 1. Juli 1965 durch das Rentenversicherungs- Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 neu angefügte Satz 2 des § 65 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) bringe für die Klägerin keinen Rechtsvorteil, denn ein Unterhaltsanspruch gegen den früheren Ehemann habe deshalb nicht bestanden, weil sie den ihr nach den früheren ehelichen Lebensverhältnissen angemessenen Unterhalt aus eigenen Einkünften habe bestreiten können. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.
Die Klägerin rügt mit der von ihr eingelegten Revision, das Berufungsgericht habe es unterlassen, sie auf die Möglichkeit einer eidlichen Parteivernehmung nach § 448 der Zivilprozeßordnung (ZPO) hinzuweisen. Wäre das geschehen, hätte sie zu der Frage vernommen werden können, ob ihr der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode tatsächlich Unterhalt geleistet habe. Außerdem habe ein Unterhaltsanspruch nach den Vorschriften des EheG bestanden. Selbst wenn man die Rentenbezüge als einen Ertrag einer Erwerbstätigkeit im Sinne des § 58 des EheG ansehen wollte, so seien diese mit nur 416,80 DM so gering, daß sie hiervon ihren Lebensunterhalt nicht habe bestreiten können. Auch aus sonstigen Gründen habe der Versicherte Unterhalt zu leisten gehabt, denn ein Unterhaltstitel habe vorgelegen. Es könne ihr nicht zur Last gelegt werden, daß die diesbezüglichen Unterlagen in den Jahren 1944 und 1945 durch Bombeneinwirkungen beim Amtsgericht zerstört worden seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. Mai 1971 und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 15. Januar 1971 und den Bescheid der Beklagten vom 6. November 1969 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 1970 aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes ab 1. Mai 1969 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht ist der Beweis für eine Unterhaltsleistung des Versicherten im letzten Jahr vor dessen Tode nicht zu erbringen gewesen und habe auch nicht durch eine Parteivernehmung erbracht werden können. Im übrigen wäre ein Betrag von monatlich 40,-- DM auch keine ausreichende Unterhaltszahlung gewesen. Auch das Vorhandensein eines vollstreckbaren Titels habe nicht erwiesen werden können. Im übrigen hätte der Versicherte einen solchen Titel zur Zeit des Todes nach den Grundsätzen der §§ 327, 767 ZPO beseitigen können. Schließlich habe auch kein Anspruch nach § 58 Abs 1 des EheG 1946 bestanden, weil die Klägerin ihren angemessenen Unterhalt durch eine zumutbare Erwerbsarbeit selbst habe sicherstellen können. Da eine Rente Lohnersatzfunktion habe, trete sie bei der Anwendung des § 58 Abs 1 EheG an die Stelle von Einkünften aus einer Erwerbstätigkeit.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat im Urteil vom 6. Mai 1971 die Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen, denn ihr stand im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG kein Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes zu.
Einer früheren Ehefrau eines Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden worden ist, wurde nach dessen Tod nach § 65 RKG in der vom 1. Juli 1965 bis zum 31. Dezember 1972 gültig gewesenen Fassung unter folgenden Voraussetzungen Rente gewährt:
1. Wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte oder
2. wenn ihr der Versicherte aus sonstigen Gründen zur Zeit seines Todes Unterhalt zu leisten hatte oder
3. wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat.
Wenn nach dem Tode des Versicherten keine Witwenrente zu zahlen war, war eine Rente auch dann zu zahlen, wenn die Unterhaltsverpflichtungen nach den Vorschriften des EheG nur wegen der Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht bestanden haben (§ 65 Satz 2 RKG).
Nach den Vorschriften des EheG hatte der Versicherte zur Zeit seines am 10. April 1969 eingetretenen Todes keinen Unterhalt zu leisten. Nach § 58 Abs 1 EheG hat er allein oder überwiegend für schuldig erklärte Mann der geschiedenen Ehefrau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichten. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, daß "der nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessene Unterhalt" sich nach den Lebensverhältnissen zur Zeit der Scheidung richtet. Weiterhin hat das LSG zutreffend angenommen, daß eine aus eigener Versicherung bezogene Sozialversicherungsrente, die die aufgrund des Versicherungsfalles ausgefallenen Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit ersetzen soll, an die Stelle der Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit im Sinne des § 58 EheG tritt. Zu den Lebensverhältnissen der Eheleute zur Zeit der Scheidung hat das LSG aufgrund der Versicherungsunterlagen festgestellt, daß der Versicherte zur Zeit der Scheidung bei Außerachtlassung seiner Einberufung zum Kriegsdienst durchschnittlich etwa 425,-- RM monatlich verdient hat. Diese Feststellung ist ohne erkennbare Verfahrensfehler zustande gekommen. Das LSG ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der angemessene Unterhalt der Klägerin damals etwa 142,-- RM betragen hat und auch unter Berücksichtigung der zwischen der Scheidung bis zum 10. April 1969 eingetretenen allgemeinen Erhöhung der Lebenshaltungskosten im Zeitpunkt des Todes des Versicherten nicht mehr als 416,80 DM betragen habe. Da allein das Altersruhegeld der Klägerin 416,80 DM betragen hat, ergibt sich, daß ein Unterhaltsanspruch der Klägerin an den Versicherten nach den Vorschriften des EheG an dem eigenen Einkommen der Klägerin in Höhe von monatlich 416,80 DM gescheitert wäre, und zwar schon ohne Berücksichtigung ihrer Rente aus der Zusatzversorgung. Wenn aber der Unterhaltsanspruch nach dem EheG zur Zeit des Todes des Versicherten wegen der fehlenden Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin nicht gegeben war, konnte diese aus § 65 Satz 2 RKG in der bis zum 31. Dezember 1972 gültig gewesenen Fassung keine Rechte herleiten, denn diese Vorschrift griff nur ein, wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht bestanden hat.
Das LSG ist auch mit Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß der Versicherte der Klägerin nicht aus sonstigen Gründen zur Zeit seines Todes Unterhalt zu leisten hatte. Als ein solcher Grund kommt nach dem Vorbringen der Klägerin ein angeblicher Unterhaltstitel in Höhe von 40,-- RM in Betracht, dessen Unterlagen in den Jahren 1944 und 1945 beim Amtsgericht durch Kriegseinwirkung vernichtet sein sollen. Das Vorhandengewesensein eines solchen Titels konnte nicht hinreichend glaubhaft gemacht werden. Das Vorbringen der Klägerin spricht dafür, daß es sich um einen vor der Ehescheidung auf die Verhältnisse während der Ehe abgestellten, auf Unterhaltsleistung gerichteten Vollstreckungstitel behandelt hat, der kein "sonstiger Grund" im Sinne des § 65 Satz 1 RKG sein kann. Selbst wenn aber ein Unterhaltstitel für die Zeit nach der Scheidung vorgelegen hätte, wäre er kein sonstiger Grund im Sinne des § 65 Satz 1 RKG. Einmal ergibt sich aus einem nicht mehr auffindbaren Unterhaltstitel kein Vollstreckungsanspruch gegenüber dem Staat, so daß insoweit der Versicherte der früheren Ehefrau auch nicht "aus sonstigem Grund" Unterhalt zu leisten hatte (BSG in SozR Nr 23 zu § 1265 RVO), zum anderen wäre ein vollstreckbarer Unterhaltstitel "kein sonstiger Grund" mehr, wenn der Versicherte - wie hier - "zur Zeit seines Todes" die Wirkung des Titels nach den Grundsätzen der §§ 323, 767 ZPO hätte beseitigen können (SozR Nr 17 zu § 1265 RVO).
Schließlich konnte in dem Verfahren vor dem LSG auch nicht nachgewiesen werden, daß der Versicherte der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt in der Weise geleistet hat, daß sich seine Unterhaltszahlungen auf den vollen Jahreszeitraum vor seinem Tode erstreckt haben. Diesen Schluß läßt nicht einmal der Vortrag der Klägerin zu, nach welchem sie einen Unterhalt von 40,-- DM monatlich von dem Versicherten immer dann erhalten haben will, wenn dieser Einnahmen gehabt habe, wobei Zahlungsunterbrechungen eingetreten seien, wenn sich der Versicherte wieder in einem Sanatorium befunden habe.
Eine Parteivernehmung im Sinne der §§ 445ff ZPO konnte das LSG nicht vornehmen, weil diese Vorschriften im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit keine Anwendung finden (BSG in SozR Nr 1 zu § 445 ZPO). § 118 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) führt die die Parteivernehmung betreffenden Vorschriften nicht unter den als entsprechend anwendbaren Vorschriften über die Beweisaufnahme auf. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben in geeigneten Fällen den Sachvortrag der Beteiligten bei ihrer Überzeugungsbildung zu verwenden, wenn ihnen dieser glaubhaft erscheint (BSG in SozR Nr 2 zu § 445 ZPO). Das ist im vorliegenden Fall von dem LSG nicht verkannt worden.
Diese Entscheidung betrifft, da die für die Anwendung des § 65 RKG in der Fassung des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 erforderlichen, nach dem Schluß der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung eingetretenen Voraussetzungen nicht berücksichtigt werden können, nur den erhobenen Anspruch nach § 65 RKG in der bis zum 31. Dezember 1972 geltenden Fassung, über den das LSG entschieden hat. Die Beklagte wird daher der Klägerin noch einen Bescheid darüber zu erteilen haben, ob ihr ein Anspruch auf Geschiedenen-Hinterbliebenenrente ab 1. Januar 1973 nach § 65 RKG in der Fassung des Rentenreformgesetzes zusteht.
Fundstellen