Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung bei Gesamtschuldverhältnis
Orientierungssatz
Ist darüber zu befinden, ob der Unfallversicherungsträger den Kläger - Gründer einer GmbH - wegen einer Beitragsforderung in Anspruch nehmen darf, werden die Rechte des anderen Gesellschafters, der als beitragspflichtiger Unternehmer ggf als Gesamtschuldner in Betracht kommt, unmittelbar betroffen. Dieser ist notwendig beizuladen (§ 75 Abs 2 Alt 1 SGG).
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Alt 1 Fassung: 1953-09-03; BGB § 421 S 1, § 422 Abs 1 S 1, § 426 Abs 1 S 1; RVO § 728 Abs 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1978 bis 25. Oktober 1979 "nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten" ausgeführt hat und deshalb gemäß § 728 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 62 Abs 1 der Satzung der Beklagten für diesen Zeitraum das Vierfache des nach dem Gefahrtarif berechneten Beitrags zu zahlen hat.
Von April 1972 an betrieb der Kläger die Vermittlung von Versicherungen, Finanzierungen und Immobilien. Die Firma war im Gewerberegister eingetragen. Seit Anfang des Jahres 1978 erstellte er mit eigenen Arbeitskräften auch Mehrfamilienhäuser, ohne in der Handwerksrolle eingetragen zu sein. Gegen Ende des Jahres 1978 gründete er mit einem Maurermeister die Firma E. und S. Heimbau GmbH, die ebenfalls nicht in der Handwerksrolle und auch nicht im Handelsregister eingetragen wurde. Durch den Arbeitsunfall vom 31. Mai 1979 eines Beschäftigten dieser Firma wurde die Beklagte auf den Betrieb aufmerksam. Die Kreishandwerkerschaft G. hatte sich am 23. März 1979 an die Handwerkskammer gewandt und um Prüfung gebeten, ob vom Kläger Schwarzarbeit verrichtet werde. Die Handwerkskammer drohte daraufhin am 27. Juni 1979 dem Kläger schriftlich an, die Fortsetzung des Betriebes nach § 16 Abs 3 der Handwerksverordnung (HwO) untersagen zu lassen und wandte sich am 23. Oktober 1979 an das Ordnungsamt der Stadt G. mit der Bitte, dem Kläger die Fortsetzung des selbständigen Betriebes des Mauerhandwerks zu untersagen und ein Bußgeldverfahren einzuleiten. Dazu kam es jedoch nicht, nachdem der Kläger am 26. Oktober 1979 mit seiner Ehefrau die GSG Heimbau GmbH gegründet hatte, die am 14. April 1980 im Handelsregister und am 18. April 1980 in der Handwerksrolle eingetragen wurde. Mit Wirkung vom 26. Oktober 1979 wird die GSG Heimbau GmbH im Unternehmerverzeichnis der Beklagten geführt.
Durch Bescheid vom 9. April 1980 und weitere Bescheide vom 5. März 1981 setzte die Beklagte als vom Kläger zu zahlende Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1978 bis zum 25. Oktober 1979 einen Betrag von DM 18.881,39 fest. Sie legte dabei das Vierfache des nach dem Gefahrtarif berechneten Beitrages zugrunde, da der Kläger im fraglichen Zeitraum als Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten gegolten habe. Den Widerspruch wies die Beklagte zurück (Bescheid vom 12. Juni 1981). Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Detmold antragsgemäß die Beitragsbescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 1981 insoweit aufgehoben, als sie das Einfache des Beitragssatzes überschreiten (Urteil vom 15. September 1982). Nach der Auffassung des SG hat der Kläger auch in den Jahren 1978 und 1979 gewerbsmäßige Bauarbeiten verrichtet. Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 16. März 1983) und zur Begründung ua ausgeführt: Entscheidendes Merkmal einer gewerbsmäßigen Arbeit sei die Bestandsicherung (BSGE 30, 230, 235). Der fehlenden Eintragung in der Handwerksrolle komme zwar insoweit besondere Bedeutung zu, als in diesem Fall die Weiterführung des Baubetriebes jederzeit durch behördliche Maßnahmen verhindert werden könne. Es dürfe jedoch nicht übersehen werden, daß nahezu zeitgleich mit dem Erlaß des Bescheides vom 9. April 1980 eine Konsolidierung durch die vom Kläger zusammen mit seiner Ehefrau zur Durchführung der Bauarbeiten gegründete und am 14. April 1980 im Handelsregister, am 18. April 1980 in der Handwerksrolle eingetragene Nachfolgefirma der E. und S. Heimbau GmbH - GSG Heimbau GmbH - eingetreten sei. Damit seien die gegen den Kläger eingeleiteten bzw in Aussicht genommenen Maßnahmen als hinfällig angesehen worden; hierdurch sei der Bestand des Bauunternehmens letztlich gesichert gewesen, da die Weiterführung der Bauarbeiten nicht mehr durch behördliche Maßnahmen hätte verhindert werden können. Die Umstände, die eine Erhöhung des Beitrags auf das Vierfache rechtfertigen könnten, seien somit nicht mehr gegeben gewesen. Dies sei entscheidend. Müßten bei einer letztlich zu bejahenden Bestandsicherung für vorausgegangene Zeiten einer Gefährdung des Bestandes erhöhte Beiträge gezahlt werden, würde dies im Ergebnis zu einer Bestrafung führen, die jedoch nicht Zweck des § 728 Abs 3 RVO sei. Da auch andere nicht handwerks- oder gewerberechtliche, etwa finanzielle, persönliche oder sonstige Gründe, die eine jederzeitige Beendigung der Bautätigkeit des Klägers hätten befürchten lassen, nicht erkennbar seien, vielmehr das Unternehmen des Klägers auch heute noch bestehe, lägen keine weiteren Gründe vor, welche die Annahme der Bestandsicherung der Bautätigkeit in Frage stellten und die Forderung der Beklagten auf Entrichtung des vierfachen Beitragssatzes begründen könnten.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, es sei unzutreffend, daß das Unternehmen des Klägers heute noch bestehe. Die Immobilienfirma sei vielmehr im Jahre 1979 abgemeldet worden und habe mit der GSG Heimbau GmbH nichts zu tun. Der Zeitpunkt der vom LSG angenommenen Konsolidierung sei unerheblich, weil der Beitragsbescheid, wäre der Kläger seinen Anzeige- und Nachweispflichten (§§ 661, 741 RVO) nachgekommen, durchaus zu einem früheren Zeitpunkt hätte ergehen können. An der Bestandsicherung habe es im streitigen Zeitraum gefehlt, weil der Kläger nicht in der Handwerksrolle eingetragen gewesen sei und, da er in eigener Person die Voraussetzungen für eine Eintragung nicht erfüllt habe, die Gefahr der jederzeitigen Untersagung des Betriebes bestanden habe. Unter diesen Umständen sei der Kläger als Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten tätig gewesen.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des LSG vom 16. März 1983 und des SG vom 15. September 1982 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtenen Urteil für zutreffend und meint, die vorübergehende Bestandsunsicherheit eines Unternehmens begründe nicht die Verpflichtung zur Zahlung des erhöhten Beitrages nach § 728 Abs 3 RVO.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Nach den - insoweit allerdings nicht vollständigen - tatsächlichen Feststellungen des LSG muß in Betracht gezogen werden, daß der Maurermeister E. zum Verfahren notwendig beigeladen werden mußte (§ 75 Abs 2 Alternative 1 SGG). Dies ist von Amts wegen zu beachten (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1).
Die Beiladung ist nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG notwendig, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn die im Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines anderen unmittelbar eingreift (ständige Rechtsprechung: s ua BSG SozR 1500 § 75 Nrn 8, 15, 21 mwN).
Im vorliegenden Streit ist auf die Anfechtungsklage des Klägers darüber zu entscheiden, ob die Beklagte vom Kläger für das Jahr 1978 und für die Folgezeit bis zum 25. Oktober 1979 Beiträge und insbesondere das Vierfache des nach dem Gefahrtarif berechneten Beitrags fordern darf (§ 728 Abs 3 iVm § 62 Abs 1 der Satzung der Beklagten, §§ 723 Abs 1, 725 Abs 1 RVO). Nach den tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil hat der Kläger seit "etwa Anfang 1978" als Inhaber eines im Gewerberegister eingetragenen Maklerbüros mit dem Gewerbezweig "Vermittlung von Versicherungen, Finanzierungen, Immobilien" auch Mehrfamilienhäuser in einem nicht festgestellten Umfang errichtet und zu diesem Zweck sechs Arbeitnehmer eingestellt. Noch in demselben Jahr - "Ende 1978", s S 2 des Urteils - hat der Kläger jedoch mit dem Maurermeister E. die Firma E. und S. Heimbau GmbH "gegründet". Das LSG geht auf S 7 seines Urteils davon aus, daß im Namen dieser nicht im Handelsregister eingetragenen "GmbH" Bauarbeiten in dem hier streitigen Zeitraum ausgeführt worden sind. Dies hat auch der Kläger ua in seinem Schriftsatz vom 5. Februar 1982 vorgetragen (s auch den Widerspruchsbescheid, in dem die Beklagte ebenfalls auf die Gründung dieser GmbH hinweist). Über den Inhalt des zwischen dem Kläger und E. geschlossenen Vertrages sind Einzelheiten nicht festgestellt worden. Jedenfalls war E. aber als Gesellschafter vorgesehen (s Schriftsatz des Klägers vom 5. Februar 1982, S 2), so daß für Bauarbeiten, die im Namen der E. und S. Heimbau GmbH ausgeführt worden sind, auch er als beitragspflichtiger Unternehmer ggf als Gesamtschuldner (s BSG Urteil vom 20. Oktober 1983 - 2 RU 82/82 -) in Betracht kommt. Ein Gesamtschuldverhältnis setzt gemäß § 421 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Verpflichtung mehrerer Personen voraus, ein und dieselbe Leistung zu erbringen. Die Erfüllung der Leistung durch einen der Gesamtschuldner wirkt auch für die übrigen Schuldner (§ 422 Abs 1 Satz 2 BGB) und führt zur Ausgleichspflicht gegenüber dem Leistenden (§ 426 Abs 1 Satz 1 BGB). Demzufolge begründete nach den bisher vom LSG getroffenen Feststellungen die Klageerhebung des Klägers die Gefahr für E., durch die Entscheidung des Rechtsstreits unmittelbar selbst gegenüber dem Kläger verpflichtet zu werden. In einem solchen Fall ist die Beiladung zur Wahrnehmung der Rechte des Betroffenen notwendig. Die bisherigen Feststellungen des LSG über die "gegründete", aber nicht im Handelsregister eingetragene E. und S. Heimbau GmbH sprechen dafür, daß die im Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich auch in die Rechtssphäre des E. unmittelbar eingreift. Die insoweit zur Klärung noch erforderlichen Feststellungen hat das LSG zu treffen. Das BSG kann insoweit keine eigenen Feststellungen treffen, auch ist im Revisionsverfahren eine Beiladung nicht zulässig (§ 168 SGG). Das Vorbringen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 4. August 1984 kann, soweit es neue Tatsachen enthält, im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden. Das Urteil des LSG war deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen