Leitsatz (amtlich)

Zur Bedeutung der "Berufskataloge" des FRG § 22 Anl 1 für die Ermittlung des Durchschnittseinkommens aus unselbständiger Tätigkeit, das der Berechnung des Berufsschadensausgleichs (BVG§30Abs3u4DV vom 30.7.164 § 3) zugrunde zu legen ist.

 

Normenkette

BVG § 40a Abs. 2 Fassung: 1964-02-21; BVG§30Abs3u4DV § 3 Abs. 1 Fassung: 1964-07-30; FRG § 22 Anl 1 Buchst. B Fassung: 1960-02-25

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. November 1969 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin ist die Witwe des am 17. September 1909 geborenen und im März 1945 gefallenen H K (K.). K. trat nach dem Besuch der Volksschule im Jahre 1923 als Arbeiter in die Firma V G-Fabriken AG, Werk O, ein; im Jahre 1941 wurde er als Schichtmeister in das Angestelltenverhältnis übernommen.

Die Versorgungsbehörde bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 2. November 1965 einen Schadensausgleich nach § 40 a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG); der Berechnung dieses Schadensausgleichs legte sie das Durchschnittseinkommen der technischen Angestellten der Leistungsgruppe III, Wirtschaftsbereich Grundstoff und Produktionsgüterindustrie, Wirtschaftsgruppe Chemiefaserindustrie, zugrunde.

Mit dem Widerspruch begehrte die Klägerin eine für sie günstigere Schadensausgleichberechnung mit der Begründung, K. wäre zum Obermeister aufgestiegen; der Berechnung des Schadensausgleichs sei daher die Leistungsgruppe II zugrunde zu legen.

Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 29. März 1967). Die Klage hat das Sozialgericht (SG) Aachen mit Urteil vom 7. November 1968 abgewiesen, weil zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich sei, daß K. im Falle seiner Rückkehr aus dem Krieg zum Obermeister aufgestiegen wäre. Es hat sich hierbei auf Bescheinigungen und Auskünfte der Firma V G-Fabriken AG sowie auf die Bekundungen eines kaufmännischen Direktors und Prokuristen dieser Firma gestützt.

Die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 27. November 1969 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt: K. habe eine Beschäftigung als Werkmeister mit den Merkmalen der Leistungsgruppe III ausgeübt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei nicht wahrscheinlich, daß er in eine "höhere Position" aufgestiegen wäre. Wenn er auch die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen hierfür erlangt hätte, so spreche doch wegen des Vorrangs anderer Arbeitskollegen mehr dagegen als dafür, daß K. in seinem alten Werk in eine Beschäftigung mit den Merkmalen der Leistungsgruppe II aufgestiegen wäre. Die Eingruppierung des K. in die Leistungsgruppe II wäre nur gerechtfertigt, wenn auch im Recht der Kriegsopferversorgung die über 45 Jahre alten Werkmeister der Leistungsgruppe II der Angestellten zuzuordnen seien, wie dies in der Verordnung über die Feststellung von Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen bei verlorenen, zerstörten, unbrauchbar gewordenen oder nicht erreichbaren Versicherungsunterlagen vom 3. März 1960 (BGBl I S. 137) (Versicherungsunterlagenverordnung - VuVO -) vorgeschrieben sei. Diese Vorschrift sei jedoch nicht entsprechend anzuwenden, weil sich der Gesetzgeber im Bereich der Kriegsopferversorgung (KOV) mit einer generellen Einstufung begnügt habe.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat fristgemäß und formgerecht Revision eingelegt mit dem Antrag,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, des Urteils des Sozialgerichts Aachen vom 7. November 1968 sowie in Abänderung des Bescheides vom 2. November 1965 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 1967 den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin antragsgemäß vom 1. Januar 1964 an Schadensausgleich unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe II für technische Angestellte der Wirtschaftsgruppe Chemiefaserindustrie zu gewähren.

Sie rügt, das LSG habe die Vorschriften des § 40 a Abs. 2 BVG und des § 3 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG verletzt. Es habe zu Unrecht die Auffassung vertreten, daß bei der nach § 40 a Abs. 2 BVG i. V. m. § 3 Abs. 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 vorzunehmenden "Einstufung" in eine Leistungsgruppe zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens aus unselbständiger Tätigkeit die in den Anl. 1 zu § 22 des Fremdrentengesetzes vom 25. Februar 1960 (FRG) und der Verordnung (VO) vom 3. März 1960 (VuVO) enthaltenen Berufskataloge nicht zu berücksichtigen seien.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligte haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Revision der Klägerin ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sie ist jedoch unbegründet.

Das LSG hat die Berechnung des Schadensausgleichs der Klägerin, bei der der Beklagte als Vergleichseinkommen des Ehemannes (K) nach § 40 a Abs. 2 BVG i. V. m. § 3 Abs. 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 (vom 30. Juli 1964) BVG das Durchschnittseinkommen der technischen Angestellten der Leistungsgruppe III zugrunde gelegt hat, für rechtmäßig gehalten. Es hat festgestellt, K. habe eine Tätigkeit ausgeübt, die im industriellen Bereich als die eines Werkmeisters bezeichnet werde und die den Beschäftigungsmerkmalen der Leistungsgruppe III entsprochen habe; er wäre wahrscheinlich in seiner weiteren Berufstätigkeit "in dieser Position" verblieben; es sei zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich, daß K. in eine berufliche Stellung mit den Beschäftigungsmerkmalen der Leistungsgruppe II aufgestiegen wäre. Hierfür hätten ihm zwar nicht die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen gefehlt, jedoch habe sich, insbesondere wegen des Vorrangs einiger seiner Arbeitskollegen, kein ausreichender Anhalt dafür ergeben, daß für ihn eine "Aufstiegsstelle" zur Verfügung gestanden hätte.

Diese Feststellung des LSG ist von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffen; sie ist daher für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG). Die Klägerin ist der Ansicht, als Vergleichseinkommen sei dennoch die Leistungsgruppe II maßgebend, und zwar deshalb, weil die Regelung der "Eingruppierung" nach § 22 FRG und nach § 4 VuVO entsprechend anzuwenden sei; nach dieser Regelung sei ein "Werkmeister über 45 Jahre" der Leistungsgruppe II zuzuordnen. Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen.

§ 22 FRG und § 4 VuVO regeln die Eingruppierung Versicherter in Leistungsgruppen der Angestellten- bzw. in Arbeitergruppen; diese Eingruppierung dient der Feststellung, was als Bruttoarbeitsentgelt für eine ausgeübte Beschäftigung bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage in "Fremdzeiten" (bzw. Zeiten, in denen die Höhe des Entgelts oder Beitrags nicht nachgewiesen ist) gelten soll. Sie enthalten (in ihren Anlagen 1) im Anschluß an die allgemeinen Leistungsgruppendefinitionen, die die Beschäftigungsmerkmale umschreiben, jeweils den Satz: "Ergibt sich nicht nach Merkmalen der ausgeübten Beschäftigung die Einstufung in eine andere Leistungsgruppe, so gehören hierzu unter anderem"; sodann folgt eine Aufzählung von Berufen, die teilweise mit Unterscheidungen nach dem Alter in den "Berufskatalogen" mehrerer Leistungsgruppen angeführt sind, so auch der Werkmeister (bis 30 Jahre Leistungsgruppe IV, von 30 bis 45 Jahre Leistungsgruppe III, über 45 Jahre Leistungsgruppe II). Die Regelung über die Eingruppierung nach § 3 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 verweist nur auf allgemeine Leistungsgruppendefinitionen (vgl. BVBl 1960, 152); eine gesetzliche Grundlage für ihre Ergänzung durch Berufskataloge besteht nicht.

Es trifft zunächst zu, daß die allgemeinen Leistungsgruppendefinitionen, die für die Eingruppierung nach § 3 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG maßgebend sind, mit denen der Anlagen 1 zu § 22 FRG und zu § 4 VuVO inhaltsgleich sind und in den Richtlinien, die das Statistische Bundesamt den Lohn- und Gehaltserhebungen zugrunde gelegt hat, ihre gemeinsame Grundlage haben.

Die Begriffe, die die allgemeinen Leistungsgruppendefinitionen beider Regelungen enthalten, sind daher gleichbedeutend. Insoweit ist auch bei der Eingruppierung nach § 3 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG die Rechtsprechung zu § 22 FRG zu beachten, die sich mit der Auslegung von Begriffen der allgemeinen Leistungsgruppendefinitionen befaßt hat (vgl. hierzu BSG SozR Nr. 5 zu § 3 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG).

Die Frage, ob die Ergänzung der allgemeinen Leistungsgruppendefinitionen durch die Berufskataloge in der Anl. 1 des § 22 FRG und des § 4 VuVO als eine "verfeinerte" Regelung (BSG Urt. vom 22.6.1967, BSG 27, 12) auch für die Eingruppierung, die als Grundlage für die Berechnung des Schadensausgleiches dient, Bedeutung hat, ist grundsätzlich zu bejahen. In beiden Regelungen geht es darum, durch die Eingruppierung ein fiktives Einkommen zu ermitteln. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, daß nach § 22 FRG und § 4 der VuVO stets nur eine tatsächlich ausgeübte (wenn auch möglicherweise im einzelnen nicht bekannte) Beschäftigung zu bewerten ist, während für den Schadensausgleich möglicherweise auch die Beschäftigung zu bewerten ist, die - nach dem Ergebnis der Beurteilung eines vermutlichen individuellen Geschehensablaufs - ausgeübt worden wäre.

Die Berufskataloge können jedenfalls für die Eingruppierung nach § 3 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG keine größere Bedeutung haben als die, die ihnen nach den genannten gesetzlichen Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung zugemessen ist.

Die Revision unterliegt insofern einem Rechtsirrtum, als sie davon ausgeht, die Berufskataloge seien in dem Sinne "rechtsbegründend", daß jeder Beschäftigte, der eine Beschäftigung als Werkmeister ausgeübt hat, für die Zeit dieser Beschäftigung nach seinem 45. Lebensjahr in die Leistungsgruppe II einzustufen sei, weil in dem Berufskatalog für die Leistungsgruppe II auch "Werkmeister über 45 Jahre" aufgezählt seien. Dies trifft auch bei Anwendung des § 22 FRG und § 4 VuVO nicht zu.

Die Berufskataloge sind zwar nicht überflüssig, sie haben aber eine nur nachgeordnete Bedeutung. Diese Bedeutung liegt darin, daß sie beispielsweise Berufe aufzählen, bei denen in der Regel die Tatbestandsmerkmale der allgemeinen Definition gegeben sein werden. Auch die ausdrücklich genannten Berufe müssen aber zu der allgemeinen Definition in Beziehung gesetzt werden. Das bedeutet, daß die allgemeinen Definitionen nicht nur in den Fällen maßgebend sind, in denen ein Beruf überhaupt nicht genannt ist, sondern daß sie grundsätzlich maßgebend sind und den Berufskatalogen vorgehen; gerade die Berufe, die - wie der des Werkmeisters - nach dem Alter in mehreren Leistungsgruppen aufgeführt sind, sind im wesentlichen nach den allgemeinen Leistungsgruppendefinitionen einzustufen; maßgebend ist der konkrete Inhalt der beruflichen Betätigung, maßgebend sind die Funktionen, die der Versicherte tatsächlich ausgeübt hat (vgl. auch BSG, SozR Nr. 8 und 9 zu § 22 FRG).

Danach bleibt festzuhalten, daß auch nach Anl. 1 des § 22 FRG und des § 4 VuVO, d. h. bei der Anwendung der allgemeinen Leistungsgruppendefinitionen, die durch die Berufskataloge "verfeinert" sind, ein Werkmeister über 45 Jahre nicht der Leistungsgruppe II zuzuordnen ist, wenn er keine Tätigkeit ausgeübt hat, die den Beschäftigungsmerkmalen der allgemeinen Leistungsgruppendefinition dieser Leistungsgruppe entspricht, mag er auch die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen für eine solche Tätigkeit erfüllt haben. Ebensowenig ist aber auch nach § 3 Abs. 1 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG ein früher als Werkmeister mit den Beschäftigungsmerkmalen der Leistungsgruppe III Beschäftigter in die Leistungsgruppe II einzustufen, wenn er nach dem Ergebnis der Wahrscheinlichkeitsprüfung eine Beschäftigung mit den Merkmalen dieser Leistungsgruppe nicht ausgeübt hätte. Andererseits stehen die Berufskataloge auch nicht entgegen, daß ein Werkmeister schon für die Zeit vor seinem 45. Lebensjahr in die Leistungsgruppe II eingestuft wird, wenn feststeht, daß er eine Beschäftigung mit Merkmalen dieser Leistungsgruppe ausgeübt hat, oder wahrscheinlich ist, daß er eine solche Beschäftigung ausgeübt hätte.

Zwar können auch für die Beurteilung, ob ein Beschäftigter einen beruflichen Aufstieg erreicht hätte, die in den Berufskatalogen aufgeführten Berufe und die teilweisen Unterscheidungen nach dem Alter "zur Orientierung" dienen und Anhalte geben, etwa für die Frage, wann ein ("aufstiegsbefähigter") Werkmeister, der eine Beschäftigung mit Merkmalen der Leistungsgruppe III ausgeübt hat, bei steter Ausübung dieser Beschäftigung (BSG SozR Nr. 5 zu § 22 FRG) die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen (z. B. die besonderen Erfahrungen) gewonnen hätte, um eine Beschäftigung mit Merkmalen der Leistungsgruppe II ausüben zu können. Die Frage, ob ein Beschädigter oder Verstorbener - ohne die Schädigungsfolgen - wahrscheinlich eine Beschäftigung in einer höheren Leistungsgruppe ausgeübt hätte, richtet sich aber nach "seinen Lebensverhältnissen, seinen Kenntnissen und Fähigkeiten" (§§ 30 Abs. 4, 40 a Abs. 2 Satz 2 BVG). Insoweit ist ein vermutlicher individueller Geschehensablauf zu beurteilen; es ist hierbei von den konkreten Gegebenheiten auszugehen. Es ist eine auf den Einzelfall abgestellte Prüfung der Möglichkeiten des beruflichen Aufstiegs vorzunehmen; die dafür und die dagegen sprechenden Umstände sind gegeneinander abzuwägen.

Wenn zu bejahen ist, daß ein Beschädigter die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen für einen Berufsaufstieg erfüllt hätte, so ist deshalb noch nicht "zu vermuten" und noch nicht als wahrscheinlich festzustellen, daß er eine solche Aufstiegsbeschäftigung auch ausgeübt hätte; über die Wahrscheinlichkeit der Leistungsgruppenzugehörigkeit ist in freier Beweiswürdigung zu entscheiden (Urt. des BSG vom 25.7.68 - 8 RV 373/67 - BVBl 1969, 35 -); daran ändert auch die beispielhafte Anführung in den Berufskatalogen nichts; sie sind insbesondere nicht in dem Sinne zu werten, daß sie berechtigten, ohne eine auf den Einzelfall abgestellte Prüfung, die Wahrscheinlichkeit eines beruflichen Aufstiegs (wegen eines erreichten Alters) zu unterstellen.

Wenn das LSG den vermutlichen individuellen Geschehensablauf dahin beurteilt hat, daß K. wahrscheinlich keine Beschäftigung mit den Merkmalen der Leistungsgruppe II ausgeübt hätte, weil eine solche Position für ihn nach den konkreten Gegebenheiten nicht zur Verfügung gestanden hätte, so hat es das Begehren der Klägerin "auf eine höhere Eingruppierung" (als die in die Leistungsgruppe III) zu Recht als unbegründet angesehen. Es hat sich zutreffend nicht durch die Berufsaufzählungen im Anschluß an die Leistungsgruppendefinitionen in der Anl. 1 zu § 22 FRG und § 4 VuVO gehindert gesehen, zu diesem Ergebnis zu kommen.

Die Revision der Klägerin war danach als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1668880

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