Leitsatz (amtlich)
Der Antrag für eine rechtskräftig festgestellte, nach SVFAG § 17 Abs 6 als Fremdrente geltende Hinterbliebenenrente gemäß KrFristenablaufG § 2 S 3, und 4 einen früheren Rentenbeginn festzusetzen, bewirkt nicht, daß der damit geltend gemachte Anspruch zu einem "schwebenden Fall" im Sinne des SVFAG § 20 Abs 3 wird.
Normenkette
SVFAG § 17 Abs. 6, § 20 Abs. 3; KrFrHemmSV/AVG § 2 Sätze 3-4
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Mai 1956 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Klägerin ist die Witwe des Wehrmachtsangestellten A P Dieser hat der Angestelltenversicherung (AV.) angehört und ist am 30. Januar 1944 gestorben. Die Klägerin hat im Februar 1951 Hinterbliebenenrente aus der AV. beantragt; die damals zuständige Landesversicherungsanstalt W hat sie ihr vom 1. März 1951 an gewährt. Den Bescheid hierüber vom 23. August 1951 ließ die Klägerin rechtskräftig werden.
Am 6. Mai 1953 beantragte sie, ihr nach § 2 des Kriegsfristengesetzes (KFG) die Rente vom 1. Februar 1944 an zu gewähren. Die Beklagte lehnte den Antrag ab: Der Versicherte habe nur Beiträge zur Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA.) entrichtet. Der Anspruch falle daher unter das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FremdRG). Danach beginne die Rente frühestens am 1. April 1952 (Bescheid vom 13.9.1955). Das Sozialgericht (SG.) Stuttgart verurteilte die Beklagte, die Witwenrente für die Zeit vom 1. Februar 1944 bis 28. Februar 1951 nachzuzahlen: Die Voraussetzungen für eine Vorverlegung des Rentenbeginns nach § 2 KFG seien gegeben. Das KFG gehe dem FremdRG vor. Dies entspreche auch dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Die Beklagte sei daher antragsgemäß zu verurteilen (Urteil vom 22.5.1956).
Das SG. ließ die Berufung zu. Die Beklagte legte gegen das ihr am 5. Juni 1956 zugestellte Urteil mit schriftlicher Einwilligung der Klägerin am 29. Juni 1956 Sprungrevision ein und begründete sie am 10. Juli 1956: Für ihre Verpflichtungen aus Beiträgen zur RfA. gelte ausschließlich das FremdRG, erst dieses habe hierfür eine Rechtsgrundlage geschaffen. Das KFG enthalte nur Vorschriften über den Rentenbeginn und setze daher voraus, daß ein materieller Anspruch schon bestehe. Solche Ansprüche habe das FremdRG selbst aber erst für Zeiten seit dem 1. April 1952 geschaffen. Da diese Einschränkung für alle Ansprüche nach dem FremdRG gelte, besonders auch für alle Hinterbliebenenrenten in der Angestellten- und auch der Invalidenversicherung, verstoße sie nicht gegen Art. 3 GG. Die Klägerin war im Revisionsverfahren nicht vertreten; ihr Prozeßbevollmächtigter legte vor der mündlichen Verhandlung die Vertretung nieder.
II
Die Sprungrevision ist zulässig und begründet.
Der verstorbene Ehemann der Klägerin hat nur Beiträge zur RfA. entrichtet. Diese ist nach der Kapitulation stillgelegt und am 1. August 1953 aufgelöst worden. Die Beklagte als neue Trägerin der AV. ist nicht ihre Gesamtrechtsnachfolgerin. Die aus den Beiträgen zur RfA. hergeleiteten Ansprüche fallen unter das FremdRG. Dieses Gesetz bestimmt, in welchem Umfang aus solchen Beiträgen Leistungen von einem Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Land Berlin zu gewähren sind. Nach § 2 FremdRG sind "für die Leistungen grundsätzlich die im Bundesgebiet geltenden Vorschriften der Sozialversicherung unter Berücksichtigung der in den §§ 3 bis 7 vorgesehenen Besonderheiten maßgebend". Die §§ 3 bis 7 FremdRG befassen sich nicht mit dem hier streitigen Rentenbeginn. Dieser richtet sich daher nach den im Bundesgebiet sonst geltenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften. Zu ihnen gehört auch § 2 KFG (BSGE. 4 S. 96); dieses Gesetz enthält im Verhältnis zum FremdRG kein Sonderrecht, sondern gilt kraft dessen § 2 auch für Fremdrenten. § 2 KFG bestimmt, daß Renten an die Hinterbliebenen von Kriegsteilnehmern und Internierten - abweichend von § 1286 der Reichsversicherungsordnung (RVO) - mit dem Ablauf des Sterbemonats beginnen, sofern der Antrag vor Ablauf des auf die Todesnachricht oder Todeserklärung folgenden Kalenderjahres gestellt wird. Er regelt mithin nur den Leistungsbeginn, nicht auch den Leistungsanspruch, so daß die Hinterbliebenenrenten nur insoweit vor Ablauf des Antragsmonats beginnen können, als der zuständige Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Land Berlin überhaupt zu Leistungen verpflichtet ist.
Das FremdRG gehört zu den zahlreichen Bundesgesetzen, die zur Regelung der Folgen des Krieges erlassen sind und die Körperschaften des öffentlichen Rechts im Bundesgebiet und im Lande Berlin verpflichten, öffentlich-rechtliche Ansprüche gegen Körperschaften des öffentlichen Rechts, die für das ganze damalige Reichsgebiet zuständig waren oder außerhalb des Bundesgebiets und des Landes Berlin lagen oder liegen, unter bestimmten Voraussetzungen und "bis zu einer anderen gesetzlichen Regelung" (§ 1 Abs. 1 FremdRG) zu erfüllen. In allen diesen Fällen handelt es sich um fremde Verpflichtungen, für die bisher nach dem Recht oder auch nur nach Verwaltungsvorschriften der Länder oder der Besatzungsmächte Leistungen nur zum Teil oder nur unter verschiedenen Voraussetzungen und in verschiedener Höhe gewährt worden waren. In weitem Umfang schuf das FremdRG erstmals echte Rechtsansprüche gegen Versicherungsträger im Bundesgebiet und im Lande Berlin; für alle Arten von Fremdrenten brachte erst das FremdRG einheitliche und gleichmäßige Rechtsgrundlagen. Im Zuge dieser Bereinigung bestimmt das Gesetz, daß auch dann, wenn der Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten und nicht bereits eine Leistung für die vorhergehende Zeit festgestellt worden ist, die Rente frühestens vom Tage des Inkrafttretens des Gesetzes (1.4.1952) an zu gewähren ist (§ 17 Abs. 1 FremdRG). Das gilt auch bei Fremdrenten für Kriegshinterbliebene; auch diese können von keinem früheren Zeitpunkt an gewährt werden, ob es sich nun um Fälle des Satzes 1 oder der Sätze 3, 4 des § 2 KFG handelt. Für den Fall, daß eine Leistung bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes (oder vor der Verkündung des Gesetzes - BSGE. 4 S. 96/101) von einem Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Land Berlin rechtskräftig festgesetzt worden ist, trifft § 17 Abs. 6 FremdRG eine besondere Regelung, die dem Gedanken der Wahrung des Besitzstandes Rechnung trägt. Von dieser Ausnahmevorschrift werden nach ihrem Sinn und Wortlaut alle Fälle umfaßt, in denen bereits vor Verkündung des FremdRG eine Leistung für einen Berechtigten nach diesem Gesetz rechtskräftig festgesetzt worden ist, in denen also eine solche Leistung bei Verkündung des FremdRG bereits bezogen wurde. Diese schon früher erworbenen Ansprüche sollen den Berechtigten erhalten bleiben, weshalb eine Änderung der festgestellten Leistungen nach § 17 Abs. 6 FremdRG nur zu Gunsten der Berechtigten und nur nach Maßgabe des FremdRG, d. h. nicht für eine vor dem 1. April 1952 liegende Zeit (§ 17 Abs. 6 Sätze 2, 3 FremdRG) möglich ist. Dies gilt auch für Anträge auf Neufeststellung solcher Renten für Kriegshinterbliebene auf Grund des § 2 Sätze 3, 4 KFG; denn auch diese Vorschrift kann nur "nach Maßgabe des FremdRG" (§ 17 Abs. 6 FremdRG) zu einer Änderung des Rentenbeginns führen, d. h. nur über § 2 FremdRG und nur im Rahmen des § 17 Abs. 1 FremdRG.
Hieran ändert es auch nichts, wenn in solchen Fällen - wie auch im vorliegenden Fall - der Berechtigte die Neufeststellung nach § 2 Satz 3 oder 4 KFG noch vor der Verkündung des FremdRG beantragt hat. Dadurch wurde weder die rechtskräftig festgestellte Leistung selbst noch der Antrag auf Neufeststellung zu einem "schwebenden Fall" im Sinne des § 20 Abs. 3 FremdRG. Diese Vorschrift bezieht sich nämlich nur auf solche schon vor der Verkündung des FremdRG eingeleitete Fälle, in denen auf Grund der im Abs. 2 unter den Buchstaben b bis g bezeichneten Vorschriften über Flüchtlingsrenten trotz früheren Antrags noch keine Leistung rechtskräftig festgestellt worden war und in denen darum diese Vorschriften nun für Leistungen vor dem 1. April 1952 noch angewendet werden sollen, obwohl sie durch das FremdRG außer Kraft gesetzt worden sind.
Die Klägerin bezieht die Witwenrente aus der AV. vom 1. März 1951 an auf Grund des rechtskräftig gewordenen Bescheids der Landesversicherungsanstalt W vom 23. August 1951. Wie dargelegt, hat ihr Antrag vom 6. Mai 1953 auf Vorverlegung des Rentenbeginns an der Rechtskraft dieses Bescheids nichts geändert, insbesondere nicht bewirkt, daß ihr Fall als schwebend im Sinne des § 20 Abs. 3 FremdRG angesehen werden könnte. Für die Rente der Klägerin kann, weil sie diese schon am 1. April 1952 bezog, nach den Vorschriften des FremdRG und den nur in ihrem Rahmen geltenden Vorschriften des KFG kein früherer Beginn festgesetzt werden.
Dieses Ergebnis verstößt nicht gegen Art. 3 GG. Danach ist zwar die ungleiche Behandlung gleicher Tatbestände verboten. Hier handelt es sich aber um die ungleiche Behandlung verschiedenartiger Tatbestände: § 2 KFG gilt uneingeschränkt, soweit es sich um Versicherungsverhältnisse zu Versicherungsträgern im Bundesgebiet oder im Land Berlin handelt; es gilt aber nur mit den oben dargelegten Einschränkungen, soweit es sich um andere Versicherungsverhältnisse handelt, für die jene Versicherungsträger erst durch das FremdRG oder die in § 20 Abs. 2 FremdRG aufgeführten Vorschriften einzutreten verpflichtet worden sind (BSG. a. a. O.).
Die vom SG. festgestellte Tatsache, daß die Klägerin die Hinterbliebenenrente bereits im Jahre 1944 beantragt hat, ihr Antrag aber infolge Kriegseinwirkung nicht mehr bearbeitet worden ist, hat für die Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte nach dem FremdRG keine Bedeutung. Es kann dahingestellt bleiben, welche Folgen der damals gestellte Rentenantrag gegenüber der später stillgelegten RfA. gehabt hat. Die Beklagte ist, wie das Bundessozialgericht mehrfach entschieden hat (BSGE. 4 S. 84 z. 91), in solche Verpflichtungen weder als Vermögens- noch als Funktionsnachfolgerin eingetreten, sie ist vielmehr nur im Rahmen des FremdRG zu Leistungen verpflichtet. Für diese Verpflichtungen aber ist der frühere Antrag ohne rechtliche Bedeutung.
Das Urteil des SG. Stuttgart ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen