Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz bei betrieblicher Gemeinschaftsveranstaltung und Alkoholgenuß. alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit eines Fußgängers. Rechtsmittelbegründung bei nachträglicher Zulassung der Sprungrevision
Orientierungssatz
1. Ein Versicherter steht während des Betriebsausfluges ebenso wie ein Versicherter während einer Dienstreise auf dem Wege zum Abendessen unter Versicherungsschutz, da während einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung Versicherungsschutz bei allen Tätigkeiten besteht, die mit dem Gesamtzweck der Veranstaltung vereinbar sind.
2. Ebenso wie bei allen anderen versicherten Tätigkeiten besteht auch bei einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung kein ursächlicher Zusammenhang zwischen ihr und einem Unfall, wenn Alkoholgenuß die rechtlich allein wesentliche Unfallursache ist. Der bei betrieblicher Gemeinschaftsveranstaltungen übliche Alkoholgenuß rechtfertigt keine andere versicherungsrechtliche Beurteilung (vgl BSG 1972-06-29 2 RU 61/70 = SozR Nr 35 zu § 548 RVO).
3. Für Fußgänger gibt es zZt keinen allgemeinen Grenzwert der Blutalkoholkonzentration für eine absolute Verkehrsuntüchtigkeit. Neben der Blutalkoholkonzentration sind vielmehr weitere beweiskräftige Umstände erforderlich, um den Alkoholgenuß als rechtlich allein wesentliche Bedingung des Unfalles zu werten. Ein etwaiges Fehlverhalten ist grundsätzlich nur dann als beweiskräftig für den Alkoholgenuß als die allein wesentliche Bedingung des Unfalls zu erachten, wenn es typisch für einen unter Alkoholeinfluß stehenden Versicherten ist und nicht ebensogut andere Ursachen haben kann, wie etwa Unaufmerksamkeit, Leichtsinn, Übermüdung, körperliche Verfassung und ähnliches, die ihren Grund nicht in einem voraufgegangenen Alkoholgenuß haben können (vgl BSG 1977-11-25 2 RU 55/77 = BSGE 45, 176).
4. Eine nach der im Strafrecht geltenden Äquivalenztheorie angenommene Mitverursachung des Unfalles eines durch Alkoholeinwirkung verkehrsuntüchtigen Fußgängers durch ein verkehrswidriges Verhalten eines Pkw-Fahrers schließt nach der für die gesetzliche Unfallversicherung maßgebenden Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung nicht aus, das Verhalten des Fahrers des Pkw zwar auch als eine Ursache des Unfalles im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne anzusehen, es aber nicht als wesentliche Ursache des Unfalles zu werten.
5. Das SG muß im Urteil auch über den Rechtsmittelweg der Sprungrevision belehren, wenn gegen ein Urteil des SG, das die Revision zugelassen hat, wahlweise Berufung und Revision statthaft ist (vgl BSG 1977-10-20 11 RLw 1/77 = BSGE 45, 78). Auch ein Beschluß, in dem die Revision nachträglich zugelassen wird, bedarf der Rechtsmittelbelehrung. Die dem Urteil des SG beigefügte Rechtsmittelbelehrung wird unrichtig, wenn die Revision nachträglich durch Beschluß zugelassen wird. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der dann auch gegebenen Möglichkeit, Revision einzulegen, sondern insbesondere für den Beginn der Frist zur Einlegung und Begründung der Revision.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30; SGG § 161 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1974-07-30, § 66 Abs. 2
Verfahrensgang
SG Koblenz (Entscheidung vom 16.03.1979; Aktenzeichen S 10 U 40/78) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 16. März 1979 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der im Jahre 1941 geborene Kläger war Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr in R. Am 10. September 1977 veranstaltete die Freiwillige Feuerwehr R einen von der Stadtverwaltung genehmigten Betriebsausflug nach M. Am Abend ging der Kläger von seiner Unterkunft in S zum Abendessen. Dabei lief er mehrmals torkelnd und mit den Armen winkend über die Straße. Als er mit den Armen winkend auf der Straße stand, wäre er beinahe von einem Pkw angefahren worden, dessen Fahrer gerade noch ausweichen konnte. Das dem Kläger entgegenkommende zweite Fahrzeug erfaßte ihn, als er abermals mitten auf der Straße stehend versuchte, das Fahrzeug anzuhalten. Der Kläger erlitt erhebliche Verletzungen. Seine Blutalkoholkonzentration (BAK) betrug im Unfallzeitpunkt 2,78 0/00.
Der Beklagte lehnte Entschädigungsansprüche ab, da der übermäßige Alkoholgenuß die allein wesentliche Ursache des Unfalles gewesen sei.
Die Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 16. März 1979 abgewiesen, da der Kläger, selbst wenn der Fahrer des Pkw möglicherweise zu schnell gefahren sei, durch die alkoholbedingte Beeinflussung die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalles gesetzt habe.
Das SG hat durch Beschluß vom 25. April 1979 unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter die Revision zugelassen. Der am 11. Mai 1979 zugestellte Beschluß enthält keine Rechtsmittelbelehrung.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel mit einem am 15. August 1979 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz eingelegt.
Er trägt vor: Die Auffassung des SG stehe im Widerspruch zu dem Urteil des BSG vom 27. Oktober 1967 (BKK 1968, 395). Auch trage die Argumentation des SG nicht die getroffene Entscheidung. So sei von der rechtlichen Bedeutungslosigkeit die Rede, soweit es um das Mitverschulden und die Mitverursachung des Autofahrers gehe. Daß der Autofahrer bestraft worden sei, werde nicht gewürdigt. In Fällen strafrechtlicher Bedeutungslosigkeit, schon nur Geringfügigkeit, stellten die Strafgerichte aber das Verfahren grundsätzlich ein. Auch sei das Torkeln auf die und über die Straße keine wesentliche Unfallursache mehr, weil das Torkeln die absolut unbeeinflußbare Konsequenz des übermäßigen Alkoholgenusses gewesen sei. Wenn überhaupt, dann könne also logisch allein der Alkoholgenuß als Ursache in Betracht kommen. Der Alkoholgenuß allein unterbreche aber nicht den Betriebszusammenhang, denn das Trinken gehöre nun einmal nicht nur bei der Feuerwehr zu einem Betriebsausflug. Rechtlich wesentliche Ursache sei die überhöhte Geschwindigkeit des Autofahrers gewesen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des zugrunde liegenden Bescheids des Gemeindeunfallversicherungsverbandes Rheinland-Pfalz den Beklagten antragsgemäß zu verurteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision, falls nicht statthaft, zu verwerfen, sonst zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig. Der Kläger hat dieses Rechtsmittel zwar nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision eingelegt. Die Revisionsfrist hat jedoch mit der Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision nicht zu laufen begonnen; denn der Beschluß enthält nicht die gemäß § 66 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erforderliche Rechtsmittelbelehrung. Das BSG hat in seinem Urteil vom 20. Oktober 1977 (BSGE 45, 78, 80) entschieden, daß das SG im Urteil auch über den Rechtsmittelweg der Sprungrevision belehren müsse, wenn gegen ein Urteil des SG, das die Revision zugelassen hat, wahlweise Berufung und Revision statthaft sei. Aus den für diese Entscheidung maßgebenden Gründen bedarf auch ein Beschluß, in dem die Revision nachträglich zugelassen wird, der Rechtsmittelbelehrung (ebenso Meyer-Ladewig, SGG, § 161 Anm 7; Miesbach/Ankenbach/Hennig/Danckwerts, SGG, § 66 Anm 1 d; Zeihe, SGG, 5. Aufl, § 161 Anm 27; Goedelt, SV 1977, 57, 60). In diesem Fall ist zudem die Berufungsfrist regelmäßig abgelaufen, so daß in der Regel nur noch die Revision in Betracht kommt. Vor allem wird die dem Urteil des SG beigefügte Rechtsmittelbelehrung unrichtig, wenn die Revision nachträglich durch Beschluß zugelassen wird. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der dann auch gegebenen Möglichkeit, Revision einzulegen, sondern insbesondere für den Beginn der Frist zur Einlegung und Begründung der Revision (s. § 161 Abs 3 Satz 2 SGG).
Die zulässige Revision ist jedoch nicht begründet.
Der Senat kann auch ohne die an sich erforderlichen näheren tatsächlichen Feststellungen des SG zugunsten des Klägers davon ausgehen, daß die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für das Vorliegen einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung (vgl ua BSGE 1, 179, 182; 17, 280, 281; BSG SozR 2200 § 548 Nrn 11 und 21; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl, S. 482 h ff. und Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 548 Anm 38-41 - jeweils mit weiteren Nachweisen) beim Betriebsausflug der Freiwilligen Feuerwehr R am 10. September 1977 erfüllt waren. Das SG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger während des Betriebsausfluges ebenso wie ein Versicherter während einer Dienstreise (s. BSG SozR 2200 § 548 Nr 33; Brackmann aaO S. 481 t) auf dem Wege zum Abendessen unter Versicherungsschutz gestanden hat, da während einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung Versicherungsschutz bei allen Tätigkeiten besteht, die mit dem Gesamtzweck der Veranstaltung vereinbar sind (s. Brackmann aaO S. 482 n). Ebenso wie bei allen anderen versicherten Tätigkeiten besteht jedoch auch bei einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung kein ursächlicher Zusammenhang zwischen ihr und einem Unfall, wenn Alkoholgenuß die rechtlich allein wesentliche Unfallursache ist (s. BSGE 13, 9, 11; BSG SozR Nr 35 zu § 548 RVO; Brackmann aaO S. 484 und 484 a; Lauterbach aaO § 548 Anm 70). Entgegen der Auffassung der Revision rechtfertigt der bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen übliche Alkoholgenuß keine andere versicherungsrechtliche Beurteilung (s. BSG SozR Nr 35 zu § 548 RVO; Brackmann aaO S. 484 a; Lauterbach aaO). Der erkennende Senat und ihm folgend der 8. Senat haben allerdings in mehreren Entscheidungen dargelegt (vgl ua BSGE 10, 46, 48; 27, 40, 41; 43, 293; 45, 176, 178; BSG Blutalkohol 1972, 413, 416; BSG Urteil vom 8. September 1977 - 2 RU 79/76; Brackmann aaO S. 487 q mit weiteren Nachweisen), daß es für Fußgänger zur Zeit keinen allgemeinen Grenzwert der BAK für eine absolute Verkehrsuntüchtigkeit gibt. Neben der BAK sind vielmehr weitere beweiskräftige Umstände erforderlich, um den Alkoholgenuß als rechtlich allein wesentliche Bedingung des Unfalles zu werten (vgl BSG Bd 43 und 45 aaO). Zu prüfen ist auch hier die Unfallsituation und vor allem das Verhalten des Versicherten unmittelbar vor und während des Unfallereignisses (BSG aaO). Ein etwaiges Fehlverhalten ist grundsätzlich nur dann als beweiskräftig für den Alkoholgenuß als die allein wesentliche Bedingung des Unfalls zu erachten, wenn es typisch für einen unter Alkoholeinfluß stehenden Versicherten ist und nicht ebensogut andere Ursachen haben kann, wie etwa Unaufmerksamkeit, Leichtsinn, Übermüdung, körperliche Verfassung und ähnliches, die ihren Grund nicht in einem voraufgegangenen Alkoholgenuß haben können (BSG aaO). Nach den tatsächlichen Feststellungen des SG hatte der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht nur einen Blutalkoholgehalt von 2,78 0/00, sondern versuchte, torkelnd und mit den Armen winkend Autos aufzuhalten. Dieses Verhalten ist typisch für einen durch Alkoholeinwirkung verkehrsuntüchtigen Fußgänger. Andere der oben angeführten Ursachen, die ihren Grund nicht in dem vorausgegangenen Alkoholgenuß haben könnten, scheiden für dieses Verhalten aus. Aber auch für den Unfall selbst bildet, wie das SG zutreffend entschieden hat, das alkoholbedingte Verhalten des Klägers selbst dann allein die wesentliche Ursache, wenn der Fahrer des Pkw strafrechtlich wegen zu hoher Geschwindigkeit zur Verantwortung gezogen wurde. Selbst eine nach der im Strafrecht geltenden Äquivalenztheorie angenommene Mitverursachung des Unfalles durch ein verkehrswidriges Verhalten schließt nach der für die gesetzliche Unfallversicherung maßgebenden Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung nicht aus, das Verhalten des Fahrers des Pkw zwar auch als eine Ursache des Unfalles im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne anzusehen, es aber nicht als wesentliche Ursache des Unfalles zu werten. Der Hinweis der Revision auf das Urteil des Senats vom 27. Oktober 1967 (2 RU 145/64 - BKK 1968, 395) geht schon deshalb fehl, weil nach dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt sich der Unfall eben nicht aufgrund des Alkoholgenusses des Versicherten, sondern deshalb ereignete, weil der Fahrer des Kraftfahrzeuges infolge überhöhter Geschwindigkeit den Versicherten von hinten anfuhr und die Alkoholbeeinflussung des Versicherten danach nicht einmal eine Ursache des Unfalles im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne bildete.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen