Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßgeblichkeit des Eintritts des Versicherungsfalles "Krankheit" für den Anspruch auf Krankengeld eines pflichtversicherten Rentners
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Beurteilung des Anspruchs auf Krankengeld, der seinem ganzen Umfang nach im Augenblick des Eintritts des Versicherungsfalles erworben wird, ist es von wesentlicher Bedeutung, wann die behandlungsbedürftige Krankheit (der Versicherungsfall) eingetreten ist.
2. Ist der Versicherungsfall "Krankheit" nach dem Ausscheiden aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung, jedoch während der KVdR eingetreten, so kann RVO § 214 Abs 1 nicht angewendet werden, da Ansprüche auf Grund dieser Vorschrift gegenüber Ansprüchen aus dem neu entstandenen Versicherungsverhältnis subsidiär sind.
Normenkette
RVO § 214 Abs. 1 Fassung: 1943-11-02, § 182 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 Fassung: 1961-07-12, § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1956-06-12, Nr. 1 Fassung: 1945-03-17
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 18. Dezember 1962 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Duisburg zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Gründe
Es war zu entscheiden, ob ein Rentner, der versicherungspflichtig beschäftigt war, nach Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Krankengeld nach § 214 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verlangen kann.
Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Sozialgerichts (SG) Duisburg bezog der Kläger seit 20. April 1960 Rente wegen Berufsunfähigkeit. Bis 9. März 1962 war er bei den Deutschen Babcock & Wilcox-Dampfkessel-Werken AG beschäftigt. Er beantragte bei der Beklagten die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 12. bis 31. März 1962. Ab April 1962 wurde ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt. In einem vertrauensärztlichen Gutachten war der Kläger als vom 9. Januar bis 7. März 1962 arbeitsunfähig krank und ab 8. März 1962 als arbeitsfähig bezeichnet. Der behandelnde Arzt bescheinigte dagegen im Oktober 1962, daß der Kläger vom 9. Januar bis 9. Oktober 1962 ununterbrochen arbeitsunfähig gewesen sei. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 23. März 1962 Krankengeld mit der Begründung ab, der Kläger habe sich erst am 12. März 1962 nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses (9. März 1962) arbeitsunfähig gemeldet. § 214 RVO sei nicht anwendbar, denn ein Ausscheiden aus der Versicherung liege nicht vor; das Versicherungsverhältnis habe sich lediglich von einer Versicherung nach § 165 Abs. 1 Nr. 1 RVO in eine Versicherung nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO geändert; gemäß § 182 Abs. 1 Nr. 2 RVO hätten versicherte Rentner keinen Anspruch auf Krankengeld. Der Widerspruch des Klägers wurde mit im wesentlichen gleicher Begründung zurückgewiesen (Bescheid vom 10.5.1962).
Der Kläger beantragte mit seiner Klage, die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide zu verurteilen, ihm vom 12. bis 31. März 1962 Krankengeld zu zahlen. Das SG hat mit Urteil vom 18. Dezember 1962 die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Es führte sinngemäß aus, es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger seit 9. Januar 1962 ununterbrochen arbeitsunfähig gewesen sei; denn sein Anspruch sei auch begründet, wenn er ab 8. März 1962 arbeitsfähig gewesen und erst am 12. März 1962 nach Ausscheiden aus der Versicherung nach § 165 Abs. 1 Nr. 1 RVO erneut arbeitsunfähig geworden sei. Krankengeld stehe ihm bis zum Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente (§ 183 Abs. 3 RVO) auch als versichertem Rentner zu. Dies ergebe sich aus § 214 RVO. Der lückenlose Übergang des Pflichtversicherungsverhältnisses in die Krankenversicherung der Rentner stehe nicht entgegen. Der Kläger sei "ausgeschieden" im Sinne des § 214 RVO, als er mit der Aufgabe seines Beschäftigungsverhältnisses das Dreiecksverhältnis zwischen Versicherungsträger, Arbeitnehmer und Arbeitgeber beendet habe; dieses Dreiecksverhältnis habe sich in der Krankenversicherung der Rentner nicht fortgesetzt; dort beständen völlig neue Rechtsbeziehungen zwischen der Krankenkasse, dem Versicherten und dem Rentenversicherungsträger. Somit schlössen zwei unterschiedliche Versicherungsverhältnisse aneinander an. Der Kläger habe aus der früheren Versicherung insoweit keine Ansprüche verloren, als die Versicherung für Rentner keine Leistungen - Krankengeld - vorsehe. Der Gesetzgeber habe versäumt, § 214 RVO den neuen Vorschriften über die Krankenversicherung der Rentner (Verordnung vom 4.11.1941 - RGBl I 689 und Gesetz vom 12.6.1956 - BGBl I 500) anzupassen. In § 214 Abs. 1 und 3 RVO komme der Grundgedanke zum Ausdruck, daß beim Ausscheiden aus einer Versicherung der Anspruch auf Barleistungen nicht untergehe. Der Vorrang der Pflichtversicherung nach § 165 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gegenüber der Krankenversicherung der Rentner zeige sich bei § 311 RVO; wenn bei einem Rentner Arbeitsunfähigkeit während einer bestehenden Beschäftigung eintrete, bestehe Anspruch auf Krankengeld; die Mitgliedschaft verlängere sich nach § 311 RVO. Dies bedeute, daß der Rentner nicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO als Rentner versichert werde (§ 165 Abs. 6 RVO). Der Anspruch auf Krankengeld verbleibe dem Kläger so lange, bis die Leistungspflicht der Beklagten erschöpft sei bzw. bis ein neues Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld begonnen habe.
Die Berufung wurde zugelassen.
Die Beklagte hat mit schriftlicher Einwilligung des Klägers Sprungrevision eingelegt. Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 214 RVO. Sie führt weiter aus, nach dem vertrauensärztlichen Gutachten stehe fest, daß der Kläger am 8. März 1962 arbeitsfähig gewesen und nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses am 9. März 1962 erst seit 12. März 1962 erneut arbeitsunfähig geworden sei. Dies sei von Bedeutung, weil der Versicherungsfall eingetreten sei, als der Kläger ihr, der beklagten Krankenkasse, nicht mehr als Versicherter nach § 165 Abs. 1 Nr. 1 RVO angehört habe. Im übrigen verweist sie auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) Band 14, 278.
Der Kläger verweist demgegenüber zur Frage des Zeitraumes der Arbeitsunfähigkeit auf das Zeugnis des behandelnden Arztes, wonach er ununterbrochen - also auch vom 8. bis 11. März 1962 - arbeitsunfähig krank gewesen sei. Er könne bei ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit über den 31. März 1962 hinaus auf jeden Fall Krankengeld bis 31. März 1962 auf Grund von § 311 RVO beanspruchen.
Die Sprungrevision ist zulässig (§ 144 Abs. 1 Nr. 2, § 150 Nr. 1, § 161 SGG) und begründet.
Das SG hat nicht festgestellt, ob der Kläger seit 8. März 1962 (Donnerstag) einige Tage nicht mehr krank war und erst am 12. März 1962 (Montag) wieder krank und arbeitsunfähig geworden ist, weil es den Anspruch im Falle ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit nach § 311 RVO und im anderen Falle nach § 214 RVO für begründet hielt. Es kann jedoch nicht offen bleiben, ob der Kläger beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis noch krank (behandlungsbedürftig) war, wann also der maßgebende Versicherungsfall eingetreten ist. Dies ist entscheidend, denn der Anspruch aus der Krankenversicherung wird, wie es das Reichsversicherungsamt schon in der Grundsätzlichen Entscheidung (G. E.) Nr. 2693 (AN 1922, 281) ausgedrückt hat, "seinem ganzen Umfang nach im Augenblick des Eintritts des Versicherungsfalls erworben" (BSG 16, 177, 179 ff; 22, 115). Es kommt daher darauf an, ob die Arbeitsunfähigkeit des Klägers seit 12. März 1962 auf einem vor oder nach dem Ausscheiden aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung eingetretenen Versicherungsfall beruht. Der Rechtsauffassung des SG, dies sei gleichgültig, weil im ersteren Fall § 311 RVO und im letzten Fall § 214 RVO eingreife, kann nicht gefolgt werden.
§ 214 RVO ist vielmehr nicht anzuwenden, wenn der Kläger bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr krank gewesen ist, der für den geltend gemachten Anspruch auf Krankengeld maßgebende Versicherungsfall also erst nach dem Ausscheiden aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung - am 12. März 1962 - eingetreten ist. Der Senat hält nach neuer Überprüfung an seiner Entscheidung BSG 14, 278 fest, wonach ein nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO gegen Krankheit versicherter Rentner auch dann keinen Anspruch auf Krankengeld hat, wenn er innerhalb von 3 Wochen nach Beendigung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung arbeitsunfähig erkrankt.
Der strenge Ausnahmecharakter der Vorschrift des § 214 RVO, die entgegen den Grundsätzen des Krankenversicherungsrechts noch Ansprüche gewährt, wenn der "Versicherungsfall" erst nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses eintritt, steht der Rechtsauffassung des SG entgegen.
1.) Wenn der Kläger am 9. März 1962, als er bei der Firma Babcock & Wilcox ausschied, arbeitsfähig und nicht mehr behandlungsbedürftig war, erlosch mit dem Ausscheiden seine Krankenversicherung als Beschäftigter nach § 165 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Er war von diesem Zeitpunkt an nicht mehr nach § 165 Abs. 6 RVO von der Versicherung als Rentner nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO ausgeschlossen. Somit war er in diesem Falle am 12. März 1962 bei Eintritt eines neuen Versicherungsfalls lediglich als Rentner versichert und konnte nur die für diese vorgesehenen Leistungen - also kein Krankengeld - beanspruchen. Ein Anspruch nach § 214 Abs. 1 RVO wäre nicht entstanden, weil diese Vorschrift nur solche bisher Versicherte erfaßt, die inzwischen keinen anderen gesetzlichen Krankenversicherungsschutz erlangt haben. Die Ansprüche aus § 214 Abs. 1 RVO sind gegenüber Ansprüchen aus einem nach dem Ausscheiden oder im unmittelbaren Anschluß daran neu entstandenen Versicherungsverhältnis subsidiär (vgl. BSG 14, 278).
Das Gesetz gibt keinen Anhalt dafür, daß ein Anspruch auf Krankengeld nach § 214 RVO neben anderen Ansprüchen auf Grund des Versicherungsverhältnisses als Rentner bestände. Insbesondere läßt sich nicht aus Abs. 3 des § 214 RVO entnehmen, daß die günstigeren, gegebenenfalls auch Krankengeld umfassenden Ansprüche aus § 214 Abs. 1 RVO neben den geringeren Ansprüchen von Rentnern weiterbestehen.
Entgegen der Auffassung des Vordergerichts ist der nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO versicherte Rentner mit dem Erwerbslosen i. S. des Abs. 3 erster Halbsatz des § 214 RVO zu vergleichen, dessen Anspruch auf Leistungen nach Abs. 1 (gegebenenfalls einschließlich des Anspruchs auf Krankengeld) wegfällt, sobald er auf Grund des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) gegen Krankheit versichert ist. Der Arbeitslose erhält dann nach § 110 AVAVG Krankengeld in Höhe des ihm sonst zustehenden Arbeitslosengeldes. Der gegen Krankheit versicherte Rentner hat zwar keinen Anspruch auf Krankengeld; doch wird ihm auch im Falle der Arbeitsunfähigkeit die Rente fortgewährt. Für den Rentner ist somit die Gewährung von Krankengeld zum Lebensunterhalt nicht in gleichem Maße geboten wie bei einem arbeitsunfähigen Arbeitslosen. § 214 RVO dient nur dem Schutz des bisher auf Grund von Beschäftigung Versicherten, der noch keinen neuen Versicherungsschutz erreicht hat. Der Schutz des erwerbslosen Rentners ist jedoch gemäß § 165 Abs. 1 Nr. 3 und 4 RVO auch ohne Krankengeld (vgl. § 182 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 RVO) in dem vom Gesetzgeber für notwendig befundenen Umfang gewährleistet. Aus dem Gedanken eines Schutzes ist somit die Anwendung des § 214 RVO auf versicherte Rentner nicht begründet. Das Vordergericht verkennt den Ausnahmecharakter dieser Vorschrift, wenn es auch dem gegenüber anderen Erwerbslosen schon wegen des Rentenbezuges weniger schutzbedürftigen Rentner einen gleich weitgehenden Versicherungsschutz einräumen will.
Auch das vom SG erwähnte "Dreiecksverhältnis" zwischen Versicherungsträger, Arbeitnehmer und Arbeitgeber rechtfertigt die Anwendung des § 214 RVO nicht. Die Mitgliedschaft ist ein zweiseitiges Rechtsverhältnis, das zwischen dem Versicherten und dem Versicherungsträger besteht. Es ist dabei gleichgültig, welches sonstige Rechtsverhältnis zwischen dem Versicherungsträger und einem Dritten, etwa wegen Beitragsforderungen, vorliegt. Die Leistungsansprüche des Versicherten gegen den Versicherungsträger beruhen nur auf dem zweiseitigen Mitgliedschaftsverhältnis zum Versicherungsträger (§ 165 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 3 RVO). Deshalb ist in § 214 RVO mit "Ausscheiden" nur eine Veränderung in diesem zweiseitigen Rechtsverhältnis gemeint.
2.) Wenn der Kläger zur Zeit des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis arbeitsunfähig war und einen Anspruch auf Krankengeld auf Grund Versicherung nach § 165 Abs. 1 Nr. 1 RVO erworben hatte, d. h. wenn der Versicherungsfall schon vor dem Ausscheiden eingetreten ist und der Kläger wegen desselben Leidens ununterbrochen behandlungsbedürftig geblieben ist, so sind die darauf beruhenden Ansprüche bis zum 1. April 1962, dem Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente (§ 183 Abs. 3 RVO), bestehen geblieben (vgl. BSG 16, 177; 22, 115). Bei dieser Rechtslage braucht nicht entschieden zu werden, ob beim Ausscheiden die nach § 165 Abs. 1 Nr. 1 RVO entstandene Mitgliedschaft gemäß § 311 RVO aufrechterhalten blieb oder ob die Versicherung nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO einsetzte; d. h. ob die Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft nach § 311 RVO eine Versicherung "nach anderen gesetzlichen Vorschriften" im Sinne des § 165 Abs. 6 RVO und dementsprechend die Versicherung als Rentner nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO subsidiär gegenüber § 311 RVO ist (vgl. "Wege zur Sozialversicherung" 1965, 137, 240).
Sonach kommt es für die Frage, ob der Kläger für die Zeit vom 12. März bis 31. März 1962 von der beklagten Betriebskrankenkasse Krankengeld beanspruchen kann, darauf an, ob der Versicherungsfall vor oder nach dem Ausscheiden aus der Versicherung am 9. März 1962 eingetreten ist. Da dies nicht festgestellt ist, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zu weiteren Ermittlungen zurückverwiesen werden. Er ist an das SG zurückverwiesen worden (§ 170 Abs. 3 Satz 1 SGG), weil es sich um einen verhältnismäßig geringen Anspruch handelt und die Berufung gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ausgeschlossen ist.
Fundstellen