Leitsatz (amtlich)

Ein Umweg ("Abweg") bei der Familienheimfahrt eines Soldaten führt dann zu keiner Unterbrechung des Versorgungsschutzes, wenn der Umweg gegenüber der gesamten Wegstrecke verhältnismäßig gering und lediglich dazu bestimmt ist, einen Kameraden derselben Einheit an dessen Wohnort abzusetzen oder abzuholen.

 

Normenkette

BVG § 4 Abs. 1 Buchst. c Fassung: 1964-02-21, Abs. 1 S. 2 Fassung: 1964-02-21; SVG § 81 Abs. 1 Fassung: 1964-08-08

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. Januar 1970 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der ... 1944 geborene Kläger leistete vom 1. Oktober 1964 bis 31. März 1966 seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr, zuletzt als Unteroffizier. Am Sonntag, dem 13. März 1966, abends wollte er nach einem Wochenendurlaub von seinem Wohnort M/Pfalz in seinen Standort K zurückkehren. Mit seinem Personenkraftwagen (Pkw) fuhr er von M zunächst nach H, um dort seinen Kameraden R. abzuholen, und dann auf der Autobahn Richtung S über den Schnittpunkt mit der Bundesstraße B 10 (Abfahrt N) hinaus nach St. I, um dort einen weiteren Kameraden (W.) abzuholen. R. und W. mußten ebenfalls nach Beendigung ihres Wochenendurlaubs am Sonntagabend nach K zurückkehren. Von St. I fuhr der Kläger auf der Autobahn zurück in Richtung Osten. Bevor er den Schnittpunkt mit der B 10 (zur H-straße) erreicht hatte, kam es zu einem Verkehrsunfall. Der Kläger und seine beiden Kameraden wurden verletzt. Der Kläger erlitt eine Milzruptur, die zur sofortigen Entfernung der Milz führte, und eine Gehirnerschütterung. Am 21. April 1966 wurde er aus dem Lazarett entlassen. Nach den fachärztlichen Gutachten von Prof. Dr. K und Dr. W sind die Folgen der Gehirnerschütterung abgeklungen; die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen der Entfernung der Milz beträgt 10 v.H.

Durch Bescheid vom 13. September 1967 lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) den Versorgungsantrag des Klägers ab mit der Begründung, der Unfall habe sich bei einer Unterbrechung des Rückweges, die aus persönlichen Gründen erfolgt sei, ereignet. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1967). Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten durch Urteil vom 20. Februar 1969 verurteilt, die bei dem Unfall vom 13. März 1966 erlittenen Verletzungen des Klägers als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten durch Urteil vom 6. Januar 1970 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, der Versorgungsanspruch des Klägers sei gemäß §§ 80, 81 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) begründet. Zum Dienst gehöre gemäß § 27 Abs. 3 Nr. 2 SVG auch das Zurücklegen des Weges nach und von der Dienststelle. Dieser Weg müsse grundsätzlich ohne größere Unterbrechung und ohne wesentlichen Umweg zurückgelegt werden. Bei dem Unfall des Klägers, der sich auf einem Umweg ereignet habe, hätten aber die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse eine wesentliche Rolle gespielt. Die Abweichung nach H, um den Kameraden R. aufzunehmen, sei ganz unwesentlich. Aber auch der Weg nach St. I, um dort den Kameraden W. abzuholen, stelle keinen wesentlichen Um- oder Abweg dar; gegenüber der Gesamtstrecke sei die zusätzliche Strecke von völlig untergeordneter Bedeutung. Der Kläger habe mit dem Umweg auch keine privaten Interessen verfolgt. Ausschlaggebend sei allein die Kameradschaft gewesen, die in allen ihren Auswirkungen im Wehrdienst eine übergeordnete Rolle spiele. Der Kläger habe glaubhaft vorgetragen, daß er durch die Mitnahme während der ganzen Dienstzeit seinen Kameraden, die keinen eigenen Wagen besaßen, den Wochenendurlaub in uneigennütziger Weise wesentlich vereinfacht und erleichtert, vielleicht sogar erst ermöglicht habe. Der Kläger sei daher auf der ganzen Fahrt einschließlich des Umweges nach St. I versorgungsrechtlich geschützt gewesen. Eine Versorgungsrente stehe dem Kläger allerdings nicht zu, da die schädigungsbedingte MdE keinen rentenberechtigenden Grad erreiche.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Dieses Urteil wurde dem Beklagten am 21. Januar 1970 zugestellt, der dagegen am 17. Februar 1970 Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 21. April 1970 mit Schriftsatz vom 1. April, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 2. April 1970, begründet hat.

Der Beklagte beantragt,

1.

das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. Januar 1970 und das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 20. Februar 1969 aufzuheben;

2.

die Klage gegen den Bescheid des Versorgungsamts Landau vom 13. September 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 1967 abzuweisen.

In seiner Revisionsbegründung rügt der Beklagte eine Verletzung der §§ 27, 80, 81 SVG, §§ 1 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Nach den Grundsätzen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) liege ein Dienstunfall vor, wenn er sich außerhalb der privaten (eigenwirtschaftlichen), also in der unfallgeschützten dienstlichen Sphäre ereignet habe. Der Soldat müsse also "im Banne" des Dienstes stehen. In Anlehnung an diese Grundsätze begegneten dem vorliegenden Streitfall einige Zweifel, soweit es den "engeren natürlichen Zusammenhang" mit dem Dienst betreffe. Unbestritten stehe fest, daß der Kläger beim Abholen seines Kameraden W. in St. I seine Richtung zum Endziel (Dienstort) zunächst aufgegeben habe, daß die Fahrt von H/West nach St. I nicht auf dem direkten Weg vom Wohnort des Klägers zum Dienstort K liege und daß von der direkten Verkehrsverbindung abgewichen worden sei. Der Um- bzw. Abweg betrage über 25 km. Damit werde der von der Rechtsprechung geforderte enge zeitliche und örtliche Zusammenhang mit dem Dienst zweifelhaft. Entgegen der Auffassung des LSG erscheine das Abholen von Kameraden, verbunden mit Um- oder Abwegen, nicht gerade für die Eigenart des militärischen Dienstes typisch und zwangsläufig mit ihm verbunden zu sein. Auch im Zivilleben sei heute tagtäglich zu erleben, daß Arbeiter und Bedienstete im privaten und öffentlichen Arbeitsbereich von ihren Arbeitskameraden mit dem Fahrzeug abgeholt und zum Arbeits-Dienstort gebracht würden. Auch hier gehe es um Kameradschaft in allen ihren Auswirkungen, die sich nicht von der Kameradschaft der Soldaten unterscheide. Der Beklagte bezweifle daher, daß der Kläger auf der ganzen Fahrt versorgungsrechtlich geschützt gewesen sei.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht ordnungsgemäß (§ 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) vertreten und hat keine Anträge gestellt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.

II

Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist von dem Beklagten frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig (§ 169 SGG). Die Revision ist jedoch sachlich unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Kläger während der ganzen Rückfahrt von seinem Wochenendurlaub, also auch bei der Abweichung nach St. I, unter Versorgungsschutz stand.

Der Kläger war als wehrpflichtiger Soldat zur Ableistung seines Grundwehrdienstes zur Bundeswehr eingezogen (vgl. §§ 1 ff des Wehrpflichtgesetzes vom 21. Juli 1956 - BGBl I S. 651 - mit den späteren Änderungen). Auf ihn sind daher, soweit es sich um die Beurteilung des von dem Kläger am 13. März 1966 erlittenen Unfalls handelt, die Vorschriften des Dritten Teiles ("Beschädigtenversorgung") des SVG anzuwenden, und zwar zunächst in der zur Zeit des Unfalls geltenden Fassung (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 6.8.1968 - SozR BVG § 4 Nr. 6 - mit weiteren Hinweisen). Das ist die Neufassung des SVG in der Bekanntmachung vom 8. August 1964 (BGBl I S. 649). Nach § 80 Abs. 1 SVG erhält ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung des Dienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung "in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes", soweit im SVG nichts anderes bestimmt ist. Nach § 81 Abs. 1 SVG ist Wehrdienstbeschädigung (WDB) eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Dienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Welche Tätigkeiten als Wehrdienst oder Dienstverrichtung anzusehen sind, ist im SVG nicht gesagt. Der Hinweis in § 80 Abs. 1 SVG - und auch in § 81 Abs. 5 SVG - auf die entsprechende Anwendung der Vorschriften des BVG kann aber nur bedeuten, daß die Vorschriften des BVG über die Begriffe militärischer Dienst, Ausübung des militärischen Dienstes und Schädigung im Sinne des BVG grundsätzlich auch für die Begriffe Wehrdienst, Ausübung des Wehrdienstes und Wehrdienstbeschädigung gelten, soweit sich nicht aus dem Sinn und Zweck des SVG etwas anderes ergibt (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 6. August 1968 - 10 RV 15/67 - abgedruckt in BSG 28, 190, und - 10 RV 261/66 -). Danach ist aber auch § 4 BVG bei der Beschädigtenversorgung nach dem SVG anwendbar, insofern er bestimmte Wege zum militärischen Dienst, d.h. zum Wehrdienst nach den §§ 80 ff SVG rechnet. Dem LSG kann daher nicht gefolgt werden, wenn es § 27 Abs. 3 Nr. 2 SVG auf den hier streitigen Wegeunfall angewendet und diese Vorschrift als lex specialis gegenüber § 4 BVG angesehen hat. Der § 27 SVG gilt ausdrücklich nur für die Dienstzeitversorgung der Berufssoldaten (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 SVG: "Auf einen Berufssoldaten ...") und nicht für die Beschädigtenversorgung der Wehrpflichtigen (vgl. BSG aaO mit ausführlicher Begründung; s. auch Urteil des 9. Senats des BSG vom 17. März 1970, SozR BVG § 4 Nr. 7). Diese Auffassung des Senats wird bestätigt durch die Neufassung, die § 81 SVG durch das Sechste Gesetz zur Änderung des SVG vom 10. August 1971 (BGBl I S. 1273) erfahren hat (vgl. Bekanntmachung der Neufassung des SVG vom 1. September 1971, BGBl I S. 1481). Nunmehr sind die Vorschriften über Wegeunfälle in § 27 Abs. 3 und § 81 Abs. 3 SVG jeweils gesondert aufgeführt. Soweit daher in den §§ 80 ff SVG Tatbestände fehlten, die bereits früher in § 27 SVG erfaßt und die sinngemäß auch bei den Vorschriften der §§ 80 ff SVG zu erwarten waren, sind diese Tatbestände in die Beschädigtenversorgung durch den Hinweis auf die entsprechende Anwendung der Vorschriften des BVG - insbesondere auch des § 4 BVG - einbezogen gewesen. Die - irrige - Rechtsauffassung des LSG über die Anwendung des § 27 SVG ist jedoch vom Ergebnis her unschädlich, da § 27 Abs. 3 Nr. 2 SVG mit § 4 Abs.1 Buchst. c BVG idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 21. Februar 1964 (BGBl I S. 85 - 2. NOG -) - das hier anzuwenden ist, da sich der Unfall während der zeitlichen Geltungsdauer dieses Gesetzes ereignet hat - sinngemäß übereinstimmt.

Nach § 4 Abs. 1 Buchst. c BVG idF des 2. NOG gehört zum Dienst auch "das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle". Ferner bestimmt § 4 Abs. 1 Satz 2 BVG, daß Satz 1 Buchst. c "auch für den Weg von und nach der Familienwohnung gilt", wenn der Beschädigte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung vom Dienstort an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hatte (vgl. auch § 27 Abs. 3 Satz 2 SVG). Wie der Senat bereits entschieden hat, handelt es sich bei § 4 Abs. 1 Buchst. c BVG und bei § 4 Abs. 1 Satz 2 BVG um zwei verschiedene Tatbestände (vgl. BSG 28, 190 = SozR BVG § 4 Nr. 6). Während nach Buchstabe c das Zurücklegen des "dienstbedingten Weges" nach und von der Dienststelle geschützt wird, gehört nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BVG auch der "familienbedingte" Weg zum militärischen oder militärähnlichen Dienst. Die frühere Streitfrage, ob zum militärischen bzw. Wehrdienst auch Urlaubsfahrten zur Familie - und insbesondere Wochenendurlaubsfahrten - gehören (vgl. BSG aaO mit weiteren Hinweisen aus der Rechtsprechung des BSG), ist vom Gesetzgeber positiv in dem Sinne geregelt worden, daß auch Familienheimfahrten dem Dienst zuzurechnen und daher versorgungsrechtlich geschützt sind, obwohl sie nicht zu den "dienstbedingten" Wegen im engeren Sinne (§ 4 Abs. 1 Buchst. c BVG) gehören (vgl. BSG 28, 190, 197).

Nach den Feststellungen des LSG, die von den Beteiligten nicht angegriffen und daher für das Revisionsgericht bindend sind (§ 163 SGG), hatte der Kläger seinen Standort in K und seine Familienwohnung in M/Pfalz. Für das Wochenende vom 12./13. März 1966 hatte er Wochenendurlaub erhalten, den er zu einer Fahrt zu seinen Eltern - seiner Familienwohnung (vgl. BSG in SozR BVG § 4 Nr. 7) - nach Miesau benutzte. Der Kläger stand daher nach den obigen Ausführungen auf der Fahrt von K nach M und auch auf der Rückfahrt von M nach K grundsätzlich unter Versorgungsschutz. Dabei ist es unschädlich, daß der Kläger kein öffentliches Verkehrsmittel, sondern sein eigenes Auto benutzte und daß der Weg, den der Kläger regelmäßig befuhr, nämlich von K über die H-straße und die B 10 bis zur Kreuzung mit der Autobahn S/K und von dort auf der Autobahn bis M, möglicherweise etwas weiter ist als der direkte Weg auf Nebenstraßen ("über die Dörfer") nach Miesau. Im Anschluß an die Unfallrechtsprechung (vgl. BSG 4, 219; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II S. 486 p) ist der Senat der Auffassung, daß der Dienstpflichtige nicht nur in der Wahl des Verkehrsmittels, sondern auch in der Wahl des Weges grundsätzlich frei ist (s. auch Plog/Wiedow/Beck, Kommentar zum Bundesbeamtengesetz - BBG -, § 135 Anm. 27). Die Benutzung eines eigenen Kraftwagens darf heute als selbstverständlich angesehen werden. Dem Verkehrsteilnehmer soll es aber auch nicht nachgemessen werden, wenn er aus verkehrsbedingten Gründen - z.B. Autobahn - einen anderen, längeren Weg (Umweg) wählt, sofern ihn dieser Umweg nach vernünftiger Auffassung sicherer und schneller zum Ziel bringt. Voraussetzung ist allerdings bei diesem Umweg, daß die Zielrichtung, also der Weg zur Familienwohnung oder zum Dienstort, beibehalten wird und für die Wahl des Weges lediglich verkehrstechnische und keine anderen Gründe maßgebend sind, die allein oder überwiegend dem privaten Lebensbereich zuzurechnen sind (vgl. Brackmann, aaO. S. 486 q 1; BSG 28, 190).

Der Unfall des Klägers hat sich jedoch nicht auf dem kürzesten oder dem - auch nach Auffassung des Klägers - verkehrsmäßig günstigsten Weg, sondern auf einer Abweichung von diesem Weg ("Abweg") ereignet. Nach den Feststellungen des LSG hatte der Kläger am Abend des 13. März 1966 bei der Rückfahrt von M nach K zunächst den Kameraden R. in H abgeholt und war dann auf der Autobahn Richtung Westen an der Abzweigstelle der B 10 (Abfahrt H-N, zur Hstraße) vorbeigefahren nach St. I, um dort den Kameraden W. abzuholen. Alsdann war er denselben Autobahnabschnitt wieder zurückgefahren Richtung Osten. Noch bevor er die Abzweigung mit der B 10 erreicht hatte, war es auf der Autobahn zu dem Unfall gekommen. Die bei den Akten befindliche Straßenkarte macht deutlich, daß es sich bei der Fahrt nach St. I um eine Abweichung handelt, die mit der eigentlichen Zielrichtung nach K nichts zu tun hat, ja ihr entgegengesetzt ist.

Die Frage des Umweges bzw. der Abweichung hat im Sozialversicherungs- und Beamtenrecht, aber auch im Versorgungsrecht eine große Rolle gespielt (vgl. Brackmann, aaO mit zahlreichen Nachweisen aus der Unfallrechtsprechung des BSG; BVerwG 16, 103, 106; 21, 307, 310; 24, 246, 249; 30, 20; 35, 234, 239; BSG 27, 114). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung besteht Übereinstimmung dahin, daß die Vorschriften auf diesen einzelnen Rechtsgebieten, soweit es sich um Wegeunfälle aller Art handelt, nicht isoliert betrachtet werden dürfen, sondern daß Grundsätze, die auf dem einen Rechtsgebiet herausgearbeitet worden sind, auch für die anderen Rechtsgebiete maßgebend sind, zumal auch der Gesetzgeber gerade in letzter Zeit bemüht gewesen ist, diese Vorschriften einheitlich zu fassen, soweit nicht die grundsätzlichen Unterschiede der verschiedenen Rechtsgebiete eine einheitliche Regelung ausschließen (vgl. §§ 543 RVO aF; 550 RVO nF; § 135 BBG; § 4 BVG; §§ 27 und 81 SVG). Das BVerwG spricht in diesem Zusammenhang von einer weitgehenden Übereinstimmung der einschlägigen sozialgerichtlichen und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG 35, 234, 239). Gleichermaßen sind aber auch im Versorgungsrecht Regelungen aus dem Unfallversicherungsrecht und dem Beamtenrecht und die dazu ergangene Rechtsprechung stets als vergleichbarer Maßstab angesehen worden (vgl. BSG 4, 243, 247; 28, 190; 27, 114, 118).

Die übereinstimmende Rechtsüberzeugung auf den genannten Rechtsgebieten geht dahin, daß unwesentliche Umwege unschädlich sind und daß auch etwas größere Umwege den Versicherungs- oder Versorgungsschutz nicht verloren gehen lassen, sofern die Zielrichtung beibehalten wird und für die Wahl des weiteren Weges keine Gründe maßgebend sind, die allein oder überwiegend dem privaten Lebensbereich zuzurechnen sind, daß aber Abweichungen ("Abwege"), bei denen die Zielrichtung nicht beibehalten, sondern aus persönlichen ("eigenwirtschaftlichen") Gründen eine entgegengesetzte oder stark abweichende Richtung eingeschlagen wird, zu einem - vorübergehenden - Verlust des Versicherungs- oder Versorgungsschutzes führen (vgl. Urteile BSG vom 26. Juni 1970 - 2 RU 113/68; vom 18. Dezember 1969 - 2 RU 19/68; vom 14.10.1970 - 10 RV 240/69; BVerwG 21, 307, 310; Brackmann aaO S. 486 q I; Plog/Wiedow/Beck aaO § 135 Anm. 27; Fischbach, BBG, 3. Aufl. § 135 Anm. III, 2).

Ein Wiederaufleben des Versicherungs- bzw. Versorgungsschutzes findet in diesen Fällen erst dann statt, wenn die Unterbrechung beseitigt und der Verletzte bzw. Beschädigte auf den versicherungsrechtlich oder versorgungsrechtlich geschützten Weg zurückgekehrt ist (vgl. BSG 27, 114, 117 für die Unterbrechung einer Bahnfahrt zum Gestellungsort; BSG vom 26. Juni 1970. aaO, für die durch den Einkauf in einer Apotheke bedingte Unterbrechung; BVerwG 21, 307, 310 für einen ähnlich gelagerten Fall BSG in SozR RVO § 550 Nr. 8 für das Wegbringen eines Hundes und das anschließende Abstellen des Pkw). Eine Ausnahme mit der Wirkung, daß der Versicherungs- bzw. Versorgungsschutz bestehen bleibt, ist jedoch auch in den Fällen eines größeren Umweges und selbst bei einer Abweichung in die entgegengesetzte Richtung ("Abweg") dann zugelassen worden, wenn dieser Umweg seine wesentliche Ursache im dienstlichen Bereich hatte und andere, mit dem Dienst nicht zusammenhängende Ursachen für das Einschlagen des Weges demgegenüber in den Hintergrund traten und als rechtlich unwesentlich unberücksichtigt bleiben konnten (vgl. BVerwG 24, 246, 249; 35, 237), wenn der Umweg wesentlich durch betriebliche Umstände bedingt war (vgl. BSG in SozR RVO § 543 aF Nr. 42; Urteil BSG vom 30. Mai 1969 - 2 RU 199/67), oder wenn der Verletzte in der Überzeugung gehandelt hatte, dadurch wesentliche betriebliche Belange zu fördern, nämlich die vom Betrieb gewünschte gegenseitige Hilfe der Betriebsangehörigen (vgl. Urteil BSG vom 30. Januar 1963 - 2 RU 7/60). Gerade die letztgenannte Entscheidung läßt deutlich erkennen, daß neben den unmittelbaren betrieblichen Belangen auch menschliche Belange, die das "Betriebsklima" und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Betriebsangehörigen fördern und damit mittelbar auch die Betriebsarbeit günstig beeinflussen, als wesentlich für die Beurteilung des UV-Schutzes angesehen worden sind (vgl. auch Urteil BSG vom 31. Oktober 1969 - 2 RU 161/67 - für den UV-Schutz bei der Ehrung eines Betriebsjubilars).

Werden diese von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze entsprechend auf den vorliegenden Fall angewandt, dann zeigt sich, daß dem Kläger der Versorgungsschutz nicht versagt werden kann, weil der Umweg, den der Kläger bei der Fahrt nach St. I eingeschlagen hat, wesentlich "durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse" (§ 81 Abs. 1 SVG) bedingt war. Mit dieser Formulierung knüpft das Gesetz an die Regelung in § 1 Abs. 1 BVG an, wonach ein Versorgungsanspruch u.a. dann gegeben ist, wenn die gesundheitliche Schädigung "durch die dem militärischen oder militärähnlichen Dienst eigentümlichen Verhältnisse" verursacht worden ist. Der Gesetzgeber hat weder in § 1 BVG noch in § 81 SVG eine Definition dieses Begriffes gegeben. In Rechtsprechung und Schrifttum besteht aber Einigkeit darüber, daß durch diese Regelung Fälle erfaßt werden sollen, die nicht eigentlich dem militärischen oder militärähnlichen Dienst zuzurechnen sind, die aber gleichwohl einen versorgungswürdigen Tatbestand darstellen (vgl. Wilke, BVG, 3. Aufl. 1968, § 1 Anm. II 3 S. 22; SVG § 81 Anm. IV 1 S. 492). Dem Wehrdienst eigentümlich sind Verhältnisse, die den Eigenarten des Dienstes entsprechen, im allgemeinen eng mit ihm verbunden sind und die sonst nicht oder nicht in dem Maße wie beim militärischen Dienst wirksam und erfahrungsgemäß den besonderen Umständen dieses Dienstes zuzurechnen sind (vgl. BSG in SozR BVG § 1 Nr. 80; BSG 10, 251, 254; s. auch Urteil des erk. Senats vom 22.9.1971 - 10 RV 330/70; Wilke aaO; van Nuis/Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, II. Teil S. 83; Rohr-Beuster-Strässer, BVG, Handkommentar, § 1 Anm. 11; Thannheiser-Wende-Zech, Handbuch des Versorgungsrechts, § 1 S. 5). Mit Recht weist das LSG in diesem Zusammenhang darauf hin, daß dem Wehrdienst eigentümlich die soldatische Kameradschaft ist und daß diese "zu den tragenden Elementen einer jeden Wehrgemeinschaft gehört". Welche Bedeutung der Kameradschaft im Kriege zukommt, braucht nicht näher dargelegt zu werden. Aber auch der Wehrdienst im Frieden ist ohne das Gefühl der Zusammengehörigkeit, des Einstehens füreinander, des unbedingten Aufeinander-Verlassen-Könnens und der Hilfsbereitschaft innerhalb und außerhalb des Dienstes, um nur einige der Elemente zu nennen, die mit dem Begriff der Kameradschaft verbunden werden, nicht denkbar (vgl. auch § 12 des Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten - Soldatengesetz - vom 19. März 1956, BGBl. I S. 114, mit den späteren Änderungen). Das Gefühl der Kameradschaft wird um so stärker ausgebildet sein, je enger das eigene militärische Leben mit dem des "Nebenmannes" verbunden ist, sei es durch die gemeinsame Grundausbildung, die Unterbringung auf derselben Stube oder durch den gemeinsamen Dienst im Gelände oder bei der Waffenausbildung. Von keinem Soldaten kann erwartet werden, daß er sich dem berechtigten Vorwurf der Unkameradschaftlichkeit aussetzt. Der Begriff "berechtigt" ist dabei vom Standpunkt eines vernünftig denkenden Soldaten und unter Beachtung der dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse zu beurteilen. Trifft ein derartiger Vorwurf zu, dann würde sich der Soldat damit außerhalb der Gemeinschaft stellen und im dienstlichen und außerdienstlichen Bereich mit erheblichen Nachteilen rechnen müssen.

Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger seine Kameraden W. und R., mit denen er zusammen gedient hat und die selbst keinen eigenen Wagen besaßen, während der ganzen Dienstzeit regelmäßig mit seinem Wagen zu den Wochenendurlauben mitgenommen. Er hat ihnen dadurch diese Urlaube - wie das LSG ausdrücklich und unangefochten festgestellt hat - wesentlich vereinfacht und erleichtert, vielleicht sogar "erst ermöglicht". Die Eisenbahnfahrt von K nach St. I und H ist umständlich und zeitraubend, so daß sich für W. und R. eine wesentliche Verlängerung des Urlaubs ergab, ganz abgesehen davon, daß sie kostenlos mit dem Kläger mitfahren konnten. Gegen den Kläger wäre daher nicht nur von W. und R., sondern auch von den übrigen Kameraden berechtigterweise der Vorwurf der Unkameradschaftlichkeit erhoben worden, wenn er selbst regelmäßig bequem und schnell im eigenen Auto nach Hause gefahren wäre, während W. und R. - obwohl sie den weitaus größten Teil der Strecke gemeinsam mit dem Kläger fahren konnten und ihre Wohnorte im Hinblick auf die Gesamtstrecke nur unbedeutend auseinanderlagen - die Eisenbahn benutzen oder gar in der Kaserne bleiben mußten. Der Kläger handelte daher in Erfüllung einer selbstverständlichen Kameradschaftspflicht, wenn er seine Kameraden W. und R. zu den Wochenendurlauben mit seinem Auto mitfahren ließ. Zugleich handelte er aber auch im Interesse der Bundeswehr, denn diese hat ein wesentliches dienstliches Interesse daran, daß das Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Hilfsbereitschaft unter den Angehörigen einer Einheit gefördert und Spannungen und Differenzen aus dem Gesichtspunkt der Unkameradschaftlichkeit vermieden werden.

Dem Kläger konnte auch nicht angesonnen werden, seine Kameraden auf der Hinfahrt an der Kreuzung der B 10 mit der Autobahn einfach abzusetzen und sie bei der Rückfahrt dort wieder aufzunehmen, so daß diese gezwungen gewesen wären, den Rest des Weges jeweils als "Anhalter" zurückzulegen. Die Abweichung nach St. Ingbert - auf der Autobahn - ist streckenmäßig und zeitmäßig so unbedeutend, während andererseits die Erschwernisse und Verzögerungen für W. und R. so stark gewesen wären, daß der gesamte Weg als Einheit angesehen werden muß und auch die Abweichung unter dem Gesichtspunkt der Kameradschaft durchaus gerechtfertigt erscheint. Der Senat verkennt dabei nicht, daß auch der Kameradschaft und den sich daraus ergebenden außerdienstlichen Verpflichtungen gewisse Grenzen gesetzt sind. Das muß insbesondere dann gelten, wenn die Gefahr wesentlich erhöht wird oder der Umweg im Verhältnis zur Gesamtstrecke von erheblicher Bedeutung ist. Beide Voraussetzungen lagen hier aber nicht vor. Die Fahrt auf der Autobahn nach St. I durfte als relativ gefahrlos angesehen werden; bei einer Gesamtstrecke von 180 km kommt einem Umweg von 20-25 km, wie ihn das LSG festgestellt hat, auch keine wesentliche Bedeutung zu. Weiterhin ist zu beachten, daß der Kläger auf der Abweichung nach St. Ingbert keine privaten Interessen verfolgt, sondern daß er diesen Umweg nur unternommen hat, um, nachdem er den Kameraden R. in H abgeholt hatte, auch den Kameraden W. abzuholen, und daß die Mitfahrt für beide unentgeltlich war. Sind aber private (eigenwirtschaftliche) Gründe für den Umweg nicht ersichtlich und ist dieser ausschließlich zum Zwecke des Abholens des Kameraden W. unternommen worden, dann ist unter den gegebenen Umständen davon auszugehen, daß die Abweichung durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse bedingt war.

Der Auffassung des Beklagten, daß sich die Kameradschaft im Arbeitsleben "in nichts" von der Kameradschaft der Soldaten unterscheidet, kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Die Kasernierung und das langfristige Zusammenleben auf engem Raum führen zwangsläufig dazu, daß sich die persönlichen Verhältnisse sehr viel enger gestalten als im normalen Zivil- oder Arbeitsleben. Der 8. Senat das BSG hat zu Recht darauf hingewiesen, daß der Wehrpflichtige den Kreis seiner Familie, seiner Freunde und Bekannten für einen langen Zeitraum verlassen muß, daß er nicht nur während der Dienstzeit - "das entspräche etwa der Situation im Arbeitsleben" -, sondern auch während der Freizeit tatsächlich gezwungen ist, mit einer größeren Zahl fremder Menschen zusammenzuleben und daß sich daraus Besonderheiten ergeben, die nur dem Wehrdienst eigentümlich sind (vgl. SozR BVG § 1 Nr. 80). Darüber hinaus bestimmt § 12 des Soldatengesetzes ausdrücklich: "Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft." Das kameradschaftliche Verhalten wird damit zu einer Rechtspflicht jedes Soldaten erhoben (vgl. Scherer, Soldatengesetz, 3. Aufl., 1968, § 12 Anm. I; Rittau, Soldatengesetz, § 12 Anm. 2). Der Vorwurf der Unkameradschaftlichkeit hat daher für den Soldaten im Hinblick auf die Eigenarten des Wehrdienstes eine besonders schwerwiegende Bedeutung. Dieser Vorwurf kann sich nicht nur aus dem dienstlichen, sondern auch aus dem außerdienstlichen Verhalten des Soldaten herleiten und verfolgt diesen im Dienst, aber auch während der Freizeit oder während des Bereitschaftsdienstes. Ein Wechsel der "Arbeitsstelle" ist dem Soldaten vollends unmöglich, da er kraft Gesetzes zur Dienstleistung verpflichtet ist. Der Begriff der dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse kann daher nicht so eng ausgelegt werden, daß darunter nur solche Verhältnisse zu verstehen sind, die nur und ausschließlich beim Wehrdienst auftreten können. Vielmehr genügt es zur Ausfüllung dieses Begriffes, daß es sich um Verhältnisse handelt, die sonst nicht oder "nicht in diesem Maße wie beim militärischen Dienst" wirksam werden (vgl. BSG aaO) und die sich infolge der Eigenart des Wehrdienstes grundsätzlich von denjenigen des zivilen Lebens unterscheiden (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 22. September 1971 - 10 RV 330/70 -). Letzteres aber trifft für den Begriff der Kameradschaft und der sich daraus ergebenden Kameradschaftspflichten eindeutig zu. Dem Beklagten ist allerdings zuzugeben, daß nicht jedes Entgegenkommen, jede Hilfeleistung und - auf den vorliegenden Fall bezogen - jeder Umweg unter den Begriff der Kameradschaft gefaßt werden kann. Maßgebend für die Abgrenzung sind insoweit auch nicht die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten, die sehr weit gehen können, sondern die objektiv zu beurteilende Frage, ob einem der Beteiligten andernfalls berechtigterweise der Vorwurf der Unkameradschaftlichkeit gemacht werden könnte. Das aber war hier - lange gemeinsame Wegstrecke, geringer Umweg - der Fall. Der Kläger ist also auf einem Weg verunglückt, der gemäß §§ 80, 81 SVG iVm § 4 BVG unter Versorgungsschutz stand. Die bei dem Unfall erlittenen Verletzungen sind von den Vorinstanzen zu Recht als Wehrdienstbeschädigung anerkannt worden. Die Revision des Beklagten war als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1669213

BSGE, 239

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