Leitsatz (amtlich)
Wird ein Schwerbeschädigter, der auf einen neuen - sozial höherwertigen - Beruf umgeschult worden ist und diesen Beruf längere Zeit ausgeübt hat, durch eine Verschlechterung der Schädigungsfolgen gezwungen, auch diesen Beruf aufzugeben, so ist der Umschulungsberuf für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs maßgebend.
Leitsatz (redaktionell)
Die Wohltat des BVG § 26 (Erlernen eines Umschulungsberufs) würde zunichte gemacht werden, wenn im vorliegenden Fall bei Berechnung des Berufsschadensausgleichs nicht den Umschulungsberuf sondern nur der vor der Beschädigung ausgeübte Beruf zugrunde gelegt würde.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 3 Fassung: 1964-02-21, Abs. 3 Fassung: 1966-12-28, Abs. 4 Fassung: 1964-02-21, Abs. 4 Fassung: 1966-12-28, § 26 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 1969 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger war vor dem Krieg als Maler- und Anstreichergeselle berufstätig. Im Oktober 1939 wurde er zum Wehrdienst eingezogen und im Juli 1948 aus französischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Durch Bescheid vom 24. August 1950 wurden bei ihm als Schädigungsfolgen anerkannt: "Rechtsseitige cavernöse Lungentuberkulose; Narbe an der rechten Brustseite". Der Kläger bezieht seither eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. Für die Zeit vom 1. Juli 1951 bis 31. Dezember 1954 wurde ihm Pflegezulage gewährt. Vom Wintersemester 1955 bis zum Sommersemester 1959 wurde der Kläger an der Werkkunstschule K zum Gebrauchsgrafiker umgeschult und legte die staatliche Abschlußprüfung ab. Die Ausbildungskosten wurden gemäß § 26 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) von der Kriegsopferfürsorge getragen. Seit dem 14.September 1960 war der Kläger als Grafiker berufstätig. Nach einem versorgungsärztlichen Gutachten von Dr. Sch vom 21. November 1960 sollte die Rente nach einer MdE um 100 v.H. vorsorglich für weitere 2 Jahre belassen werden. Im Herbst 1962 erkrankte der Kläger erneut an offener Lungentuberkulose. Infolge der Erkrankung mußte er die Tätigkeit als Grafiker wieder aufgeben.
Auf seinen Antrag vom 17. Januar 1964 gewährte ihm das Versorgungsamt (VersorgA) mit Bescheid vom 24. Juni 1965 einen Berufsschadensausgleich. Der Berechnung wurde das Durchschnittseinkommen eines Arbeiters der Leistungsgruppe I (gelernter Arbeiter, Vollgeselle im Handwerkszweig Maler und Anstreicher) zugrunde gelegt. Der Widerspruch des Klägers, mit dem er die Einstufung als Grafiker begehrte, war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. November 1965). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage, die auf Einstufung als technischer Angestellter nach Leistungsgruppe III gerichtet war, durch Urteil vom 8. Mai 1967 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten durch Urteil vom 11. Dezember 1969 verurteilt, der Berechnung des Berufsschadensausgleichs die Leistungsgruppe IV der technischen Angestellten im Wirtschaftsbereich Druckerei in der Vervielfältigungsindustrie zugrunde zu legen. Es hat ausgeführt, der Kläger sei vom Malergesellen zum Grafiker umgeschult worden und habe diesen Beruf vom 14. August 1960 - richtig: 14. September 1960 - bis zum 27. September 1962, also über zwei Jahre ausgeübt. Damit sei der durch die Schädigung eingetretene Einkommensverlust zunächst ausgeglichen gewesen. Dem Beruf eines Grafikers sei der Kläger trotz der Schädigungsfolgen auch gewachsen gewesen. Erst der Rückfall der Lungentuberkulose in einen aktiven Prozeß im Herbst 1962 habe den Kläger gezwungen, den sozial höherwertig einzuschätzenden Beruf eines Grafikers wieder aufzugeben. Damit sei er erneut sozial abgestiegen. Wegen des Einkommensverlustes stehe ihm ein Berufsschadensausgleich zu. Zwar lasse sich nicht feststellen, daß der Kläger ohne die Schädigungsfolgen mit Wahrscheinlichkeit die Stellung eines Grafikers erreicht oder auch nur angestrebt hätte; ebensowenig lasse sich feststellen, daß er ohne die Schädigungsfolgen mit Wahrscheinlichkeit Maler- und Anstreichermeister geworden wäre. Darauf komme es jedoch nicht an. Habe ein Schwerbeschädigter, der seinen früheren Beruf wegen der Schädigungsfolgen nicht mehr ausüben könne und deshalb einen Einkommensverlust habe, diesen Verlust - wie der Kläger - durch einen neuen Beruf ausgleichen können, so sei im Falle einer Änderung der beruflichen Verhältnisse bei einer Entscheidung nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG dieser Ausgleichsberuf relevant. Diese Auffassung werde durch § 30 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a BVG gestützt, wonach ein dem früheren sozial gleichwertiger neuer Beruf diesen früheren Beruf vollständig ersetze. Nur wenn der sozial gleichwertige Beruf infolge der Schädigung nicht mehr ausgeübt werden könne, finde § 30 Abs. 2 BVG erneut Anwendung. Übertragen auf § 30 Abs. 3 und 4 BVG bedeute dies, daß der Schwerbeschädigte einen Berufsschadensausgleich erhalte, wenn er seinen Ausgleichsberuf wegen einer Verschlimmerung der Schädigungsfolgen habe aufgeben müssen. In dem Beruf eines technischen Angestellten erfülle der Kläger nur die Tätigkeitsmerkmale der Leistungsgruppe IV im Wirtschaftsbereich Druckerei. Die Auffassung des SG, daß § 30 Abs. 6 BVG der Gewährung eines Schadensausgleichs entgegenstehe, sei unzutreffend.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Dieses Urteil wurde dem Beklagten am 4. Februar 1970 zugestellt, der dagegen am 2. März 1970 Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 4. Mai 1970 mit Schriftsatz vom 24. April, beim BSG eingegangen am 30. April 1970, begründet hat.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 1969 - L 11 V 153/67 - die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 8. Mai 1967 - S 26 V 181/65 - zurückzuweisen.
In seiner Revisionsbegründung rügt er eine Verletzung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG (2. und 3. NOG), § 3 der DVO vom 30. Juli 1964 und vom 28. Februar 1968 zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG. Er trägt dazu vor, nach § 30 Abs. 3 BVG erfordere die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs dem Grunde und der Höhe nach einen schädigungsbedingten Einkommensverlust. Dabei handele es sich nicht um einen irgendwie, sondern um einen nach Maßgabe des § 30 Abs. 4 BVG ermittelten Einkommensverlust. Diese Vorschrift lasse die vom Kläger gewünschte Berücksichtigung eines Berufes, der ohne die Schädigung nicht erlangt worden wäre, nicht zu. § 30 Abs. 4 BVG stelle es seinem Wortlaut nach auf das Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe ab, der der Beschädigte ohne die Schädigung wahrscheinlich angehört hätte. Dieser Wortlaut sei so klar, daß eine von ihm abweichende Anwendung der Vorschrift nur unter den Voraussetzungen einer berichtigenden Auslegung in Betracht kommen dürfe. Die Regelung des § 30 Abs. 2 BVG lasse allerdings daran denken, ob nicht vielleicht der in § 30 Abs. 4 BVG verwendete Begriff der Schädigung so auszulegen sei, daß bei der Ermittlung des Einkommensverlustes in Fällen der vorliegenden Art von dem Umschulungs- bzw. "Ausgleichs-"Beruf ausgegangen werden könne, selbst wenn er ohne die Schädigung im Sinne des § 1 BVG nicht erlangt worden wäre. Man könne erwägen, im Rahmen des § 30 Abs. 4 BVG die Verschlimmerung von Schädigungsfolgen, die zum Verlust eines Umschulungsberufs führten, oder sogar den Verlust des Umschulungsberufes selbst als Schädigung anzusehen. Es komme hinzu, daß schädigende Ereignisse im Sinne des § 1 BVG nicht auf einen kurzen Zeitpunkt beschränkt sein müßten. Diese Überlegungen dürften aber nicht ausreichen, um die Berücksichtigung eines Umschulungsberufes, den der Beschädigte ohne Schädigung im Sinne des § 1 BVG niemals ausgeübt hätte, im Rahmen des § 30 Abs. 4 BVG zu berücksichtigen. Der Begriff der gesundheitlichen Schädigung im Sinne des § 1 BVG umfasse nicht die Verschlimmerung eines Versorgungsleidens und eine berufliche Schädigung; insoweit handele es sich um die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung. Die vom Landesversorgungsamt (LVersorgA) vertretene Auffassung könne auch nicht zu Ergebnissen führen, die vom Gesetz nicht gewollt seien. In den Absätzen 2 und 3 gehe § 30 BVG unterschiedliche Wege zur Abgeltung beruflicher Schäden. Die in § 30 Abs. 4 BVG vorgesehene Art einer Schadensberechnung sei auch nicht etwa ohne Vorbild, wenn man an § 252 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) denke.
Der Kläger beantragt,
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1) |
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die Revision des Beklagten gegen das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 1969 als unbegründet zurückzuweisen; |
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2) |
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die außergerichtlichen Kosten des Klägers in sämtlichen Rechtszügen dem Beklagten aufzuerlegen. |
Der Kläger hält das Urteil des LSG für zutreffend und meint, die Nichtberücksichtigung des nach erfolgreicher Umschulung schon mehrere Jahre ausgeübten Berufes würde zu einer außerordentlichen Härte führen, die weder nach Inhalt noch Zweckbestimmung der Vorschrift des § 30 Abs.4 BVG vom Gesetzgeber gewollt sei.
II
Die durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthafte Revision ist von dem Beklagten frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie ist daher zulässig (§ 169 SGG). Die Revision ist jedoch unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs des Klägers von dem Beruf eines Grafikers auszugehen ist.
Der Kläger hat seinen Antrag auf Gewährung eines Berufsschadensausgleichs im Januar 1964 gestellt. Bei dem Berufsschadensausgleich handelt es sich um eine laufende Leistung. Für die rechtliche Beurteilung sind daher die seit diesem Zeitpunkt jeweils geltenden Vorschriften des BVG maßgebend (idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 21. Februar 1964 - BGBl I S. 85, 2. NOG -, das am 1. Januar 1964 in Kraft getreten ist (vgl. Art. VI § 5 des Gesetzes), und idF des Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 28. Dezember 1966 - BGBl I S. 750, 3.NOG -). Nach § 30 Abs. 3 BVG idF des 2. NOG erhält ein Schwerbeschädigter, der durch die Schädigungsfolgen beruflich insoweit besonders betroffen ist als er einen Einkommensverlust von monatlich mindestens 75,- DM hat, nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von vier Zehntel des Verlustes, jedoch höchstens 400,- DM monatlich. Der § 30 Abs. 3 BVG idF des 3. NOG sieht vor, daß Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen gemindert ist (Einkommensverlust), nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in bestimmter Höhe erhalten. Einkommensverlust ist nach § 30 Abs. 4 BVG - dessen Fassung seit dem Inkrafttreten des 2. NOG unverändert geblieben ist - der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Einkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, der der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte. Trotz der unterschiedlichen Wortfassung des § 30 Abs. 3 BVG im Zweiten und Dritten NOG ist Voraussetzung für die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs, daß der Beschädigte einen wirtschaftlichen Schaden erlitten hat, der durch die Schädigungsfolgen verursacht worden ist, und ferner, daß dieser Schaden im Zeitpunkt der Antragstellung noch und für die Dauer der Geltendmachung des Berufsschadensausgleichs weiterhin besteht. Das bedeutet, daß zwischen dem wirtschaftlichen Schaden und der Schädigung ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muß (s. dazu BSG 29, 208, 210; Urteil des erkennenden Senats vom 8. Juli 1970 in SozR Nr. 44 zu § 30 BVG mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BSG).
Der Beklagte hat durch die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs für die Zeit vom 1. März 1964 an anerkannt, daß dem Kläger ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich zusteht. Streitig ist lediglich, ob bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs von dem Beruf eines Maler- und Anstreichergesellen oder von dem Beruf eines Grafikers auszugehen ist. Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung vom 8. Juli 1970 (aaO) ausgesprochen, daß für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs das tatsächliche Einkommen nur dann dem Durchschnittseinkommen aus dem "derzeitigen Beruf" gegenüberzustellen ist, wenn der Beschädigte auch ohne die Schädigungsfolgen diesen Beruf ausgeübt hätte. Wenn der Beklagte diese Entscheidung auf den vorliegenden Fall angewandt wissen will, so übersieht er, daß der damaligen Entscheidung nur ein scheinbar gleichgelagerter Fall zugrunde lag. Der damalige Fall war dadurch gekennzeichnet, daß der Kläger den vor dem Kriege ausgeübten Beruf (als Heizer in einem Sägewerk) infolge der Schädigung (Erblindung beider Augen) nicht mehr ausüben konnte, alsdann auf den Beruf eines Bürstenmachers umgeschult wurde und diesen Beruf als selbständiger Inhaber eines Handwerksbetriebs als "derzeitigen Beruf" weiterhin ausübte und auch ausüben konnte. Zu weitergehenden Erörterungen, wie zu entscheiden wäre, wenn der Schwerbeschädigte auch den Umschulungsberuf infolge einer erneuten Verschlechterung seiner Schädigungsfolgen wieder aufgeben muß, also erneut wirtschaftlich geschädigt ist, bestand um so weniger Veranlassung, als der damalige Beklagte selbst vorgetragen hatte, daß die Berücksichtigung des "derzeitigen Berufs" nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG dann gerechtfertigt sei, wenn die berufliche Beeinträchtigung durch eine nach der Aufnahme dieses Berufs eingetretene wesentliche Veränderung (Verschlechterung) der Schädigungsfolgen herbeigeführt sei.
So liegt der Fall aber hier. Nach den Feststellungen des LSG ist der Kläger, nachdem er den erlernten Beruf eines Maler- und Anstreichergesellen wegen der Schädigungsfolgen hatte aufgeben müssen, acht Semester lang zum Grafiker umgeschult worden, hat diesen Beruf länger als zwei Jahre ausgeübt und ist dann infolge einer Verschlechterung der Schädigungsfolgen (erneute Aktivierung der Lungentuberkulose) gezwungen gewesen, auch diesen Umschulungsberuf aufzugeben. Das LSG ist - insoweit auch von dem Kläger nicht angegriffen - zu dem Ergebnis gekommen, es sei nicht festzustellen, daß der Kläger ohne die Schädigungsfolgen mit Wahrscheinlichkeit Maler- oder Anstreichermeister geworden wäre oder daß er ohne die Schädigungsfolgen die Stellung eines Grafikers erreicht oder auch nur angestrebt hätte. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt daher davon ab, ob bei der Einstufung für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs auch ein Beruf berücksichtigt werden kann, den der Beschädigte erst nach der Schädigung und gerade wegen der Schädigungsfolgen aufgenommen hat (Umschulungsberuf, vgl. §§ 26, 30 Abs. 6 BVG), den er für einen längeren Zeitraum ausgeübt hat und den er wegen einer wesentlichen Änderung der Schädigungsfolgen wieder aufgeben mußte.
Dem Beklagten ist darin zuzustimmen, daß bei der Auslegung einer Rechtsnorm zunächst vom Wortlaut des Gesetzes auszugehen ist (vgl. BSG 8, 198, 201; 13, 40, 41; 17, 105, 107) und daß der Wortlaut des Gesetzes ("... der der Beschädigte ohne die Schädigung ... wahrscheinlich angehört hätte") darauf hinzudeuten scheint, daß bei der Berechnung des Einkommensverlustes nur der Beruf berücksichtigt werden kann, den der Beschädigte vor dem Kriege bzw. vor dem Zeitpunkt der erstmaligen Schädigung ausgeübt oder angestrebt hat. Andererseits zeigen jedoch auch die Ausführungen des Beklagten in seiner Revisionsbegründung, daß dieser - scheinbar wortgetreuen und eindeutigen - Auslegung erhebliche Bedenken entgegenstehen, weil sie zu unangemessenen, für den Beschädigten unbilligen und unverständlichen Ergebnissen führen muß. Das LSG weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, daß der wirtschaftliche Schaden, den der Kläger durch die erzwungene Aufgabe seines erlernten Malerberufs erlitten hatte, zunächst dadurch wieder ausgeglichen war, daß der Kläger trotz seiner schweren gesundheitlichen Schädigung die Umschulung zum Grafiker erfolgreich abgeschlossen hatte und als Grafiker tätig war. Der soziale Abstieg des Klägers war nicht nur, wie es das LSG ausgedrückt hat, "ausgeglichen" (vgl. § 30 Abs. 6 BVG), sondern der Kläger hatte sogar einen sozialen Aufstieg erzielt, da der Beruf eines Grafikers nach den Feststellungen des LSG "sozial höherwertig" ist als der Beruf eines Malergesellen. Die lange Dauer der Umschulung und die Höhe der dafür erforderlichen Kosten, die von der Kriegsopferfürsorge im Rahmen der arbeits- und berufsfördernden Maßnahmen nach § 26 BVG getragen worden sind, machen dabei deutlich, daß auch die Fürsorgebehörde davon ausgegangen ist, daß dem Kläger zu einem Lebensberuf verholfen werden sollte, der ihn in den Stand setzen sollte, die einmal erreichte soziale und wirtschaftliche Stellung auf die Dauer beizubehalten. Diese "sozial höherwertige", auf die Dauer berechnete Lebensstellung ist dem Kläger dadurch verlorengegangen, daß er infolge einer erneuten Verschlechterung seiner Schädigungsfolgen gezwungen war, auch den Beruf eines Grafikers wieder aufzugeben. Unter diesen Umständen muß es nicht nur vom Standpunkt des Beschädigten aus, sondern auch nach objektiven Gesichtspunkten als unbillig angesehen werden, wenn der Beschädigte sozial und wirtschaftlich auf den Beruf zurückgeworfen wird, den er vor der Schädigung ausgeübt hat, obwohl es wiederum die Schädigungsfolgen - infolge einer wesentlichen Verschlechterung - waren, die den Beschädigten gehindert haben, den Umschulungsberuf weiterhin auszuüben. Die Wohltat, die § 26 BVG dem Beschädigten angedeihen läßt und auf die er einen Rechtsanspruch hat (vgl. § 25 Abs. 2 BVG), würde dadurch zunichte gemacht werden, daß nicht der Umschulungsberuf, sondern nur der vor der Schädigung ausgeübte Beruf bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs berücksichtigt wird.
Dieser Auffassung kann nicht entgegengehalten werden, daß die Unkosten von der Kriegsopferfürsorge getragen worden sind, so daß es ungerechtfertigt erscheinen könnte, wenn nunmehr die Versorgungsbehörde mit weiteren laufenden, gerade durch die Umschulung bedingten Kosten belastet wird. Wenn für einen Beschädigten, der seinen früheren Beruf infolge der Schädigungsfolgen nicht mehr ausüben kann, ein Umschulungsberuf gefunden und die Umschulung in Angriff genommen wird, dann kommt es zunächst nicht darauf an, ob es sich um einen wirtschaftlich und sozial gleichwertigen oder höherwertigen Beruf handelt. Entscheidend ist allein, daß der Beschädigte in die Lage versetzt werden soll, nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die seelischen Folgen der Schädigung zu überwinden und in sinnvoller Weise am Arbeitsprozeß wieder teilzunehmen. Hat der Beschädigte - wie im vorliegenden Fall - die Umschulung erfolgreich abgeschlossen und hat er den Umschulungsberuf über längere Zeit - also nicht nur als Arbeitsversuch - ausgeübt, dann kann die Entscheidung nicht davon abhängen, wer die Kosten für die Umschulung getragen hat, sondern allein davon, ob der Beschädigte darauf vertrauen durfte, daß ihm die nunmehr erlangte wirtschaftliche und soziale Stellung auf die Dauer erhalten bleiben würde. Dabei ist weiterhin zu berücksichtigen, daß auch der Kläger erhebliche Anstrengungen aufgewandt und eine Gefährdung seines Gesundheitszustandes in Kauf genommen hat, um die Umschulung zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Neben den reinen Geldkosten dürfen auch die "Investitionen" und Erwartungen des Beschädigten nicht unberücksichtigt bleiben.
Der Beklagte räumt zu Recht ein, daß der Wortlaut des Gesetzes zu Zweifeln Anlaß gibt, ob nämlich die Worte "ohne die Schädigung" in § 30 Abs. 4 BVG tatsächlich ohne weiteres gleichgesetzt werden können mit den in § 30 Abs.2 BVG gebrauchten Worten "vor der Schädigung". - Nur nebenbei soll hier bemerkt werden, daß die wiederholten Änderungen des § 30 Abs. 2 BVG, die nicht nur Klarstellungen, sondern zum Teil echte Rechtsänderungen (Erweiterungen) gebracht haben (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 16. Juli 1971 - 10 RV 378/69 -), deutlich den Willen des Gesetzgebers erkennen lassen, auch das berufliche Schicksal des Beschädigten nach der Beschädigung in angemessener Weise zu berücksichtigen. Gibt aber der Wortlaut des Gesetzes zu Zweifeln Anlaß, dann muß auf andere Erkenntnismöglichkeiten zurückgegriffen werden. Dazu gehören in erster Linie der Sinn und Zweck des Gesetzes oder einer bestimmten gesetzlichen Regelung. Der erkennende Senat hat in der bereits erwähnten Entscheidung vom 8. Juli 1970 (aaO) ausgesprochen, daß der § 30 Abs. 3 und 4 BVG eine nähere Ausgestaltung des in § 1 Abs. 1 BVG enthaltenen Grundsatzes darstellt, wonach ein Beschädigter wegen der gesundheitlichen und "wirtschaftlichen Folgen der Schädigung" Versorgung erhält, und daß der Sinn und Zweck der Vorschriften über den Berufsschadensausgleich darauf abzielt, dem Beschädigten neben der Rente, deren Höhe sich grundsätzlich nach der Höhe der MdE richtet, eine zusätzliche Versorgungsleistung zu gewähren, deren Bemessungsgrundlage die durch die Schädigungsfolgen verursachte wirtschaftliche Einbuße ist. Der Senat hat ferner in seiner Entscheidung vom 27. Juli 1965 (BSG 23, 188 = SozR BVG § 30 Nr. 20) darauf hingewiesen, daß das schädigende Ereignis (§ 1 BVG) nicht auf einen kurzen Zeitpunkt beschränkt zu sein braucht, sondern daß dies angehalten und in seiner Einwirkung fortgedauert haben kann. Der Senat hat sich dabei von der Erwägung leiten lassen, daß sich auch längere Zeit nach dem Eintritt des schädigenden Ereignisses noch erstmalig Folgen dieses Ereignisses zeigen können oder daß eine weitere Folge - Verschlimmerung - bei einer bereits anerkannten Gesundheitsstörung auftreten kann und daß auch diese Spätfolgen - anders als bei wehrdienstunabhängigen Nachschäden - versorgungsrechtlich geschützt sind. Kommt es also sowohl nach § 1 Abs. 1 als auch nach § 30 BVG auf die Folgen der Schädigung an und braucht das schädigende Ereignis - insbesondere bei einer späteren Verschlimmerung - nicht auf einen kurzen Zeitpunkt beschränkt zu sein, dann ist nicht einzusehen, warum eine Verschlimmerung der Schädigungsfolgen zwar bei der Höhe der MdE, nicht aber dann berücksichtigt werden soll, wenn die Verschlimmerung den Beschädigten unfähig macht, einen nach der Schädigung aufgenommenen, seinem Leistungsvermögen entsprechenden, auf die Dauer berechneten und als neue Lebensstellung angesehenen Beruf weiterhin auszuüben. Die Worte "ohne die Schädigung" in § 30 Abs. 4 BVG müssen daher bei sinnvoller, dem Zweck des Berufsschadensausgleichs gerecht werdender Auslegung dahin gelesen werden, daß sie unter bestimmten Voraussetzungen auch die Schädigungsfolgen miteinschließen und daß demgemäß auch eine Berufs- oder Wirtschaftsgruppe zu berücksichtigen ist, der der Beschädigte "ohne die Verschlechterung der Schädigungsfolgen" wahrscheinlich angehört hätte. Das bedeutet, daß bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs ("Einkommensverlust") grundsätzlich von dem Beruf auszugehen ist, den der Beschädigte auch ohne die Schädigung ausgeübt hätte. Ein Umschulungsberuf oder ein nach der Schädigung aufgenommener Beruf ("Neuberuf") ist dann nicht zu berücksichtigen, wenn der Beschädigte diesen Beruf weiterhin ausübt und auch ausüben kann und wenn er lediglich wirtschaftliche Nachteile (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 8. Juli 1970, aaO) oder einen durch die Schädigungsfolgen verhinderten weiteren Aufstieg in diesem Beruf (vgl. Urteil BSG vom 23. November 1971 - 8 RV 385/71 -) geltend macht. Eine Ausnahme hat jedoch dann zu gelten, wenn der Beschädigte - wie hier - infolge einer erneuten Verschlechterung der Schädigungsfolgen gezwungen ist, den Neuberuf - den er als auf die Dauer angelegten neuen Lebensberuf ansehen durfte - wieder aufzugeben.
Diese Auffassung steht auch § 30 Abs. 6 BVG nicht entgegen. Dort ist lediglich bestimmt, daß ein Berufsschadensausgleich nur dann zu gewähren ist, wenn Umschulungsmaßnahmen nach § 26 BVG aus vom Beschädigten nicht zu vertretenden Gründen erfolglos geblieben sind oder nicht zum Ausgleich des beruflichen Schadens geführt haben. Es ist jedoch nichts darüber gesagt, was dann zu gelten hat, wenn der bereits erreichte "Ausgleich" infolge einer Verschlechterung der Schädigungsfolgen wieder verloren gegangen ist. Der Hinweis des Beklagten auf § 252 BGB vermag gleichfalls nicht zu überzeugen. Abgesehen davon, daß nach Satz 1 dieser Vorschrift auch der "entgangene Gewinn" zu ersetzen ist und Satz 2 keine Definition des entgangenen Gewinns, sondern nur eine Beweiserleichterung enthält (vgl. RG in HRR 1931 Nr. 922; BGH in Lindenmaier-Möhring, BGB, § 252 Nr. 4 und Nr. 8 mit weiteren Hinweisen), berücksichtigt der Beklagte insoweit nicht, daß das Versorgungsrecht keinen reinen "Schadensersatz" gewährt, sondern eine starke soziale Komponente enthält, die dem menschlichen und beruflichen Schicksal des Beschädigten Rechnung trägt.
Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der Entscheidung vom 8. Juli 1970 (aaO) und zu der bisherigen Rechtsprechung des BSG, sondern er entwickelt sie in sinnvoller Weise fort. Die Entscheidung vom 8. Juli 1970 betraf, worauf bereits oben hingewiesen worden ist, einen anders gelagerten Fall und bot schon deshalb keine Veranlassung, die hier streitige Frage zu entscheiden. Der 9. Senat des BSG hat in seiner Entscheidung vom 29. November 1962 (9 RV 338/62; vgl. KOV 1964 S. 93) lediglich zum Ausdruck gebracht, daß unter dem vor der Schädigung ausgeübten Beruf "regelmäßig" der vor der anerkannten Gesundheitsstörung ausgeübte Beruf zu verstehen ist. In dieser Entscheidung ist also durchaus offengeblieben, ob auch andere, "regelwidrige" Fälle denkbar sind, ganz abgesehen davon, daß diese Entscheidung zu § 30 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 30 Abs. 2 BVG aF ergangen ist. In einer weiteren Entscheidung (vom 5. Oktober 1971 - 9 RV 346/68) hat der 9. Senat zu den hier interessierenden Rechtsfragen nur nebenbei Stellung genommen und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil das Urteil des LSG keine eindeutigen Feststellungen tatsächlicher Art dazu enthielt, welchen Beruf der dortige Kläger wahrscheinlich ohne seine Schädigungsfolgen ausüben würde. Dagegen hat der 8. Senat in seinem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 23. November 1971 (8 RV 385/71) ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es "durchaus Fälle geben kann", in denen auch eine Behinderung in dem neuen Beruf einen Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich begründet, und daß es auf eine Behinderung im Umschulungsberuf z.B. dann ankommen kann, wenn der Beschädigte wegen einer später eintretenden Verschlimmerung der Schädigungsfolgen auch den Umschulungsberuf nicht mehr ausüben kann. Nach der Auffassung des 8. Senats hat der Beschädigte "ohne Zweifel einen Berufsschaden im Sinne des § 30 Abs. 3 und 4 BVG erlitten", wenn er wegen der Schädigungsfolgen weder die wahrscheinlich erreichte noch diejenige Tätigkeit verrichten kann, auf die er mit Rücksicht auf die Schädigungsfolgen umgeschult worden ist. Die weitere, im vorliegenden Fall entscheidende Frage, ob bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs der alte oder der neue Beruf zu berücksichtigen ist, hat der 8. Senat ausdrücklich dahinstehen lassen, da es auf diese Frage in der erwähnten Entscheidung nicht ankam.
Der Anspruch ist auch nicht deshalb unberechtigt, weil der Kläger seit 1949 unverändert eine Rente nach einer MdE um 100 v.H. bezogen hat, also nach dem Wortlaut des Gesetzes (vgl. § 31 BVG) fortlaufend "erwerbsunfähig" gewesen ist. Das Versorgungsrecht geht davon aus, daß eine MdE um 100 v.H. zwar rein rechnerisch den höchsten MdE - Grad darstellt, daß darunter aber eine große Zahl von schweren und schwersten Gesundheitsstörungen fallen kann, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit eine Bewertung von weit mehr als 100 v.H. erreichen würden. Der Gesetzgeber hat diesem Umstand u.a. dadurch Rechnung getragen, daß er für erwerbsunfähige Beschädigte die verschiedenen Stufen der Schwerstbeschädigtenzulage (§ 31 Abs. 5 BVG) und für Hilflose die einzelnen Stufen der Pflegezulage (§ 35 BVG) geschaffen hat. Wird aber unter einer MdE um 100 v.H. eine Vielzahl von körperlichen Beeinträchtigungen mit verschiedener Schwere zusammengefaßt, dann ist es durchaus denkbar, daß auch bei einem "Erwerbsunfähigen" eine weitere Schädigungsfolge hinzutritt (s. auch BSG in SozR RVO § 561 aF Nr. 2) oder daß sich eine bereits mit 100 v.H. bewertete Schädigungsfolge wesentlich verschlimmert. Die durchgehende Bewertung der MdE mit 100 v.H. hat hier den Kläger nicht gehindert, die 8-semestrige Ausbildung zum Grafiker durchzumachen und erfolgreich abzuschließen, sie hat ihn auch nicht gehindert, die Tätigkeit eines Grafikers länger als zwei Jahre auszuüben. Von einem "mißglückten Arbeitsversuch" (vgl. BSG 15, 89), der das Zurückgreifen auf den früheren Beruf rechtfertigen würde, kann hier also nicht gesprochen werden. Erst die erneute Verschlechterung der Lungentuberkulose hat den Kläger gezwungen, die Berufstätigkeit als Grafiker (seinen "Neuberuf") wieder aufzugeben. Auch insoweit handelt es sich um die Minderung des Erwerbseinkommens durch die Schädigungsfolgen (§ 30 Abs. 3 BVG) und damit um die wirtschaftlichen Folgen der Schädigung, die über den Berufsschadensausgleich auszugleichen sind. Die Revision des Beklagten war als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen