Leitsatz (amtlich)

Eine Satzungsbestimmung, die Zuschläge zum Beitrag des Unternehmens allein nach der Unfallbelastung dieses Unternehmens im Verhältnis zur Durchschnittsbelastung aller der BG angehörenden Unternehmen auferlegt, berücksichtigt nicht ausreichend "Zahl und Schwere" der Unfälle iS des RVO § 725 Abs 2 S 1.

 

Normenkette

RVO § 725 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Januar 1971 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin ist mit einem Stahl-Gußwerk in S II und mit einem Temper-Gußwerk in B Mitglied der Beklagten. Durch Bescheide vom 6. Mai 1968 setzte die Beklagte für das Geschäftsjahr 1967 die Umlagebeiträge auf 54.662,62 DM (Werk Senne II) und 43.855,56 DM (Werk B) fest. Außerdem erhob sie Beitragszuschläge, die sich - nach den Änderungsbescheiden vom 30. Januar 1969 - auf 5.936,36 DM für das Werk S II und auf 13.279,46 DM für das Werk B beliefen. Hinsichtlich der Zuschläge bezog sich die Beklagte auf den am 21. November 1967 beschlossenen und am 18. Dezember 1967 vom Bundesversicherungsamt (BVA) genehmigten Nachtrag zur Satzung, durch den § 28 folgende Fassung erhielt:

"(1)

Den einzelnen Unternehmen werden unter Berücksichtigung der Zahl und Schwere der vorgekommenen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten Zuschläge zum Beitrag auferlegt oder Nachlässe auf den Beitrag bewilligt (§ 725 Abs. 2 RVO); Wegeunfälle (§ 550 RVO) bleiben dabei außer Ansatz.

(2)

Ein Zuschlag wird auferlegt bzw. ein Nachlaß wird bewilligt, wenn die Eigenbelastung des Einzelunternehmens die Durchschnittsbelastung aller am Verfahren beteiligten Unternehmen um mehr als 5 v. H. über- bzw. unterschreitet.

(3)

Der Vomhundertsatz des Zuschlages bzw. des Nachlasses ist gleich dem absoluten Unterschied zwischen der Eigenbelastungsziffer und der um 5 v. H. erhöhten bzw. ermäßigten Durchschnittsbelastungsziffer. Der höchste Vomhundertsatz des Zuschlages ist gleich dem höchstmöglichen Vomhundertsatz des Nachlasses. Der Mindestbeitrag bleibt unberührt.

(4)

Die Eigenbelastung des Einzelunternehmens sowie die Durchschnittsbelastung aller am Verfahren beteiligten Unternehmen ergeben sich aus dem Verhältnis von Unfallbelastung zum Umlagebeitrag.

(5)

Berücksichtigt werden alle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten des jeweiligen Umlagejahres und des diesem vorangegangenen Jahres mit ihrer Unfallbelastung im Umlagejahr.

(6)

Zur Unfallbelastung gehören alle Sach- und Geldleistungen.

(7)

Zuschläge werden mit dem jeweiligen Umlagebeitrag erhoben, Nachlässe mit dem jeweiligen Umlagebeitrag verrechnet.

(8)

Der Vorstand erläßt Durchführungsbestimmungen.

Der Nachtrag tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1967 in Kraft."

Gegen die Bescheide vom 6. Mai 1968 erhob die Klägerin Widerspruch insoweit, als sie mit Zuschlägen belastet worden ist; sie hielt die rückwirkende Einführung des kombinierten Zuschlag- und Nachlaßverfahrens anstelle des bisherigen reinen Nachlaßsystems für unzulässig. Die Beklagte wies durch Widerspruchsbescheide vom 18. März 1969 die Widersprüche zurück.

Auf Klage hat das Sozialgericht (SG) Detmold durch Urteil vom 26. September 1969 dem Antrag der Klägerin entsprechend unter Aufhebung der Widerspruchsbescheide vom 18. März 1969 die Bescheide vom 6. Mai 1968 - geändert am 30. Januar 1969 - aufgehoben, soweit darin Zuschläge wegen vorgekommener Arbeitsunfälle festgesetzt worden sind. Nach der Auffassung des SG steht § 28 der Satzung der Beklagten im Widerspruch zu der Vorschrift des § 725 Abs. 2 RVO, nach der die Zuschläge unter Berücksichtigung der "Zahl und Schwere" der vorgekommenen Arbeitsunfälle aufzuerlegen seien; § 28 der Satzung stelle jedoch allein auf die Höhe der berufsgenossenschaftlichen Entschädigungsleistungen ab.

Die - zugelassene - Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 15. Januar 1971 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Bestimmung des § 28 der Satzung der Beklagten sei rechtswidrig, weil sie den gesetzlichen Erfordernissen des § 725 Abs. 2 RVO - Berücksichtigung der "Zahl" und "Schwere" der vorgekommenen Arbeitsunfälle bei der Auferlegung von Zuschlägen - nicht genüge. Der Begriff der "Zahl" sei nicht schon dadurch ausreichend beachtet, daß - wie § 28 vorsehe - alle Unfälle, die im Umlagejahr Aufwendungen an Sach- und Geldleistungen verursacht hätten, festgestellt und mit ihren Kosten in der Unfallbelastung erfaßt würden. Im Interesse der Unfallverhütung, auf die § 725 Abs. 2 RVO abstelle, sei es vielmehr erforderlich, auch diejenigen Unfälle zu erfassen, die keine Entschädigungsleistungen der BG verursacht, sondern lediglich eine mögliche Belastung des Versicherungsträgers mit sich gebracht hätten. Auch die "Schwere" finde bei der Regelung der Beklagten keine genügende Beachtung. Auf die Höhe der aufgewandten Entschädigungsleistungen sei zwar Bedacht zu nehmen, jedoch nicht ausschließlich und nicht in erster Linie. Die Schwere eines Unfalls sei vielmehr vornehmlich nach der Zahl der infolge des Unfalls ausgefallenen Arbeitsstunden zu beurteilen. Nach der Berechnungsweise der Beklagten bestehe die Gefahr, daß unfallfremde Umstände im Vordergrund stünden und der gesetzgeberische Sinn des § 725 Abs. 2 RVO nicht zum Tragen komme: der Familienstand des Verletzten, die Höhe seines JAV oder die lange Dauer eines Heilverfahrens könnten Einfluß auf die Höhe der Entschädigungsleistung nehmen und diese außer Verhältnis zur Schwere der Unfälle setzen. Es sei unerheblich, ob dies bei den streitbefangenen Bescheiden der Fall gewesen sei, es genüge vielmehr, daß die satzungsgemäße Berechnungsart die Möglichkeit einer solchen Verhältnislosigkeit in sich berge.

Da es somit an einer Rechtsgrundlage für die erhobenen Zuschläge fehle, könne dahinstehen, ob die Zuschlagsforderung auch deshalb unzulässig sei, weil sie nachträglich geltend gemacht worden sei und deshalb von der Klägerin - wie diese meine - bei ihrer Geschäftsplanung im Jahre 1967 nicht habe einkalkuliert werden können.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Nach § 725 Abs. 2 Satz 3 RVO sei es der eigenverantwortlichen Regelung durch die Versicherungsträger überlassen worden, in welcher Weise Zahl und Schwere der Unfälle bei der Zuschlagberechnung zu berücksichtigen seien. Da Bagatellunfälle nicht zu vermeiden seien, könne die Zahl der Unfälle für sich allein betrachtet entgegen der Ansicht des LSG keine Rolle spielen bei der Erreichung des gesetzgeberischen Zwecks, die Unfallverhütung zu intensivieren. Ausschlaggebend hierfür sei vielmehr die Schwere der Unfälle. Es laufe dem Gesetzeszweck mindestens nicht zuwider, daß die Beklagte als Kriterium für die Schwere der Unfälle darauf abstelle, in welchem Ausmaß diese zur Gewährung von Sach- und Geldleistungen geführt hätten. Die Entscheidung des LSG greife daher - unzulässig - in das autonome Satzungsrecht der Beklagten ein. Es sei entgegen der Ansicht des LSG mit dem Gesetzeszweck des § 725 Abs. 2 RVO vereinbar, daß bei der Berechnung des Zuschlages mit darauf abgestellt werde, ob der Unfall einen ledigen Versicherten ohne anspruchsberechtigte Familienangehörige oder einen Versicherten betreffe, dessen Angehörigen nach seinem Tode hohe Unfallrenten zu zahlen seien; "unfallfremde Gesichtspunkte" seien dabei nicht ersichtlich. Die Zahl der infolge des Arbeitsunfalls ausgefallenen Arbeitsstunden sage über die Schwere des Unfalls schon deshalb nichts aus, weil z. B. bei unter täglicher Kündigung tätigen Arbeitskräften, bei Saisonarbeitern und bei auf begrenzte Zeit eingestellten Arbeitnehmern der Ausfall von Arbeitsstunden infolge eines Unfalls u. U. wesentlich geringer sei als die Dauer der Unfallfolgen; auch ein schwerer Arbeitsunfall würde daher u. U. wegen der geringen Zahl ausgefallener Arbeitsstunden in seiner Schwere nicht erfaßt.

Entgegen der Auffassung des LSG zwinge der Wortlaut des § 725 Abs. 2 - "vorgekommene" Arbeitsunfälle - nicht zu einem Verfahren, in dem jeder Unfall in Erscheinung trete; die vorgekommenen Unfälle müßten vielmehr lediglich "berücksichtigt" werden. Als einzige zuverlässige Grundlage für das Beitragsausgleichsverfahren böten sich solche Unfälle und Berufskrankheiten an, die der BG Aufwendungen verursacht hätten. Nur diese kostenpflichtigen Unfälle gewährleisteten die Gleichbehandlung aller Mitgliedsunternehmen insofern, als solche Fälle nicht unterdrückt oder manipuliert werden könnten; die Ermittlung nicht anzeige- oder kostenpflichtiger Unfälle würde auch einen durch die Sache nicht gerechtfertigten Aufwand erfordern. Der Gesetzgeber könne nicht beabsichtigt haben, daß Unternehmer, welche Unfälle ohne Kostenfolge zu verzeichnen hätten, einen höheren Beitrag zahlen müßten als solche, in deren Betrieben überhaupt keine Unfälle eingetreten seien. Da der Gefahrtarif auf demselben Grundgedanken wie das Beitragsausgleichsverfahren beruhe, entspreche es dem Gesetzeszweck, auch die Zuschläge und Nachlässe nach der tatsächlichen Eigenbelastung des jeweiligen Unternehmens, gemessen an den Aufwendungen der BG für "kostenpflichtige" Unfälle, zu berechnen. Das von der Beklagten angewendete Verfahren berücksichtige neben der Schwere der Unfälle auch deren "Zahl", und zwar durch die Addition der Aufwendungen für die einzelnen Unfälle. Die Berücksichtigung der absoluten Zahl der Unfälle je Unternehmen allein würde zu unsinnigen und ungerechten Ergebnissen führen. Ein Verfahren, das Zahl und Schwere der Unfälle gesondert sehe, müsse, um gerecht zu bleiben, Bezugsgrößen verwenden, die sich in einem Faktor zusammenfassen ließen, der die unterschiedliche Unfallgefahr der einzelnen Unternehmen adäquat berücksichtige; man könne auch im Hinblick auf die Zahl nicht Unfall gleich Unfall setzen. Ein ideales, allen individuellen Wünschen absolut gerecht werdendes Verfahren gebe es nicht. Auch sei zu beachten, daß das Verfahren praktikabel, für die Mitglieder überschaubar und so gestaltet sein müsse, daß es den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit der Mittel entspreche.

Die Beklagte beantragt, unter Änderung der angefochtenen Urteile die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Die Satzungsbestimmung der Beklagten über das Auferlegen von Beitragszuschlägen steht nicht im Einklang mit der Vorschrift des § 725 Abs. 2 Satz 1 RVO und ist deshalb unwirksam. Die Vorinstanzen haben daher die angefochtenen Bescheide mit Recht aufgehoben, soweit durch sie Zuschläge zu den Beiträgen auferlegt worden sind.

Nach § 725 Abs. 2 Satz 1 RVO sind den einzelnen Unternehmen von der Berufsgenossenschaft (BG) unter Berücksichtigung der Zahl und Schwere der vorgekommenen Arbeitsunfälle Zuschläge aufzuerlegen oder Nachlässe zu bewilligen; Wegeunfälle (§ 550 RVO) bleiben dabei außer Ansatz. Das Nähere bestimmt die Satzung; dabei kann sie Berufskrankheiten (BKen) ausnehmen (§ 725 Abs. 2 Satz 3 RVO). Die Beklagte stützt die Auferlegung von Beitragszuschlägen auf § 28 ihrer Satzung (in der mit Wirkung vom 1. Januar 1967 in Kraft gesetzten Fassung des 2. Nachtrags, beschlossen am 21. November 1967, genehmigt durch das Bundesversicherungsamt - BVA - am 18. Dezember 1967), in deren Absatz 1 - angelehnt an den Wortlaut des § 725 Abs. 2 Satz 1 RVO - vorgesehen ist, daß den einzelnen Unternehmen unter Berücksichtigung der Zahl und Schwere der vorgekommenen Arbeitsunfälle und BKen Zuschläge zum Beitrag auferlegt oder Nachlässe auf den Beitrag bewilligt werden. Dieser Grundregelung und damit der gesetzlichen Auflage des § 725 Abs. 2 Satz 1 RVO entsprechen die in § 28 Abs. 2 ff. der Satzung getroffenen einzelnen Bestimmungen über die Berechnung des Zuschlags jedoch insofern nicht, als die Zahl der Arbeitsunfälle nicht berücksichtigt wird. Maßgebend für die Auferlegung von Zuschlägen - und die Bewilligung von Nachlässen - ist nach dem von der Beklagten angewendeten Verfahren vielmehr ausschließlich die Eigenbelastung des Einzelunternehmens im Vergleich zur Durchschnittsbelastung aller am Verfahren beteiligten Unternehmen; zugrundegelegt werden dabei die Aufwendungen der BG im Umlagejahr an Sach- und Geldleistungen für Arbeitsunfälle und BKen, die sich im Umlagejahr und dem diesem voraufgegangenen Jahr ereignet haben. Danach wird die Eigenbelastung des Einzelunternehmens nicht an der Zahl der in diesem Unternehmen vorgekommenen - hier : kostenverursachenden - Arbeitsunfälle und BKen, sondern an der finanziellen Belastung der BG gemessen.

Anders als § 712 Abs. 1 RVO idF vor dem Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 30. April 1963 (BGBl I 241), der für die Auferlegung von Zuschlägen aufgrund einer Satzungsbestimmung nur eine "Berücksichtigung der Unfälle" vorsah, schreibt § 725 Abs. 2 Satz 1 RVO ausdrücklich vor, daß "Zahl und Schwere" der Arbeitsunfälle bei der satzungsmäßigen Bestimmung der Zuschläge zu berücksichtigen sind. Diese Vorschrift ist zwingend; der Satzungsgeber kann von ihr nicht abweichen.

Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob die Unfallbelastung zutreffend die Schwere der vorgekommenen Arbeitsunfälle im Sinne des § 725 Abs. 2 Satz 1 RVO wiedergibt (vgl. u. a. Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 725 Anm. 9 Buchst. c; Schieke, SozSich 1964, 135; Gruehn, BG 1968, 189; Podzun, DVZ 1958, 199, 200; Orzschig, Kompaß 1970, 142, 148; Manz/Heinzel, Kompaß 1972, 15, 16). Selbst wenn dies der Fall ist und es insoweit nicht - wie das LSG meint (vgl. auch u. a. Lauterbach aaO) - in erster Linie auf die Zahl der infolge des Arbeitsunfalls ausgefallenen Arbeitsstunden des Versicherten ankommt, entspricht die Satzungsbestimmung der Beklagten nicht der gesetzlichen Vorschrift. Das Gesetz verlangt ausdrücklich die Berücksichtigung von Zahl und Schwere der Arbeitsunfälle, läßt es also nicht zu, das Zuschlagsverfahren nach § 725 Abs. 2 Satz 1 RVO allein auf die Schwere der Arbeitsunfälle zu stützen.

Der Senat verkennt nicht, daß in der Summe der Sach- und Geldleistungen (Unfallbelastung), welche die BG im Umlagejahr aus Arbeitsunfällen und BKen des Umlagejahres und des diesem vorangegangenen Jahres aufzuwenden hat, häufig auch die Zahl der vorgekommenen Arbeitsunfälle ihren Niederschlag findet. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. So führt u. U. schon ein einzelner folgenschwerer Unfall - z. B. bei einem infolge Verletzung Querschnittsgelähmten oder bei einem tödlich Verletzten mit mehreren Hinterbliebenen - nicht nur im Jahre des Unfallereignisses zu einer Unfallbelastung des Einzelunternehmens, die erheblich über der Durchschnittsbelastung liegen kann. Mit dem Sinn und Zweck der im Gesetz vorgeschriebenen Einführung eines Zuschlags-, Nachlaß- oder kombinierten Verfahrens, das sowohl die Zahl als auch die Schwere der Arbeitsunfälle berücksichtigen muß, ist es jedoch nicht vereinbar, die Auferlegung eines Beitragszuschlags allein von der Überschreitung der Durchschnittsbelastung ohne Rücksicht darauf abhängig zu machen, ob dieselbe Unfallbelastung durch einen einzigen oder durch eine Mehrzahl von Arbeitsunfällen verursacht worden ist. Es entspricht sowohl der durch § 725 Abs. 2 RVO zumindest mitbeabsichtigten verstärkten Unfallverhütung, als auch dem vom Gesetzgeber ebenfalls berücksichtigten Versicherungsgedanken, daß bei der Auferlegung von Beitragszuschlägen darauf abgestellt wird, ob die gleiche Unfallbelastung in verschiedenen Unternehmen aufgrund eines oder mehrerer Unfälle entstanden ist. Die Berücksichtigung von Zahl und Schwere ermöglicht es auch, den Sinn und Zweck des § 725 Abs. 2 RVO in den Fällen zu beachten, in denen die Zahl der Unfälle in einem Unternehmen wesentlich über dem Durchschnitt liegt, bei denen aber die allgemeine Durchschnittsbelastung durch diese Unfälle nicht überschritten wird.

Die Berücksichtigung der Zahl der Unfälle führt auch nicht - wie die Beklagte meint - zu untragbaren Ergebnissen, etwa dahin, daß Unternehmen mit einer großen Anzahl von Versicherten stets mit einem Zuschlag belegt werden müßten, Unternehmen mit nur wenigen Versicherten dagegen ausnahmslos oder doch regelmäßig von ihm verschont blieben. Dabei ist vor allem zu beachten, daß die Zahl der Unfälle nicht allein, sondern in Verbindung mit ihrer Schwere für einen Beitragszuschlag erheblich ist. Der gegen die besondere Berücksichtigung der Unfallzahl gerichtete Einwand der Beklagten, ein Unternehmen mit vielen Versicherten habe zwangsläufig stets mehr Unfälle aufzuweisen als ein Unternehmen mit nur wenigen Versicherten, betrifft nicht nur die absolute Zahl der Unfälle, er muß sich vielmehr gleichermaßen auch gegen das von der Beklagten angewendete Verfahren richten, nach welchem allein die Unfallbelastung maßgebend sein soll. Die von der Beklagten aufgezeigten zusätzlichen Bedenken entfallen aber bei der im Gesetz vorgeschriebenen Berücksichtigung von Zahl und Schwere der vorgekommenen Arbeitsunfälle jedenfalls, wenn beispielsweise neben der Schwere der Unfälle nicht die absoluten Unfallzahlen als Maßstab genommen, sondern Bezugsgrößen verwendet werden (etwa: Zahl der Unfälle im Verhältnis zur Zahl der Versicherten), gegebenenfalls unter Beachtung der sich in der Gefahrklasse widerspiegelnden besonderen Betriebsgefahr.

Die somit nach dem Wortlaut des § 725 Abs. 2 RVO sowie nach dessen Sinn und Zweck notwendige Berücksichtigung der Zahl und Schwere der Unfälle - insoweit besteht für die Selbstverwaltungsorgane der BG keine hiervon abweichende freie Gestaltungsmöglichkeit - bedeutet schließlich für die Beklagte keinen unzumutbaren Verwaltungsaufwand, da durch die Ermittlung der Unfallbelastung die Zahl der Arbeitsunfälle in den einzelnen Unternehmen, wie auch die Beklagte einräumt, bekannt ist. Daß nicht nur das von der Beklagten gehandhabte Verfahren praktikabel ist, zeigt schon das von der Revision vorgelegte Schreiben des Bundesversicherungsamts vom 28. August 1967 (I 3-1261- 462/67), nach dem mehrere gewerbliche BGen ein anderes Verfahren anwenden.

Da somit die Satzungsbestimmung der Beklagten über das Auferlegen von Beitragszuschlägen mit der gesetzlichen Vorschrift des § 725 Abs. 2 Satz 1 RVO nicht in Einklang steht, ist sie unwirksam. Die tatsächlichen Auswirkungen einer vom Gericht festgestellten Unwirksamkeit einer Satzungsbestimmung, die nicht vom Ermächtigungsrahmen des Gesetzes erfaßt ist, vermögen keine andere Entscheidung zu rechtfertigen. Damit fehlt es an einer Rechtsgrundlage für die der Klägerin in den angefochtenen Bescheiden auferlegten Beitragszuschläge. Die Bescheide waren deshalb insoweit aufzuheben.

Es kann hiernach unentschieden bleiben, ob die rückwirkende Änderung der Satzung verfassungsrechtlich zulässig ist.

Der Senat hatte auch nicht zu entscheiden, ob bei der Klägerin unter der - in verschiedener Form möglichen - zutreffenden Berücksichtigung der Zahl der in ihren Unternehmen vorgekommenen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten Beitragszuschläge für das Jahr 1967 gerechtfertigt gewesen wären.

Die Revision der Beklagten war demnach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1670170

BSGE, 74

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