Leitsatz (amtlich)
Der qualitative Wert des Berufs kann bei der analytischen Arbeitsbewertung nicht der Arbeitswertzahl entnommen werden, soweit bei dieser Faktoren berücksichtigt werden, für die nicht die qualitativen Anforderungen der beruflichen Tätigkeit, sondern andere Gesichtspunkte maßgeblich sind.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 10.05.1979; Aktenzeichen L 10 J 511/78) |
SG Braunschweig (Entscheidung vom 23.05.1978; Aktenzeichen S 5 J 111/77) |
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit zusteht (§ 1246 Reichsversicherungsordnung -RVO-).
Der 1921 geborene Kläger ist gelernter Maschinenschlosser. Von 1969 bis 1976 war er als erster Schlosser tätig. Aus gesundheitlichen Gründen wurde er dann bei seinem Arbeitgeber auf den Arbeitsplatz eines Wachmannes im Tor- und Streifendienst eingesetzt. Er erhält aufgrund tarifvertraglicher Regelung seinen Lohn als erster Schlosser weiter. Den im Mai 1976 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. November 1976 ab.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteile vom 23. Mai 1978 und 10. Mai 1979). Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt, maßgebend für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit des Klägers sei der Beruf eines Schlossers. Sein jetziger Arbeitsplatz sei ihm nach § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO zuzumuten. Der Lohn liege um 16,56 % niedriger als der Stundenlohn des ersten Schlossers. Dieser Unterschied werde durch den tarifrechtlich abgesicherten Anspruch auf Verdienstsicherung ausgeglichen, auf den allerdings Rentenzahlungen angerechnet würden. Unabhängig von dieser Lohnabsicherung sei der jetzige Arbeitsplatz ohnehin für den Kläger zumutbar. Zur Gruppe der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion gehöre er nicht. Zwar habe er als erster Schlosser eine Arbeitsgruppe geführt und sei für die Arbeit der ihm zugeteilten zweiten Schlosser und Hilfskräfte verantwortlich gewesen, das sei aber nicht gleichbedeutend mit der Tätigkeit eines Vorarbeiters. Im Unterschied dazu habe er nicht völlig selbständig, sondern nach Anweisung durch den Vorarbeiter oder Meister gearbeitet. Auch habe er nicht an der Spitze der Lohnskala gestanden. Als Facharbeiter müsse er sich aber auf seine jetzige "angelernte" Tätigkeit verweisen lassen.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Er rügt eine Verletzung des § 1246 Abs 2 RVO sowie mangelnde Sachaufklärung. Das Berufungsgericht habe nicht geprüft, ob er als "besonders hochqualifizierter Facharbeiter" anzusehen sei. Dieser Frage nachzugehen habe schon deshalb Veranlassung bestanden, weil er nach der Auskunft seiner Arbeitgeberin fachlich schwierige Tätigkeiten, wie zB Sachbearbeiten, das Einstellen des Flämmbildes und dergleichen selbst ausgeführt habe. Die Lohnfindung sei in dem Unternehmen mit Hilfe der analytischen Arbeitsbewertung vorgenommen worden. Bei dieser Methode könne man nicht qualitativen Wert einer Tätigkeit aus der Gesamtsumme der Wertzahlen schließen. Vielmehr müsse man die Belastung und die Umgebungseinflüsse dabei unberücksichtigt lassen. Das LSG hätte sich gedrängt fühlen müssen, über den qualitativen Wert der Tätigkeit eines ersten Schlossers weitere Feststellungen zu treffen und die Wertzahlen aufzuschlüsseln. Selbst wenn man ihm nicht den Berufsschutz eines "besonders hochqualifizierten Facharbeiters" zubilligen wolle, so sei ihm die derzeitige Tätigkeit als Wachmann nicht zuzumuten. Auch insoweit hätte es weiterer Ermittlungen bedurft.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil und das Urteil des SG
sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. November 1976
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab
1. Juni 1976 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit
zu leisten;
hilfsweise das angefochtene Urteil aufzuheben
und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen wird. Die Tatsachenfeststellungen im Berufungsurteil reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus.
Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist der "bisherige Beruf" des Versicherten, von dessen qualitativen Wert es abhängt, auf welche anderen Tätigkeiten er zumutbar iS des § 1246 Abs 2 RVO verwiesen werden kann. Zu Recht wendet die Revision sich dagegen, daß das LSG nicht geprüft hat, ob der Kläger als erster Schlosser den "besonders hochqualifizierten Facharbeitern" zuzurechnen ist. Diese gehören nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Gruppe mit dem Leitberuf des "Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion" und sind diesem bei der Verweisung gleichgestellt. Das bedeutet, sie können grundsätzlich nur auf Tätigkeiten eines Facharbeiters oder tariflich entsprechend eingestufte Tätigkeiten verwiesen werden (vgl Urteil des Senats vom 20. Februar 1980 - 5 RKn 25/78 - SozR 2600 § 46 Nr 5 mwN).
Das LSG hat festgestellt, der Wirkungskreis des Klägers als erster Schlosser habe nicht demjenigen eines Vorarbeiters entsprochen, weil es im Betrieb Vorarbeiter gegeben und der Kläger nicht selbständig, sondern nach Anweisung durch den Vorarbeiter oder den Meister gearbeitet habe. Nicht erwogen hat das Berufungsgericht dagegen, ob der Kläger ein "besonders hochqualifizierter Facharbeiter" war. Das ist dann zu bejahen, wenn er wesentlich höherwertigere Arbeiten ausgeführt hat, als sie die zur Gruppe der Facharbeiter zählenden Arbeitskollegen verrichten und wenn er diese aufgrund besonderer geistiger und persönlicher Anforderung in der Qualität seiner Berufstätigkeit deutlich überragt hat (vgl BSG aaO). Ob das der Fall ist, läßt sich an Hand der Feststellungen des LSG nicht nachprüfen. Die Tatsache, daß der Kläger gegebenenfalls Weisungen eines Vorarbeiters, also eines anderen Beschäftigten im Arbeitsverhältnis zu befolgen hatte (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nr 44), hindert es für sich allein nicht, ihn als "besonders hochqualifizierten Facharbeiter" anzusehen. Allerdings wird man von einem infolge der Anforderungen an Kenntnis und Fähigkeiten sowie wegen der Qualität der zu erbringenden Arbeitsleistung derart herausgehobenen Facharbeiter eine gewisse Selbständigkeit im vorgegebenen Betriebsablauf erwarten müssen.
Ebenso wie der "Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion" muß sich der "besonders hochqualifizierte Facharbeiter" in der Spitzengruppe der Lohnskala befinden, die nicht unbedingt allein auf die oberste Gruppe beschränkt ist (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nr 37). Ob dies beim Kläger der Fall war, läßt sich aufgrund der Feststellungen des LSG noch nicht klar genug sagen. Bei der Arbeitgeberin des Klägers wird der den Arbeitnehmern zu zahlende Lohn mit Hilfe der analytischen Arbeitsbewertung ermittelt. Der Senat geht schon seit langem in seiner Rechtsprechung davon aus, daß die Arbeitslöhne bei analytischer Arbeitsplatzbewertung den objektiven Wert der Tätigkeit zuverlässig wiedergeben können (vgl SozR Nrn 8, 13 26 zu § 35 Reichsknappschaftsgesetz -RKG- aF). An die Stelle der Lohngruppen und deren Einstufungskriterien müssen dann die Arbeitsplatz-Wertzahlen und die zu ihrer Ermittlung maßgebenden Bewertungskriterien treten (so Urteil des Senats vom 11. September 1979 - 5 RJ 136/78 - SozR 2200 § 1246 Nr 49 vgl auch BSG SozR aaO Nr 45).
Das Berufungsgericht hat festgestellt, bei der Arbeitgeberin des Klägers reiche die für die Lohnhöhe maßgebende Arbeits-Wertzahlsumme von 0 bis 45. Wenn der Kläger als erster Schlosser entsprechend den Wertzahlen 27 bis 29 entlohnt worden sei, so habe er damit nicht an der Spitze der Lohnskala gestanden. Maßgebend für die Bewertung des "bisherigen Berufs" iS des § 1246 Abs 2 RVO sind die Bedeutung des Berufs im Betrieb und seine "besonderen Anforderungen", dh seine positiv zu bewertenden Merkmale (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nrn 16, 29, 41 mwN). Der qualitative Wert des Berufs kann bei der analytischen Arbeitsbewertung folglich nicht der Arbeitswertzahl entnommen werden, die als Endprodukt die Entlohnung bestimmt. Vielmehr müssen diejenigen Faktoren der Bewertung unberücksichtigt bleiben, für die nicht die qualitativen Anforderungen des Berufs, sondern andere Gesichtspunkte, wie zB Erschwernisse infolge der Belastungen durch Staub, Hitze, Dämpfe, Lärm, Erschütterungen und dergleichen maßgeblich sind.
Das LSG wird demnach zu prüfen haben, ob der Kläger als erster Schlosser wesentlich höherwertige Arbeiten ausgeführt hat als die übrigen Schlosser im Unternehmen und ob er diese deutlich überragt hat. Sollte das zu bejahen sein, so kommt es ferner darauf an, ob er eine Arbeitswertzahl erreicht hat, die in der Spitzengruppe der Lohnskala liegt, soweit diese an qualitativ positiven Anforderungen der Berufstätigkeiten ausgerichtet ist.
Ist der Kläger unter diesen Gesichtspunkten als "besonders hoch qualifizierter Facharbeiter" anzusehen, so kann er auf seine jetzige Tätigkeit als Wachmann im Tor- und Streifendienst - gemessen an den qualitativen Anforderungen dieser Tätigkeit nicht verwiesen werden. Er erhält allerdings aufgrund tarifvertraglicher Regelung weiterhin den Lohn des ersten Schlossers wobei auf die Verdienstsicherungszahlungen Rentenleistungen angerechnet werden. Dazu hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 11. September 1979 (aaO) ausgeführt, daß ein zur Gruppe mit dem Leitberuf des "Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion" gehörender Versicherter auch dann berufsunfähig ist, wenn er mit der noch ausgeübten Anlerntätigkeit den Tariflohn eines Facharbeiters nur deshalb erreicht, weil er aufgrund einer Betriebsvereinbarung einen - bei Rentengewährung wegfallenden - "Anerkennungs-Lohnzuschlag" erhält. Eine derartige Zusatzleistung die nichts mit der Qualität des neuen Arbeitsplatzes zu tun hat, vielmehr allein auf sozialen Gesichtspunkten beruht, kann bei der Prüfung der zumutbaren Verweisungstätigkeiten nicht rechtserheblich sein. Im Gegensatz dazu hat nun der 4. Senat des BSG im Urteil vom 19. März 1980 (- 4 RJ 13/79 - SozR 2200 § 1246 Nr 60) entschiedene ein Facharbeiter sei jedenfalls in aller Regel nicht berufsunfähig, wenn er aufgrund einer tarifvertraglichen Verdienstsicherung Mit einer anderen, seinen Kräften und Fertigkeiten entsprechenden Tätigkeit den vollen bisher mit der Haupttätigkeit erzielten Lohn weitererhalte (vgl auch Urteil des 1. Senats vom 12. November 1980 - 1 RJ 104/79 -). Der Anrechnung von Rentenleistungen auf die Verdienstsicherung hat der 4. Senat keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Ob dem Urteil vom 19. März 1980 gleichwohl zu folgen wäre oder ob der erkennende Senat an seiner im Urteil vom 11. September 1979 vertretenen Auffassung auch bei einer tarifvertraglichen Lohnabrechnung festhält, muß im vorliegenden Fall derzeit unentschieden bleiben. Aufgrund der bisherigen Feststellungen des LSG läßt sich noch nicht die Frage beantworten, oh der tarifrechtliche Anspruch des Klägers auf Verdienstsicherung für den von ihm geltend gemachten Rentenanspruch entscheidungserheblich ist. Wenn der Kläger nämlich nicht zur Gruppe der "besonders hoch qualifizierten Facharbeiter" zu rechnen ist und es sich bei seiner jetzigen Tätigkeit um einen "sonstigen Ausbildungsberuf" oder um eine tariflich gleichgestellte Tätigkeit handelt, kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Lohnabsicherung nicht an.
Auch wenn die "bisherige Berufstätigkeit" des Klägers als erster Schlosser zur Gruppe der Facharbeiter gehört, wird das LSG hinsichtlich der jetzigen Tätigkeit des Klägers zweckmäßigerweise weitere Feststellungen treffen. Diese sind zwar dann nicht erforderlich, wenn man der Entscheidung vom 19. März 1980 (aaO) folgt. Im Hinblick auf die oben aufgezeigten unterschiedlichen Bewertungen von Mehrleistungen im Rahmen der Verdienstsicherung durch die Rechtsprechung des BSG kann aber noch nicht gesagt werden, ob es nicht letztlich auf die qualitativen Anforderungen des Wachmannes im Tor- und Streifendienst ankommt. Das LSG beruft sich darauf, die Arbeitgeberin des Klägers habe seine jetzige Tätigkeit als "angelernte" bezeichnet. Es kommt aber nicht auf diese - subjektive - Bewertung a,g sondern auf die objektive Zugehörigkeit zur Gruppe der "sonstigen Ausbildungsberufe" oder eine entsprechende tarifliche Gleichstellung (vgl hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 27. Januar 1981 - 5b/5 RJ 76/80). Sichergestellt sein muß, daß es sich um eine echte "Anlernung" und nicht nur um das handelt, was die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 1246 RVO unter einer kurzfristigen "Einweisung und Einarbeitung" versteht und von der Gruppe der "sonstigen Ausbildungsberufe" abgrenzt (vgl SozR 2200 § 1246 Nrn 16, 38 und 55).
Der Senat hat auf die danach begründete Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur Nachholung der erforderlichen Tatsachenfeststellungen an das LSG zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen