Leitsatz (redaktionell)
Ist der Kläger auf einem - im Verhältnis zur gesamten Wegstrecke erheblichen - Umweg (Konsultierung eines Arztes) verunglückt, hat er auf diesem Teilstück seiner Geschäftsreise nicht unter Unfallversicherungsschutz gestanden.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Mai 1971 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Mineralölhandel - Mineralöltransporte K Verwaltungsgesellschaft mbH; diese ist Komplementärin der H K KG Mineralölhandel und Mineralöltransporte. An der Kommanditgesellschaft (KG) ist der Kläger als Kommanditist beteiligt. Beide Unternehmen haben ihren Sitz in G Dieselben Beteiligungsverhältnisse bestehen bei der G Speditions- und Lagerhausverwaltungsgesellschaft mbH; diese ist Komplementärin der J K KG, Spedition Möbeltransporte und Lagerung.
Am Nachmittag des 5. Juni 1968 unternahm der Kläger mit seinem Pkw eine Geschäftsreise. Diese führte ihn zuerst nach L und sodann nach B. Von hier aus fuhr er weiter nach A; dort suchte er seinen behandelnden Arzt auf. Dies nahm eine halbe Stunde in Anspruch. Von A aus wollte der Kläger über A nach L fahren, um dort geschäftliche Dinge zu erledigen, sodann wollte er die Rückfahrt nach Hause antreten. Kurz bevor er A erreichte, verlor er - nach seiner Meinung aus innerer Ursache - die Gewalt über sein Fahrzeug und fuhr gegen einen Straßenbaum; er erlitt erhebliche Verletzungen.
Die Beklagte versagte durch Bescheid vom 14. November 1968 die begehrte Unfallentschädigung, weil der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls nicht geschäftliche, sondern private Interessen verfolgt habe.
Auf Klage hat das Sozialgericht (SG) Frankfurt durch Urteil vom 5. November 1969 diesen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Unfall als Arbeitsunfall zu entschädigen. Es ist der Auffassung, daß der Kläger bei der am Nachmittag des 5. Juni 1968 angetretenen Fahrt vorwiegend geschäftliche Zwecke verfolgt habe, so daß die gesamte Reise als dem Unternehmen wesentlich dienend anzusehen sei; dies treffe jedenfalls auch auf die vom Kläger von A über A nach L beabsichtigte Wegstrecke zu, weil diese den Kläger durch ein Gebiet geführt hätte, das zu seinem geschäftlichen Einzugsgebiet gehöre.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 26. Mai 1971 die Entscheidung des Erstgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Das Aufsuchen des behandelnden Arztes in Altenstadt stehe mit der Tätigkeit im Unternehmen in keinem inneren Zusammenhang, es habe vielmehr privaten Zwecken gedient. Unfallversicherungsschutz (UV-Schutz) hätte für den Kläger somit weiterhin nur bestanden, wenn dieser von B aus unmittelbar über A nach L gefahren wäre. Die vom Kläger eingeschlagene Wegstrecke von B über A nach A sei etwa viermal so lang wie die unmittelbare Straßenverbindung zwischen beiden Orten. Der dadurch hervorgerufene Zeitverlust mache - unter Berücksichtigung der Konsultation des Arztes - fast eine Stunde aus. Es liege somit nicht eine geringfügige Unterbrechung der Geschäftsfahrt, sondern ein das Gefahrenrisiko nicht unerheblich erhöhender Umweg vor, auf dem kein UV-Schutz bestanden habe. Auf diesem Umweg sei der Kläger verunglückt. Im Zeitpunkt des Unfalls habe er A noch nicht erreicht gehabt. Der Besuch beim Arzt sei andererseits nicht von solcher Dauer gewesen, daß dadurch die Geschäftsreise in zwei rechtlich gesondert zu betrachtende Teile zerlegt worden sei mit der Folge, daß mit der Wiederaufnahme der Geschäftsreise in A begonnen worden sei. Die Fahrt von A nach A sei nicht dadurch zu einer Geschäftsfahrt geworden, daß der Kläger - wie er erstmals in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem SG geltend gemacht habe - auf dieser Wegstrecke nach potentiellen Kunden für sein Ölhandelsgeschäft habe Ausschau halten wollen, indem er über E und A und nicht auf einer besseren Straße nach L habe fahren und Neubauten auskundschaften wollen, um dann seinen Vertreter anzuweisen, die Bauherrn als Kunden zu werben. Ein Unternehmer stehe bei Betätigungen, von denen er sich nur mittelbar einen werbenden Erfolg für sein Unternehmen verspreche, nicht unter UV-Schutz; es sei vielmehr ein konkreter und unmittelbarer Zusammenhang der Geschäftsreise mit dem Unternehmen zu fordern. Andernfalls wäre eine klare Scheidung zwischen Unternehmertätigkeiten und privaten Handlungen von Geschäftsleuten kaum mehr möglich. Da der Kläger die E-Vertretung für die Kreise G, B und S übernommen habe, könnte er andernfalls bei Fahrten mit privatem Ziel stets geltend machen, daß sie als sogenannte gemischte Tätigkeiten seinem Unternehmen wesentlich dienten. Auf diese Weise würde der UV-Schutz eine mit dem Sinn der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbarende Ausweitung erfahren.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet: Zu Unrecht habe das Berufungsgericht angenommen, daß die Geschäftsfahrt trotz Aufsuchens des Arztes nicht in zwei versicherungsrechtlich getrennt zu wertende Teile zerfallen sei. Das LSG habe nicht die Zeitdauer berücksichtigt, die der Kläger für seine Fahrt von B nach A benötigt habe. Es liege somit ein im Sinne des Berufungsgerichts rechtserheblicher Zeitraum vor. Eine Aufteilung der Reise in zwei Abschnitte hätte um so näher gelegen, als der Kläger den Entschluß, nach L zu fahren, erst nach dem Besuch des Arztes gefaßt habe. Er habe sich zur Fahrt dorthin endgültig erst entschlossen, als für ihn ersichtlich gewesen sei, daß ihm für weitere Geschäfte noch genügend Zeit verbleiben würde. Bis dahin sei für den Kläger völlig offen gewesen, ob er - wie zu Fahrtbeginn erwogen - wieder über B nach Hause zurückfahren oder auch noch in L seinen Geschäften nachgehen würde. Das Berufungsgericht habe die gesetzlichen Grenzen freier richterlicher Überzeugungsbildung überschritten, denn es hätte hinsichtlich des erhöhten Gefahrenrisikos nur die Wegstrecken A-L und B - L - L miteinander vergleichen dürfen. Jene Wegstrecke stehe jedoch in einem angemessenen, das Gefahrenrisiko nicht erhöhenden Verhältnis zu dem anderen in Betracht kommenden Weg, wobei Angemessenheit nicht mit kürzerer Wegstrecke gleichbedeutend sei. Schließlich habe das LSG die Bedeutung, die der Akquisition für ein Gewerbe zukomme, wie es der Kläger mit seinem Heizölgeschäft betreibe, verkannt. Die Erkundungstätigkeit des Klägers im Interesse seines Geschäfts sei keineswegs ein Nebenzweck einer aus privaten Gründen durchgeführten Fahrt gewesen, auch wenn man mit dem Berufungsgericht davon ausgehe, daß der Kläger noch auf einem Umweg verunglückt sei, bevor er den Betriebsweg wieder erreicht habe.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß der Kläger für seinen Mineralölhandel die Neubauten an Ort und Stelle hätte erkunden müssen. Hierüber könne er sich aus den Veröffentlichungen der Kreisbauämter, die er im Interesse der Kundenwerbung gewiß beziehe, viel schneller und leichter an seinem Betriebssitz unterrichten und dann seinen Vertreter entsprechend anweisen.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Frankfurt/Main vom 5. November 1969 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Voraussetzungen des § 166 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind in der Person des Prozeßbevollmächtigten des Klägers erfüllt. Nach der Satzung der Vereinigung des Verkehrsgewerbes in Hessen e.V. handelt es sich um eine Vereinigung von Arbeitgebern.
Die Revision ist nicht begründet.
Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß der Kläger - wie auch die Revision einräumt - auf dem in seine Geschäftsreise eingeschobenen Weg zu seinem behandelnden Arzt nicht unter UV-Schutz gestanden hat, weil die von B nach A zurückgelegte Fahrt lediglich privaten Interessen gedient hat. Wäre der Kläger dieselbe Wegstrecke wieder zurückgefahren, hätte es sich versicherungsrechtlich um einen sogenannten Abweg gehandelt, weil der Kläger zum Ausgangspunkt des Abstechers auf seiner Geschäftsreise zurückgekehrt wäre (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15.4.1972, Band II S. 486 q I). Aber auch auf dem nach dem Besuch seines Arztes von A nach A zurückgelegten Weg, zu dem sich der Kläger - wie die Revision dartut - endgültig erst nach Abschluß der ärztlichen Behandlung entschlossen hatte, ist der Kläger ohne UV-Schutz gewesen. Das Fernziel des von Altenstadt aus angetretenen Wegs ist der Ausgangspunkt seiner Geschäftsreise, nämlich G, das Nahziel hingegen L gewesen, wo der Kläger noch geschäftliche Dinge erledigen wollte. Bei der von B über A bis A befahrenen Wegstrecke, deren Zurücklegung der Kläger nach dem Revisionsvorbringen schon bei der Abfahrt von G jedenfalls alternativ vorgesehen hatte, handelt es sich um einen im Verhältnis zur gesamten Wegstrecke erheblichen Umweg, so daß insoweit der UV-Schutz entfällt (Brackmann, aaO, S. 482 g, 486 q mit umfangreichen Nachweisen).
Durch den in die Geschäftsreise eingeschobenen Weg zum Arzt ist - entgegen der Meinung der Revision - die Geschäftsreise nicht in zwei voneinander zu trennende Abschnitte aufgeteilt worden mit der versicherungsrechtlich bedeutsamen Folge, daß die Geschäftsreise bereits in A fortgesetzt worden ist. Die durch Urteil des erkennenden Senats vom 28. Oktober 1966 entschiedene Streitsache (SozR Nr. 4 zu § 548 der Reichsversicherungsordnung - RVO -), auf das die Revision sich beruft, war dadurch gekennzeichnet, daß ein auf einer Geschäftsreise befindlicher Unternehmer in diese einen 9-tägigen Urlaub in Italien eingeschoben hatte und danach dort eine geschäftliche Besprechung stattfinden sollte. Unter diesen besonderen Umständen des Falles hat der erkennende Senat es als rechtlich bedeutsam angesehen, daß mit der Lösung vom Unternehmen durch den Urlaub ein deutlicher Einschnitt in der Geschäftsreise eingetreten war. So verhält es sich in der vorliegenden Sache jedoch nicht. Sie ist vielmehr vergleichbar mit der im Urteil vom 29. Juni 1971 entschiedenen Streitsache (SozR Nr. 27 zu § 548 RVO), in welcher der Senat ebenfalls einen Umweg auf einer Geschäftsreise als vorliegend erachtet hatte. Der vom Kläger eingeschlagene Umweg wäre, wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt, erst beendet gewesen, wenn der Kläger A erreicht hätte; diesen Ort hätte er berühren müssen, wenn er von B aus unmittelbar nach L weitergefahren wäre. Da sich der Unfall aber bereits vorher ereignet hat, hat sich der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht unter UV-Schutz befunden.
Der von der Revision hervorgehobene Gesichtspunkt, daß der Kläger von A aus einem Ort zustrebte, in welchem er geschäftlich tätig sein wollte, ist für sich allein versicherungsrechtlich nicht entscheidend, da für die Zurücklegung des Umweges keine Gründe geschäftlicher Art wesentlich mitbestimmend gewesen sind (SozR Nr. 27 zu § 548 RVO). Der Hinweis der Revision, daß der Kläger, als er zwischen A und A unterwegs gewesen sei, auch nach potentiellen Kunden habe Ausschau halten wollen, ist nicht geeignet, auf diesem Teilstück des Umweges den UV-Schutz zu begründen. Versicherungsrechtlich war dieses Wegstück durch die Fahrt vom Besuch beim Arzt geprägt (siehe BSG 3, 240, 245 sowie die Urteile des erkennenden Senats vom 23. März 1972 - 2 RU 153/70 - und vom 25. Mai 1972 - 2 RU 205/69). Dem Kläger hat sich dabei lediglich die Gelegenheit geboten, nach für sein Heizölgeschäft möglicherweise in Frage kommenden Kunden Ausschau zu halten. Auf die Frage der Grenzziehung derartiger Betätigungen eines Geschäftsmannes zu seiner Tätigkeit im Unternehmen (vgl. BSG 1, 258) und die hierzu vom LSG angestellten Erwägungen sowie auf den Hinweis der Beklagten, daß der Kläger dieses Ziel auf einfachere und bequemere Weise erreicht hätte, braucht somit nicht eingegangen zu werden. Ein jedenfalls versicherungsrechtlich nicht wesentlicher Nebenzweck des Weges vom Besuch beim Arzt ist dieses Vorhaben auch geblieben, obwohl der Kläger aus diesem Grunde von den zur Erreichung seines Nahziels - L - sich ihm anbietenden Wegstrecken nicht die bessere gewählt hat.
Die Revision war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen