Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz bei Jubiläumsehrung in der Wohnung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes für einen Arbeitsjubilar bei der in seiner Wohnung von der Unternehmensleitung veranstalteten Ehrung.

 

Leitsatz (redaktionell)

Wird ein Arbeitsjubilar entsprechend der zwischen Unternehmer und Betriebsrat getroffenen Vereinbarung nicht am Arbeitsplatz, sondern von einer Abordnung des Betriebes in der eigenen Wohnung geehrt, so besteht für ihn bis zum Ende einer sich an die Ehrung anschließenden Bewirtung der Betriebsvertreter der Versicherungsschutz der Unfallversicherung; in den Unfallversicherungsschutz ist auch der Weg des Jubilars zur Haustür beim Verabschieden der Abordnung einbezogen.

 

Normenkette

RVO § 548 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Mai 1967 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Bei den A-Nähmaschinen-Werken AG in B wurde im Jahre 1962 zwischen Direktion und Betriebsrat vereinbart, daß Ehrungen von Arbeitsjubilaren, die bis dahin in den Betriebsräumen durchgeführt worden waren, zur Vermeidung der damit verbundenen Störungen des Betriebsablaufs künftig in die Wohnungen der Jubilare verlegt wurden. Während bislang der Jubilar sich mittags an seinen Arbeitsplatz zu begeben hatte, blieb er von nun an während des Jubiläumstages (bezahlter Urlaub) zu Hause und erwartete dort die Abordnung der Firma, um von ihr Ansprachen, Ehrenurkunden und Geschenke entgegenzunehmen.

Der seit dem 7. April 1940 bei der Firma beschäftigte Kläger empfing am 7. April 1965 gegen 10.15 Uhr in seiner im 1. Stock eines Mehrfamilienhauses gelegenen Wohnung die 3-köpfige Delegation - Betriebsleiter, Obermeister, Betriebsratsmitglied - der Firmenleitung, die ihm in der üblichen Weise gratulierte und Urkunden sowie Geschenke überreichte. Der Kläger bewirtete die 3 Gäste mit einem Sektfrühstück; auf seine Einladung aßen sie auch bei ihm zu Mittag. Als gegen 15.15 Uhr 2 weitere Betriebsangehörige erschienen, um die Delegation zur Ehrung eines anderen Arbeitsjubilars abzuholen, begleitete der Kläger seine Gäste zur Haustür. Bevor er diese erreichte, stürzte er auf der Treppe und erlitt einen Kniescheibenbruch.

Die Beklagte lehnte den Entschädigungsanspruch ab, weil sich der Unfall bei einer nicht unter Versicherungsschutz stehenden Tätigkeit im häuslichen Bereich des Klägers ereignet habe.

Das Sozialgericht Detmold hat die Beklagte verurteilt, den Unfall vom 7. April 1965 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger die ihm zustehenden Leistungen zu gewähren.

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 9. Mai 1967 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Die in der Wohnung des Klägers abgehaltene Jubiläumsfeier sei eine offizielle, von der Autorität der Firmenleitung getragene Betriebsveranstaltung gewesen, bei der - trotz des beschränkten Teilnehmerkreises - für den Kläger Versicherungsschutz bestanden habe. Der Versicherungsschutz habe auch bis 15.30 Uhr angedauert, denn die Bewirtung der offiziellen Betriebsvertreter habe sich im Rahmen der betrieblichen Ehrung gehalten. Auch auf dem Weg zur Haustür sei der Kläger noch versichert gewesen, denn die Hinausbegleitung der offiziellen Gäste sei nicht bloß als selbstverständlicher Akt der Höflichkeit anzusehen, sondern habe mit der vorangegangenen betrieblichen Tätigkeit rechtlich wesentlich zusammengehangen. Die zur Abgrenzung des Versicherungsschutzes bei Wegeunfällen geltenden Grundsätze seien hier unanwendbar.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 2. Juni 1967 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16. Juni 1967 Revision eingelegt mit dem Antrag, unter Aufhebung der angefochtenen Urteile die Klage abzuweisen. In der am 24. Juli 1967 eingegangenen Revisionsbegründung trägt die Beklagte vor, für den bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen grundsätzlich gegebenen Versicherungsschutz fehle es hier schon an der Voraussetzung, daß an der Jubiläumsfeier für den Kläger sämtliche oder doch die meisten Betriebsangehörigen teilgenommen hätten, wodurch die betriebliche Verbundenheit zum Ausdruck gekommen wäre. Bei einem solchen Besuch einer kleinen Betriebsdelegation in der Wohnung des Jubilars stehe lediglich dessen persönliches Interesse im Vordergrund, genauso wie bei den für betagte ehemalige Betriebsangehörige veranstalteten Geburtstagsfeiern, zu denen auch Vertreter des Betriebs erschienen. Auf keinen Fall aber könne sich der Versicherungsschutz - selbst wenn man ihn für die kurzen Minuten der offiziellen Ehrung bejahte - über Stunden hinweg auf das gesellige Beisammensein erstrecken, zumal da der Kläger die Kosten des Sektfrühstücks und des Mittagessens selbst getragen habe. Erst recht entfalle der Versicherungsschutz für das Hinausbegleiten der Gäste, worin ein rein privater Akt der Höflichkeit des Klägers zu erblicken sei.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision der Beklagten ist zulässig, sie hat jedoch keinen Erfolg.

Nach Auffassung der Beklagten hat für den Kläger bei der Ehrung anläßlich seines 25-jährigen Arbeitsjubiläums im Dienste der A-Nähmaschinen-Werke AG schon deshalb kein Versicherungsschutz bestanden, weil diese Feier nicht für sämtliche oder doch die meisten Werksangehörigen zugänglich gewesen sei und es sich somit nicht um eine den Versicherungsschutz für alle Teilnehmer begründende betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt habe. Die Revision hebt hiermit ein von der Rechtsprechung (vgl. BSG 1, 179, 183; 7, 249, 252; 17, 280) geprägtes Tatbestandsmerkmal hervor, zieht jedoch aus dieser Rechtsprechung insofern unrichtige Schlüsse, als sie meint, nur solche für die Masse der Belegschaftsmitglieder oder für ganze Betriebsabteilungen vorgesehene Veranstaltungen könnten der Pflege des Gemeinschaftsgeistes und der Verbundenheit zwischen Betriebsleitung und Beschäftigten dienen, daher rechtfertige allein die Form der betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung die Anerkennung des Versicherungsschutzes für die an einer solchen Feier teilnehmenden Beschäftigten. Eine Ehrung von Arbeitsjubilaren kann zwar auch in dieser Form erfolgen, wobei die Feiern für jeweils mehrere Jubilare auf wenige Termine im Jahr zusammengefaßt werden (vgl. etwa SozR Nr. 3 zu § 550 RVO). Der Versicherungsschutz hängt indessen nicht von dieser besonderen Gestaltung derartiger Feiern ab.

Daß Betriebsangehörige anläßlich ihrer 25-jährigen oder noch längeren Mitarbeit im Unternehmen von der Betriebsleitung in angemessener Weise geehrt werden, ist zwar noch vom Reichsversicherungsamt (RVA) als eine persönliche Angelegenheit der Geehrten betrachtet worden (RVA, Urteil vom 17.5.1934, Kompaß 1934, 163 = BG 1934, 284). Diese Meinung entspricht jedoch nicht mehr den Anschauungen des heutigen Arbeitslebens (ebenso Lauterbach, UV, 3. Aufl., Anm. 8 zu § 550 S. 266). Die Wiederkehr des Tages, an dem ein Arbeitnehmer vor einem Vierteljahrhundert bei seiner Firma eintrat, ist nicht allein dessen Privatsache; dieses Ereignis geht vielmehr auch wesentlich die Firma an, deren Entwicklung durch die langjährige Treue eines alten Mitarbeiterstammes oft maßgeblich bestimmt worden ist. Deswegen unterscheiden sich solche Ereignisse in ihrer Betriebsbezogenheit grundlegend von Geburtstagen der einzelnen Belegschaftsangehörigen, deren Feier in der Regel der persönlichen Sphäre zuzurechnen sein mag. Diesen Unterschied hat die Revision nicht hinreichend berücksichtigt; das von ihr herangezogene Beispiel der Geburtstagsfeier eines hoch betagten Werkspensionärs läßt sich mit den hier zu beurteilenden Jubilarehrungen nicht vergleichen, obschon natürlich für die Mitglieder der offiziellen Betriebsabordnung, die einem 80 Jahre alt gewordenen ehemaligen Mitarbeiter die Glückwünsche der Firma überbringt, nach anderen Gesichtspunkten ebenfalls Versicherungsschutz bei der Ausführung dieses Auftrags anzuerkennen sein wird. Bei einer Jubilarehrung hingegen, welche von der Unternehmensleitung unter Anwendung eines gewissen Zeremoniells durchgeführt wird, wirkt jedenfalls der Arbeitsjubilar selbst notwendigerweise im Rahmen eines betriebsbedingten Vorgangs mit.

Die bis zum Jahre 1962 übliche Art der Jubilarehrungen in den Betriebsräumen der Adler-Nähmaschinen-Werke war also als versicherte Tätigkeit aller hieran Beteiligten anzusehen, obwohl sich ja auch damals wohl kaum größere Teile der Belegschaft um den jeweiligen Arbeitsplatz des Jubilars versammelt haben dürften. Aus rein betrieblichen Gründen - Vermeidung von Störungen des Betriebsablaufs - ist dann zwischen Direktion und Betriebsrat die Verlegung dieser Feiern in die Wohnungen der Arbeitsjubilare vereinbart worden. Diese Veränderung des Schauplatzes hat aber die Betriebsbezogenheit der Jubilarehrung nicht so maßgebend berührt, daß etwa für den Jubilar, bloß weil sich das betriebliche Geschehen jetzt in seinem häuslichen Bereich abspielte, der Versicherungsschutz entfallen mußte.

Zutreffend hat das LSG ferner ausgeführt, daß der Versicherungsschutz für den Kläger bis zum Augenblick des Unfalls angedauert hat. Der Auffassung der Revision, Versicherungsschutz sei - allenfalls - nur für die wenigen Minuten anzuerkennen, in denen die Gratulationen ausgesprochen sowie die Urkunden und Geschenke überreicht wurden, kann der Senat nicht beipflichten. Durch diese Betrachtungsweise wird ein einheitlicher Lebensvorgang auseinandergerissen und überdies verkannt, daß ein Arbeitsjubilar, indem er auf die ihm zuteil gewordene Ehrung reagiert, dabei noch durchaus betriebsbezogen handelt. Besteht diese Reaktion nur in einigen Dankesworten und der Darreichung einer kleinen Erfrischung an die Mitglieder der Betriebsabordnung, so versteht sich das von selbst und bedarf keiner näheren Erörterung. Auch wenn - wie hier - der Jubilar den Delegationsmitgliedern ein Sektfrühstück anbietet, ist damit der betriebsbedingte Rahmen keineswegs überschritten. Daß der Kläger sich hiermit nicht begnügte, sondern die drei Abgesandten des Betriebes auch gleich zum Mittagessen einlud, mag zwar ein wenig außerhalb der üblichen Gepflogenheiten gelegen haben. Nach Lage des Falles hat das LSG jedoch mit Recht entschieden, daß auch dieser Vorgang trotz seiner zeitlichen Ausdehnung nicht das Erlöschen des Versicherungsschutzes bewirkt hat. Von wesentlicher Bedeutung erscheint dem Senat hierbei die lückenlose zeitliche Aufeinanderfolge der Ereignisse sowie der Umstand, daß die Mitglieder der Betriebsabordnung geschlossen der Einladung Folge leisteten und gemeinsam am Mittagstisch des Klägers blieben, so daß auch während dieser Stunden nicht etwa die betriebliche Jubilarehrung sich in eine private Familienfestlichkeit umwandeln konnte. Bedeutsam ist auch noch insbesondere, daß nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich ist, zwischen dem Kläger und Mitgliedern der Betriebsabordnung könnten etwa außerbetriebliche freundschaftliche Beziehungen bestanden haben.

Das Hinausgeleiten der drei Gäste schließlich, bei dem der Kläger den Unfall erlitt, ist sicherlich ein Akt der Höflichkeit des Klägers gewesen. Die Meinung der Beklagten, höfliches Verhalten sei grundsätzlich dem privaten und des halb unversicherten Lebensbereich zuzuordnen, trifft jedoch in dieser Unbedingtheit nicht zu. Wie für versicherte Unternehmer, die sich nach Besprechungen mit Geschäftsbesuchern von diesen in höflicher Form verabschieden, muß auch für Beschäftigte in einer dem Kläger vergleichbaren Situation der Versicherungsschutz zuerkannt werden, wenn sich ein Unfall bei ihrer betont höflichen Verabschiedung von betrieblich Höhergestellten oder gar Vorgesetzten nach einer betriebsbedingten Zusammenkunft ereignet.

Die Revision ist hiernach unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2285162

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