Orientierungssatz
1. Der Senat vermag der Auffassung nicht zu folgen, daß die Vorschrift RVO § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a im Rahmen der KV nur für die stationäre Behandlung Behinderter, nicht aber für die große Zahl der "normal" Kranken gelte.
2. Zu den vom Versicherungsschutz nach RVO § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a iVm RVO § 548 nicht erfaßten Risiken der ärztlichen Behandlung gehört ua auch die erforderliche sterile Durchführung der Operation.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. a Fassung: 1974-08-07, § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
SG Detmold (Entscheidung vom 05.07.1978; Aktenzeichen S 8 U 275/77) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 5. Juli 1978 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die durch ihren Ehemann bei der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) familienversicherte Klägerin wurde am 30. Oktober 1974 am Meniskus operiert. Nach der Operation trat eine Wundinfektion auf mit hämolysierenden Streptokokken. Die Klägerin wurde erst am 19. Dezember 1974 aus der stationären Behandlung entlassen und wegen der Folgen der Infektion noch weiter behandelt.
Die Beklagte lehnte Entschädigungsansprüche ab, da unter den Versicherungsschutz der gemäß § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO) Versicherten nicht das Erdulden ärztlicher oder medizinischer Handlungen am eigenen Körper falle.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 5.Juli 1978 die Klage abgewiesen und ausgeführt: Die Klägerin sei bei der Krankenhausbehandlung gemäß § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO versichert gewesen. Der Tatbestand eines Arbeitsunfalles nach § 548 RVO komme jedenfalls während einer Operation und bis zu deren Abschluß nicht in Betracht. Zudem erstrecke sich der Schutz der Unfallversicherung nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO nicht auf Schäden, die während eines operativen Eingriffs entstünden. Dazu gehörten auch Gesundheitsstörungen, die durch einen nicht sterilen Operationssaal entstanden seien.
Das SG hat die Revision im Urteil zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel mit Zustimmung der Beklagten eingelegt.
Sie trägt vor: Einem bei der Operation unterlaufenden ärztlichen Kunstfehler fehlten nicht die Merkmale eines Arbeitsunfalles. Insoweit müsse doch zwischen dem Operationsablauf differenziert werden, und zwar zwischen einer kunstgerecht durchgeführten Operation mit normalem Heilungsverlauf nach dem Eingriff und dem Unterlaufen eines ärztlichen Kunstfehlers, der entgegen einem normalen Heilungsverlauf zu insbesondere bleibenden Körperschäden führt. Dies müsse auch gelten, wenn die Unsterilität der Operationsräume mit in die ärztliche Operationsbehandlung einbezogen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG und den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 30. Oktober 1974 eine Entschädigung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, aufgrund des Unfalles vom 30. Oktober 1974 die gesetzlichen Leistungen zu gewähren.
Sie trägt vor: Zweck der stationären Unterbringung sei gerade die Heilbehandlung. Die Hauptgefahren des stationären Aufenthalts ergäben sich zwangsläufig aus Heilbehandlungsmaßnahmen. Für diese Gefahren bestehe ebenfalls Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO. Ein ärztlicher Fehlgriff bei der Operation unterscheide sich aber qualitativ nicht von dem hier vorliegenden Fall. Der Aufenthalt in dem unsterilen Operationsraum habe zu einer erneuten Erkrankung aufgrund der stationären Behandlung geführt. Nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO seien die danach versicherten Personen jedoch bei allen Tätigkeiten während einer stationären Behandlung geschützt, die der Rehabilitation dienten. Deshalb bestehe Unfallversicherungsschutz auch bei einer Verletzung und Erkrankung durch Behandlungsmaßnahmen. Auch die Begünstigung von Unfällen im Zuge stationärer Heilbehandlung gegenüber den nur ambulant behandelten Kassenpatienten sei vom Gesetzgeber gewollt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Sprungrevision ist nicht begründet.
Die Klägerin gehörte während der ihr vom Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gewährten stationären Behandlung in einem Krankenhaus zu den nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO versicherten Personen. Der Senat vermag der Auffassung nicht zu folgen, daß diese Vorschrift im Rahmen der Krankenversicherung nur für die stationäre Behandlung Behinderter, nicht aber für die große Zahl der "normal" Kranken gelte (so Ahrens/Udsching, NJW 1978, 1666, 1668). Dem Gesetzeswortlaut ist nicht zu entnehmen, daß nur Behinderte bei einer stationären Behandlung durch den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherungsschutz genießen sollen (ebenso Weyers, Verhandlungen des 52. Deutschen Juristentags Wiesbaden 1978, Bd I Gutachten, S. A 55). Trotz der besonderen - aber auch nicht ausschließlichen - Ausrichtung des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen der Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) auf Behinderte (vgl ua Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 8. Aufl, S. 382 o II ff zu den Auswirkungen dieses Gesetzes auf das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung) ist aus Sinn und Zweck dieser Vorschrift nicht zu entnehmen, daß sie nur für behinderte Versicherte oder behinderte Familienversicherte gelten soll. Dagegen spricht vor allem, daß weder § 539 Abs 1 RVO noch das Rehabilitationsangleichungsgesetz vom 7. August 1974 (aaO), durch das Nr 17 in § 539 Abs 1 RVO eingefügt wurde, ausreichende Kriterien für eine Abgrenzung zwischen Behinderten und Kranken enthalten (vgl Brackmann aaO S. 664 o II ff). So umfaßt zB der Krankheitsbegriff in der gesetzlichen Krankenversicherung sowohl die Fälle, in denen eine Behinderung bereits eingetreten ist, als auch die Fälle, in denen eine Behinderung droht und ärztliche Behandlung erforderlich ist (s Brackmann aaO S. 383; BT-Drucks 7/1237, S. 63).
Die nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO versicherten Personen sind aufgrund dieser Vorschrift nur gegen Arbeitsunfälle versichert (vgl § 548 RVO). Der Versicherungsschutz besteht demnach insoweit bei in ursächlichem Zusammenhang mit der stationären Behandlung stehenden Unfällen (vgl die zur Veröffentlichung bestimmten Urteile des Senats vom 27.Juni 1978 - 2 RU 20/78 und 2 RU 30/78). Der Senat kann dahinstehen lassen, ob hier ein Unfall vorgelegen hat. Dieser Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß die Klägerin wegen einer Meniskusschädigung, die nicht durch eine versicherte Tätigkeit verursacht war, operiert wurde und eine Wundinfektion erlitt. Der Senat hat in seinem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 27. Juni 1978 (2 RU 20/78) ausgeführt, daß nach Sinn und Zweck des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO die Risiken in den Versicherungsschutz einbezogen werden sollen, denen der Versicherte bei der stationären Behandlung ausgesetzt ist. Dagegen ist das Risiko der ärztlichen Behandlung selbst nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes. Die gegenteilige Ansicht würde dazu führen, daß die gesetzliche Unfallversicherung für jeden Mißerfolg einer stationären Behandlung einzustehen hätte, soweit das ärztliche Mißgeschick bei der Behandlung die Voraussetzungen des Unfallbegriffs erfüllen würde. Eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf ärztliche Kunstfehler käme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung allgemein nicht auf Unfälle beschränkt ist, bei denen den Verursacher ein Verschulden trifft. Ob ein so weitgehender Versicherungsschutz bei einer stationären - nicht aber auch bei einer ambulanten - Behandlung und die damit grundsätzlich verbundene Entbindung der Ärzte oder Krankenhausträger von der Schadensersatzpflicht gegenüber dem Patienten rechts- und sozialpolitisch zweckmäßig wären, um den Geschädigten von dem Nachweis eines Kunstfehlers zu befreien, ist hier nicht zu prüfen (ablehnend Deutsch, NJW 1978, 1657, 1659; Ahrens/Udsching aaO S. 1667, vgl auch Weyers aaO S.A 106). Ein so weitgehender Versicherungsschutz mit den damit zwangsläufig verbundenen weiteren Rechtsfolgen ist § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO und den sonstigen im Zusammenhang mit dieser Vorschrift nur für einen bestimmten Personenkreis getroffenen Regelungen jedenfalls nicht zu entnehmen (im Ergebnis ebenso: Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl, Kennzahl 300, S. 37 ff; Hamacher, BG 1977, 567; Husmann VersR 1978, 793; aA OLG Braunschweig aaO; Vollmar, ZfS 1975, 336, 338; Martin, Anwaltsblatt 1977, 140; Sanftleben, VersR 1978, 403). Zu den vom Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a iVm § 548 RVO nicht erfaßten Risiken der ärztlichen Behandlung gehört ua auch, wie das SG ebenfalls zutreffend entschieden hat, die erforderliche sterile Durchführung der Operation. Sie hängt - sowohl hinsichtlich der erforderlichen keimarmen Luft als auch ua der Verwendung steriler für die Durchführung der Operation notwendiger Geräte - unmittelbar mit der ärztlichen Behandlung zusammen. Der Senat verkennt nicht, daß auch insoweit im Einzelfall Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen, was noch zum Risiko der ärztlichen Behandlung selbst zählt. Dies liegt jedoch bereits in der anzuwendenden Vorschrift und den von ihr geregelten Tatbeständen begründet. Gegen eine Einbeziehung des Risikos der ärztlichen Behandlung in den Unfallversicherungsschutz aufgrund des § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO spricht auch, daß die aufgrund einer mißglückten ärztlichen Behandlung auftretenden Erkrankungen nicht in die nach Inkrafttreten dieser Vorschrift neu gefaßte Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung vom 20. Juni 1968 idF vom 8. Dezember 1976 (BGBl I 3329) aufgenommen worden sind. Es ist aber nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Folgen eines mißlungenen ärztlichen Eingriffs entschädigt werden sollen, wenn sich das schädigende Ereignis auf eine Arbeitsschicht beschrankt und damit den Unfallbegriff noch erfüllen könnte, was der Senat auch hier offenläßt (zB eine mißlungene Operation oder eine eindeutig zu hoch dosierte Injektion), dagegen ein Versicherungsschutz nicht gegeben wäre, wenn sich die mißglückte Behandlung auf mehrere Tage erstreckt (zB eine Strahlentherapie oder eine insgesamt eindeutig zu hoch dosierte Behandlung mit Injektionen über mehrere Tage). Die gegenteilige Auffassung würde entgegen dem Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig (aaO) außerdem zu einer ebenfalls durch den Wortlaut dieser Vorschrift, der Gesetzessystematik, den Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift nicht gerechtfertigten Besserstellung der in stationärer Behandlung stehenden Personen gegenüber den Kranken führen, die ambulant behandelt werden. Der Versicherungsschutz bei der stationären Behandlung ist im Rahmen des § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a iVm § 548 RVO dadurch begründet, daß der Versicherte sich in eine besondere Einrichtung begeben muß und dort überwiegend anderen Risiken als zu Hause ausgesetzt ist. Hinsichtlich des Behandlungserfolges oder -mißerfolges besteht jedoch kein wesentlicher Unterschied zwischen Kranken, die stationär behandelt und denen, die ambulant behandelt werden. Dabei übersieht der Senat nicht, daß - worauf die Beklagte hinweist - zahlreiche Vorgänge, die zu einem Unfall führen können, sowohl während einer stationären Behandlung als auch während einer ambulanten Behandlung eintreten können und insoweit eine unterschiedliche versicherungsrechtliche Behandlung der Betroffenen begründen, je nachdem, ob sie in stationärer oder ambulanter Behandlung stehen. In bezug auf den Behandlungserfolg oder -mißerfolg ist jedoch aus versicherungsrechtlichen Grundsätzen zB eine ungleiche Behandlung eines Erkrankten, der eine Streptokokkeninfektion bei einer stationären Behandlung erleidet, nicht gerechtfertigt gegenüber dem Patienten, der sich nach der Behandlung ggf in demselben Operationssaal des Krankenhauses wieder nach Hause begeben kann und die weitere ärztliche Betreuung ebenfalls ambulant erhält. Ausgehend von der Rechtsauffassung des OLG Braunschweig (aaO S. 1204) könnten sonst sowohl die Patienten - wegen des nur durch eine stationäre Behandlung erreichbaren Versicherungsschutzes gegen das Mißlingen eines ärztlichen Eingriffs - als auch die Krankenhausträger - wegen der vom OLG Braunschweig (aaO) aus dem Versicherungsschutz gefolgerten Haftungsbefreiung - wesentlich aus diesen Erwägungen darauf drängen, soweit wie möglich ärztliche Eingriffe während einer - ggf nur auf zwei oder drei Tage beschränkten - stationären Behandlung und nicht mehr in der Ambulanz vorzunehmen. Nicht nur die dadurch bedingten Mehrkosten, sondern vor allem die durch die Befreiung der Ärzte oder der Krankenhausträger von der Haftung bei schuldhaft mißlungenen ärztlichen Eingriffen entstehenden Kosten müßten aber die Versicherten zur Hälfte selbst aufbringen. Unternehmer ist bei Versicherten nach § 539 Abs 1 Nr 17 RVO der Rehabilitationsträger (s § 658 Abs 2 Nr 3 RVO). Er hat die Kosten für die Unfallversicherung dieser Versicherten zu tragen (s § 723 Abs 1 RVO). Die Beiträge der bei einer gesetzlichen Krankenkasse oder einem Rentenversicherungsträger versicherten Personen tragen grundsätzlich Arbeitnehmer und Arbeitgeber je zur Hälfte (s § 381 Abs 1 Satz 1, § 1385 Abs 4 Buchst a RVO). Die Beitragslast der Rehabilitationsträger für die Unfallversicherung der Rehabilitanden ist insoweit systemgerecht, als sie - abweichend von dem Grundgedanken der gesetzlichen Unfallversicherung (s Brackmann aaO S. 469) - nicht auf einer Haftungsablösung beruht, vielmehr Teil der von den Versicherten und dem Arbeitgeber gemeinsam getragenen Gesamtkosten der Rehabilitation ist. Eine Beitragsbelastung für die Kosten einer Haftungsbefreiung der Ärzte oder der Krankenhausträger wäre dagegen für die Versicherten, die den an die Stelle ihrer zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche tretenden Schadensausgleich durch eigene Beitragsleistungen finanzieren müßten, und auch für deren Arbeitgeber nicht systemgerecht, da für sie ebenfalls eine Haftungsablösung, für die sie die Kosten zu tragen hätten (vgl § 723 Abs 1 RVO; Brackmann aaO S. 469), insoweit nicht in Betracht kommt. Dagegen würde der, welcher von der Haftung freigestellt würde, hierfür nicht durch Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung belastet. Auch die im Zusammenhang mit der Einfügung des § 539 Abs 1 Nr 17 RVO getroffenen beitragsrechtlichen Regelungen stützen somit die Auffassung des Senats.
Das SG hat demnach zu Recht die Klage abgewiesen. Die Revision ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen