Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des § 11 Abs 1 BKGG?
Orientierungssatz
1. Ist § 11 Abs 1 BKGG idF des Art 13 HBegleitG 1983 vom 20.12.1982 (BGBl I 1982, 1857) mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar?
2. Das Verfahren vor dem BVerfG ist abgeschlossen, nachdem das vorlegende Gericht durch Beschluß vom 22.8.1990 10 RKg 13/90 seinen Vorlagebeschluß aufgehoben hat.
Normenkette
BKGG § 11 Abs 1 S 1 Fassung: 1982-12-20, § 11 Abs 1 S 2 Fassung: 1982-12-20, § 11 Abs 2 Fassung: 1982-12-20, § 10 Abs 2 Fassung: 1982-12-20; GG Art 3 Abs 1; EStG § 2 Abs 1; EStG § 2 Abs 2
Verfahrensgang
SG Braunschweig (Entscheidung vom 15.03.1984; Aktenzeichen S 4 Kg 103/83) |
Tatbestand
Streitig ist, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe das Kindergeld des Klägers ab 1. Januar 1983 zu kürzen ist.
Der Kläger ist verheiratet und lebt von seiner Ehefrau nicht dauernd getrennt. Er hat drei 1956, 1959 und 1963 geborene Kinder, die die Beklagte auch ab 1. Januar 1983 für den Kindergeldanspruch des Klägers berücksichtigte.
Aus dem Einkommensteuerbescheid des Klägers für 1981 ergibt sich, daß er in diesem Jahr ein Bruttoarbeitseinkommen von 75.700,-- DM erzielte und aus Vermietung und Verpachtung negative Einkünfte in Höhe von 1.538,-- DM hatte. Mit dem streitigen Bescheid vom 4. März 1983, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 1983, berechnete die Beklagte das Kindergeld ab 1. Januar 1983 neu mit 260,-- DM monatlich, wobei sie das Kindergeld für das zweite und dritte Kind jeweils auf den Sockelbetrag von 70,-- bzw 140,-- DM kürzte, weil das anrechenbare Einkommen des Klägers in Höhe von 53.388,-- DM den Freibetrag um insgesamt 4.018,-- DM übersteige und das Kindergeld für je 480,-- DM, um die das Jahreseinkommen den Freibetrag übersteige, um 20,-- DM zu mindern sei. Gleichzeitig forderte sie die Überzahlung für Januar und Februar 1983 in Höhe von je 110,-- DM = 220,-- DM von dem Kläger zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die auf die Verurteilung der Beklagten zur Weiterzahlung des ungekürzten Kindergeldes ab 1. Januar 1983 gerichtete Klage abgewiesen. Die Beklagte habe sowohl § 10 als auch § 11 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) in der seit 1.Januar 1983 geltenden Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 richtig angewendet. Sowohl der nach § 10 Abs 2 Satz 3 BKGG nF maßgebliche Freibetrag (25.920,-- DM + 3 x 7.800,-- DM), als auch das nach § 11 Abs 1 und 2 BKGG zu berechnende Jahreseinkommen (53.338,-- DM) und die sich daraus ergebende Kürzung des Gesamtkindergeldes um monatlich 110,-- DM, seien richtig errechnet; denn das anrechenbare Einkommen übersteige den Freibetrag um abgerundet das Achtfache von 480,-- DM. Die Kürzungsregelungen des § 10 Abs 2 BKGG nF verstießen nicht gegen Art 6 des Grundgesetzes (GG). Der Gesetzgeber sei nicht gehindert, die durch die Kindererziehung anfallenden Kosten durch ein pauschaliertes Kindergeld auszugleichen und vor allem die Höhe des Kindergeldes von dem Einkommen der Eltern abhängig zu machen. Eine solche Regelung verstoße auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Die Orientierung des Kindergeldes an dem Familieneinkommen und der sich daraus ergebenden finanziellen Belastungsfähigkeit der Familie sei dem Grunde nach sachgerecht.
Art 3 Abs 1 GG sei auch nicht durch die Regelung in § 11 Abs 1 Satz 2 BKGG verletzt, wonach ein Ausgleich mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten und mit Verlusten des Ehegatten nicht zulässig sei. - Ein solcher Verlustausgleich hätte beim Kläger zu einer Minderung des anrechenbaren Einkommens auf 51.800,-- DM geführt, so daß der Freibetrag nur um 2.480,-- DM überschritten wäre, so daß das Kindergeld lediglich um 100,-- DM (5 x 20,-- DM) auf 270,-- DM hätte gemindert werden können -.
Das Verbot des sogenannten externen Verlustausgleichs trage dem Umstand Rechnung, daß Kindergeldberechtigte mit mehreren Einkünften iS des § 2 Abs 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Regel steuerrechtlich weitaus größere Vergünstigungen in Anspruch nehmen könnten, als Kindergeldberechtigte mit nur einer Einkunftsart. Dieser Verlustausgleich sei Steuerpflichtigen mit nur einer Einkunftsart von Anfang an nicht möglich. Wenn der Gesetzgeber dies im Kindergeldrecht nicht zulasse, entspreche das grundsätzlich dem allgemeinen Gleichheitssatz, denn es werde hierdurch verhindert, daß eine ohnehin privilegierte Gruppe von Steuerpflichtigen auf Kosten der Allgemeinheit der Steuerzahler eine weitere Vergünstigung in Anspruch nehmen könnten. Ein Verstoß gegen Art 3 GG liege auch nicht darin, daß sich die Minderung der zu zahlenden Einkommensteuer im Rahmen des Kindergeldrechts insoweit negative auswirke. Auch insoweit handele es sich nicht um eine willkürliche Ungleichbehandlung.
Mit seiner von dem SG zugelassenen (Sprung-) Revision macht der Kläger geltend, mit der derzeit geltenden Steuer-, Renten- und Kindergeldgesetzgebung würden besonders kinderlose Ehepaare und kinderlose Ledige gefördert, nicht jedoch kinderreiche Familien, worin ein Verstoß gegen Art 6 GG liege. Ein Verstoß gegen Art 3 GG sei es, daß trotz steigender Lebenshaltungskosten das Kindergeld für kinderreiche Familien gekürzt werde. Es würde bei dieser Kürzung nicht berücksichtigt, daß Familien mit einem überdurchschnittlichen Einkommen in Regelfall auch einen überdurchschnittlichen Lebenszuschnitt hätten. Insgesamt sei mit einem höheren Einkommen auch ein höherer Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern verbunden. Zur Deckung dieser Kosten reiche das Kindergeld ohnehin nicht annähernd aus. Im übrigen fehle jeder Hinweis darauf, daß kinderlose Ehepaare in erheblich größerem Umfang belastungsfähig wären als die finanziell bereits weitgehend zugunsten künftiger Rentenzahler belasteten Familien mit Kindern. Das Verbot des externen Verlustausgleichs in § 11 Abs 1 Satz 2 BKGG verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil es nicht einsehbar sei, warum negative Einkünfte anders als im Steuerrecht bei der Berechnung des Kindergeldes nicht berücksichtigt werden sollten. Investitionen zur Beschaffung von Wirtschaftsgütern seien nicht rechtswidrig, sondern wirtschaftlich erwünscht. Wenn schon das Gesamteinkommen zu berücksichtigen sei, sei es unzulässig, eine Einkommensart unberücksichtigt zu lassen.
Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts |
Braunschweig vom 15. März 1984 den Aufhebungsbescheid und |
Rückforderungsbescheid der Beklagten vom |
4. März 1983 sowie den Widerspruchsbescheid vom |
13. September 1983 aufzuheben. |
Die Beklagte beantragt,
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die Sprungrevision des Klägers zurückzuweisen. |
Sie hält das angefochtene Urteil des SG für zutreffend.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Das Verfahren ist gemäß Artikel 100 Abs 1 Satz 1 GG auszusetzen. Es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen, denn der Senat hält die in § 11 Abs 1 BKGG (idF des Art 13 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I, 1857 - nF) getroffene Regelung über das Jahreseinkommen, das bei der Bemessung des Kindergeldes nach § 10 Abs 2 BKGG nF zugrunde zu legen ist, für verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG.
Die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits hängt von der Gültigkeit des § 11 Abs 1 BKGG nF ab. Wäre diese Norm ungültig, könnte die Beklagte das dem Kläger für seine drei Kinder zustehende Kindergeld ab 1. Januar 1983 nicht auf 260,-- DM monatlich, sondern nur auf 270,-- DM monatlich mindern und für die Monate Januar und Februar 1983 nicht 220,-- DM, sondern nur 200,-- DM von dem Kläger zurückfordern.
Der angefochtene Bescheid entspricht dem Gesetz. Die Beklagte und das SG haben zutreffend entschieden, daß das Kindergeld des Klägers nach § 10 Abs 2 Satz 1 BKGG nF iVm § 11 Abs 1 BKGG nF um 110,-- DM monatlich zu mindern ist. Ebenfalls zutreffend hat das SG erkannt, daß eine Minderung um nur 100,-- DM monatlich zulässig wäre, wenn bei der Errechnung des Jahreseinkommens des Klägers gemäß § 11 Abs 1 BKGG nF die negativen Einnahmen des Klägers aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen wären. Der Klage wäre daher insoweit stattzugeben.
Nach der Regelung des § 11 Abs 1 BKGG nF ist es nicht möglich, von dem Einkommen einen fiktiven Einkommensteuerbetrag abzuziehen, der sich dadurch ergäbe, daß man dem zu versteuernden Einkommen die nach § 11 Abs 1 Satz 2 BKGG nF unberücksichtigt bleibenden Verluste als fiktiven Einkommensteil hinzurechnet und dann die Steuer für den Gesamtbetrag ermittelt. Gegen eine solche Verfahrensweise sprechen die Vorschriften des § 11 Abs 2 Nr 1 und Abs 3 Satz 1 BKGG nF. Nach der zuletzt genannten Vorschrift ist maßgeblich das Einkommen im vorletzten Kalenderjahr, für das die Zahlung des Kindergeldes in Betracht kommt, und zwar so, wie es der Besteuerung zugrunde gelegt worden ist. § 11 Abs 2 Nr 1 BKGG erklärt nur die Einkommensteuer und die Kirchensteuer für abzugsfähig, die für das nach Abs 3 und 4 maßgebliche Kalenderjahr zu leisten waren oder sind. Nach dem Wortlaut des Gesetzes wird also auf die tatsächliche Steuerpflicht abgestellt. Der Umfang der abzugsfähigen Einkommensteuer kann also nicht mit Hinblick auf das in § 11 Abs 1 Satz 2 BKGG nF enthaltene Verbot des Ausgleichs mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten und mit Verlusten des Ehegatten im Wege einer Fiktion entsprechend geändert werden. Die Beklagte hat sich daher im Rahmen des Gesetzes gehalten, wenn sie das Jahreseinkommen des Klägers nicht auch um die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung kürzte. § 11 Abs 1 BKGG läßt sich nicht verfassungskonform in dem Sinne auslegen, daß ein Ausgleich mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten als zulässig anzusehen wäre. Die verfassungskonforme Auslegung setzt voraus, daß die anzuwendenden Normen mehrere Auslegungen zulassen (vgl Leibholz/Rinck, GG, Komm, 6. Aufl, Einführung Anm 4). Bei der Auslegung dürfen nicht die Grenzen überschritten werden, die sich aus Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergeben; hierbei ist der Zweck der gesetzlichen Regelung zu beachten. Der Grundsatz der Gewaltenteilung verbietet es, daß eine verfassungskonforme Auslegung das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht (BVerfGE 8, 28, 34; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl, S 329). Eine andere als die vom Senat vorstehend dargelegte Auslegung des § 11 Abs 1 BKGG würde hiergegen verstoßen. Nach dem Wortlaut des § 11 Abs 1 Satz 2 BKGG und dem Sinngehalt dieser Norm muß davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber den Ausgleich mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten nicht zulassen wollte. Auch § 11 Abs 1 Satz 1 BKGG läßt sich als Beleg hierfür heranziehen. Wenn dort das Jahreseinkommen als die Summe der in dem nach Abs 3 oder 4 maßgeblichen Kalenderjahr erzielten "positiven" Einkünfte iS des § 2 Abs 1 und 2 EStG bezeichnet wird, macht diese Definition schon deutlich, daß negative Einkünfte bei der Ermittlung des Jahreseinkommens keine Rolle spielen sollen. Der Gesetzeswortlaut bringt auch zutreffend zum Ausdruck, daß der Gesetzgeber mit der Beschränkung auf die positiven Einkünfte und dem Verbot des Verlustausgleichs aus anderen Einkunftsarten und mit Verlusten der Ehegatten unterbinden wollte, daß sich steuerliche Subventionen im Kindergeldrecht begünstigend auswirken können (vgl BT-Drucks 9/2140, S 86 zu Art 12 Nr 3 iVm BT-Drucks 9/410, S 11, Ziff 3.2).
Eine abschließende Entscheidung durch das Bundessozialgericht (BSG) ist nicht möglich. Zwar geht der Senat davon aus, daß der Gesetzgeber - wie dies in § 10 Abs 2 BKGG geschehen ist - die Höhe des Kindergeldes für das zweite und jedes weitere Kind vom Einkommen des Kindergeldberechtigten abhängig machen darf. Eine derartige Differenzierung nach der Leistungsfähigkeit ist verfassungsrechtlich unbedenklich, denn dem Bürger können höhere Eigenbelastungen für den Unterhalt seiner Kinder auferlegt werden, je geringer der Teil seines Einkommens ist, den er für seine notwendigen Bedürfnisse aufwenden muß (BVerfGE 43, 108, 120 f, 125). Entgegen der Auffassung des Klägers sieht der Senat keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz darin, daß bei Familien mit gleichem Einkommen nur diejenigen von der Kindergeldkürzung betroffen werden, die mehr als ein Kind haben. Der Gesetzgeber war nicht gezwungen, Familien mit einem Kind in die Kindergeldkürzung einzubeziehen. Im Rahmen des ihm zustehenden weiten Gestaltungsspielraums konnte der Gesetzgeber die Einkommensabhängigkeit eines Teils der Leistungen auf Familien mit zwei oder mehr Kindern beschränken und die bisherige Regelung für Kindergeldberechtigte mit einem Kind unangetastet lassen. Es muß der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen bleiben, das Kindergeld entsprechend den von ihm eingeschätzten Bedürfnissen zu staffeln. Für die Zulässigkeit dieser Differenzierung spricht auch, daß das Erstkindergeld nur 50,-- DM beträgt und somit weit unter den Leistungen liegt, die das BKGG auch schon vor der Änderung durch das Haushaltsbegleitgesetz (HBegleitG) 1983 für das zweite und jedes weitere Kind vorsah.
Dagegen steht § 11 Abs 1 BKGG nicht in Einklang mit dem GG. Die Vorschrift verstößt gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ist der Gleichheitssatz verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, wenn also die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß (BVerfGE 1, 14, 52; 14, 142, 150; 18, 38, 46; 20, 31, 33; 21, 6, 9). Der Gleichheitssatz verpflichtet damit, nicht nur Gleiches gleich, sondern Ungleiches entsprechend seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln. Dabei braucht der Gesetzgeber aber nicht alle tatsächlichen Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen. Ein Verstoß gegen Art 3 GG liegt vielmehr nur dann vor, wenn Umstände außer acht bleiben, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise berücksichtigt werden müssen (BVerfGE 1, 264, 275 f; 9, 137, 146; 19, 354, 367). Dem Gesetzgeber bleibt bei der Ordnung der Lebensverhältnisse ein weiter Spielraum für die Betätigung seines Ermessens. Von den Gerichten ist daher nicht zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hat, sondern lediglich, ob er die äußersten Grenzen des Ermessens bereits überschritten hat (BVerfGE 3, 58, 135; 4, 7, 18; 9, 137, 146; 19, 354, 367 f). Die Definition des Jahreseinkommens in § 11 Abs 1 Satz 1 BKGG als Summe der erzielten positiven Einkünfte und das in Satz 2 dieses Absatzes enthaltene Verbot des Ausgleichs mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten führt - je nach Betrachtungsweise - zu einer sachwidrigen Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung von Kindergeldberechtigten. Sieht man darin einen wesentlichen Unterschied, daß die Kindergeldberechtigten ihr Einkommen teils aus einer Einkunftsart, teils aus mehreren Einkunftsarten beziehen, so verstößt die Regelung des § 11 Abs 1 BKGG gegen den Gleichheitssatz, indem sie diese beiden Gruppen willkürlich gleich behandelt. Während bei Kindergeldberechtigten, deren Einkommen nur zu einer Einkunftsart gehört, einkommensmindernde Umstände (zB Absetzung für Abnutzung und Substanzverringerung - § 7 EStG - und Werbungskosten - § 9 EStG -) unbegrenzt auf die Höhe des "Jahreseinkommens" Einfluß haben, ist dies bei Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus verschiedenen Einkunftsarten nicht der Fall. Bei ihnen können einkommensmindernde Umstände innerhalb der einzelnen Einkunftsarten zwar auch bis zur Null-Grenze berücksichtigt werden. Setzt sich ihr Einkommen jedoch - getrennt nach verschiedenen Einkunftsarten - aus positiven und negativen Einkünften zusammen (zB 60.000,-- DM aus Gewerbebetrieb, 3.000,-- DM aus nichtselbständiger Arbeit und 40.000,-- DM Verluste aus Vermietung und Verpachtung), so dürfen nach der Regelung des § 11 Abs 1 BKGG nur die positiven Einkünfte berücksichtigt werden. Dadurch kann es zu dem Ergebnis kommen, daß ein Kindergeldberechtigter mit Einkommen aus mehreren Einkunftsarten als leistungsfähig gilt, obwohl er tatsächlich wirtschaftlich wesentlich schlechter dasteht als ein anderer Kindergeldberechtigter, dessen Einkommen aus einer Einkunftsart infolge einkommensmindernder Umstände unter dem Freibetrag des § 10 Abs 2 Satz 3 BKGG bleibt. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der beiden Gruppen von Kindergeldberechtigten ist jedoch zu konstatieren, wenn auf die Leistungsfähigkeit als das vom Gesetzgeber gewählte Kriterium für die Kürzung des Kindergeldes abgestellt wird. Bei dieser Betrachtungsweise liegt eine Ungleichbehandlung darin, daß der Kindergeldberechtigte mit Einkommen aus einer Einkunftsart bei niedrigem Einkommen bzw Verlusten stets das volle Kindergeld erhalten kann, der Kindergeldberechtigte mit gleich hohem Einkommen aus mehreren Einkunftsarten wegen der Regelung des § 11 Abs 1 Satz 2 BKGG sich unter Umständen mit dem gekürzten Kindergeld zufrieden geben muß, also die Leistungsfähigkeit nicht in gleichem Maße den Ausschlag für die Bemessung des Kindergeldes gibt.
Im Hinblick auf diese Auswirkungen läßt sich - bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise - für die in § 11 Abs 1 BKGG vorgeschriebene Gleichbehandlung bzw Ungleichbehandlung von Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus einer Einkunftsart und Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus mehreren Einkunftsarten kein sachlich einleuchtender Grund finden. Zwar wollte der Gesetzgeber durch das Verbot des Verlustausgleichs aus anderen Einkunftsarten verhindern, daß auch steuerliche Subventionierungen (zB Abschreibungen) begünstigend im Kindergeldrecht wirken (vgl dazu BT-Drucks 9/2140, S 86 zu Art 12 Nr 3 iVm BT-Drucks 9/410, S 11, Ziff 3.2). Dieses Ziel ist aber nur ungenügend erreicht worden. Abschreibungen und sonstige steuerliche Subventionierungen sind nämlich bei Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus einer Einkunftsart und Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus mehreren Einkunftsarten gleichermaßen bis zur Null-Grenze innerhalb der jeweiligen Einkunftsart zu berücksichtigen, bei der sie anfallen. Nur wenn bei einem Einkommen aus mehreren Einkunftsarten negative Einkünfte mit positiven Einkünften zusammentreffen, verhindert § 11 Abs 1 BKGG durch das Verbot des Verlustausgleichs, daß sich die Abschreibungen und sonstigen steuerlichen Subventionierungen noch jenseits der Null-Grenze - also im Verlustbereich einer Einkunftsart - einkommensmindernd und damit für den Kindergeldberechtigten "günstig" auswirken. Wenn sich das Verbot des Verlustausgleichs auf Verluste beschränkte, die durch Absetzungen, Sonderabschreibungen oder ähnliche steuerliche Subventionierungen "künstlich" herbeigeführt werden, wäre der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden Ermessensspielraums möglicherweise befugt, eine solche Regelung zu treffen, auch wenn durch sie die Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus mehreren Einkunftsarten im Einzelfalle benachteiligt würden. Da das Verbot des Verlustausgleichs aber auch die realen Verluste (zB die Geschäftsunkosten - Miete für Geschäftsräume, Energiekosten, Löhne usw - übersteigen die erzielten Einnahmen) erfaßt, sind die Nachteile für die Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus mehreren Einkunftsarten so gravierend, daß das mit der Norm verfolgte Ziel die Gleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte hier nicht zu rechtfertigen vermag.
Ebensowenig kann § 11 Abs 1 BKGG mit der Begründung für verfassungsrechtlich unbedenklich erklärt werden, der Gesetzgeber habe die Ermittlung des Jahreseinkommens für die Verwaltung durch pauschalierende Regelungen so praktikabel wie möglich gestalten müssen. Zwar darf der Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen typisierende Regelungen treffen (BVerfGE 17, 1, 25; 51, 115, 122 f; 63, 119, 128). Härten, die mit einer solchen Typisierung im Einzelfalle unvermeidlich verbunden sind, müssen hingenommen werden (BVerfGE 13, 21, 29). Indessen rechtfertigt das nicht jede Härte im Einzelfall. Eine noch hinzunehmende Typisierung setzt vielmehr voraus, daß die durch sie eintretenden Härten oder Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und daß der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (BVerfGE 26, 265, 275 f).
Die Grenzen zulässiger Typisierung sind hier jedoch überschritten. Die mit der typisierenden Regelung des § 11 Abs 1 BKGG verbundenen Härten oder Ungerechtigkeiten betreffen eine erhebliche Zahl von Personen. Kindergeldberechtigt sind nämlich nicht nur abhängig Beschäftigte, sondern auch Selbständige, bei denen sich das Einkommen oft aus Einkünften verschiedener Einkunftsarten zusammensetzt. Aber auch kindergeldberechtigte Arbeitnehmer gehören keineswegs immer zu dem Personenkreis, der sein Einkommen nur aus nichtselbständiger Arbeit bezieht. Da ein sehr großer Personenkreis Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten bezieht, muß davon ausgegangen werden, daß auch häufiger negative und positive Einkünfte zusammentreffen und sich dadurch die dargestellten Ungerechtigkeiten ergeben können.
Auch die Intensität des Verstoßes gegen den Gleichheitssatz läßt die durch die Typisierung eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nicht mehr als hinnehmbar erscheinen. Nach der Regelung des § 11 BKGG ist es möglich, daß der eine Kindergeldberechtigte, der sein Einkommen nur aus einer Quelle bezieht, für sein zweites und seine weiteren Kinder das volle Kindergeld nach § 10 Abs 1 BKGG erhält, während einem anderen Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus mehreren Einkunftsarten bei gleich geringer Leistungsfähigkeit wegen des Verbots des Verlustausgleichs nur jeweils der Sockelbetrag des § 10 Abs 2 BKGG zusteht. Die Differenz macht bei vier Kindern einen Betrag von monatlich 210,-- DM oder von jährlich 2.520,-- DM aus und ist - selbst bei einem Einkommen, das über dem durchschnittlichen Einkommen eines Arbeitnehmers liegt - beträchtlich.
Für die Zulässigkeit der typisierenden Regelung sprechen hier auch nicht praktische Erfordernisse der Verwaltung. Eine Typisierung kann verfassungsrechtlich unbedenklich sein, wenn die durch sie entstehenden Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl BVerfGE 45, 376, 390; dazu auch 66, 234, 245). Hierfür sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht (BVerfGE 9, 20, 31 f; 63, 119, 128). Selbst wenn man davon ausgeht, daß die strittige Regelung des § 11 BKGG relative einfach zu handhaben ist und der Verwaltung ermöglicht, über die Höhe des Kindergeldes allein an Hand des vorzulegenden Einkommensteuerbescheides zu entscheiden (vgl dazu BT-Drucks 9/603, S 5, 23 ff), ist dies keine hinreichende Rechtfertigung für die entstehenden Ungerechtigkeiten. Das Verwaltungsverfahren würde nicht unerträglich erschwert, wenn der Gesetzgeber beispielsweise den Abzug von steuerlichen Subventionen beim Jahreseinkommen iS des § 11 BKGG für unzulässig erklärte, im übrigen den Verlustausgleich aber unbeschränkt zuließe. Bei einer solchen gesetzlichen Regelung müßte zwar häufiger neben dem Einkommensteuerbescheid auf die Einkommensteuererklärung des Kindergeldberechtigten zurückgegriffen werden. Diese Erschwerung ist nach Auffassung des vorlegenden Senats indessen als weniger bedeutsam zu bewerten als die mit der jetzigen Typisierung verbundene Benachteiligung einer relative großen Zahl von Personen. Hinzu kommt, daß das BKGG keine Härteklausel enthält, die es ermöglichte, die Folgen des Verbots des Verlustausgleichs im Einzelfalle zu mildern (vgl dazu Leibholz/Rinck, Art 3 Anm 15 unter Hinweis auf BVerfGE 17, 57).
An der Beurteilung ändert sich schließlich auch nichts dadurch, daß es sich bei dem Kindergeldrecht um die Regelung einer rein darreichenden Verwaltung handelt, also einem Rechtsgebiet, auf dem der Gesetzgebung ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht (vgl BVerfGE 11, 50, 60; 60, 16, 42). Denn auch hier gilt das Verbot, wesentlich Ungleiches nicht sachwidrig gleich oder wesentlich Gleiches ungleich zu behandeln (vgl BVerfGE 28, 324, 349; 60, 16, 42). Dieses Verbot wird auch nicht dadurch gelockert, daß die Neufassung des § 11 BKGG durch das HBegleitG 1983 erfolgt ist und die Minderung des Kindergeldes entsprechend der Höhe des Einkommens zu den Maßnahmen der Sanierung des Staatshaushaltes zu rechnen ist. Wenn der Gesetzgeber im Rahmen von Haushaltssanierungen auch grobrastige Gesamtmaßnahmen treffen darf, so muß er gleichwohl die Willkürgrenze beachten (BVerfGE 60, 16, 43). Dies gilt insbesondere für benachteiligende Typisierungen. Bei ihnen ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ohnehin geringer (BVerfGE 19, 101, 116; 65, 325, 356). Das Verbot über den Verlustausgleich aus anderen Einkunftsarten ist eine benachteiligende Typisierung. Auch wenn der Gesetzgeber sie im Rahmen einer Haushaltssanierung in das Kindergeldrecht eingeführt hat, ist sie wegen des damit verbundenen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz, der Intensität dieses Verstoßes und der Zahl der betroffenen Personen nicht mehr hinnehmbar.
Fundstellen