Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtannahmebeschluss: Antragserfordernis des § 249b S 2 SGB VI (juris: SGB 6) zur Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege in der gesetzlichen Rentenversicherung verfassungsrechtlich unbedenklich – insb keine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG durch Ungleichbehandlung gegenüber Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; SGB VI § 249b S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV).
I.
Mit Wirkung zum 1. Januar 1992 schuf der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 – RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S. 2261) für Pflegepersonen das Recht, die Umwandlung der für Zeiten der nicht erwerbsmäßigen häuslichen Pflege geleisteten freiwilligen Beiträge in Pflichtbeiträge zu beantragen (§ 177 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – SGB VI). Der Antrag war jedoch fristgebunden: er musste innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der Pflegetätigkeit gestellt werden. Andernfalls wurde die Pflegetätigkeit erst vom Antragsmonat an angerechnet.
Ergänzend begründete das RRG 1992 für den von § 177 SGB VI umfassten Personenkreis für die Zeit ab dem 1. Januar 1992 die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege (§ 57 Abs. 2 SGB VI). Da die Voraussetzungen für die Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege denjenigen für die Beitragszahlung von Pflegepersonen entsprechen sollten (vgl. BTDrucks 11/4124, S. 142, 167), musste deren Anerkennung – anders als bei den zeitgleich eingeführten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung – beantragt werden; es galt insbesondere auch dieselbe Fristenregelung wie für die Umwandlung freiwilliger Beiträge in Pflichtbeitragszeiten. Mit der Einführung der Rentenversicherungspflicht von ehrenamtlichen Pflegepersonen nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI durch das Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz) vom 26. Mai 1994 (BGBl I S. 1014) wurde § 57 Abs. 2 SGB VI mit Wirkung zum 1. April 1995 durch die inhaltsgleiche Übergangsvorschrift des § 249b SGB VI ersetzt (Art. 5 Nr. 18 Pflege-Versicherungsgesetz).
§ 249b SGB VI lautet:
„Berücksichtigungszeiten sind auf Antrag auch Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines Pflegebedürftigen in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. März 1995, solange die Pflegeperson
1. wegen der Pflege berechtigt war, Beiträge zu zahlen oder die Umwandlung von freiwilligen Beiträgen in Pflichtbeiträge zu beantragen, und
2. nicht zu den in § 56 Abs. 4 genannten Personen gehört, die von der Anrechnung einer Kindererziehungszeit ausgeschlossen sind.
Die Zeit der Pflegetätigkeit wird von der Aufnahme der Pflegetätigkeit an als Berücksichtigungszeit angerechnet, wenn der Antrag bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach Aufnahme der Pflegetätigkeit gestellt wird.”
II.
Die Beschwerdeführerin pflegte ab 1979, insbesondere auch in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. März 1995, ihren schwerbehinderten Sohn. Ihren Antrag vom 5. Juli 1996 auf Anerkennung der Pflegetätigkeit als rentenrechtliche Zeit lehnte die Rentenversicherung bestandskräftig als verspätet ab. Auch ihr Antrag bei der Rentenversicherung auf Berücksichtigung der Pflegezeiten bei der inzwischen bewilligten Altersrente blieb erfolglos. Mit ihrer sozialgerichtlichen Klage auf Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege ihres Sohnes von Januar 1992 bis März 1995 unterlag sie in den beiden ersten Instanzen.
Das Bundessozialgericht wies die Revision der Beschwerdeführerin zurück. Die angefochtene Entscheidung sei nicht zu beanstanden. Das Antragserfordernis nach § 57 Abs. 2 SGB VI a.F. beziehungsweise nach § 249b SGB VI sei verfassungsgemäß, insbesondere mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Gewährung beitragsfreier Berücksichtigungszeiten wegen Pflege für den Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis zum 31. März 1995 nur nach vorheriger fristgebundener Antragstellung werde durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe die neue beitragsfreie Vergünstigung der Berücksichtigungszeiten wegen Pflege verfahrensrechtlich an dieselben Voraussetzungen wie die gleichzeitig neu geschaffene Möglichkeit einer verbesserten Beitragszahlung durch die Pflegepersonen knüpfen wollen. Die unterschiedliche Behandlung gegenüber den Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung erkläre sich dadurch, dass hinsichtlich der Kindererziehung eine gesonderte Beitragsumwandlungsregelung nicht bestehe. Das zwar bei den meisten rentenrechtlichen Zeiten nicht übliche, aber auch nicht singuläre Antragserfordernis für die Berücksichtigungszeiten wegen Pflege entbehre auch nicht deswegen eines Sachgrundes, weil die Versicherten mit einer solchen Regelung nicht zu rechnen brauchten. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes sei nicht verletzt, wenn der Gesetzgeber – wie hier – einen Lebensbereich erstmalig einer Regelung zuführe, weil sich insoweit ein schutzwürdiges Vertrauen nicht habe bilden können.
III.
Mit ihrer gegen das Urteil des Bundessozialgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG. Pflegepersonen würden nach § 57 Abs. 2 SGB VI a.F. beziehungsweise § 249b Satz 2 SGB VI gegenüber den Erziehenden ungleich behandelt, weil für Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung keine Antragsfrist gelte. Es stelle einen den Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG indizierenden Systembruch dar, dass die Berücksichtigung einer tatbestandlich-materiell vorliegenden rentenrechtlichen Zeit von einer Initiative des Versicherten – darüber hinaus noch mit einer relativ kurzen Ausschlussfrist – abhänge. Ein hinreichender Sachgrund bestehe hierfür nicht. Ein mögliches Interesse des Versicherungsträgers an einer zeitnahen Feststellung der Pflegetätigkeit könne nicht als Rechtfertigung dienen. Soweit länger zurückliegende Pflegezeiten nicht festzustellen seien, gehe dies wegen der Beweislast ohnehin zu Lasten der Versicherten. Mangels entsprechender Vorgängerregelungen hätten die Betroffenen mit der Frist auch nicht rechnen müssen. Auch die Anknüpfung an die Voraussetzungen für die Umwandlung freiwilliger Beiträge durch ehrenamtliche Pflegepersonen in Pflichtbeiträge rechtfertige das fristgebundene Antragserfordernis für die Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege nicht. Anders als bei der Umwandlung von freiwilligen Beiträgen in Pflichtbeiträge handele es sich nicht um die (in der Regel auf die Zukunft beschränkte) Ausübung eines beitragsrechtlichen Gestaltungsrechts.
Denn die Berücksichtigungszeit hänge nicht von einer tatsächlichen Beitragszahlung ab.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫). Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
I.
Einer Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung bedarf es auch nicht zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die dem Urteil des Bundessozialgerichts zu Grunde liegende Vorschrift des § 249b Satz 2 SGB VI, die mit der Verfassungsbeschwerde mittelbar angegriffen wird, soweit sie die Inanspruchnahme von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. März 1995 von einem fristgebundenen Antrag abhängig macht, ist mit dem Gleichheitsgebot vereinbar.
1. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 ≪385≫). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 ≪17≫; 126, 400 ≪416≫). Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfGE 124, 199 ≪220≫). Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 110, 412 ≪432≫).
Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 117, 1 ≪30≫; 122, 1 ≪23≫; 126, 400 ≪416≫). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich allerdings aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfGE 88, 87 ≪96≫; 111, 176 ≪184≫). Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 ≪96≫) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 124, 199 ≪220≫; 130, 240 ≪252 ff.≫).
2. Nach diesen Maßstäben ist es gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber die Berücksichtigungszeiten wegen Pflege in verfahrensrechtlicher Hinsicht anders behandelt als die Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung, indem er sie nur auf fristgebundenen Antrag des Versicherten als rentenrechtliche Zeiten gelten lässt. Diese Differenzierung wird durch hinreichende Sachgründe getragen.
a) Die Unterscheidung zwischen den Berücksichtigungszeiten wegen Pflege einerseits und wegen Kindererziehung andererseits verletzt die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Eine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition wird durch das Antragserfordernis nicht beeinträchtigt, weil der Antrag diese erst einfachgesetzlich begründen soll. Zudem beruhen die Berücksichtigungszeiten nicht auf einem Beitrag, sondern werden vom Gesetzgeber zum sozialen Ausgleich gewährt. In diesem Bereich hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfGE 130, 240 ≪254≫).
b) Die Antragsgebundenheit der beitragslosen Berücksichtigungszeiten wegen Pflege im Gegensatz zu denen für Kindererziehung wird durch die Verschiedenheit ihrer materiellen Voraussetzungen gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat die Gewährung von Vergünstigungen für nicht erwerbsmäßige häusliche Pflege an materielle Voraussetzungen, insbesondere an einen Mindestumfang der tatsächlich erbrachten Pflegetätigkeit, geknüpft, deren Überprüfung durch die Rentenversicherungsträger selbst er nicht für möglich erachtete und deshalb den Nachweis den Versicherten durch Beibringung von Bescheinigungen auferlegte (vgl. BTDrucks 11/4124, S. 186). Eine antragsunabhängige rückwirkende rentenrechtliche Anerkennung der Pflegetätigkeit könnte indes wegen möglicher gesundheitsbedingter Schwankungen des Pflegebedarfs zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Feststellung des Umfangs einer nicht erwerbsmäßig im häuslichen Bereich ausgeübten Pflegetätigkeit in länger zurückliegenden Zeiträumen führen, während es für die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung lediglich des Nachweises bedarf, welcher Elternteil in welchem Zeitraum ein Kind erzogen hat. Dass der Gesetzgeber es für beide Berücksichtigungszeiten gleichermaßen unter Verzicht auf das fristgebundene Antragserfordernis bei den Regeln der objektiven Beweislast für den Fall der eventuellen Beweislosigkeit hätte belassen können, begründet für sich allein nicht die Annahme, der Gesetzgeber habe seinen Gestaltungsspielraum überschritten.
Auch im Hinblick darauf, dass die verbesserte Beitragszahlung für die Pflegeperson ebenso wie die gleichzeitig geschaffene beitragsfreie Vergünstigung durch Berücksichtigungszeiten Teil eines Gesamtkonzepts zur Verbesserung der Versicherungsbedingungen von ehrenamtlichen Pflegepersonen ist (vgl. BTDrucks 11/4124, S. 143), ist es nicht als willkürlich zu beanstanden, dass sich nicht nur deren materielle Voraussetzungen, sondern auch ihre verfahrensrechtliche Ausgestaltung entsprechen. Die Erweiterung der Antragsgebundenheit auf die beitragslose Berücksichtigungszeit wegen Pflege (mit zumeist rentenrechtlich nur geringen Auswirkungen) ermöglichte es darüber hinaus, worauf das Bundessozialgericht in seinem Urteil hinweist, den Rentenversicherungsträgern, die Pflegepersonen zeitnah über deren (begrenzte) rentenrechtliche Wirkungen sowie über die zusätzlich bestehenden beitragsrechtlichen Möglichkeiten für eine verbesserte soziale Absicherung aufzuklären.
II.
Soweit die Beschwerdeführerin außerdem eine Ungleichbehandlung der Berücksichtigungszeiten wegen Pflege gegenüber anderen beitragsfreien Zeiten wie Ersatzzeiten, Anrechnungszeiten oder Zurechnungszeiten rügt, ist die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil ihre Begründung nicht entsprechend den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG substantiiert und schlüssig die Möglichkeit der Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG aufzeigt.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Haufe-Index 9176256 |
DStR 2016, 12 |