Verfahrensgang
AG Meppen (Beschluss vom 27.01.2010; Aktenzeichen 2 II 13/10) |
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt M. wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung ohne Aussicht auf Erfolg ist.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Beratungshilfe nach dem Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz – BerHG) für einen sogenannten Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
I.
Der Beschwerdeführer erhielt seit 1. Januar 2005 von der zuständigen Behörde Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Im Januar 2010 beantragte er nachträglich Beratungshilfe beim Amtsgericht für einen Überprüfungsantrag seines Rechtsanwalts zu sämtlichen Bescheiden ab dem 1. Januar 2005 nach § 44 SGB X wegen verfassungsrechtlicher Bedenken zur Höhe der Regelleistung und offensichtlicher Unterzahlung der Unterkunftskosten. Er selbst habe nur noch wenige Belege für die zahlreichen Bescheide und es sei eine Akteneinsicht durch den Rechtsanwalt erforderlich, da er über keine Rechtskenntnisse verfüge. Es sei ihm als Rechtsunkundigen nicht zumutbar, sich an die Behörde zu wenden, die die Bescheide erlassen habe.
Die Rechtspflegerin wies den Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe zurück. Es sei im Einzelfall zu prüfen, ob im vorliegenden Fall jemand, der den Rechtsanwalt aus eigener Tasche bezahlen müsste, diesen beauftragen würde. Hier wäre es ohne weiteres zumutbar gewesen, zur Gemeinde zu gehen und sich deren Entscheidungen erst einmal konkret erläutern zu lassen.
Mit der Erinnerung wandte der Rechtsanwalt ein, dass das Gericht die Komplexität der Materie verkenne. Die Überprüfung einer bereits ergangenen Entscheidung berechtige grundsätzlich zur Beratungshilfe. Es sei eine Akteneinsicht notwendig, die nur einem Rechtsanwalt gestattet sei.
Die Erinnerung wurde durch richterlichen Beschluss zurückgewiesen. Entscheidend für die Frage, ob im vorliegenden Fall Beratungshilfe bewilligt werden könne, sei, ob eine Partei, die den Anwalt aus eigener Tasche bezahlen müsste, ebenfalls im vorliegenden Fall jetzt schon einen Anwalt mandatiert hätte oder erst selber beim Sozialamt vorgesprochen hätte. Akteneinsicht sei auch der Partei selbst zu bewilligen, die kostengünstig vor Ort die Tatsachen ermitteln und sich erläutern lassen könne, inwieweit Unterkunftskosten nicht bezahlt worden seien. Erst wenn danach die Partei festgestellt hätte, dass aus ihrer Sicht weitere Ausgaben vom Sozialamt hätten berücksichtigt werden müssen, hätte auch ein Selbstzahler einen Anwalt mandatiert.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung der Rechtswahrnehmungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG). Der Rechtsanwalt habe ihn bei der Erörterung eines Änderungsbescheides vom Oktober 2009 darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides bestünden und auch die vorangegangenen Bescheide einer Überprüfung unterzogen werden müssten. Er selbst habe das Recht, einen Überprüfungsantrag zu stellen, nicht gekannt. Es sei lebensfremd, wenn das Amtsgericht meine, er hätte selbst Akteneinsicht nehmen können. Er könne allein den Aktenumfang und die zahlreichen Änderungen während des langen Bewilligungszeitraumes seit 1. Januar 2005 nicht überblicken.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe nach § 93a BVerfGG liegen nicht vor.
Die Rechtswahrnehmungsgleichheit fordert eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten im Bereich des gerichtlichen wie außergerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 122, 39 ≪48 f.≫; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 – 1 BvR 1517/08 –, NJW 2009, S. 3417). Dabei ist der Unbemittelte einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der bei seiner Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigt und vernünftig abwägt. Ein kostenbewusster Rechtsuchender wird dabei insbesondere prüfen, inwieweit er fremde Hilfe zur effektiven Ausübung seiner Verfahrensrechte braucht oder selbst dazu in der Lage ist.
Die Frage nach der Selbsthilfe mag einfachrechtlich im Rahmen des Beratungshilfegesetzes umstritten sein (generell ablehnend Schoreit, in: Schoreit/Groß, Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe, 9. Aufl. 2008, § 1 Rn. 52; für Berücksichtigung im Rahmen eines allgemeinen Rechtsschutzinteresses: Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl., 2005, Rn. 954, 960). Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist aber jedenfalls kein Verstoß gegen das Gebot der Rechtswahrnehmungsgleichheit erkennbar, wenn ein Bemittelter deshalb die Einschaltung eines Anwalts vernünftigerweise nicht in Betracht ziehen würde.
Bei der Bewertung dieser Frage, hat das Amtsgericht eine Abwägung im Einzelfall zu treffen. Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist insbesondere, wenn ein Rechtsuchender für das Widerspruchsverfahren zur Beratung an dieselbe Behörde verwiesen wird, gegen die er sich mit dem Widerspruch richtet (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 – 1 BvR 1517/08 –, NJW 2009, S. 3419).
Die Entscheidung des Amtsgerichts überschreitet dagegen die von der Rechtswahrnehmungsgleichheit gesetzten Grenzen nicht, wenn es hier vom Beschwerdeführer zunächst eigene Schritte zur Einleitung eines Überprüfungsverfahrens erwartet.
Ein vernünftiger bemittelter Rechtsuchender müsste die Kosten der Rechtsverfolgung für ein Überprüfungsverfahren (§ 44 SGB X) selbst tragen, weil es ein neues Verwaltungsverfahren darstellt, das auf seinen Antrag ergeht und würde damit seine vorhandenen Mittel auf jeden Fall schmälern. Aufwendungen für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts können im Erfolgsfall erst für ein Widerspruchsverfahren (§ 63 Abs. 2 SGB X), nicht aber für den Überprüfungsantrag erstattet werden (vgl. BSGE 55, 92). Insoweit kommt es auf die Bedeutung der Angelegenheit für den Rechtsuchenden an, die für die Vergangenheit nicht allein mit dem Hinweis auf die existenzsichernde Bedeutung der Leistungen begründet werden kann.
Grundsätzlich ist es einem kostenbewussten Rechtsuchenden auch zumutbar, die Tatsachenklärung innerhalb der Widerspruchsfrist (§ 84 Sozialgerichtsgesetz) in Angriff zu nehmen. Unterbleibt dies ohne ersichtlichen Grund, so lässt sich die Notwendigkeit fremder Hilfe jedenfalls nicht mit den Schwierigkeiten begründen, die sich bei der Aufklärung länger zurückliegender Zeiträume wegen des Aktenumfangs und der Änderungen im Laufe der Zeit nahezu zwangsläufig ergeben. Eine verzögerte Überprüfung ohne konkrete Anhaltspunkte nimmt nur derjenige vor, für den Kosten keine Rolle spielen.
Erfährt der Rechtsuchende nachträglich konkrete Anhaltspunkte, die aus seiner Sicht für die vergangene Leistungsgewährung von Bedeutung sein könnten, so ist es ihm grundsätzlich zumutbar, die Behörde zunächst selbst darauf aufmerksam zu machen. Dies gilt für Umstände zu seinen Lasten nicht anders als zu seinen Gunsten. Dem Rechtsuchenden bleibt es dabei unbenommen, nach Abschluss des Überprüfungsverfahrens ein Widerspruchsverfahren durchzuführen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kirchhof, Bryde, Schluckebier
Fundstellen