Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenerstattung für Zuziehung eines Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahen in einer Baulandsteuersache
Leitsatz (amtlich)
- Die Auslegung der Verwaltungsgerichtsordnung dahin, daß dem im sog. isolierten Vorverfahren erfolgreichen Widerspruchsführer nach diesem Gesetz ein Anspruch auf Erstattung seiner Kosten nicht zusteht, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
- Es verstößt nicht gegen das Grundgesetz, daß nach § 89 des in Nordrhein-Westfalen geltenden preußischen Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 1893 der im isolierten Vorverfahren erfolgreiche Widerspruchsführer seine Kosten nicht erstattet erhält.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1; KAG PR § 89; VwGO §§ 72, 73 Abs. 3 S. 2, § 162 Abs. 1, 2 S. 2
Verfahrensgang
BVerwG (Beschluss vom 20.12.1967; Aktenzeichen VII B 113.67) |
OVG für das Land NRW (Urteil vom 18.07.1967; Aktenzeichen II A 1075/66) |
VG Arnsberg (Urteil vom 30.06.1966; Aktenzeichen 1 K 101/66) |
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Versagung einer Erstattung der Kosten, welche durch die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – entstanden sind.
1. Hält eine Behörde den Widerspruch gegen einen von ihr erlassenen Verwaltungsakt für begründet, so hilft sie ihm ab und entscheidet über die Kosten (§ 72 VwGO). Hilft die Behörde dem Widerspruch nicht ab, so ergeht ein Widerspruchsbescheid, den die Widerspruchsbehörde erläßt (§ 73 Abs. 1 VwGO). Dieser Widerspruchsbescheid muß nach § 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO auch bestimmen, wer die Kosten trägt. Nach welchen Grundsätzen die im Vorverfahren zu treffende Kostenentscheidung zu ergehen hat, insbesondere ob und unter welchen Voraussetzungen dem Widerspruchsführer die Kosten für einen Rechtsanwalt zu erstatten sind, ist in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht ausdrücklich geregelt. Die Verwaltungsgerichtsordnung sieht lediglich vor, daß in den Fällen, in denen sich dem Vorverfahren ein gerichtliches Verfahren anschließt, zu den Verfahrenskosten auch die Kosten des Vorverfahrens zählen (§ 161 Abs. 1 in Verbindung mit § 162 Abs. 1 VwGO). Hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten bestimmt § 162 Abs. 2 VwGO für diese Fälle:
…
Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder … sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt.
2. Da die §§ 72, 73 VwGO den Inhalt der Kostenentscheidung im Vorverfahren nicht näher bestimmen, ist es streitig, ob bei einem Vorverfahren, dem sich kein Rechtsstreit anschließt (sog. “isoliertes Vorverfahren”), eine Kostenentscheidung nach der Verwaltungsgerichtsordnung ergehen kann. Der Große Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 22, 281) hat entschieden, eine Analogie zu § 162 VwGO komme nicht in Betracht; vielmehr habe der Bundesgesetzgeber eine Kostenregelung für das isolierte Vorverfahren bewußt nicht getroffen.
3. Bisher haben Bayern und Schleswig-Holstein die Erstattung der dem erfolgreichen Widerspruchsführer entstandenen Kosten gesetzlich geregelt (Art. 16 des bayerischen Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 28. November 1960 – GVBl. S. 266 –; § 120 des schleswig-holsteinischen Landesverwaltungsgesetzes vom 18. April 1967 – GVBl. S. 131 –).
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Beschwerdeführerinnen wurden von der Stadt H… zur Grundsteuer C… (Baulandsteuer) herangezogen. Auf den in ihrem Auftrage von einem Rechtsanwalt eingelegten Widerspruch wurde der Heranziehungsbescheid aufgehoben. Eine Erstattung der Rechtsanwaltskosten lehnte die Stadt jedoch mit der Begründung ab, die Erstattung auch der Kosten des Vorverfahrens richte sich nach § 162 Abs. 2 VwGO und die Zuziehung eines Rechtsanwalts sei nicht notwendig gewesen. Nach erfolglosem Widerspruch erhoben die Beschwerdeführerinnen Klage auf Erstattung ihrer Anwaltskosten. Das Verwaltungsgericht wies die Klage unter Hinweis auf die genannte Entscheidung des Großen Senats des Bundesverwaltungsgerichts ab, weil für eine Erstattung der im Verwaltungsverfahren entstandenen Rechtsanwaltskosten eine gesetzliche Grundlage fehle. Die Berufung der Beschwerdeführerinnen blieb erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen schloß sich der Begründung des verwaltungsgerichtlichen Urteils an und führte zusätzlich aus, es bestehe auch keine landesrechtliche Bestimmung über die Erstattung der im Verwaltungsverfahren entstandenen Kosten. Die Revision ließ es nicht zu. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht zurück, weil die maßgebliche Rechtsfrage in BVerwGE 22, 281 bereits entschieden worden sei.
2. Gegen die Entscheidungen richtet sich die Verfassungsbeschwerde. Die Beschwerdeführerinnen rügen eine Verletzung der Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes und führen aus:
Wenn schon die Behörde im Fall ihres Obsiegens die ihr entstandenen Kosten dem Bürger auferlegen könne, so gebiete es der Gleichheitssatz, daß sie im Fall eines Obsiegens des Bürgers dessen Kosten zu tragen habe. Das sei auch nach Art. 2 Abs. 1 GG geboten. Denn die freie Stellung des Bürgers gegenüber dem Staat werde eingeschränkt, wenn ihm die “Waffengleichheit” versagt werde und er bei der Frage, ob er gegenüber einem Verwaltungsakt der Behörde sein Recht wahren solle, davon ausgehen müsse, daß ihm auch im Falle eines Erfolges seine Kosten nicht erstattet würden.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
Ein Verstoß der angefochtenen Entscheidungen gegen Art. 3 Abs. 1 GG, der hier allein in Betracht kommt, liegt nicht vor.
Die Auslegung, daß weder Bundes- noch Landesrecht eine Erstattung der im isolierten Vorverfahren entstandenen Rechtsanwaltskosten vorsieht, verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz; sie ist nicht willkürlich. Zwar mag die von den Beschwerdeführerinnen vertretene Auslegung zu einer gerechteren oder vernünftigeren Lösung führen; aber eine Rechtsauslegung, die mit dem Gleichheitssatz noch vereinbar ist, kann nicht schon deshalb für verfassungswidrig erklärt werden, weil eine andere Auslegung möglicherweise dem Gleichheitssatz besser entspräche (vgl. BVerfGE 3, 162 [182]; 4, 144 [155]; 22, 322 [329]).
1. Die Auslegung der Verwaltungsgerichtsordnung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Soweit sie dem erfolgreichen Widerspruchsführer einen Anspruch auf Erstattung seiner Kosten nicht gewährt, stellt sie ihn nicht schlechter als die Behörde im Falle einer Zurückweisung des Widerspruchs. Da nach dieser Auffassung die Verwaltungsgerichtsordnung eine materielle Kostenregelung für das isolierte Vorverfahren nicht enthält, werden Bürger und Behörde gleichbehandelt.
Bei dieser Auslegung wird zwar der bereits im Vorverfahren erfolgreiche Widerspruchsführer hinsichtlich der Kostenerstattung schlechter gestellt als der erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren obsiegende Kläger, dem nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO unter bestimmten Voraussetzungen auch die Kosten eines im Vorverfahren zugezogenen Rechtsanwalts erstattet werden. Diese Ungleichbehandlung ist aber nicht willkürlich. Denn auf Grund der Kostenentscheidung des Gerichts erhält der Bürger die im Vorverfahren entstandenen Rechtsanwaltskosten nur, wenn er mit seiner Klage obsiegt. Die Klage hat aber nur dann Erfolg, wenn der erlassene Verwaltungsakt oder die Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts rechtswidrig ist und der Bürger dadurch in seinen Rechten verletzt wurde (§ 113 Abs. 1 und Abs. 4 VwGO). Im Vorverfahren dagegen kann die Zurücknahme eines Verwaltungsakts auf sehr verschiedenen Gründen beruhen, denn hier wird nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit der Regelung überprüft (§ 68 Abs. 1 VwGO). Eine klare Abgrenzung der Fälle, in denen die Rücknahme des Verwaltungsakts im Vorverfahren auf erwiesener Rechtswidrigkeit beruht, wird häufig auf Schwierigkeiten stoßen. Es darf auch nicht übersehen werden, daß in manchen Fällen dem Widerspruch deshalb stattgegeben wird, weil die Rechtslage zweifelhaft ist. Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten des Widerspruchsverfahrens ist es nicht evident unsachlich, wenn die Verwaltungsgerichtsordnung die Kostentragungspflicht für das isolierte Vorverfahren nicht regelt.
2. Es verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß das nordrhein-westfälische Landesrecht eine Erstattung der im isolierten Vorverfahren entstandenen Kosten nicht vorsieht.
Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes liegt nicht schon darin, daß der Landesgesetzgeber es unterlassen hat, eine Kostenregelung zu treffen, die – ähnlich den bayerischen oder schleswig-holsteinischen Kostenregelungen – für das isolierte Vorverfahren eine Erstattung der dem erfolgreichen Widerspruchsführer entstandenen Kosten vorsieht. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung anerkannt, daß die Verfassungsmäßigkeit eines Landesgesetzes grundsätzlich nicht deshalb in Zweifel gezogen werden kann, weil es von verwandten Regelungen anderer Länder oder des Bundes abweicht (BVerfGE 10, 354 [371]; 12, 319 [324]; 17, 319 [331]). Das gleiche muß aber auch für das Fehlen eines Landesgesetzes gelten; denn der Landesgesetzgeber ist nur gehalten, in seinem Herrschaftsbereich den Gleichheitssatz zu wahren.
Die Versagung eines Kostenerstattungsanspruchs bei einem erfolgreichen Widerspruch gegen einen gemeindlichen Abgabebescheid stellt den Bürger nicht schlechter als die Behörde. Denn auch die Behörde kann, wenn der Widerspruch unbegründet ist, im Regelfall die Kosten der Bearbeitung nicht dem Bürger auferlegen. Nach § 89 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 (PrGS NW S. 7; SGV NW 2020) hat nämlich der Abgabepflichtige der Verwaltung nur dann die gelegentlich seines Widerspruchs veranlaßten Ermittlungskosten zu erstatten, wenn seine Angaben sich in wesentlichen Punkten als unrichtig erweisen. Im übrigen fallen die Kosten nach § 89 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes der Gemeinde zur Last. Demnach hat im Normalfall jede Seite unabhängig vom Ausgang des Widerspruchsverfahrens ihre Kosten selbst zu tragen.
Fundstellen
BVerfGE, 175 |
VerwRspr 1970, 126 |
VerwRspr 1970, 508 |