Verfahrensgang
AG Halle (Westfalen) (Beschluss vom 17.11.2010; Aktenzeichen 103 II 4315/10) |
AG Halle (Westfalen) (Beschluss vom 27.09.2010; Aktenzeichen 103 II 4315/10) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen der Beratungshilfe in urheberrechtlichen Angelegenheiten.
1. Der Beschwerdeführer ist Empfänger von Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Er hatte von verschiedenen Anwaltskanzleien, die jeweils von Inhabern von Urheberrechten an Musikwerken beauftragt worden waren, im Laufe von zwei Monaten mehrere Abmahnschreiben erhalten, denen vorformulierte Unterlassungserklärungen beigefügt waren. Grund der Abmahnungen waren angebliche illegale Aktivitäten in Internet-Tauschbörsen. Der Beschwerdeführer wandte sich deswegen an eine Rechtsanwaltskanzlei, welche für ihn in allen Fällen Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz (BerHG) beantragte.
Das Amtsgericht (Rechtspfleger) bewilligte Beratungshilfe im ersten der Fälle aus dem Mai 2010; demgegenüber wies es die späteren Anträge in den übrigen Fällen zurück. Dies begründete das Amtsgericht damit, dass die Angelegenheiten ähnlich gelagert seien und die weiteren Abmahnschreiben sämtlich aus dem Juni 2010 stammten. Der Beschwerdeführer hätte nach der ersten Angelegenheit, für die Beratungshilfe bewilligt worden sei, selbst tätig werden und die Forderungen abwehren können.
Die Erinnerung hiergegen wies das Amtsgericht durch den Richter mit der Begründung zurück, dass der Beschwerdeführer nach der ersten Angelegenheit keinen Beratungsbedarf mehr habe.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts auf Rechtswahrnehmungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG sowie eine Verletzung des Verbots objektiver Willkür gemäß Art. 3 Abs. 1 GG.
Er verfüge über keinerlei Rechtskenntnisse, während die Abmahnschreiben durch viele Rechtsbegriffe und kurze Fristen gekennzeichnet seien; sie würden verschieden begründet und enthielten je unterschiedliche Streitwertfestsetzungen, Abgeltungssummen und Fristsetzungen. Urheberrecht sei eine Spezialmaterie. Dem Beratungshilfegesetz sei ein Verweis auf Selbsthilfe, wie er vom Amtsgericht angenommen werde, nicht zu entnehmen. Der unbemittelte Beschwerdeführer werde unverhältnismäßig und willkürlich benachteiligt gegenüber Bemittelten, die sich in solchen Fällen einen Anwalt nähmen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§§ 93a, 93b BVerfGG), weil sie – unabhängig davon, ob sie nicht bereits mangels Substantiierung (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG) unzulässig ist – jedenfalls keine Aussicht auf Erfolg in der Sache hat. Das Amtsgericht hat seine zurückweisenden Entscheidungen auf eine verfassungsrechtlich tragfähige Begründung gestützt.
1. Das Grundgesetz verbürgt in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG den Anspruch des Bürgers auf grundsätzlich gleiche Chancen von Bemittelten und Unbemittelten bei der Rechtswahrnehmung auch im außergerichtlichen Bereich, somit auch im Hinblick auf die Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz (BVerfGE 122, 39 ≪48 ff.≫).
a) Die Auslegung und Anwendung des Beratungshilfegesetzes obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Entsprechend dem für die Prozesskostenhilfe geltenden Prüfungsmaßstab überschreiten die Fachgerichte dann den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung der Bestimmungen des Beratungshilfegesetzes zukommt, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einem unbemittelten Rechtsuchenden im Vergleich zum bemittelten Rechtsuchenden die Rechtswahrnehmung unverhältnismäßig eingeschränkt wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. September 2010 – 1 BvR 1974/08 –, juris, Rn. 13; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 – 1 BvR 1517/08 –, juris, Rn. 25).
Dabei braucht der Unbemittelte nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der bei seiner Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigt und vernünftig abwägt (BVerfGE 81, 347 ≪357≫; 122, 39 ≪51≫). Ein kostenbewusster Rechtsuchender wird dabei insbesondere prüfen, inwieweit er fremde Hilfe zur effektiven Ausübung seiner Verfahrensrechte braucht oder selbst dazu in der Lage ist. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten stellt die Versagung von Beratungshilfe keinen Verstoß gegen das Gebot der Rechtswahrnehmungsgleichheit dar, wenn ein Bemittelter wegen ausreichender Selbsthilfemöglichkeiten die Einschaltung eines Anwalts vernünftigerweise nicht in Betracht ziehen würde (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. September 2010 – 1 BvR 623/10 –, juris, Rn. 12; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009, a.a.O., Rn. 34). Ob die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zur Beratung notwendig ist oder der Rechtsuchende zumutbar (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. November 2010 – 1 BvR 787/10 –, juris, Rn. 14) auf Selbsthilfe verwiesen werden kann, hat das Fachgericht unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls abzuwägen. Insbesondere kommt es darauf an, ob der dem Beratungsanliegen zugrunde liegende Sachverhalt schwierige Tatsachen- oder Rechtsfragen aufwirft und der Rechtsuchende über ausreichende Rechtskenntnisse verfügt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. September 2010, a.a.O., Rn. 13; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009, a.a.O., Rn. 35 f.).
b) Die Notwendigkeit anwaltlicher Beratung kann verfassungskonform nicht stets und pauschal mit der Verweisung auf ein Parallelverfahren verneint werden. Gerade die Frage, ob ein Parallelfall vorliegt, kann bei Rechtsunkundigen den Beratungsbedarf begründen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. September 2010, a.a.O., Rn. 16).
Wenn hingegen die Parallelität der Fallgestaltungen auf der Hand liegt und die in einem Fall erhaltene Beratung ohne wesentliche Änderungen auf die übrigen Fälle übertragen werden kann, gebietet es das Grundrecht auf Rechtsschutzgleichheit nicht, dem unbemittelten Rechtsuchenden für jeden einzelnen Gegenstand erneut Beratungshilfe zu gewähren. Denn durch die in einer Sache gewährte Beratung wurde er in die Lage versetzt, die rechtliche Situation auch in den Parallelfällen hinreichend zu beurteilen („unechtes Musterverfahren”). Aus der Erstberatung und den aus ihr hervorgegangenen Dokumenten (Anwaltsschreiben) bezieht der Beratene bei Vorliegen mehrerer sachlich und rechtlich (nahezu) gleich gelagerter Fälle spezifische Rechtskenntnisse, die eine im Prinzip rechtlich anspruchsvolle Materie auch für den Laien handhabbar machen können. Die Verweisung auf Selbsthilfe stellt dann keine unverhältnismäßige Einschränkung der Rechtswahrnehmung dar, weil auch ein kostenbewusster Bemittelter das aufgrund der Erstberatung vorhandene Wissen selbständig auf die späteren Fälle übertragen würde.
c) Im Einzelfall kann sich dies indes anders darstellen; Anhaltspunkte dafür muss die Verfassungsbeschwerde substantiiert darlegen (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪414≫; 112, 50 ≪60 ff.≫) verlangt darüber hinaus, dass der Beschwerdeführer solche besonderen Umstände auch schon beim Amtsgericht vorgetragen hat, wobei seine diesbezügliche Darlegungslast nicht allzu hoch angesetzt werden darf, falls er im Zuge des Beratungshilfe-Bewilligungsverfahrens nicht anwaltlich vertreten war.
d) Es kommt nach Verfassungsrecht nicht darauf an, ob das Amtsgericht die Verweigerung von Beratungshilfe für die Parallelfälle im eben genannten Sinne auf fehlendes Rechtsschutzbedürfnis, auf die Möglichkeit der Selbsthilfe (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG) oder auf die Mutwilligkeit der Wahrnehmung der Rechte (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 BerHG) angesichts der in Parallelfällen erfolgten Beratung stützt. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass sich der Mutwillen im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 BerHG nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift auf die Wahrnehmung der Rechte und nicht auf den Antrag auf Beratungshilfe bezieht.
Auch die Annahme, bei engem sachlichem und zeitlichem Zusammenhang zwischen mehreren Anträgen auf Beratungshilfe handele es sich um nur eine Angelegenheit im Sinne von § 2 Abs. 2 BerHG, §§ 15 ff. RVG, betrifft ausschließlich das einfache Recht. Allerdings fehlt es bereits an der Beschwerdebefugnis des unbemittelten Antragstellers und damit an der Zulässigkeit seiner Verfassungsbeschwerde, wenn die anwaltliche Beratung als solche in allen (Parallel-)Fällen erfolgt ist und im Hinblick auf die Annahme einer einheitlichen Angelegenheit nur noch die Vergütung des beratenden Rechtsanwalts in Frage steht (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 15. Juli 2010 – 1 BvR 2642/09 –, juris, Rn. 8 f.).
2. Die vorgenannten Grundsätze können, ohne dass es im Streitfall hierauf ankommt, Bedeutung auch für die Frage der Beiordnung eines Rechtsanwalts nach dem Recht der Prozesskostenhilfe erlangen, soweit eine Vertretung durch Anwälte nicht gesetzlich vorgeschrieben ist (vgl. § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2011 – 1 BvR 1737/10 –, juris, Rn. 15 f. m.w.N.).
3. Auch bei urheberrechtlichen Abmahnfällen kann sich die Bewilligung von Beratungshilfe von Verfassungs wegen regelmäßig auf den ersten Fall beschränken, wenn der Rechtsuchende im Auftrag verschiedener Rechteinhaber von verschiedenen Rechtsanwälten wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen abgemahnt wurde, die sich aus jeweils ähnlichem Verhalten des Rechtsuchenden ergeben sollen. Erfahrungsgemäß kann davon ausgegangen werden, dass die in solchen Fällen verwendeten, dem (tatsächlichen oder vermeintlichen) Urheberrechtsverletzer zur Unterschrift vorgelegten Unterlassungserklärungen einen vergleichbaren Inhalt haben und in weitgehend gleicher Weise beantwortet und gegebenenfalls modifiziert werden können. Ohne Bedeutung wird es dabei regelmäßig sein, ob die zugrundeliegenden angeblichen Urheberrechtsverletzungen im Zuge eines einheitlichen Ladevorgangs oder verteilt über einige Tage, Wochen oder Monate erfolgt sind; auch wird es keine Rolle spielen, ob es sich um Musik-, Film-, Computerspiel- oder andere urheberrechtlich geschützte Dateien handelt.
Auch in urheberrechtlichen Abmahnfällen obliegt es dem Beschwerdeführer, etwaige rechtserhebliche Besonderheiten der späteren gegenüber den früheren Fällen darzulegen.
4. Im Streitfall war danach das Amtsgericht von Verfassungs wegen nicht gehalten, dem Beschwerdeführer über die bereits in mehreren Fällen gewährte Beratungshilfe hinaus für weitere Fälle von Abmahnungen wegen gleichgelagerter angeblicher Urheberrechtsverletzungen im Internet Beratungshilfe zu bewilligen. Konkrete Unterschiede in den Fallkonstellationen, die eine wesentlich abweichende Reaktion seitens des Beschwerdeführers auf die späteren Abmahnschreiben erfordern würden, lassen sich der Verfassungsbeschwerde nicht entnehmen.
5. Eine entgegen Art. 3 Abs. 1 GG objektiv willkürliche Anwendung von § 1 Abs. 1 BerHG ist aus denselben Gründen erst recht nicht zu erkennen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Gaier, Paulus, Britz
Fundstellen