Verfahrensgang
Tenor
Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (1.) und der Divergenz (2.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
1.1. Die von der Beschwerde unter Hinweis auf die weit reichenden Konsequenzen der Einstufung aufgeworfene Frage,
“ob für einen Förderstättenbesuch eine Hilfe zur Teilhabe am Arbeitsleben oder eine Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu gewähren ist”,
wirft keine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts auf, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf bzw. zugänglich ist. Nach den bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die insoweit zwischen den Beteiligten nicht im Streit stehen, war und ist die Klägerin wegen des Ausmaßes ihrer Mehrfachbehinderung nicht in der Lage, in einer Werkstatt für behinderte Menschen zu arbeiten, und ist die Förderstätte, für deren weiteren Besuch sie die Hilfegewährung anstrebt, keine anerkannte Werkstätte für Behinderte i.S.d. § 136 Abs. 1, § 142 SGB IX oder eine im Sinne des § 40 Abs. 1 Nr. 7 BSHG vergleichbare sonstige Beschäftigungsstätte. Anders als bei der Hilfegewährung in Werkstätten für behinderte Menschen, bei der insbesondere nach der gesetzlichen Aufgabenstellung (§ 136 SGB IX) und den Aufnahmevoraussetzungen (§ 137 SGB IX) bereits aus der Einrichtung, in der Hilfe gewährt wird, der Bezug der Hilfegewährung auf die Reintegration in das Arbeitsleben i.S.d. § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG folgte, wären diese Leistungen nicht bereits nach § 40 Abs. 1 Nr. 7, § 41 BSHG erfasst, sind Zielsetzung und Funktion der in einer “Förderstätte” gewährten Hilfe nicht bereits durch Begriff und Aufgabenstellung vorgeprägt. Welche Hilfe einer hilfebedürftigen Person im Rahmen der – hier unstreitig angezeigten – Eingliederungshilfe mit welcher Zielsetzung und in welchem Umfang sowie auf welcher Rechtsgrundlage in einer solchen Einrichtung zu gewähren ist, beurteilt sich mithin nach den Umständen des Einzelfalles in Abhängigkeit von dem in der Einrichtung zu deckenden individuellen Hilfebedarf einerseits, dem Leistungsangebot der Förderstätte andererseits; dies ist einer fallübergreifenden revisionsgerichtlichen Klärung nicht zugänglich. § 136 Abs. 3 SGB IX, nach dem behinderte Menschen, die die Voraussetzungen für eine Beschäftigung in einer Werkstatt nicht erfüllen, in Einrichtungen oder Gruppen betreut und gefördert werden sollen, die der Werkstatt angegliedert sind, führt nicht kraft Gesetzes dazu, dass für diese Einrichtungen die Bestimmungen für die Werkstätten für behinderte Menschen anzuwenden wären oder es sich notwendig um Einrichtungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Eingliederung in das Arbeitsleben handelte (s.a. Vater, in: Lachwitz, HK-SGB IX, 2. Aufl. 2006, § 136 Rn. 31).
1.2. Die von der Beschwerde weiterhin sinngemäß aufgeworfene Frage, ob mit Erreichen der Altersgrenze bzw. des 65. Lebensjahres ein Anspruch auf weitere Hilfegewährung in einer Förderstätte besteht oder ein Hilfeempfänger dann auf andere, preisgünstigere Angebote verwiesen werden darf, ist in der erst während des Beschwerdeverfahrens bekannt gewordenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 21. Dezember 2005 – BVerwG 5 C 26.04 – NVwZ-RR 2006, 406) dahin geklärt, dass für die Dauer der Eingliederungshilfe an alte behinderte Menschen keine feste zeitliche Grenze besteht, sie vielmehr so lange zu gewähren ist, wie es als möglich erscheint, durch eine Milderung der Folgen der Behinderung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu stützen und eine Aussicht auf Erfüllung der Eingliederungsaufgaben besteht, und dass der rechtliche Bezug der Fördermaßnahmen in einer Werkstatt für behinderte Menschen auf das “Arbeitsleben” bzw. die Teilhabe am Arbeitsleben einem Anspruch der Hilfebedürftigen auf Fortsetzung über das 65. Lebensjahr hinaus grundsätzlich entgegen steht, da dieser spezifische Zweck der Teilhabe am Arbeitsleben mit Erreichen der Ruhestandsgrenze entfallen ist, mithin sich auch Hilfebedürftige in Einrichtungen für behinderte Menschen dem Schritt von der Erwerbs- in die Ruhestandsphase stellen müssen, wobei den Umstellungsschwierigkeiten insbesondere in Hinblick auf die Tagesstrukturierung durch die bisherige Eingliederung in einen Arbeitsprozess und die dadurch vermittelten Kontakte zu anderen Menschen durch entsprechende Betreuung im Rahmen des stationären Einrichtungsbetriebes Rechnung zu tragen ist. Insoweit folgt aus dem Vorbringen des Beklagten kein weitergehender oder zusätzlicher Bedarf nach revisionsgerichtlicher Klärung.
1.3. Das weitere Vorbringen des Beklagten zu dem tatsächlich bei der Klägerin bestehenden Förderbedarf, den in der Förderstätte bewirkten oder noch erreichbaren Förderergebnissen und der Frage, ob eine Inanspruchnahme des tagesstrukturierenden Angebots in der Wohngruppe hier zumutbar und bedarfsdeckend ist, betrifft Fragen der einzelfallbezogenen Würdigung des Sachverhalts und rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
2. Die Revision ist auch nicht wegen einer nachträglichen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen; dabei ist hier unschädlich, dass der Beklagte die Divergenzrüge erst nach Ablauf der Beschwerdefrist erhoben hat, weil die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, hinsichtlich der die Abweichung geltend gemacht wird, erst nachträglich bekannt geworden ist und der Beklagte innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist mit der Grundsatzrüge die Frage bereits aufgeworfen hatte, die – soweit hier revisionsrechtlich klärungsfähig – durch die nachträgliche Entscheidung des Senats geklärt worden ist (s.a. BVerwG, Beschluss vom 7. Januar 1993 – BVerwG 4 NB 42.92 – NVwZ-RR 1993, 513). Denn das Berufungsgericht hat dem von der Beklagten herangezogenen, aus der Begründung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts entnommenen Satz,
“Dem Schritt von der Erwerbs- in die Ruhestandsphase muss sich daher auch die Klägerin stellen, wobei den Umstellungsschwierigkeiten insbesondere in Hinblick auf die Tagesstrukturierung durch die bisherige Eingliederung in einen Arbeitsprozess und die dadurch vermittelten Kontakte zu anderen Menschen durch entsprechende Betreuung im Rahmen des stationären Einrichtungsbetriebes Rechnung zu tragen ist”,
für den dahinstehen kann, ob es sich um einen divergenzfähigen abstrakten Rechtssatz handelt, jedenfalls keinen hiervon abweichenden, abstrakten Rechtssatz gegenübergestellt. Nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen hatte das Berufungsgericht im vorliegenden Verfahren gerade nicht das Ausscheiden aus einer Hilfe in einer Werkstätte für behinderte Menschen oder einer Maßnahme zu beurteilen, welche auf die Teilhabe in das Arbeitsleben gerichtet war, sondern über die Fortführung von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 SGB IX (§ 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG) zu befinden, welche nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts bedarfsorientiert und -deckend war, während für die von dem Beklagten als Alternative angebotene Hilfegewährung in der Wohngruppe eine der Behinderung der Klägerin adäquate individuelle Betreuung nicht sichergestellt sei.
Ob der von dem Berufungsgericht angenommene Betreuungsbedarf nach Art und Umfang tatsächlich bestand oder ein zu berücksichtigender Bedarf ohne weiteren Verbleib in der Fördergruppe hätte gedeckt werden können, ist als Frage der einzelfallbezogenen Rechtsanwendung für die Divergenzzulassung unerheblich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen