Die Vorschrift des § 102 SGB X bildet die Rechtsgrundlage für Erstattungsansprüche des vorläufig leistenden Leistungsträgers.
Der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger ist demjenigen Leistungsträger gegenüber erstattungspflichtig, der aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat. Der Umfang des Erstattungsanspruches richtet sich nach den für den vorleistenden Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.
Die Erbringung vorläufiger Leistungen ist im Sozialrecht vorgesehen, damit Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen verschiedenen Leistungsträgern oder Unklarheiten über die Zuständigkeit nicht zulasten der Sozialleistungsberechtigten gehen. Daher sieht u. a. die Vorschrift des § 43 SGB I vor, dass ein zuerst angegangener Sozialleistungsträger unter bestimmten Voraussetzungen vorläufige Leistungen erbringen kann oder muss. Neben dieser allgemeinen Vorschrift bestehen zum Teil spezialgesetzliche Vorschriften in den einzelnen Leistungsgebieten wie beispielsweise im Bereich der Arbeitslosen- oder Unfallversicherung.
1.1.1 Umfang der Erstattung
Die dem vorläufig leistenden Sozialleistungsträger entstandenen Aufwendungen werden von dem eigentlich zuständigen Sozialleistungsträger (nachträglich) erstattet. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorläufig leistenden Sozialleistungsträger geltenden Vorschriften. Hierdurch ist der Erstattungsanspruch des § 102 SGB X deutlich von den Vorschriften der §§ 103 bis 105 SGB X abzugrenzen. Diese begründen ihrerseits nur eine Erstattungspflicht des zuständigen Trägers in der Höhe, in der dieser Sozialleistungen tatsächlich zu erbringen gehabt hätte. Insofern beinhaltet die Vorschrift des § 102 SGB X auch eine gewisse Sanktionswirkung gegenüber dem eigentlich zuständigen Leistungsträger, der ggf. mit zusätzlichen Kosten belastet wird, weil er nicht rechtzeitig die von ihm zu erbringenden Leistungen erbracht hat.
1.1.2 Entstehen des Anspruchs
Ein Erstattungsanspruch entsteht nur dann, wenn durch die vorläufige Leistung eine entsprechende Verpflichtung des eigentlich zuständigen Sozialleistungsträgers erfüllt wird. Das bedeutet, dass beide Leistungen gleichartig, aber nicht identisch sein müssen.
Erstattungsansprüche nach § 102 SGB X kommen z. B. in Betracht, wenn Unklarheit über die Zuständigkeit verschiedener Unfallversicherungsträger besteht. Sind beispielsweise bei einem Arbeitnehmer 2Berufskrankheiten von jeweils verschiedenen Unfallversicherungsträgern anerkannt und leistet ein Unfallversicherungsträger vorläufig aufgrund der Vorschrift des § 139 SGB VII, so kann er gegenüber dem zuständigen Unfallversicherungsträger einen Erstattungsanspruch geltend machen. § 139 SGB VII sieht vor, dass ein Unfallversicherungsträger vorläufige Leistungen nach § 43 SGB I zu erbringen hat, wenn der andere Unfallversicherungsträger sich nicht für zuständig hält oder die Prüfung der Zuständigkeit nicht innerhalb von 21 Tagen abgeschlossen werden kann. Wird ein Versicherter z. B. stationär wegen einer Erkrankung behandelt, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer von mehreren – von unterschiedlichen Unfallversicherungsträgern – bereits anerkannten Berufskrankheiten steht, und übernimmt einer der Unfallversicherungsträger vorläufig die Kosten der stationären Behandlung da noch nicht feststeht, auf welche Berufskrankheit die jetzige Erkrankung zurückgeht, so hat dieser vorläufig leistende Unfallversicherungsträger einen Erstattungsanspruch gegenüber demjenigen, der die für die jetzige Erkrankung ursächliche Berufskrankheit anerkannt hat.