Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialpolitik. Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer. Richtlinie 93/104/EG. Begriffe Arbeitszeit und Ruhezeit. Bereitschaftsdienst eines Arztes in einem Krankenhaus
Normenkette
Richtlinie 93/104/EG
Beteiligte
Tenor
1. Die Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass der Bereitschaftsdienst, den ein Arzt in Form persönlicher Anwesenheit im Krankenhaus leistet, in vollem Umfang Arbeitszeit im Sinne dieser Richtlinie darstellt, auch wenn es dem Betroffenen in Zeiten, in denen er nicht in Anspruch genommen wird, gestattet ist, sich an seiner Arbeitsstelle auszuruhen, so dass die Richtlinie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer während eines Bereitschaftsdienstes untätig ist, als Ruhezeit eingestuft werden.
2. Die Richtlinie 93/104 ist ferner dahin auszulegen, dass
- sie unter Umständen wie denjenigen des Ausgangsverfahrens der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die bei einem in Form persönlicher Anwesenheit im Krankenhaus geleisteten Bereitschaftsdienst – gegebenenfalls über einen Tarifvertrag oder eine aufgrund eines Tarifvertrags getroffene Betriebsvereinbarung – einen Ausgleich nur der Bereitschaftsdienstzeiten zulässt, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich eine berufliche Tätigkeit ausgeübt hat;
- eine Kürzung der täglichen Ruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden durch Ableistung eines Bereitschaftsdienstes, der zur regelmäßigen Arbeitszeit hinzukommt, nur dann unter die Abweichungsbestimmungen in Artikel 17 Absatz 2 Nummer 2.1 Buchstabe c Ziffer i dieser Richtlinie fällt, wenn den betroffenen Arbeitnehmern gleichwertige Ausgleichsruhezeiten im unmittelbaren Anschluss an die entsprechenden Arbeitsperioden gewährt werden;
- eine solche Kürzung der täglichen Ruhezeit darüber hinaus in keinem Fall zu einer Überschreitung der in Artikel 6 der Richtlinie festgesetzten Höchstdauer der wöchentlichen Arbeitszeit führen darf.
Tatbestand
In der Rechtssache C-151/02
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Landeshauptstadt Kiel
gegen
Norbert Jaeger
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 307, S. 18), insbesondere ihrer Artikel 2 Nummer 1 und 3,
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten M. Wathelet, R. Schintgen (Berichterstatter) und C. W. A. Timmermans, der Richter C. Gulmann, D. A. O. Edward, P. Jann und V. Skouris, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric sowie der Richter S. von Bahr, J. N. Cunha Rodrigues und A. Rosas,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Landeshauptstadt Kiel, vertreten durch Rechtsanwalt W. Weißleder,
- von Herrn Jaeger, vertreten durch Rechtsanwalt F. Schramm,
- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und M. Lumma als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch P. Ormond als Bevollmächtigte im Beistand von K. Smith, Barrister,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Aresu und H. Kreppel als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Landeshauptstadt Kiel, vertreten durch Rechtsanwälte W. Weißleder, M. Bechtold und D. Seckler, von Herrn Jaeger, vertreten durch Rechtsanwalt F. Schramm, der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing, der französischen Regierung, vertreten durch C. Lemaire als Bevollmächtigten, der niederländischen Regierung, vertreten durch N. A. J. Bel als Bevollmächtigten, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch P. Ormond im Beistand von K. Smith, sowie der Kommission, vertreten durch H. Kreppel und F. Hoffmeister als Bevollmächtigten, in der Sitzung vom 25. Februar 2003,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. April 2003
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1.
Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat mit Beschluss vom 12. März 2002, geändert durch Beschluss vom 25. März 2002, beide beim Gerichtshof eingegangen am 26. April 2002, gemäß Artikel 234 EG vier Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 307, S. 18), insbesondere ihrer Artikel 2 Nummer 1 und 3, zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Landeshauptstadt Kiel (im Folgenden: Beklagte) und Herrn Jaeger (im Folgend...