Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Verordnung (EG) Nr. 2201/2003. Minderjährige, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Irland hat, wo wiederholt ihre Unterbringung erfolgt ist. Aggressive und für das Kind selbst gefährliche Verhaltensweisen. Entscheidung, das Kind in einem geschlossenen Heim in England unterzubringen. Sachlicher Anwendungsbereich der Verordnung. Art. 56. Einzelheiten der Konsultation und der Zustimmung. Verpflichtung, die Entscheidung, das Kind in einem geschlossenen Heim unterzubringen, anzuerkennen oder für vollstreckbar zu erklären. Einstweilige Maßnahmen. Eilvorlageverfahren
Beteiligte
Tenor
1. Die Entscheidung eines mitgliedstaatlichen Gerichts, mit der die Unterbringung eines Kindes in einer geschlossenen Therapie- und Erziehungseinrichtung in einem anderen Mitgliedstaat angeordnet wird, die zu dessen eigenem Schutz für bestimmte Zeit mit einer Freiheitsentziehung verbunden ist, fällt in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000.
2. Die Zustimmung gemäß Art. 56 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2201/2003 ist vor Erlass der Entscheidung über die Unterbringung eines Kindes von einer zuständigen öffentlich-rechtlichen Behörde zu erteilen. Es genügt nicht, dass das Heim, in dem das Kind untergebracht werden soll, seine Zustimmung erteilt. Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen sich das Gericht des Mitgliedstaats, das die Unterbringung angeordnet hat, nicht sicher ist, ob im ersuchten Mitgliedstaat eine Zustimmung wirksam erteilt worden ist, weil nicht mit Sicherheit hat festgestellt werden können, welche Behörde in diesem Staat die zuständige Behörde ist, ist eine Heilung zulässig, um sich davon zu überzeugen, dass das Zustimmungserfordernis des Art. 56 der Verordnung Nr. 2201/2003 in vollem Umfang erfüllt worden ist.
3. Die Verordnung Nr. 2201/2003 ist dahin auszulegen, dass die Entscheidung eines mitgliedstaatlichen Gerichts, mit der die zwangsweise Unterbringung eines Kindes in einem geschlossenen Heim in einem anderen Mitgliedstaat angeordnet wird, vor ihrer Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat dort für vollstreckbar erklärt werden muss. Damit diese Verordnung nicht ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt wird, muss die Entscheidung des Gerichts des ersuchten Mitgliedstaats über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung besonders schnell erfolgen, und gegen eine solche Entscheidung des Gerichts des ersuchten Mitgliedstaats eingelegte Rechtsbehelfe dürfen keine aufschiebende Wirkung haben.
4. Die Zustimmung zu einer Unterbringung gemäß Art. 56 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2201/2003 gilt, wenn sie für eine bestimmte Dauer erteilt worden ist, nicht für Entscheidungen, mit denen die Dauer der Unterbringung verlängert werden soll. Unter solchen Umständen muss um eine neue Zustimmung ersucht werden. Eine in einem Mitgliedstaat ergangene Unterbringungsentscheidung, die in einem anderen Mitgliedstaat für vollstreckbar erklärt worden ist, kann in diesem anderen Mitgliedstaat nur für den in der Unterbringungsentscheidung angegebenen Zeitraum vollstreckt werden.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court (Irland) mit Entscheidung vom 16. Februar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Februar 2012, in dem Verfahren
Health Service Executive
gegen
S. C.,
A. C.,
Beteiligter:
Attorney General,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richter U. Lõhmus, A. Rosas (Berichterstatter), A. ó Caoimh und A. Arabadjiev,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des Antrags des vorlegenden Gerichts vom 16. Februar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Februar 2012, das Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 104b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs einem Eilverfahren zu unterwerfen,
aufgrund der Entscheidung der Zweiten Kammer vom 29. Februar 2012, diesem Antrag stattzugeben,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. März 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Health Service Executive, vertreten durch A. Cox, advocate, F. McEnroy, SC, und S. McKechnie, BL,
- von S. C., vertreten durch G. Durcan, SC, B. Barrington, BL, und C. Ghent, advocate,
- von A. C., vertreten durch C. Stewart, SC, F. McGath, BL, N. McGrath, Solicitor, und C. Dignam, advocate,
- Irlands, vertreten durch E. Creedon als Bevollmächtigte im Beistand von C. Corrigan, SC, und C. Power, BL, und durch K. Duggan,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigte...