Zusammenfassung
Im Zuge des "Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG)" wurde in Umsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) durch den ergänzten § 13 SGB V seit 1.1.2004 Versicherten grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt, Leistungserbringer in anderen Mitgliedstaaten der [akt.] Europäischen Union (EU) sowie in anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) im Wege der Kostenerstattung in Anspruch nehmen zu können. Im Rahmen von Neuregelungen durch das "Gesetz zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze (Vertragsarztrechtsänderungsgesetz – VÄndG)" hat der deutsche Gesetzgeber diese Möglichkeit mit Wirkung ab 1.1.2007 auf die Staaten, in denen die VO (EWG) Nr. 1408/71 Anwendung findet, ausgedehnt. Die Regelungen gelten somit auch in Bezug auf die Schweiz.
Die [damaligen] Spitzenverbände der Krankenkassen geben gemeinsam mit der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland (DVKA) mit dieser Gemeinsamen Empfehlung Auslegungshinweise für eine einheitliche Rechtsanwendung in der Praxis der gesetzlichen Krankenversicherung.
1. Allgemeines
Versicherte können Leistungsansprüche u.a. bei vorübergehendem Aufenthalt im anderen EWR-Staat oder in der Schweiz wahlweise auf Basis von zwei verschiedenen Rechtsgrundlagen geltend machen:
Auf Basis des überstaatlichen Rechts im Rahmen der Verordnung VO (EWG) Nr. 1408/71) über soziale Sicherheit i.V.m. der VO (EWG) Nr. 574/72
- Gezielt gesuchte Auslandsbehandlung:
Mit vorheriger Genehmigung gegen Vorlage des Vordrucks E 112.
- Behandlung bei sonstigen Auslandsaufenthalten (z.B. Urlaubsreisen):
Ohne vorherige Genehmigung gegen Vorlage der Europäischen Krankenversicherungskarte (EHIC) bzw. der provisorischen Ersatzbescheinigung.
Auf Basis des innerstaatlichen Rechts im Rahmen des § 13 Abs. 4 bis 6 SGB V in Umsetzung der Rechtsprechung des EuGH in Verbindung mit der jeweiligen Satzung der Krankenkasse
- Krankenhausbehandlung:
Mit vorheriger Genehmigung
- Gesundheitsleistungen außerhalb des Krankenhauses:
Ohne vorherige Genehmigung, jedoch ggf. unter Einhaltung des innerdeutschen Antrags- und Begutachtungsverfahrens (z.B. Heil- und Kostenplan, Einschaltung des [akt.] MD).
1.1 Anspruch auf der Basis der VO (EWG) über soziale Sicherheit
[1] Die Leistungsansprüche auf der Basis der VO (EWG) über soziale Sicherheit bleiben durch den § 13 Abs. 4 bis 6 SGB V unberührt. Es ist zu prüfen, wie die verschiedenen grundsätzlich nebeneinander bestehenden Ansprüche inhaltlich (Sachleistung oder Kostenerstattung) voneinander abzugrenzen sind, da im Einzelfall nur einer von ihnen realisiert werden kann. Im Hinblick auf diese Abgrenzung ist insbesondere der sog. "Zustimmungsfall" von Bedeutung.
[2] Ein solcher Zustimmungsfall nach Artikel 22 Abs. 1 Buchst. c VO (EWG) Nr. 1408/71 liegt dann vor, wenn sich eine Person gezielt zur Behandlung in einen anderen EWR-Staat bzw. in die Schweiz begeben möchte. Die Behandlung kann nur nach vorheriger Genehmigung durch die Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Der Vordruck E 112 dokumentiert die Kostenübernahme des zuständigen Trägers gegenüber dem aushelfenden Träger. Die erforderliche Genehmigung darf nur dann nicht verweigert werden, wenn die betreffenden Behandlungen zu den Leistungen gehören, die in den Rechtsvorschriften des EWR-Staates bzw. der Schweiz vorgesehen sind, in dessen Gebiet der Betreffende wohnt, und wenn er in Anbetracht seines derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs der Krankheit diese Behandlung nicht in einem Zeitraum erhalten kann, der für diese Behandlungen in dem Staat, in dem er seinen Wohnsitz hat, normalerweise erforderlich ist. Eine Zustimmung ist aber auch in anderen Fällen immer möglich.
[3] Die Zustimmung kann sich nur auf solche Sachleistungen beziehen, die nach dem Recht des Staates, in dem diese Leistungen beansprucht werden sollen, vorgesehen sind. Die Leistungen werden im Wege der Sachleistungsaushilfe durch den Träger des Aufenthaltsorts erbracht und über die jeweiligen Verbindungsstellen mit dem zuständigen Träger abgerechnet. Eine Direktabrechnung zwischen Leistungserbringer und zuständigem Träger oder eine Kostenerstattung an den Versicherten für selbst bezahlte Sachleistungen kommen nicht in Betracht.
1.2 Anspruch auf der Basis des § 13 Abs. 4 bis 6 SGB V in Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung
[1] Nach Artikel 28 und Artikel 49 EG-Vertrag sind Beschränkungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Europäischen Gemeinschaft grundsätzlich verboten.
[2] Auf der Grundlage dieser Bestimmungen des EG-Vertrages hat der EuGH u.a. in seinen Urteilen vom 28.4.1998 (Rechtssache "Kohll" – C-158/96; Rechtssache "Decker" – C-120/95), 12.7.2001 (Rechtssachen "Smits und Peerbooms" – C-157/99 und "Vanbraekel" – C-368/98) und vom 13.5.2003 (Rechtssache "Müller-Fauré/van Riet" – C-385/99) insbesondere festgestellt, dass
- medizinische Leistungen Waren- und Dienstleistungen i.S.v. Artikel 28 und Artikel 50 EG-Vertrag sind,
- kein Verstoß gegen das Recht auf freien Dienstleistungsverkehr vorliegt, wenn die Kostenerstattung für eine Behandlung im Krankenhaus eines anderen Mitgliedss...