Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Insolvenzverwalters auf Rückzahlung von Lohnzahlungen infolge einer Insolvenzanfechtung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine vom Arbeitgeber geleistete Zahlung kann vom Arbeitgeber, auch wenn es sich nunmehr um den eingerückten Insolvenzverwalter handelt, in Höhe des Mindestlohngesetzes nicht zurückgefordert werden. 2. Hierfür spricht insbesondere auch die soziale Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers, dessen Existenz durch das Insolvenzgeld nicht vollständig gesichert ist.
Normenkette
SGB III § 324 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Gießen (Entscheidung vom 13.04.2021; Aktenzeichen 5 Ca 188/20) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 13. April 2021 - 5 Ca 188/20 - teilweise abgeändert und die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.169,74 EUR (in Worten: Eintausendeinhundertneunundsechzig und 74/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. Dezember 2019 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 64 % und die Beklagte 36 % zu tragen.
Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rückzahlung von Lohnzahlungen infolge einer Insolvenzanfechtung.
Der Kläger ist der Insolvenzverwalter in dem am 01. Dezember 2016 eröffneten Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners A (fortan: Insolvenzschuldner). Der Eigenantrag des Insolvenzschuldners auf Verfahrenseröffnung ist am 12. Oktober 2016 bei dem Amtsgericht Gießen eingegangen. Drei Monate zuvor, am 12. Juli 2016, bestanden fällige Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners in Höhe von 1.122.551,65 EUR. Zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung betrugen die Verbindlichkeiten EUR 3.610.889,73.
Die Beklagte war Arbeitnehmerin des Insolvenzschuldners. Die Beklagte erhielt am 25.
August 2016 und am 26. September 2016 Zahlungen in Höhe von jeweils 1.640,31 EUR auf ihr Konto, welche den Verwendungszweck "Lohn August" bzw. "Lohn September" auswiesen und über das Konto der Mutter des Insolvenzschuldners erfolgt sind. Die Zahlungen wurden der Beklagten als Netto-Arbeitsentgelt geschuldet.
Auf das Konto der Mutter des Insolvenzschuldners, dass sich am 16. Juli 2016 mit 7,87 EUR im Soll befand, erfolgte am 18. Juli 2016 eine Bareinzahlung aus dem Vermögen des Insolvenzschuldners in Höhe von 4.350,- EUR. Zwischen dem 18. Juli 2016 und dem 10. Oktober 2016 erfolgten weitere Umbuchungen und Bareinzahlungen des Insolvenzschuldners auf das Konto seiner Mutter. Auch erfolgten Überweisungsgutschriften von Schuldnern des Insolvenzschuldners unmittelbar auf das Konto der Mutter des Insolvenzschuldners. Hinsichtlich dieser Bareinzahlungen, Umbuchungen und Überweisungsgutschriften wird auf Bl. 19 f. der Akte verwiesen.
Mit außergerichtlichem Schreiben vom 05. Dezember 2019 hat der Kläger die erfolgten Lohnzahlungen an die Beklagte für die Kalendermonate August und September 2016 angefochten und begehrt im vorliegenden Klageverfahren deren Rückzahlungen.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Lohnzahlungen seien anfechtbar, weil sie nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners erfolgt seien. Da es sich um Zahlungen gehandelt habe, die über das Konto einer Dritten - der Mutter des Insolvenzschuldners - abgewickelt worden seien und zu einer Gläubigerbenachteiligung geführt hätten, läge ein Fall inkongruenter Deckung vor.
Der Kläger hat gemeint, die Regelungen des Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns - Mindestlohngesetz (MiLoG) stünden der Anfechtung nicht entgegen, da der Gesetzgeber, hätte er einen weiteren Schutz für Arbeitnehmer/innen für erforderlich gehalten, er diesen im Rahmen der Gesetzgebung zur Änderung der Insolvenzordnung entsprechend berücksichtigt hätte. Überdies seien Arbeitnehmer jedenfalls durch staatliche Hilfen, wie das Insolvenzgeld ausreichend abgesichert. Auch sei eine verfassungsrechtlich legitimierte Anfechtungssperre für Rückforderungen im Wege der Insolvenzanfechtung gem. § 131 Abs. 1 InsO nicht geboten.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die durch ihn verwaltete Insolvenzmasse 3.280,62 EUR sowie vorprozessuale Zinsen in Höhe von 45,89 EUR sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und behauptet,
die Lohnzahlungen für August und September 2019 seien aus dem eigenen Vermögen der Mutter des Insolvenzschuldners geleistet worden. Infolgedessen habe es sich nicht um einen Vermögensgegenstand des Insolvenzschuldners gehandelt, der im Rahmen der Anfechtung zurückgefordert werden könne.
Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Niederschriften der mündlichen Verhandlungen und auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils verwiesen.
Das Arbeitsgericht Gießen hat mit Urt...