Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. Aufwendung der Pflegeperson. Aufwendungserstattung. Leistungskonkurrenz. Leistungskürzung. sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. vergangener Zeitraum. keine Einbeziehung. Folgebescheid. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch des Pflegebedürftigen auf Erstattung der Aufwendungen einer Pflegeperson nach § 65 Abs 1 SGB 12 ist nicht nach § 66 Abs 1 SGB 12 beschränkt. Dessen Satz 1 erfasst nur das Pflegegeld nach § 64 SGB 12 und besondere Leistungen nach § 65 Abs 2 SGB 12. § 66 Abs 1 S 2 SGB 12 erfasst nur den Pflegegeldanspruch nach § 64 SGB 12, wenn von der Pflegekasse nach dem SGB 11 tatsächlich Pflegegeld gezahlt wird.
2. Die Anrechnungsvorschrift des § 66 Abs 2 S 2 SGB 12 lässt nur die Kürzung eines Pflegegeldes, nicht aber der Leistungen nach § 65 Abs 1 SGB 12 zu.
3. Eine Kürzung der Leistungen nach § 65 Abs 1 SGB 12 erfolgt aber nach § 66 Abs 4 S 1 SGB 12, soweit es der Pflegebedürftige unterlassen hat, Pflegesachleistungen nach dem SGB 11 in Anspruch zu nehmen. In dem Umfang, in dem er Pflegesachleistungen nicht in Anspruch nimmt, sind vom Sozialhilfeträger Leistungen nach § 65 Abs 1 SGB 12 nicht zu erbringen.
4. Einstweilige Anordnungen kommen zwar grundsätzlich nicht in Betracht, soweit sie sich auf vergangene Zeiträume beziehen; vergangen in diesem Sinne sind jedoch nur solche vor der Antragstellung beim Gericht. Es widerspräche dem in Art 19 Abs 4 GG niedergelegten Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes, den Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts dafür maßgeblich sein zu lassen, ob sich ein Antragsteller auf einen Anordnungsgrund berufen kann oder nicht.
Orientierungssatz
Wendet sich der Hilfebedürftige gegen einen Bescheid, der eine Leistung für eine begrenzte Zeit nur in geminderter Höhe bewilligte, so wird ein neuer Bescheid, der auf einen zwischenzeitlich neu gestellten Antrag auf Leistungen nach dem SGB 12 für Folgezeiträume ergangen ist, nicht gem § 96 SGG - auch nicht in analoger Anwendung - Gegenstand des Gerichtsverfahrens.
Normenkette
SGB XII § 65 Abs. 1, § 66 Abs. 1; SGG § 86b; GG Art. 19 Abs. 4
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. Oktober 2007 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller weitere Leistungen in Höhe von monatlich 52,91 € für den Zeitraum vom 13. August bis zum 30. November 2007 zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über den Umfang der dem Antragsteller bewilligten Hilfe zur Weiterführung des Haushalts nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Der im Jahre 1943 geborene Antragsteller leidet an einer Aids-Erkrankung. Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100; darüber hinaus sind die Merkzeichen G, aG, H und RF anerkannt. Auf der Grundlage eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 5. März 1997 war bei ihm zunächst die Pflegestufe II anerkannt. Im Anschluss an ein weiteres Gutachten des MDK vom 5. Februar 2007 erkannte die Bayer BKK Pflegekasse die Voraussetzungen der Pflegestufe III an; sie gewährte ab dem 1. Januar 2007 ein Pflegegeld entsprechend dieser Stufe in Höhe von zunächst 510,00 € und ab 1. März 2007 in Höhe von monatlich 665,00 €.
Seit dem 1. Januar 2005 stand der Antragsteller in fortlaufendem Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Zuletzt bewilligte die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 13. Juli 2007 für die Zeit ab 1. Juli 2007 bis zum 31. Mai 2008 monatlich 826,57 €. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus dem Regelsatz von 347,00 €, einem Hygienezuschlag von 30,68 €, dem Krankenversicherungsbeitrag von 127,00 €, den Leistungen für Mehrbedarf bei voller Erwerbsminderung (58,99 €) und bei kostenaufwändiger Ernährung (45,50 €) sowie der Kosten der Unterkunft in Höhe von 217,40 €. Die Unterkunft teilt sich der Antragsteller mit seinem Lebenspartner A. (H.), der mit dem Antragsteller in Bedarfsgemeinschaft lebt.
Seit April oder Mai 2005 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller auch monatliche Leistungen für eine Haushaltshilfe. Mit Bescheid vom 6. April 2006 bewilligte sie eine Hilfe zur Weiterführung des Haushalts gemäß § 70 SGB XII ab dem 1. April 2006 bis zum 31. März 2007 in Höhe von monatlich 470,00 €. Dabei legte sie als Umfang der Hilfe einen monatlichen Gesamtaufwand von 47 Stunden und einen Stundensatz von 10,00 € zugrunde. Den Betrag von 470,00 € zahlte die Antragsgegnerin nach Vorlage eines Leistungsnachweises jeweils an die Pflegekraft Frau L. (L.) aus.
Am 22. Mai 2007 erfolgte ein Hausbesuch durch den Sozialdienst der Antragsgegnerin. In dem darüber gefertigten Verme...