Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Anordnung bzw Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Widerspruch gegen Aufrechnungsverfügung zur Tilgung eines Mietkautionsdarlehens. Anordnung des Sofortvollzugs durch den Grundsicherungsträger

 

Leitsatz (amtlich)

Auch wenn man davon ausgeht, dass die Festsetzung der zur Aufrechnung gestellten Forderung und die Aufrechnungsverfügung selbst gleichzeitig in einem Bescheid erfolgen dürfen, ist die Anordnung von deren Sofortvollzug doch jedenfalls nur dann zulässig, wenn auch die Aktivforderung, mit der der Leistungsträger aufrechnet, (bestandskräftig oder) sofort vollziehbar ist.

 

Normenkette

SGB II § 22 Abs. 6 Sätze 1, 3, §§ 39, 42 Abs. 2, § 42a Abs. 2 Sätze 1, 3; SGB X § 37 Abs. 2 Sätze 1, 3; SGB I § 46 Abs. 1; SGG § 85 Abs. 3 S. 1, § 86a Abs. 2 Nr. 5, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 87 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, §§ 123, 144 Abs. 1 S. 2, § 173

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 18. November 2021 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Aufrechnungsverfügung des Antragsgegners vom 5. Oktober 2021 angeordnet.

II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Verfügung, durch die der Antragsgegner mit seinem Rückzahlungsanspruch aus einem dem Antragsteller gewährten Mietkautionsdarlehen gegen dessen Ansprüche auf laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) aufgerechnet hat.

Der 1957 geborene, alleinstehende Antragsteller erhält laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von dem Antragsgegner, zuletzt bewilligt durch Bescheid vom 20. Mai 2021 für die Zeit vom 1. Juli 2021 bis zum 30. Juni 2022 in Höhe von monatlich 641,- Euro. Bei der Leistungsberechnung berücksichtigte der Antragsgegner einen Regelbedarf des Antragstellers in Höhe von 446,- Euro monatlich. Wegen der Einzelheiten wird auf Dokument Nr. 5 der vom Antragsgegner in elektronischer Form vorgelegten Leistungsakte - im Folgenden: eLA - Bezug genommen.

Der Antragsteller mietete durch Mietvertrag vom 22. August 2021 (eLA Dok. Nr. 29) zum 1. September 2021 eine neue Wohnung an. Zuvor hatte er mit Schreiben vom 9. August 2021 neben der Anerkennung der laufenden Aufwendungen für die neue Wohnung als angemessenen Unterkunftsbedarf auch die Gewährung eines Darlehens zur Aufbringung der Mietkaution in Höhe von 600,- Euro beantragt. Die Ratenzahlung „in Höhe von 40,00 EURO (oder nach Ihrer Rechnung) für die Kaution“ könne, so erklärte er in diesem Schreiben, der Antragsgegner monatlich von seiner „Regelleistung abziehen bis die Kautionssumme in Höhe von 600,00 EURO ausgezahlt wird“. Wegen der Einzelheiten wird auf das genannte Schreiben (eLA Dok. Nr. 10) Bezug genommen.

Der Antragsgegner sicherte daraufhin mit Schreiben vom 10. August 2021 die Anerkennung der laufenden Aufwendungen für die neue Wohnung als Unterkunftsbedarf zu. Mit Änderungsbescheiden vom 18. August 2021 (eLA Dok. Nr. 23), 23. August 2021 (eLA Dok. Nr. 35), 2. September 2021 (eLA Dok. Nr. 48) und 27. September 2021 (eLA Dok. Nr. 58) berücksichtigte er anschließend die geänderten Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie die Kosten einer Einzugsrenovierung im Rahmen der laufenden Leistungsbewilligung, wobei der Antragsteller wegen der Höhe der Renovierungskosten Widerspruch einlegte. Der berücksichtigte Regelbedarf blieb durchgängig unverändert.

Auf Rückfrage des Antragsgegners, ob wegen der Kaution die Gewährung eines Darlehens in voller Höhe der Kautionssumme mit nachfolgender Aufrechnung oder die ratenweise Zahlung aus dem jeweiligen monatlichen Leistungsanspruch gewünscht sei, hatte der Antragsteller bereits zuvor mit Schreiben vom 17. August 2021 erklärt, er beantrage die „darlehensweise Übernahme der Kaution und damit einhergehend die Aufrechthaltung in Höhe von 10 % meiner Regelleistung“. Auf eLA Dok. Nr. 18 wird Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 5. Oktober 2021 bewilligte der Antragsgegner das beantragte Darlehen für die Mietkaution in Höhe von 600,- Euro und verfügte dessen Tilgung durch Aufrechnung mit monatlichen Raten in Höhe von 44,60 Euro gegen die dem Antragsteller bewilligten laufenden Leistungen ab 1. November 2021. Im Rahmen der Begründung führte der Antragsgegner unter anderem aus, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezögen, würden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folge, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von zehn Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt (§ 42a Abs. 2 SGB II). Auf eLA Dok. Nr. 66 wird verwiesen.

Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 19. Oktober 2021 Widerspruch ein. Er müsse die Aufrechnung nicht akzeptieren, w...

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