Entscheidungsstichwort (Thema)
Interessenabwägung des Sozialgerichts bei dessen Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes im Wege des einstweiligen Rechtschutzes - Aufrechnung eines Mietkautionsdarlehens des Grundsicherungsträgers
Orientierungssatz
1. Zur Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG muss die Behörde das besondere Interesse hieran schriftlich begründen. Die Begründung muss dabei auf den konkreten Einzelfall bezogen in nachvollziehbarer Weise die Erwägungen erkennen lassen, die die Behörde zur Anordnung der sofortigen Vollziehung veranlasst haben. Formelhafte und pauschale Wendungen bzw. die bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts genügen nicht.
2. Genügt die Begründung des Sofortvollzugs nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil entweder überhaupt keine Begründung vorhanden ist oder diese nicht die inhaltlichen Vorgaben des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG erfüllt, ist die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung betroffen. Sind die von der Behörde in der Begründung angeführten Gründe hingegen inhaltlich nicht tragfähig, betrifft dies die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung und damit eine Frage der Begründetheit des Antrags.
3. Das öffentliche Interesse an der Durchsetzung des Verwaltungsaktes muss das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegen.
4. Der vom Antragsteller angefochtene Bescheid muss nach summarischer Prüfung voraussichtlich rechtmäßig sein.
5. Mietkautionsdarlehen des Grundsicherungsträgers sind nicht von der Aufrechnung nach § 42a Abs. 2 SGB 2 ausgenommen.
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Aufrechnung bezüglich eines gewährten Mietkautionsdarlehens mit laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) im einstweiligen Rechtsschutzverfahren.
Der 1957 geborene Antragsteller bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Antragsteller ist zum 1. September 2021 in eine neue Wohnung umgezogen. Es handelt sich um eine 50qm große Wohnung mit 2 Zimmern. Die Grundmiete beträgt 300,00 € zuzüglich der Vorauszahlungen für Betriebskosten in Höhe von 100,00 € und 65,00 € für Heiz- und Warmwasserbereitungskosten (Gasetagenheizung).
Der Antragsteller beantragte mit Schreiben vom 9. August 2021 neben der Anerkennung der laufenden Aufwendungen für die neue Wohnung als Bedarf auch die Gewährung eines Darlehens zur Aufbringung der Mietkaution in Höhe von 600,00 €. Hierzu führte der Antragsteller aus: „Die Kaution beträgt 600,00 €. Die Ratenzahlung in Höhe von 40,00 € (oder nach Ihrer Rechnung) für die Kaution können Sie monatlich von meiner Regelleistung abziehen bis die Kautionssumme in Höhe von 600,00 € ausgezahlt wird.“
Mit Schreiben vom 10. August 2021 hat der Antragsgegner die Anerkennung der laufenden Aufwendungen für die neue Wohnung zugesichert. Mit Änderungsbescheiden vom 23. August 2021, 2. September 2021 und 27. September 2021 berücksichtigte der Antragsgegner die Kosten der Unterkunft und Heizung im Rahmen der laufenden Leistungsbewilligung.
Mit Bescheid vom 5. Oktober 2021 bewilligte der Antragsgegner zudem ein Darlehen für die Mietkaution in Höhe von 600,00 € und bestimmte die Tilgung durch Aufrechnung mit monatlichen Raten in Höhe von 44,60 € (10% des maßgeblichen Regelbedarfs) gegen die laufenden Leistungen des Antragstellers ab 01. November 2021.
Gegen den Bescheid vom 5. Oktober 2021 legte der Antragsteller mit Schreiben vom 19. Oktober 2021 Widerspruch ein. Die Aufrechnung des Rückzahlungsanspruchs mit den laufenden Leistungen von Grundsicherungsempfängern sei verfassungswidrig. Der Arbeitssuchende sei zu Unrecht verpflichtet 10 % des Betrages seiner Regelleistung für die Tilgung des Darlehens zu verwenden. Wegen der weiteren Begründung wird auf das Widerspruchsschreiben Bezug genommen.
Der Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2021 den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine Aufrechnung zur Tilgung des Mietkautionsdarlehens in Höhe von 10% des maßgeblichen Regelbedarfs sei rechtmäßig. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 28. November 2018, Az.: B 14 AS 31/17 R) bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2019 (1 BvL 7/16) zur Verfassungsmäßigkeit von Minderungen des Arbeitslosengeldes II ergebe auch keinen Anlass für eine andere Beurteilung. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22. März 2012 (B 4 AS 26/10 R) sei zu einer alten Rechtslage ergangen, so dass keine Aussage mehr für die Rechtmäßigkeit der Aufrechnung von Mietkautionsdarlehen unter Berücksichtigung des neuen § 42a SGB II aufgrund dieser Entscheidung abgeleitet werden könne. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 20. Oktober 2021 verwiesen.
Der...