Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragszahnärztliche Vergütung. Gemeinsame Prüfungsstelle der Zahnärzte und Krankenkassen in Hessen. arztbezogene Prüfung der Wirtschaftlichkeit. statistische Prüfmethode. Bildung der Vergleichsgruppe. offensichtliches Missverhältnis. Praxisbesonderheit. Honorarkürzungsbescheid wegen wiederholt festgestellter unwirtschaftlicher Behandlungsweise. sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung. gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Ermessensspielraum der Prüfgremien
Orientierungssatz
1. Im Rahmen einer Auffälligkeitsprüfung ist dem Vertragszahnarzt die Prüfmethode nicht im Vorfeld von Amts wegen bekanntzugeben. Weder aus dem Gesetz noch aus der hier geltenden Prüfvereinbarung lässt sich eine entsprechende verfahrensrechtliche Pflicht herleiten. Diese ergibt sich auch nicht aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach § 24 SGB 10.
2. Zur Wahrung der fünfmonatigen Absetzungsfrist für einen Honorarkürzungsbescheid.
3. Die Bildung einer Vergleichsgruppe unter Beachtung der Mitglieder einer Gemeinschaftspraxis (bestehend aus einem Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg, der zugleich Vertragszahnarzt ist, sowie weiteren zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassenen Mitgliedern) durch Heranziehung der Vergleichsgruppe der MKG-Chirurgen mit vertragszahnärztlicher Zulassung in Hessen einerseits und aller zugelassener Vertragszahnärzte andererseits im Verhältnis 1:3 ist folgerichtig und im Rahmen des Beurteilungsspielraums.
4. Im Rahmen der statistischen Prüfmethode der Wirtschaftlichkeit zahnärztlicher Leistungen ist es zulässig, die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis mit "um 40 %" festzusetzen.
5. Der Vortag, ein erhöhter Behandlungsbedarf entstehe durch die Versorgung von Heimpatienten, die üblicherweise zahnärztlich überhaupt nicht versorgt worden seien, ist kein ausreichend substantiierter Vortrag für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit.
6. Im Falle einer wiederholt festgestellten unwirtschaftlichen Behandlungsweise (hier: Parodontose-Behandlung) ist eine pauschale Honorarkürzung zulässig.
7. Bei der Festlegung der Höhe der Honorarkürzung auf die festgestellte Unwirtschaftlichkeit steht den Prüfgremien regelmäßig ein Ermessensspielraum zu. Gemäß § 54 Abs 2 S 2 SGG ist eine derartige Ermessensentscheidung von den Gerichten nur eingeschränkt überprüfbar.
8. Nach dem Willen des Gesetzgebers genießt gem § 86a Abs 2 Nr 4 SGG, § 106 Abs 5 S 7 SGB 5 grundsätzlich das Vollzugsinteresse Vorrang gegenüber dem Aussetzungsinteresse.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 15. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 85.689,93 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise bezogen auf den Gesamtfallwert im konservierend-chirurgischen Bereich in den vier Quartalen I/08 bis IV/08 und bezogen auf 25 PAR-Behandlungen in Höhe von insgesamt 342.759,73 €.
Die Antragstellerin ist eine Gemeinschaftspraxis. Herr Dr. Dr. A. ist Facharzt für Mund-, Kiefer und Gesichtschirurgie und Zahnarzt, die übrigen Mitglieder sind Zahnärzte. Sie sind zur vertragszahnärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.
Im Rahmen einer Auffälligkeitsprüfung führte die Gemeinsame Prüfungsstelle der Zahnärzte und Krankenkassen in Hessen eine Wirtschaftlichkeitsprüfung der oben genannten Quartale und des Quartals II/09 durch. Die Prüfungsstelle lud die Antragstellerin unter dem 9. Juni 2011 zu einer Prüfsitzung am 11. August 2011 und bat um Übersendung einer Patientenliste mit der Aufforderung, Behandlungsunterlagen bis zum 4. Juli 2011 einzureichen. Die Antragstellerin wies auf den Umfang der Unterlagen hin, die sie erst im August einreichen könne. Daraufhin lud die Prüfungsstelle die Antragstellerin mit Schreiben vom 14. Juli 2011 zu einer Prüfsitzung am 12. Oktober 2011 wiederum mit der Aufforderung, Behandlungsunterlagen bis zum 2. September 2011 einzureichen. Ein Vertagungsersuchen wegen Verhinderung des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin lehnte die Prüfungsstelle zunächst mit Schreiben vom 29. August 2011 ab, lud dann aber zu zwei Prüfsitzungen am 12. Oktober 2011 und 15. Februar 2012, an der jeweils ein Mitglied der Antragstellerin teilnahm. Mit Bescheid vom 8. März 2012 setzte die Prüfungsstelle für die streitigen Quartale eine Gesamthonorarberichtigung in Höhe von 223.783,84 € fest (davon 213.799,33 € betreffend den konservierend-chirurgischen Bereich und 9.984,51 € betreffend Absetzungen in 23 Parodontopathiebehandlungen), die sie unter Berücksichtigung des HVM-Einbehalts auf 189.374,72 € reduzierte. Sie kürzte den Gesamtfallwert auf das 1,5-fache des Gesamtfallwerts der Vergleichsgruppe.
Im Einzelnen nahm sie folgende...