Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunftskosten. längerer Aufenthalt am mietfreien Zweitwohnsitz. örtliche Zuständigkeit. Örtliche Zuständigkeit und Anspruchsbemessung für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose, die mehrere Wohnsitze unterhalten
Leitsatz (redaktionell)
1. Für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose werden die Kosten nur einer Unterkunft berücksichtigt. Besitzt der Hilfebedürftige mehrere Unterkünfte, so wird die Unterkunft berücksichtigt, die er tatsächlich vorrangig nutzt.
2. Der für den Ort des vorrangigen Aufenthalts zuständige Leistungsträger hat über die Höhe der Leistung auch dann zu entscheiden, wenn der Antrag bei dem für eine andere Unterkunft zuständigen Leistungsträger gestellt worden ist.
Orientierungssatz
1. Ein Hilfebedürftiger, der sich bereits seit längerer Zeit überwiegend am Ort des mietfreien Zweitwohnsitzes aufhält (hier zur Pflege Angehöriger), hat dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt iS von § 30 Abs 3 S 2 SGB 1, an den gem § 36 S 2 SGB 2 auch die örtliche Zuständigkeit des Grundsicherungsträgers für die Unterkunftsleistungen gebunden ist.
2. Grundsätzlich können Unterkunftskosten nach § 22 SGB 2 nur für eine einzige Unterkunft anerkannt werden, selbst wenn mehrere Unterkünfte angemietet und rechtlich genutzt werden können. Entscheidend ist in einem solchen Fall die vorrangig tatsächlich genutzte Unterkunft (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 16.6.2006 - L 10 B 488/06 AS ER = FEVS 58, 329).
3. Ist der Wohnraumbedarf des Hilfebedürftigen durch das mietfreie Wohnen in der tatsächlich genutzten Unterkunft am Zweitwohnsitz bereits gedeckt, so können die Unterkunftskosten des Erstwohnsitzes nach § 22 SGB 2 auch bei drohendem Wohnungsverlust nicht übernommen werden.
Normenkette
SGB II § 22 Abs. 1 S. 1, § 19 S. 1 Nr. 1, §§ 36, 37 Abs. 1; SGB I § 30 Abs. 3, § 16 Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2
Tenor
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 11. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Rahmen von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Gewährung von Kosten der Unterkunft (KdU) für ihre Mietwohnung in A-Stadt, obwohl sie sich bereits seit längerer Zeit in B. (Landkreis B.) gewöhnlich aufhält.
Die 1952 geborene Antragstellerin hat ihren Hauptwohnsitz in A-Stadt. Daneben verfügt sie seit vielen Jahren über einen zweiten Wohnsitz in B. unter der Adresse ihres Elternhauses, in dem noch ihre inzwischen pflegebedürftige Mutter lebt.
Die Antragstellerin erhielt seit 1. Januar 2005 von der Antragsgegnerin Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II). In diesen Leistungen waren auch KdU für die Mietwohnung der Antragstellerin in A-Stadt enthalten, allerdings erfolgte nur eine anteilige Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten, weil die Antragstellerin die Wohnung zum Teil untervermietet hat. Für den 1990 geborenen Sohn der Antragstellerin gewährte die Antragsgegnerin keine Grundsicherungsleistungen, da er an einer Maßnahme des Jugendamtes A-Stadt teilnimmt und sich von montags bis freitags in einem Wocheninternat bei C. befindet. Am Wochenende, an Feiertagen und in den Ferien hält er sich bei der Antragstellerin oder bei deren ebenfalls in A-Stadt von der Antragstellerin getrennt lebenden Ehemann, seinem Vater, auf.
Zum 1. März 2007 stellte die Antragsgegnerin die Zahlung der laufenden Leistungen ein, nachdem sie Grund zu der Annahme hatte, dass sich die Antragstellerin nicht mehr in A-Stadt aufhalte. Tatsächlich war die Antragstellerin am 5. Februar 2007 verhaftet worden und Mitte Februar 2007 in Untersuchungshaft nach D. gebracht worden. Ende Februar 2007 wurde sie unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen, musste sich jedoch weiter in B. in ihrem Elternhaus aufhalten und durfte sich lediglich nach vorheriger richterlicher Genehmigung einmal im Monat am Wochenende in ihre Wohnung nach A-Stadt begeben, um sich dort mit ihrem Sohn zu treffen. Die Auflagen sind inzwischen nach Angaben der Antragstellerin aufgehoben, so dass sie nun wieder jedes zweite Wochenende in A-Stadt verbringen kann, um mit ihrem Sohn zusammen zu sein.
In ihrem Elternhaus in B. bewohnt die Antragstellerin mietfrei ein Zimmer und pflegt ihre Mutter, bei der die Pflegestufe I anerkannt ist.
Am 30. März 2007 beantragte die Antragstellerin bei dem Beigeladenen, dem für den Ort B. örtlich zuständigen Grundsicherungsträger, Leistungen nach dem SGB II. Der Beigeladene gewährt seit dem 1. April 2007 die entsprechenden Leistungen. KdU werden nicht gewährt, da die Antragstellerin in B. mietfrei wohnt und einen entsprechenden Antrag auch nicht gestellt hat.
Im März 2007 wandte sich die Antragstellerin nach eigenen Angaben schriftlich an die Antragsgegnerin und bat um Übernahme ihrer laufenden Mietkosten in A-Stadt. Ein entsprechendes Schreiben befindet sich nicht in den Akten der Antragsgegner...