Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. vorläufige Leistungspflicht gem § 43 SGB 1 des zuerst angegangenen Leistungsträgers auch im Hauptsacheverfahren. Verletzung der Beratungspflicht. Ermessensreduzierung auf Null. Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Unterkunft und Heizung. darlehensweise Übernahme einer Mietkaution
Leitsatz (amtlich)
1. Gegenüber dem Leistungsberechtigten ist der zuerst angegangene Träger nach § 43 Abs 1 SGB 1 nicht nur im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, sondern auch im zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren vorläufig leistungsverpflichtet.
2. Klärt der zuerst angegangene Leistungsträger entgegen seiner Beratungspflicht gem § 14 SGB 1 und der Pflicht zur effektiven Leistungsgewährung aus § 17 Abs 1 Nr 1 SGB 1 den Antragsteller nicht darüber auf, dass auf seinen Antrag er die Leistung nach § 43 Abs 1 S 2 SGB 1 zu erbringen hat, reduziert sich sein Ermessen nach § 43 Abs 1 S 1 SGB 1 darauf, auch ohne ausdrücklichen Antrag die Leistung zu erbringen, wenn offenkundig entgegenstehende Interessen des Antragstellers nicht zu erkennen sind.
Tenor
I. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juni 2011 - soweit die Beigeladene zur vorläufigen Leistung verpflichtet ist - wird zurückgewiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unzulässig verworfen.
II. Die Beigeladene hat der Antragstellerin auch die Kosten der Beschwerde zu erstatten.
Gründe
Die am 8. Juli 2011 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegte Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main (SG) vom 6. Juni 2011, ihr zugestellt am 9. Juni 2011, mit dem sie verpflichtet ist,
die Mietkaution für die ab dem 1. Juni 2011 von der Antragstellerin gemietete Wohnung in A-Stadt darlehensweise zu übernehmen,
hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Entscheidung des SG ist nicht zu beanstanden, weil es zutreffend die Voraussetzungen für die getroffene einstweilige Anordnung bejaht hat.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag bei Leistungsbegehren in der Regel durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Regelung treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Danach muss die einstweilige Anordnung erforderlich sein, um einen wesentlichen Nachteil für den Antragsteller abzuwenden. Ein solcher Nachteil ist nur anzunehmen, wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache - möglicherweise - zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund) - zum Maßstab im Einzelnen: Senat, 14.7.2011 - L 7 AS 107/11 B ER stRspr) -.
Der Antragstellerin steht gegenüber der Beigeladenen in der Hauptsache ein Anspruch auf eine darlehensweise Übernahme der Mietkaution (Mietkautionsanspruch) zu. Das bedarf weiterer Ausführungen allein zu der Frage, ob die Beigeladene oder der Antragsgegner verpflichtet ist, die Mietkaution darlehensweise zu übernehmen, weil offenkundig ist, dass nach §§ 41, 42 Nr. 4, 35 Abs. 2 S. 5 und 6 SGB XII idF des Änderungsgesetzes vom 24.3.2011 (BGBl I 453) - SGB XII F. 2011 - diese von einem der beiden Träger zu übernehmen ist und das von ihnen auch nicht bestritten wird. Insbesondere ist das Ermessen nach S. 6 der Vorschrift zu einer Leistungspflicht verdichtet, weil ein atypischer Sonderfall nicht festzustellen ist.
Dem Leistungsanspruch steht auch nicht eine bestandskräftige Ablehnung der Leistungsträger nach § 77 SGG entgegen. Dem Schreiben des Antragsgegners vom 14. Februar 2011 ist bei verständiger Auslegung eine ablehnende Regelung im Sinne des § 31 SGB X schon deshalb nicht zu entnehmen, weil zu diesem Zeitpunkt die Antragstellerin die Übernahme der Kaution noch nicht beantragt hatte. Es handelt sich daher allein um eine vorbeugende - allerdings zumindest missverständliche - Auskunft des Inhalts, ein Mietkautionsanspruch sei allein gegenüber der Beigeladenen gegeben. Ob hingegen das Schreiben der Beigeladenen vom 21. April 2011 eine verbindliche Regelung enthält, kann dahingestellt bleiben, weil für diesen Fall dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zugleich ein Widerspruch zu entnehmen ist. Sollte der Rechtsauffassung zu folgen sein, dass der Widerspruch nach § 84 Abs. 2 S. 1 SGG nicht bei Gericht eingelegt werden kann, wäre das unschädlich, weil für diesen Fall anzunehmen ist, dass das SG als Bote der Antragstellerin mit Übersendung der Antragsschrift den Widerspruch übermittelt hat. Mangels Rechtsmittelbelehrung würde ohnehin gemäß § 66 Abs. 2 S. 1 SGG die Einlegung binnen eines Jahres ab Bekanntgabe möglich sein.
Entgegen der Auffassung der Beigeladenen ist sie auch für das Hauptsacheverfahren, nicht nur im Rahmen einer vorläufigen Regelung im einstweiligen Rechtsschutz, als zuerst angegangener Träger (Erstträger) gegenüber der Antragstellerin gemäß § 43 Abs. 1 S....