Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Anordnung einer individuellen Beratung des Vertragsarztes wegen Überschreiten des Richtgrößenvolumens
Orientierungssatz
1. Die Festsetzung einer Beratung des Vertragsarztes wegen Überschreitung der Richtgröße um 25 % nach dem Grundsatz "Beratung vor Regress" nach § 106 Abs. 5 e SGB 5 stellt einen belastenden Verwaltungsakt dar. Sie tangiert die Berufsfreiheit des Arztes und stellt ein mildes Sanktionsinstrument der Wirtschaftlichkeitsprüfung dar. Sie ist tatbestandliche Voraussetzung eines Regresses wegen einer qualifizierten Richtgrößenüberschreitung. Für sie gelten die allgemeinen Grundsätze für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer hiergegen gerichteten Klage.
2. Prüfungsmaßstab ist eine vom Gericht anzustellende Interessenabwägung, die sich an den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens orientiert.
3. Die Wirkung einer rechtswirksamen Beratung besteht darin, dass der Vertragsarzt die Möglichkeit zu einer zumindest folgenlosen Überschreitung der Richtgröße verliert. Erweisen sich die Einschätzungen der Prüfgremien als unzutreffend, so fehlt es an der Erforderlichkeit der Beratung.
4. In der Zeit, in der die Festsetzung der Beratung noch nicht bestandskräftig ist, trägt der Vertragsarzt für Folgezeiträume das Risiko der Wirtschaftlichkeit seines Verordnungsverhaltens.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 16. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vor dem Sozialgericht Marburg (Az.: S 12 KA 561/13) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. Oktober 2013, mit dem eine individuelle Beratung gem. § 106 Abs. 5e S. 1 SGB V festgesetzt wurde.
Die Antragstellerin ist eine seit dem 1. Februar 2007 bestehende überörtliche Gemeinschaftspraxis mit Praxissitz in A-Stadt. Frau E. D. ist als Fachärztin für Anästhesiologie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in E-Stadt zugelassen. Sie führt die Zusatz-Weiterbildung “spezielle Schmerztherapie". Herr F. D. ist als Facharzt für Orthopädie mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er führt ebenfalls die Zusatz-Weiterbildung “spezielle Schmerztherapie" sowie die Zusatzweiterbildung “physikalische Therapie" und “Chirotherapie".
Die Prüfungsstelle setzte mit Bescheid vom 15. Dezember 2010 einen Regress in Höhe von 20.033,78 Euro (netto) fest. Nach ihren Feststellungen hat die Antragstellerin die sich für sie ergebende Richtgröße in Höhe von 20.636,13 Euro im Jahr 2008 um 185.198,73 Euro, entsprechend 897,45 % überschritten. Die schmerztherapeutische Ausrichtung der Praxis habe zur Berücksichtigung von über 100.000,00 Euro über die Ziffer 30700 geführt, das Mehr an psychotherapeutischer Betreuung sei mit 35.898,20 Euro an Verordnungskosten anerkannt worden, ebenso die Laxantien im Rahmen der Opiat-Therapie mit 1.388,00 Euro. Darüber hinaus sei das Mehr an Neuropathiepräparaten mit 5.938,60 Euro berücksichtigt worden. Der Quantifizierungswert wegen der Teilnahme an der Schmerztherapievereinbarung würde zu einer Kostenentlastung in Höhe von 600.834,60 Euro führen, was bei Verordnungskosten von 97.000,00 Euro ein unrealistischer Wert sei, der keine Anerkennung finden könne. Insgesamt seien damit 11.538,37 Euro formal und 144.204,80 Euro auf Grund von Praxisbesonderheiten entlastend anerkannt worden. Die Osteoporoseversorgung könne nicht als Praxisbesonderheit anerkannt werden, da sich weder aus dem Anteil am Bruttoumsatz der Indikationsgruppe noch aus einzelnen umsatzstarken Präparaten eine Besonderheit ableiten lasse. Die Gesamtüberschreitung habe sich auf einen Betrag von 29.455,56 Euro reduziert. Dieser Wert liege um 142,74 % über dem Richtgrößenvolumen. Es verbleibe nach Abzug sämtlicher berücksichtigungsfähiger Praxisbesonderheiten noch eine Richtgrößenüberschreitung von brutto 24.296,53 Euro = 118 % oberhalb der 25 %-Grenze. Auf Grund von Patientenzuzahlungen und Apothekenrabatten werde eine pauschale Reduzierung von 15,12 % = 3.673,64 Euro vorgenommen, so dass unter Berücksichtigung von 2 % fehlender Verordnungen ein Nettoregress von 20.033,78 Euro verbleibe.
Hiergegen legte die Antragstellerin am 27. Dezember 2010 Widerspruch ein, auf Grund des schmerztherapeutischen Schwerpunktes sei eine Abweichung von der Richtgröße der Orthopäden zwingend geboten.
Der Antragsgegner setzte mit Bescheid vom 9. Oktober 2013 auf Grund des Beschlusses vom 22. Mai 2013 in Abänderung des Bescheids der Prüfungsstelle anstelle eines Arzneimittelregresses für 2008 eine individuelle Beratung gem. § 106 Abs. 5e SGB V fest. Er ging von der Fachgruppe der Orthopäden aus, für die Arzneikostenrichtgrößen in Höhe von 4,22 Euro je M/F-Fall sowie 11,80...