Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Statthaftigkeit der Beschwerde. Zulassungsbedürftigkeit der Berufung in der Hauptsache. Nichtübersteigen eines Beschwerdewerts in Höhe von 750 Euro. monatsweise Bewilligung von Leistungen. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Asylbewerberleistung. Höhe der Bedarfssätze für erwachsene Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften. verfassungskonforme Auslegung. Europarechtskonformität. Anwendungsvorrang des EU-Rechts. Sachleistungsgewährung
Leitsatz (amtlich)
1. § 2 Abs 1 S 4 Nr 1 AsylbLG sowie § 3a Abs 1 Nr 2 Buchst b AsylbLG, § 3a Abs 2 Nr 2 Buchst b AsylbLG genügen nach summarischer Prüfung nicht den Anforderungen aus Art 17 Abs 2 und Abs 5 RL 2013/33/EU (juris: EURL 33/2013) iVm Art 1, 20 EuGrdRCh (juris: EUGrdRCh) an die Bestimmung der Leistungshöhe.
2. Soweit nicht die ausdrücklich genannten Differenzierungsgründe des Art 17 Abs 5 RL 2013/33/EU einschlägig sind, sind darüber hinaus nur solche Differenzierungen "nach unten" gegenüber dem Leistungsniveau für Inländer zu rechtfertigen, die in der individuellen Bedarfssituation der Antragstellerinnen und Antragsteller als um internationalen Schutz nachsuchende Personen begründet sind.
3. Da Art 17 Abs 2 und Abs 5 RL 2013/33/EU Konkretisierungen von Art 1 EuGrdRCh und Art 20 EuGrdRCh sind, greift der Anwendungsvorrang des Unionsrechts.
4. Zur Notwendigkeit und Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung von § 2 Abs 1 S 4 Nr 1 AsylbLG sowie § 3a Abs 1 Nr 2 Buchst b AsylbLG, § 3a Abs 2 Nr 2 Buchst b AsylbLG.
5. Beabsichtigt ein Leistungsträger, Leistungen nach § 2 AsylbLG auf der Grundlage von § 2 Abs 2 AsylbLG teilweise als Sachleistung zu gewähren, so ist durch einen Verfügungssatz zu bestimmen, welche Leistungen konkret in Form der Sachleistung gewährt werden, wenn gleichzeitig ein entsprechender Betrag von der Geldleistungsbewilligung im Übrigen abgezogen werden soll.
6. Zur Beschwer iS des § 172 Abs 3 Nr 1 iVm § 144 Abs 1 SGG bei monatsweiser Bewilligung.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. Januar 2021 aufgehoben und der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig folgende weitere Leistungen nachzuzahlen bzw. zu erbringen:
Für Oktober 2020: 35 €
Für November 2020: 52,98 €
Für Dezember 2020: 63,55 €
Für Januar bis einschließlich Mai 2021 monatlich jeweils: 64,17 €.
Im Übrigen werden der Antrag und die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die angemessenen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller beansprucht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Gewährung höherer Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der 1968 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger und erstmalig am 11. Mai 2019 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er stellte am 7. August 2019 bei der Außenstelle C-Stadt des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge einen Asylantrag, über den noch nicht entschieden worden ist. Seit März 2020 - nach entsprechender Zuweisung durch das Regierungspräsidium Darmstadt mit Zuweisungsbescheid vom 2. März 2020 - bezieht er Leistungen nach dem AsylbLG vom Antragsgegner. Der Antragsteller ist in einer vom Antragsgegner bereitgestellten Gemeinschaftsunterkunft untergebracht. Er ist Inhaber einer Aufenthaltsgestattung.
Der Antragsteller leidet nach seinen unwidersprochen gebliebenen Angaben unter Morbus Parkinson und lebt in der Gemeinschaftsunterkunft A-Straße, A-Stadt, auf Distanz zu den übrigen sehr viel jüngeren Mitbewohnern. Er lebt in einem Einzelzimmer mit eigener Küchenzeile. Lediglich das Bad teilt er sich mit einer vierköpfigen türkischen Familie mit zwei Kindern, die in dem Zimmer gegenüber leben. Mit der Familie teilt er sich weder Hygieneartikel noch Nahrungsmittel oder anderes.
Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 2. März 2020 für den Monat März 2020 Leistungen anteilig in Höhe von 171,29 €, für den Monat April 2020 in Höhe von 316 € (Leistungen nach § 3a Abs. 1 AsylbLG: 139 € und Leistungen nach § 3a Abs. 2 AsylbLG: 177 €; vgl. Behördenakte des Antragsgegners, Teilbereich HLU, Bl. 9 f.). In dem auf die betragsmäßige Bewilligung folgenden Absatz heißt es: „Den Betrag für den laufenden Monat haben wir zur Zahlung angewiesen. Die Beträge für die Folgemonate werden wir jeweils monatlich im Voraus an die in der Anlage aufgeführten Zahlungsempfänger überweisen, solange sich ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geändert haben.“ Hinsichtlich der Gewährung der Leistungen über den Monat April 2020 hinaus wird im Bescheid vom 2. März 2020 unter „Allgemeine Hinweise“ ausgeführt: „Die bewilligte(n) Leistung(en) wird (werden) zunächst nur für einen Monat und unter dem Vorbehalt gewährt, dass sich die vom Leistungsempfänger angegebenen und der Bewilligung zugrunde gelegten Verhältnissen nicht ändern. Ist der Leistungsbez...