Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsversagung wegen fehlender Mitwirkung. keine sofortige Vollziehbarkeit nach § 39 SGB 2. Rechtsschutzbedürfnis
Leitsatz (amtlich)
Auch nach den mit dem Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016 (BGBI I S 1824; im Folgenden: Rechtsvereinfachungsgesetz) bewirkten Änderungen des Sozialgesetzbuches Zweites Buch (SGB II), konkret von § 39 Nr 1 SGB II, sind Versagensbescheide nach § 66 Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - weiterhin - nicht von Gesetzes wegen sofort vollziehbar.
Allerdings erreicht der Betroffene im Falle der Versagung sein vorläufiges Rechtsschutzziel noch nicht, wenn diese nicht vollzogen werden kann: Auch wenn sich der Antragsgegner wegen der aufschiebenden Wirkung vorläufig nicht auf die Versagung berufen darf, steht damit nämlich noch nicht fest, dass dem Antragsteller - und sei es auch nur vorläufig - Leistungen zu gewähren sind. Für eine isolierte Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Versagensbescheid fehlt es daher am Rechtsschutzbedürfnis.
Tenor
I. Der Antrag des Berufungsklägers, „festzustellen, dass der Widerspruch gegen den Bescheid [des Antragsgegners] vom 05.08.2016 aufschiebende Wirkung hat und der Beklagte die aufschiebende Wirkung nicht beachtet“, wird abgelehnt.
II. Die Beteiligten haben einander Kosten für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich mit einem als Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu qualifizierenden Begehren gegen die Versagung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) im Jahre 2016.
Nachdem der Antragsgegner auf einen ersten, im November 2015 gestellten Antrag des Antragstellers laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch durch Bescheid vom 4. Februar 2016 und Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2016 insbesondere wegen Unklarheiten hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung vollständig versagt hatte, stellte der im Jahre 1982 geborene Antragsteller am 14. April 2016 erneut einen Antrag auf Arbeitslosengeld II (Leistungsakte - im Folgenden: LA - Bl. 135 ff.). Auch auf diesen erneuten Antrag hin versagte der Antragsgegner die Leistungen auf der Grundlage von § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I), und zwar durch Bescheid vom 5. August 2016 (LA Bl. 198 ff.), da der Antragsteller wiederum seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei. Hiergegen legte dieser, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, am 10. August 2016 Widerspruch (LA Bl. 216) ein und machte dabei ergänzende Angaben zur Sache.
Anträge auf gerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz, die der Antragsteller zeitnah zu diesen Anträgen angebracht hatte, blieben erfolglos (Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 11. Mai 2016 - S 24 AS 99/16 ER - und anschließend Beschlüsse des Hess. Landessozialgerichts vom 1. Juni 2016 - L 9 AS 420/16 B ER - und vom 13. Juli 2016 - L 9 AS 488/16 RG -; Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. Juli 2016 - S 24 AS 720/16 ER - und anschließend Beschluss des Hess. Landessozialgerichts vom 29. Juli 2016 - L 9 AS 557/16 B ER -, wobei in diesem Verfahren der Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen der laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem 4. Juli 2016 streitig war).
Mit Schreiben vom 3. November 2016 (LA Bl. 224), eingegangen am 8. November 2016, teilte der Antragsteller persönlich dem Antragsgegner mit, dass er seinen Widerspruch gegen dessen Bescheid zurücknehme. Er werde seiner Anwältin das Mandat entziehen und wolle kein Gerichtsverfahren mehr.
Auf einen neuen, bald darauf - am 15. November 2016 - beim Antragsgegner eingegangenen Antrag (LA Bl. 229 ff.) gewährte dieser dem Antragsteller schließlich durch Bescheid vom 16. Juni 2017 - nachdem er die Leistungen zunächst erneut vollständig versagt hatte - Leistungen ab dem 1. Februar 2017.
Die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat in dessen Namen am 18. April 2018 Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Darmstadt wegen der Bescheidung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 5. August 2016 erhoben. Sie hat vorgetragen, sie selbst habe bei durchgängiger Bevollmächtigung - der Antragsteller habe das Mandat zu keiner Zeit beendet - den Widerspruch nicht zurückgenommen. Auch der Antragsteller habe dies nicht tun wollen. Er habe nicht verstanden, was er unterschreibe, da er nicht gut Deutsch könne. Er habe nicht gewusst, dass er damit auf gesetzliche Ansprüche verzichte. Auch sei anhand des Widerspruchsschreibens nicht zu erkennen, welcher Widerspruch gegen welchen Bescheid zurückgenommen werde. Es ...