Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgeld. Höhe des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung. Laktose- und Fruktoseintoleranz. Darlegungspflicht
Leitsatz (amtlich)
Zu den Darlegungspflichten des Leistungsberechtigten bei Geltendmachung eines höheren Mehrbedarfs bei kostenaufwändiger Ernährung, wenn ein ernährungsbedingter Mehraufwand von 30 Prozent des in der Regelleistung enthaltenen Betragsanteils für Nahrungsmittel und Getränke bereits rechtskräftig zuerkannt ist.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 27. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Klägerin zu 2) wegen kostenaufwändiger Ernährung.
Die Klägerin zu 1) und ihre 1996 geborene Tochter, die Klägerin zu 2), beziehen seit dem Jahr 2005 Leistungen nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2008 wandte sich die Klägerin zu 1) an den damals zuständigen Leistungsträger, den Main-Kinzig-Kreis (MKK), und teilte mit, dass bei der Klägerin zu 2) nach einem Krankenhausaufenthalt vom 31. August 2008 bis 2. September 2008 eine Laktose- und Fruktoseunverträglichkeit festgestellt worden sei und beantragte die Bewilligung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung. Sie legte ein ärztliches Attest von Dr. QQ. vom 30. September 2008 vor, wonach bei der Klägerin zu 2) durch Atemtests eine Laktoseintoleranz und eine Fruktosemalabsorption nachgewiesen worden sei. Auf eine fruktose- und laktosearme Diät sei zu achten.
Mit Bescheid vom 22. Oktober 2008 lehnte der MKK den Antrag mit der Begründung ab, dass die Kriterien für die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung nicht vorlägen. In ihrem Widerspruch vom 4. November 2008 machten die Klägerinnen geltend, dass aufgrund der festgestellten Laktose- und Fruktoseunverträglichkeit ein Mehrbedarf in Höhe von 71,58 € monatlich zu gewähren sei. Bei Laktose- und Fruktoseunverträglichkeit bzw. Intoleranz sei eine glutenfreie Kost erforderlich.
Die MKK wies mit Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 2008 den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach den neuesten ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen, die u.a. in die für die Beurteilung eines Mehrbedarfs heranzuziehenden Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (Stand Oktober 2008) mündeten, sei für die bei der Klägerin zu 2) festgestellte Laktoseintoleranz und Fruktosemalabsorption die Gewährung eines Mehrbedarfs nicht erforderlich.
Am 9. Februar 2009 haben die Klägerinnen beim Sozialgericht Fulda Klage erhoben, die sich zunächst auch noch gegen andere Bescheide des MKK richtete. Im Laufe des Klageverfahrens ist der Beklagte im Wege der Funktionsnachfolge an die Stelle des MKK getreten. Die Klägerinnen haben vorgetragen, die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge könnten für Kinder und Jugendliche keine Anwendung finden.
Der Beklagte hat vorgetragen, die Notwendigkeit, bestimmte Lebensmittel zu vermeiden, führe nicht zwangsläufig zu höheren Kosten.
In einem gerichtlichen Vergleich vom 24. Juni 2009, der die anderen Streitgegenstände dieses Verfahrens sowie weitere Verfahren erledigte, erklärte sich der Beklagte bereit, wenn die Klage hinsichtlich des ernährungsbedingten Mehraufwands Erfolg haben sollte, diesen ab dem 1. August 2008 nachzuzahlen.
Im weiteren Verfahren reichten die Klägerinnen einen Bericht der WW-Kliniken gGmbH vom 23. September 2008 nach, der als Diagnosen eine Laktoseintoleranz und Fruktoseunverträglichkeit angibt. Weiter heißt es: “Wir empfehlen eine laktosearme sowie fruktosearme Diät für zunächst 6 Monate sowie eine Kontrolle der H2-Atemteste in 6 Monaten„. Dr. QQ. führt in seinem Schreiben vom 4. September 2009 an das Sozialgericht aus: “… es gilt die Empfehlung, sich laktosefrei zu ernähren. Dies bedeutet in praxi den Verzicht auf Milchzucker in allen Varianten; eine Ernährung mit laktosefreien Produkten (sogenannte Minus L-Produkte) ist möglich. Dies sind heutzutage in jedem Supermarkt zu erstehen.„ Eine Spezialnahrung sei nicht nötig. Ob die sogenannten Minus-L-Produkte teurer seien, vermöge er nicht zu sagen. Die Klägerinnen trugen hierzu vor, laktosefreie Produkte seien fast ausschließlich in Spezialgeschäften und in “gut sortierten„ Supermärkten, nicht jedoch bei Discountern zu erhalten. Sie seien zum Teil bis zu 100 Prozent teurer als laktosehaltige Lebensmittel.
Nach weiteren Ermittlungen zum Sortiment des Discounters XY. hat das Sozialgericht Fulda der Klage mit Urteil vom 27. Oktober 2010 stattgegeben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin zu 2) seit Antragstellung einen monatlichen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 30 % des in der Regelleistung enthaltenen Betragsanteils für Nahrungsmittel und Getränke zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, na...