Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung. Anhängigkeit der streitigen Rechtsfrage in anderen (hier eigenen) Verfahren. Beurteilung der Mutwilligkeit bei existenzsichernden bzw zeitgebundenen Leistungen
Leitsatz (amtlich)
1. Mutwilligkeit kann nicht ausschließlich dann angenommen werden, wenn die im Zentrum der Auseinandersetzung stehende Frage bereits Gegenstand eines bei dem Bundesverfassungsgericht, dem Bundessozialgericht oder einem anderen höchsten Bundesgericht anhängigen oder eines sonstigen als "Musterverfahren" ausgezeichneten Verfahrens ist (vgl BVerfG vom 18.11.2009 - 1 BvR 2455/08 = BVerfGK 16, 406). Denkbar ist dies vielmehr auch, wenn die Rechtsfrage (nur) Gegenstand anderer instanzgerichtlicher Verfahren ist, weil auch diese unter Umständen wertvolle Erkenntnisse für das eigene Verfahren liefern und damit dessen (weitere) Durchführung entbehrlich machen können.
2. Insbesondere wenn es um Leistungen der Existenzsicherung oder andere in starkem Maße zeitgebundene Leistungen geht, ist in diesem Fall - hinreichende Erfolgsaussichten vorausgesetzt - die Annahme von Mutwilligkeit mit Blick auf den Zweck der Prozesskostenhilfe und dessen verfassungsrechtliche Verankerung aber nur dann gerechtfertigt, wenn für den Beteiligten
(a) erkennbar ist, ob sein Verfahren mit dem oder den Verfahren, deren Ausgang er abwarten soll, hinreichend vergleichbar ist,
(b) abschätzbar ist, ob die in seinem Verfahren relevante Rechtsfrage in dem vorgängigen Verfahren auch tatsächlich entschieden werden wird und
(c) die Durchführung des in Frage stehenden weiteren Verfahrens voraussichtlich nicht zu einer beschleunigten Klärung führen kann. Das wird regelmäßig (nur) dann der Fall sein, wenn er auch an dem vorgängigen Verfahren selbst beteiligt ist, in aller Regel aber ausscheiden, wenn es sich um für ihn "fremde" Verfahren handelt und zu diesen noch keine veröffentlichte (oder für den Beteiligten sonst zugängliche) erstinstanzliche Entscheidung vorliegt, die eine tragfähige Grundlage für die Einschätzung liefern kann, ob die ihn interessierende Frage in dem oder den vorgängigen Verfahren tatsächlich auch geklärt werden kann und wird.
Orientierungssatz
Hier: Versagung von Prozesskostenhilfe bei einem bereits anhängigen, parallel gelagerten "eigenen" Klageverfahren. Für den Fall der Anhängigkeit von "fremden" Verfahren vgl LSG Darmstadt vom 27.11.2019 - L 6 AS 185/19 B.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 6. Juni 2019 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin mit dem sinngemäß gestellten Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 6. Juni 2019 aufzuheben und ihr Prozesskostenhilfe für das dort unter dem Aktenzeichen S 6 AS 251/19 geführte Verfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt C., C-Stadt, zu gewähren,
ist zulässig, aber begründet. Der Antragstellerin steht ein Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von RA C., C-Stadt, nicht zu.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt voraus, dass die Antragstellerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, das Begehren hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung – ZPO –). Mutwillig ist die Rechtsverfolgung, wenn eine Beteiligte, die keine Prozesskostenhilfe beanspruchen kann, sondern die Kosten der Prozessführung im Falle ihres Unterliegens aus eigenen Mitteln aufbringen müsste, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 2 ZPO). Dabei sind die Maßstäbe für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Blick auf deren Zweck und dessen verfassungsrechtliche Verankerung im allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz – GG –) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) so auszulegen, dass eine weitgehende Angleichung der Situation von bemittelten und unbemittelten Beteiligten bei der Verwirklichung gerichtlichen Rechtsschutzes erreicht wird (vgl. für die st. Rspr. des BVerfG, Beschl. v. 4. Februar 2004 – 1 BvR 1172/02 –, NJW-RR 2004, S. 1053 und Beschl. v. 28. November 2007 – 1 BvR 68/07 –, juris).
Ausgehend von diesen Grundsätzen kann den Klägern Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden. Der Senat ist der Auffassung, dass die Rechtsverfolgung der Antragstellerin als mutwillig zu qualifizieren ist, nachdem der Beklagte angeboten hatte, das von ihr eingeleitete Widerspruchsverfahren ruhend zu stellen und die Ergebnisse eines Parallelverfahrens der Beteiligten, in denen das von ihm angewendete Konzept zur Beur...