Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen einen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ablehnenden Bescheid wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten. keine sofortige Vollziehbarkeit. keine Mitwirkungspflicht des Hilfebedürftigen im Hinblick auf die rechtliche Überprüfung seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Versagungsbescheid haben aufschiebende Wirkung. Für die Annahme der sofortigen Vollziehbarkeit fehlt eine gesetzliche Grundlage; eine solche ergibt sich insbesondere nicht aus einer entsprechenden Anwendung von § 39 Nr 1 SGB 2 in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung.

2. Fordert der Leistungsträger im Rahmen der Mitwirkung den Nachweis, dass der Hilfebedürftige seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis einer rechtlichen Überprüfung zuführt, stellt dies keine vom Gesetzgeber als mitwirkungspflichtig normierte Handlung iS §§ 60ff SGB 1 dar; der Leistungsträger kann in diesem Fall nur die Aufhebung der Leistungsbewilligung gem §§ 45ff SGB 10 wegen möglicher anderweitiger Bedarfsdeckung prüfen.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 12. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde der Antragsgegnerin mit dem sinngemäßen Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 12. Oktober 2010 hinsichtlich der Nr. 1 abzuändern und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 2. September 2010 gegen den Bescheid vom 20. August 2010 zurückzuweisen sowie als Folge dessen die unter Nr. 2 des Beschlusses ausgesprochene Aufhebung der Vollziehung des Bescheides vom 20. August 2010 rückgängig zu machen,

ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat mit zutreffender Begründung festgestellt, dass der Widerspruch des Antragstellers vom 2. September 2010 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. August 2010, mit welchem diese dem Antragsteller und den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft die durch Bescheid vom 21. Juni 2010 für den Zeitraum vom 7. Juni bis 31. Dezember 2010 bewilligte Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) auf der Grundlage von § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ab 1. September 2010 versagt hat, aufschiebende Wirkung hat und daher die Vollziehung des Bescheides vom 20. August 2010 aufzuheben war.

Der angefochtene Beschluss legt die gegebene Sach- und Rechtslage zutreffend dar, weshalb zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses gemäß § 142 Abs. 2 S. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Bezug genommen wird.

Die entgegenstehende, von der Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung vertretene Rechtsauffassung, wonach Entscheidungen des Leistungsträgers im Rahmen des § 66 SGB I in entsprechender Anwendung des § 39 Sozialgesetzbuch II sofort vollziehbar seien, teilt der Senat nicht.

Gemäß § 39 SGB II in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I, S. 2917) haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,

1. der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Eingliederung in Arbeit regelt,

2. der den Übergang eines Anspruchs bewirkt,

3. mit dem zur Beantragung einer vorrangigen Leistung oder

4. mit dem nach § 59 in Verbindung mit § 309 des Dritten Buches zur persönlichen Meldung bei der Agentur für Arbeit aufgefordert wird,

keine aufschiebende Wirkung.

Die Versagung von Leistungen gemäß § 66 SGB I als Folge mangelnder Mitwirkung wird von der Regelung schon dem Wortlaut nach nicht erfasst; die für die Rechtsfolge des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung vorgesehenen Fallvarianten sind enumerativ und abschließend - nicht etwa exemplarisch - aufgezählt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. April 2010, L 7 AS 304/10 ER-B - juris -; a. A.: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 8. März 2010, L 13 AS 34/10 B ER - juris -). Hieraus ist - wie auch das Sozialgericht zutreffend angenommen hat - der Schluss zu ziehen, dass es sich bei der Leistungsversagung nicht um einen Tatbestand handelt, der den für den Ausnahmefall vorgesehenen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eines eingelegten Rechtsmittels rechtfertigt.

Eine entsprechende und damit den Geltungsbereich ausdehnende Anwendung der Regelung auf den Tatbestand von Widerspruch und Klage gegen die vollständige Versagung von Leistungen wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten begegnet schon angesichts des Ausnahmecharakters der Regelung und der gleichzeitig durch den Regelungsgehalt bewirkten Beschneidung von Rechten der...

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