Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. Absetzung von Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen. Unterhalt für ein volljähriges Kind nach Vollendung des 21. Lebensjahres. Nichtbestehen der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung bei fehlender Leistungsfähigkeit. Überprüfbarkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Unterhaltsbezogene Aufwendungen sind nur dann nach § 11b Abs 1 S 1 Nr 7 SGB II vom Einkommen absetzbar, wenn sie auf einer gesetzlichen Verpflichtung zur Unterhaltszahlung beruhen. Eine solche besteht zumindest gegenüber einem Kind, welches das 21. Lebensjahr vollendet hat, nicht, wenn der Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit zuzüglich dem ergänzenden Arbeitslosengeld II den zivilrechtlichen Selbstbehalt unterschreitet und keine Verletzung der unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheit vorliegt.
2. Jedenfalls in den Fällen, in denen eine gesetzliche Unterhaltspflicht offensichtlich nicht besteht oder der Unterhaltsschuldner sich einseitig zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet hat, sind die Jobcenter und die Gerichte befugt, das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht zu prüfen.
Orientierungssatz
1. Die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung setzt nach §§ 7 Abs. 1, 9 SGB 2 die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers voraus.
2. Von dessen Einkommen sind nach § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB 2 unterhaltsbezogene Aufwendungen nur dann absetzbar, wenn sie tatsächlich erbracht worden sind, auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruhen und die Unterhaltspflicht tituliert ist (BSG Urteil vom 8. 2. 2017, B 14 AS 22/16 R).
3. Titulierte Unterhaltszahlungen, die nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruhen, sind dagegen nicht als Absetzbeträge vom Einkommen zu berücksichtigen (BSG Urteil vom 9. 11. 2010, B 4 AS 78/10 R).
4. Die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG schützt vor der Auferlegung von Unterhaltsleistungen, welche dazu führen, dass der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern (BVerfG Beschluss vom 20. 8. 2001, 1 BvR 1509/97).
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. Juni 2017 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Der 1959 geborene Antragsteller hat die deutsche Staatsangehörigkeit und ist selbständiger Dolmetscher und Übersetzer. Er hat einen 1995 geborenen Sohn, welcher die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit besitzt und in C-Stadt/Türkei bei seiner Mutter wohnt.
Der Antragsteller erhält (im Anschluss an einen Leistungsbezug beim Jobcenter Darmstadt) seit 1. April 2013 Leistungen des Antragsgegners nach dem SGB II. Sein Sohn ist seit dem 8. Oktober 2013 an der Universität Istanbul immatrikuliert. Ausweislich der Urkunde des Jugendamtes Kreis Bergstraße vom 28. Oktober 2013 verpflichtete sich der Antragsteller für den Zeitraum Mai 2013 bis April 2017 zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltes in Höhe von 300,00 Euro an seinen Sohn. Der Antragsgegner berücksichtigte daraufhin monatlich 300,00 Euro als einkommensmindernden Absetzungsbetrag.
Mit Bescheid vom 27. März 2017 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller vorläufig Leistungen für April 2017 in Höhe von 787,16 Euro und für Mai bis September 2017 in Höhe von monatlich 487,16 Euro. Die Bewilligung erfolge vorläufig, weil das zu berücksichtigende Einkommen noch nicht feststehe. Dabei ging der Antragsgegner von einem monatlichen Gewinn in Höhe von 531,05 Euro aus, der um den Grundfreibetrag von 100,00 Euro und einen weiteren Freibetrag in Höhe von 86,21 Euro bereinigt wurde, wobei lediglich für April zusätzlich Unterhaltszahlungen von 300,00 Euro als einkommensmindernd anerkannt wurden. Zur Begründung hierzu führte der Antragsgegner in dem Bescheid aus, dass aufgrund der Urkunde des Jugendamtes über die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung die Unterhaltszahlung an den Sohn des Antragstellers bis 30. April 2017 begrenzt sei. Der Bescheid enthält zudem auf Seite 3 folgende Formulierung: "Bitte beachten Sie, dass Betriebsausgaben, die in der Aufstellung ausdrücklich nicht berücksichtigt werden, auch im Rahmen der abschließenden Entscheidung grundsätzlich keine Berücksichtigung finden." In der Liste der Zahlungsempfänger ist unter anderem der Antragsgegner genannt, zu dessen Gunsten monatlich ein Betrag von 39,10 Euro und für September 2017 von zweimal 39,10 Euro aufgeführt wird.
Am 30. März 2017 ließ der Antragsteller eine Erklärung vor dem Notar D. notariell beurkunden, wonach er sich verpflichtete, seinem Sohn monatlich Unterhalt in Höhe von 400,00 Euro ab Mai 2017 für die Dauer von drei Jahren zu zahlen, wobei er ich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwarf.
Mit Schreiben vom 1. April 2017 legte ...