Entscheidungsstichwort (Thema)
Absenkung des Arbeitslosengeld II. Minderung um mehr als 30 % der maßgebenden Regelleistung. Ausnahme von der Verpflichtung zur gleichzeitigen Entscheidung über ergänzende Sachleistungen
Leitsatz (amtlich)
Der Leistungsträger darf über die Absenkung nach § 31 SGB 2 idF des Änderungsgesetzes vom 10.10.2007 (BGBl I 2326) - SGB 2 aF - nur entscheiden, ohne zugleich ergänzende Sach- oder geldwerte Leistungen nach § 31 Abs 3 S 6 und 7 SGB 2 aF zu gewähren, wenn
a) hinsichtlich der ergänzenden Leistungen Entscheidungsreife noch nicht eingetreten ist,
b) im Absenkungsbescheid ein Hinweis enthalten ist, der den Hilfebedürftigen hinreichend darüber informiert, dass auf seinen Antrag ergänzende Leistungen ggf zu erbringen sind,
c) auf den rechtzeitigen Antrag des Hilfebedürftigen ergänzende Leistungen noch zu Beginn des Absenkungszeitraumes erbracht werden können.
Tenor
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
II. Kosten der Beschwerde sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Senat hat von Amts wegen das Rubrum berichtigt, weil nach § 6d 2. Alt. SGB II der Antragsgegner den Zusatz Jobcenter in seine Trägerbezeichnung aufzunehmen hat.
Die am 1. November 2010 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des SG vom 4. Oktober 2010 mit dem sinngemäßen Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. Oktober 2010 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Absenkungsbescheid des Antragsgegners vom 26. Juli 2010 anzuordnen,
hat in der Sache keinen Erfolg.
Statthaft ist das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und S. 2 SGG.
Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen (Anfechtungs-) Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (S. 1). Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht auch die Aufhebung der Vollziehung anordnen (S. 2).
Der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Absenkungsbescheid des Antragsgegners vom 26. Juli 2010, mit dem für den Zeitraum vom 1. August 2010 bis 31. Oktober 2010 der vollständige Wegfall der Regelleistung und der Leistung zur Deckung des Mehrbedarfs als Alleinerziehende angeordnet ist, entfaltet nach § 39 SGB II keine aufschiebende Wirkung, so dass ein Antrag auf deren gerichtliche Anordnung statthaft ist.
Die Antragstellerin könnte ihr einstweiliges Rechtsschutzziel auch vollständig mit einer entsprechenden gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung erreichen. Hinsichtlich des Bewilligungszeitraumes vom 1. August 2010 bis 30. September 2010 folgt das schon daraus, dass mit der Absenkung zugleich eine Abänderung des Bewilligungsbescheids vom 22. März 2010 für die Zukunft gemäß § 48 SGB X verbunden ist (vgl. BSG, 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R und B 4 AS 30/09 R). Tritt aufschiebende Wirkung ein, hat der Antragsgegner Arbeitslosengeld II wieder auf Grundlage des Bewilligungsbescheids vom 22. März 2010 zu erbringen. Im Ergebnis verhält es sich so jedoch ebenfalls für den Leistungsmonat Oktober 2010. Zwar hat im Zeitpunkt des Erlasses des Absenkungsbescheides der Antragsgegner für den Monat Oktober 2010 überhaupt noch keine Leistungen bewilligt, so dass zum damaligen Zeitpunkt allein mit der aufschiebenden Wirkung die Antragstellerin für Oktober 2010 keine vorläufigen Leistungen erhalten konnte. Insoweit wäre es erforderlich gewesen, den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG zu verbinden (vgl. Bayerisches LSG, 9.2.2011 - L 16 AS 829/10 B ER). Mit Bewilligungsbescheid vom 10. September 2010 hat der Antragsgegner jedoch Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für die Antragstellerin und ihre Tochter ab 1. Oktober 2010 weiterbewilligt. Bei verständiger Auslegung des Bewilligungsbescheids ist dem Berechnungsblatt zu entnehmen, dass für die Antragstellerin Arbeitslosengeld II in voller Höhe bewilligt ist, soweit der Verfügungssatz des Absenkungsbescheides nicht zu einer Minderung führt. Deshalb bewirkte ebenso für Oktober 2010 die aufschiebende Wirkung des Absenkungsbescheides einen vorläufigen Auszahlungsanspruch der Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 10. September 2010, ohne dass es einer weiteren gerichtlichen Anordnung nach § 86 Abs. 2 SGG bedürfte.
Einen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage sieht § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG nicht vor. Entscheidungserheblich ist, ob im Rahmen einer offenen Interessenabwägung einem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes Vorrang gegenüber schützenswerten Interessen des Adressaten einzuräumen ist (...