Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Arbeitsleben. Kraftfahrzeughilfe. Gewährung eines zinslosen Darlehens zur Finanzierung des Erwerbs einer Fahrerlaubnis der Klasse B. Angewiesensein auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges

 

Orientierungssatz

1. Am Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs 3 KfzHV für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Kraftfahrzeughilfe fehlt es, wenn ein behinderter Mensch nicht zwingend auf ein Kraftfahrzeug angewiesen, um die ihm obliegenden Tätigkeiten als Helfer in der Landwirtschaft im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderter Menschen auszuüben, weil er die Betriebswege mit dem Fahrrad zurücklegen kann.

2. Am Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs 1 KfzHV für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Kraftfahrzeughilfe fehlt es, wenn für den behinderten Menschen zumutbare Alternativen bestehen, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen (hier: Fahrdienst der Werkstatt).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 17.08.2017; Aktenzeichen B 8 SO 46/17 B)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 25. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

3. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Gewährung eines zinslosen Darlehens zur Finanzierung des Erwerbs einer Fahrerlaubnis der Klasse B.

Der 1991 geborene Kläger ist ein schwerbehinderter Mensch und pflegebedürftig; er lebt im selben Haus wie seine Eltern. Das Hessische Amt für Versorgung und Soziales stellte bei ihm zuletzt wegen einer "Epilepsie" und wegen "Entwicklungsstörungen" einen Grad der Behinderung von 90 sowie die Merkzeichen "G" und "B" fest.

Ende 2010 wechselte der Kläger aus dem Berufsbildungsbereich der D.-Werkstätten in den Arbeitsbereich dieser Werkstatt für behinderte Menschen. Zugleich übernahm der Beklagte die Kostenträgerschaft von der Bundesagentur für Arbeit. Auf der Grundlage einer amtsärztlichen Stellungnahme (Diagnosen: Intelligenzminderung, Hirnanfallsleiden) stellte der Beklagte eine wesentliche geistige Behinderung fest, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werde. Daraufhin bewilligte er mit Bescheid vom 15. Dezember 2010 Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in teilstationären Einrichtungen. Die konkrete Tätigkeit des Klägers bestand von Anfang an im Wesentlichen aus Mithilfe in der Landwirtschaft. Schon als Kind half er gern auf einem ortsansässigen Bio-Bauernhof aus und entwickelte ein fast familiäres Verhältnis zu den Betreibern. Dieser Bauernhof fungiert zugleich als Außenarbeitsplatz der D.-Werkstätten. Mit Wirkung zum 1. März 2011 wurde ein entsprechender Beschäftigungsvertrag als Anhang zum Werkstattvertrag geschlossen und seitdem fortlaufend verlängert.

Im März 2011 beantragten die Eltern und Betreuer des Klägers für diesen bei dem Beklagten die Kostenübernahme für den Führerschein Klasse B. Dieser sei für den Kläger zur Ausübung seines Berufs zwingend erforderlich. Dem Antrag war eine ärztliche Bescheinigung beigefügt, wonach bei Anfallsfreiheit seit mindestens 2006 keine Bedenken gegenüber dem Führen von Fahrzeugen oder dem Arbeiten an landwirtschaftlichen Geräten bestünden. Der Betreiber des Bauernhofs gab an, der Kläger benötige einen Führerschein Klasse L und/oder T; ein Pkw-Führerschein wäre darüber hinaus "von Vorteil". Im Verwaltungsverfahren teilte der Vater des Klägers laut einem Aktenvermerk des Beklagten telefonisch mit, die Familie sei umgezogen. Der neue Wohnsitz sei abgelegen und der Kläger könne daher keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen. Nach einem diesbezüglichen Gespräch mit allen Beteiligten erstellte der Beklagte einen Gesamtplan. Danach sei von Seiten des Beschäftigungsbetriebs erklärt worden, der Führerschein der Klasse L sei derzeit und perspektivisch für die nächsten Jahre ausreichend; größere Traktoren werde der Kläger zunächst ohnehin nicht fahren. Auf Mitteilung des Beklagten, die (höheren) Kosten der Klasse B nicht zu übernehmen, wurde die Möglichkeit einer Darlehensgewährung erörtert.

Im Mai 2012 beantragten die Eltern und Betreuer des Klägers für diesen daraufhin bei dem Beklagten die Gewährung eines zinslosen Darlehens über 2.000,00 € zur Finanzierung des Erwerbs einer Fahrerlaubnis der Klasse B und boten an, dieses in monatlichen Raten von 35,00 € zurückzuzahlen. Mit Bescheid vom 15. August 2012 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Die Voraussetzungen für die Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe seien insoweit nicht erfüllt. Der Beschäftigungsbetrieb habe bestätigt, dass der Führerschein der Klasse B für die Arbeit auf dem Bauernhof nicht zwingend erforderlich sei. Ausreichend sei ein Führerschein der Klasse L. Nach dessen Erwerb dürfe der Kläger auch ein Mofa benutzen, mit dem er auch den Weg zur Arbeit selbst...

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