Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. angemessene Unterkunftskosten. Landkreis Gießen. Nichtvorliegen eines schlüssigen Konzepts. Anerkennung unangemessener Aufwendungen nach § 22 Abs 1 S 3 SGB 2. Kenntnis des Leistungsberechtigten von der Unangemessenheit bei Anmietung der Wohnung. Möglichkeit und Zumutbarkeit eines Umzuges
Leitsatz (amtlich)
1. Das Konzept des Landkreises Gießen zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung aus dem Jahr 2012 ist nicht schlüssig im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
2. § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II ist prinzipiell nicht anwendbar, wenn der Leistungsberechtigte bereits im Leistungsbezug steht, eine neue Wohnung anmietet, deren Aufwendungen die vom Träger zugrunde gelegten Angemessenheitsgrenzen überschreiten und der Berechtigte Kenntnis von der Unangemessenheit hatte oder dies sich ihm aufdrängen musste.
3. Zur Möglichkeit und Zumutbarkeit eines Umzuges nach § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 27. Januar 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum August 2013 bis Januar 2014.
Der im Jahre 1951 geborene Kläger erhält seit 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Er bewohnte während des Leistungsbezuges zunächst eine 51,88 qm große Wohnung in der C-Straße in A-Stadt, für die er eine tatsächliche Gesamtmiete von 340,46 Euro monatlich zahlte und für die die Rechtsvorgängerin des Beklagten - die Gesellschaft für Integration und Arbeit Gießen mbH (GIAG) - zuletzt monatlich Aufwendungen von 291,53 Euro als angemessen übernahm (Bescheid vom 11. Januar 2010). Am 19. März 2010 teilte der Kläger der Rechtsvorgängerin des Beklagten mit, dass das Mietverhältnis vom Vermieter gekündigt worden, gleichzeitig aber eine Ersatzwohnung angeboten worden sei, für die er einen neuen Mietvertrag abgeschlossen habe. Er legte einen Mietvertrag für den Zeitraum ab 1. April 2010 für eine 59,77 m² große Wohnung in der A-Straße in A-Stadt vor, für die eine monatliche Einzelmiete i. H. v. 300,00 Euro und monatliche Betriebskosten i. H. v. 60,50 Euro (ohne Wärme und Wasser), insgesamt 360,50 Euro an den Vermieter zu zahlen waren. Nach der Vertragsbestätigung der Stadtwerke A-Stadt vom 22. April 2010 betrugen die monatlichen Heizkostenabschläge 85,00 Euro. Die Rechtsvorgängerin des Beklagten ging von tatsächlichen Wasser-/Abwasserkosten von 25,00 Euro und Heizkosten von 85,00 Euro (einschließlich Warmwassererzeugung) und damit von einer Gesamtmiete in Höhe von 470,50 Euro monatlich aus.
Mit Änderungsbescheid vom 16. Juni 2010 erkannte die Rechtsvorgängerin des Beklagten ab April 2010 lediglich 247,50 Euro Grundmiete, Nebenkosten von 57,07 Euro sowie Kosten der Heizung in Höhe von 58,95 Euro, insgesamt 363,52 Euro monatlich an, weil angesichts des ohne vorherige Zustimmung erfolgten Umzuges nur die angemessenen Kosten übernommen werden könnten. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Rechtsvorgängerin des Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2010 zurück. Die dagegen erhobene Klage (S 25 AS 903/10) begründete der Kläger damit, von seinem Vermieter zum Umzug gezwungen worden zu sein. Er sei der Auffassung, seinen Aufenthalts- bzw. Wohnort frei wählen zu dürfen. Seine Wohnung sei auch nicht zu groß. Aufgrund eines Prozessvergleiches erkannte die Rechtsvorgängerin des Beklagten für den Zeitraum April bis Juli 2010 Unterkunfts- und Heizkosten i. H. v. 425,00 Euro monatlich an.
Mit Bescheid vom 3. November 2010 bewilligte die Rechtsvorgängerin des Beklagten dem Kläger Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum April bis Juli 2010 in Höhe von 425,00 Euro monatlich. Für den Zeitraum August 2010 bis Januar 2011 (Bescheid vom 6. Juli 2010) und Februar bis Juli 2011 (Bescheid vom 28. Dezember 2010) wurden Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung i. H. v. 392,77 Euro monatlich bewilligt. Mit Bescheid vom 1. Juli 2011 erhöhte der Beklagte die Leistungen für Unterkunft und Heizung für Juli 2011 auf 414,58 Euro (Grundmiete 276,75 Euro, Heizkosten 77,00 Euro, Nebenkosten 60,83 Euro). Auch für den Zeitraum Februar bis Juli 2012 (Bescheid vom 4. Januar 2012) sowie August 2012 bis Januar 2013 (Bescheid vom 25. Juni 2012) wurden dem Kläger Leistungen für Unterkunft und Heizung i. H. v. 414,58 Euro monatlich (Grundmiete 276,75 Euro, Heizkosten 77,00 Euro, Nebenkosten 60,83 Euro) bewilligt.
Zum 1. Dezember 2012 setzte der Landkreis Gießen ein Konzept zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung (“Mietwerterhebung zur Ermittlung der KdU-Richtwerte im Landkreis Gießen„) in Kraft, dessen Grundlage unter anderem die Bildung von vier Wohnungsmarkttypen (...